Protocol of the Session on September 15, 2010

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Herr Dr. Gottfried Timm für die Fraktion der SPD.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der Tat, das Fundament für Freiheit und für Einigkeit und für Rechtstaatlichkeit in unserem Bundesland wurde vor 21 Jahren gelegt. Im Herbst 1989 erlebten wir mit der friedlichen Revolution, wie die Menschen in der DDR aufstanden und auf den Straßen und Plätzen vollendet haben, wofür über viele Jahre Bürgerrechtler, Literaten, Liedermacher, Studenten, Wissenschaftler, Kirchenleute und viele weitere beharrlich und oft verbunden mit erheblichen persönlichen Nachteilen eingetreten sind.

Ich meine, deshalb haben wir zuallererst den Menschen zu danken, die trotz aller Repressalien, trotz Schießbefehl und Stacheldraht, trotz Einschüchterungen durch die SED-Diktatur, die gemeinsam mit ihren vier Blockparteien regiert hat, und trotz Beobachtungen durch die Staatssicherheit den Mut hatten und die Zivilcourage besaßen, ihre eigenen Interessen in die Hand zu nehmen und den öffentlichen Raum in der DDR zu besetzen. Es ist mir besonders wichtig, daran zu erinnern angesichts des Todes von Bärbel Bohley, an die Herr Glawe soeben auch schon erinnert hat.

Und wie ist es heute? Ich gebe Herrn Holter völlig recht: Wenn wir wissen wollen, wo wir hinwollen, müssen wir auch wissen, wo wir herkommen. Ein Blick zurück zeigt, wie vielfältig die Veränderungen sind, die seit jener Zeit durch uns gestaltet wurden. Niemand konnte damals auch nur ahnen, welche Probleme in den Jahren nach der Wiedervereinigung und der Gründung unseres Bun

deslandes Mecklenburg-Vorpommern gemeinsam zu bewältigen waren.

Das Ziel vieler unter uns war von Anfang an die aktive Gestaltung der Deutschen Einheit und der Aufbau unseres Landes, aber wie dieser Weg zu beschreiten war Schritt um Schritt und im Einzelfall, musste immer wieder neu erarbeitet und durch manche, teilweise auch heftige Auseinandersetzung hindurch entschieden werden. Niederlagen und Erfolge wechselten sich ab.

Wir standen vor der Aufgabe, aus einer Diktatur eine lebendige Demokratie werden und wachsen zu lassen, und das war sehr viel mehr als ein einfacher gesetzgeberischer Akt.

Die Prägungen der Diktatur reichten tief in die Gesellschaft hinein, in die Hochschulen und Schulen, in die Polizei und letztlich in alle gesellschaftlichen Gruppen des jungen Bundeslandes Mecklenburg-Vorpommern. Groß war teilweise die Verunsicherung, manches riss Wunden, auch deswegen, weil viele drüben im Westen nicht verstanden haben, was es bedeutet hat, in einer Diktatur gelebt zu haben und diese aktiv hinter sich lassen zu wollen. Manches davon ist auch heute noch zu spüren.

Übrigens hätte ich gerne gehört, Herr Glawe, der allerdings jetzt nicht da ist,

(Harry Glawe, CDU: Anwesend.)

wie die CDU als ehemalige Blockpartei sich dieser Aufgabe gestellt hat.

Wir standen außerdem hier in diesem Bundesland vor der Aufgabe, eine Staatswirtschaft in eine Marktwirtschaft zu überführen, aber das nicht im Labor, sondern mit der Einführung der D-Mark bereits ein Vierteljahr vor dem Tag der Deutschen Einheit standen unsere Betriebe und Kombinate urplötzlich in der rauen Wirklichkeit der globalen Weltwirtschaft. Die Märkte im Osten brachen weg und im Westen hat man auf unsere Produkte nicht gewartet. Die Treuhandanstalt hat die Privatisierung der DDR-Wirtschaft zu organisieren gehabt. Manchen sichtbaren Erfolgen standen bei uns aber auch die Werftenkrise sowie einige Privatisierungen gegenüber, die eher dem Ziel dienten, den einen oder anderen Wettbewerber aus dem Weg zu schaffen.

(Zuruf von Udo Pastörs, NPD)

Dass trotz der Arbeitslosigkeit, trotz der Abwanderung und der teilweise zu niedrigen Löhne die Menschen hier bei uns im Land mit Tatkraft am Umbau der Wirtschaft und der Entwicklung neuer Branchen wie dem Tourismus oder der Gesundheitswirtschaft mitgewirkt und mitgearbeitet haben, verdient heute unseren Dank und unseren Respekt.

Meine Damen und Herren, wir standen vor der Aufgabe, einen rasanten technologischen Aufholprozess zu starten, der im Vergleich zwischen dem VW Golf und dem Trabant 601 besonders augenfällig wird. Mit vielen Förderprogrammen und Förderinstrumentarien und mit der Tatkraft vieler Unternehmer und Wissenschaftler haben wir hier Wege beschritten, bei denen wir nicht den Westen kopieren wollten, sondern die neuen Bundesländer eigenständig vor den Herausforderungen der Zukunft zu positionieren hatten. Wenn ich mich in unserem Bundesland umsehe, sind wir beispielsweise in der Medizintechnik oder bei der Energietechnologie ganz gut vorangekommen,

(Zuruf von Udo Pastörs, NPD)

aber wir haben auch hier den Wind von vorne und müssen weiterhin auf diesem Weg kräftig nach vorne ausschreiten. Herr Holter hat dazu auch schon einiges gesagt.

(Zuruf von Michael Andrejewski, NPD)

Meine Damen und Herren, wir Politikerinnen und Politiker haben diese Aufgabe geleistet in einer jungen freiheitlichen Gesellschaft und mit den Institutionen der parlamentarischen Demokratie. Im Landtag und in der Landesregierung, bei den Bürgermeistern und Landräten und in den kommunalen Vertretungen sind diese und natürlich viele andere Aufgaben in den zurückliegenden 20 Jahren zu bewältigen gewesen. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Verwaltungen haben diese Veränderungen umgesetzt und ihnen Gestalt verliehen. An den Gerichten wurde Recht gesprochen,

(Udo Pastörs, NPD: Aber was für eins!)

um mit demokratischen und rechtsstaatlichen Methoden Konflikte zu lösen. Dass wir heute überhaupt staatliches Handeln unabhängig überprüfen lassen können, war für uns in der DDR ein lang ersehntes Ziel.

Meine Damen und Herren, ich meine auch, wir können selbstbewusst zurückschauen, auch wenn wir dieses nicht selbstgerecht tun dürfen. Mit einem Blick zu unseren östlichen Nachbarstaaten gelingt es uns, dankbar zu sein, denn dort wie hier hatte man dieselben Probleme des Wandels von einer Diktatur in eine Demokratie und den Umbau der Wirtschaft zu leisten.

In der Rückschau auf unsere Arbeit können wir sagen, nur mit der Einheit Deutschlands, mit der D-Mark und mit den rechtsstaatlichen Institutionen, die in den alten Bundesländern bereits erprobt waren, haben wir überhaupt die letzten 20 Jahre, die 2 Jahrzehnte, die hinter uns liegen, so gestalten können, wie wir es getan haben. Das gilt auch dann, wenn wir heute diese oder jene Entscheidung im Einzelnen anders treffen würden.

Am vergangenen Sonntag beim „Tag der offenen Tür“ hier im Landtag konnten wir erneut erleben, dass auch die Menschen in unserem Bundesland stolz sind auf das, was wir hier alle miteinander und im demokratischen Meinungsstreit zwischen den demokratischen Fraktionen, meine Damen und Herren,

(Zurufe von Michael Andrejewski, NPD, und Udo Pastörs, NPD)

und mit der Unterstützung auch aus den alten Bundesländern erreicht haben. Dieses zu feiern und zugleich stets und ständig zu verteidigen, weil dieses eben gerade nicht selbstverständlich ist, meine ich, ist heute Anlass für diese Aktuelle Stunde. Ich gehe davon aus, dass wir diese engagierte Arbeit auch in Zukunft fortsetzen.

Den zweiten Teil, die Zukunftsfragen, die im Thema zur Aktuellen Stunde angesprochen sind, werden wir hoffentlich auch noch erörtern können. Herr Glawe, Sie haben hoffentlich auch noch einmal das Wort,

(Zuruf von Harry Glawe, CDU)

um dem einen Schwerpunkt zu geben. Ich will nachher noch mal etwas dazu sagen. – Danke schön.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion der SPD)

Vielen Dank, Herr Dr. Timm.

Das Wort hat jetzt der Fraktionsvorsitzende der Fraktion der FDP Herr Roolf.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zu Recht haben wir heute dieses Thema auf der Tagesordnung und zu Recht erinnern wir an die Menschen, die 1989/1990 das ermöglicht haben, dass wir heute in einem frei gewählten Parlament diese Debatte führen können.

Wir müssen uns heute die Frage stellen: Was haben wir aus diesen Chancen, aus diesen Möglichkeiten dieser einmaligen friedlichen Revolution auf deutschem Boden geleistet und was haben wir daraus gemacht? Jeder muss diese Frage für sich selber beantworten und jeder, der politische Verantwortung hat, muss sie auch als Politiker für sich beantworten.

Ich finde es ehrlich gesagt trotzdem aber genauso falsch, Herr Kollege Holter, wenn Sie sich hier hinstellen und sagen, ihre Partei hat die Verantwortung übernommen. Das, was Sie hier sagen, mögen Sie ehrlich meinen, es ist aber in Wirklichkeit ein Lippenbekenntnis Ihrer Partei.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktionen der CDU und FDP)

Sie haben sich nie wieder der Verantwortung gestellt.

(Helmut Holter, DIE LINKE: Beschäftigen Sie sich mal mit der Geschichte, Herr Roolf!)

Wenn Sie sich heute hinstellen und sagen, Sie verwehren sich gegen den Nachbau West, und sagen, wir wollten keinen Nachbau West, dann sage ich Ihnen: Sie haben acht Jahre Regierungsverantwortung in MecklenburgVorpommern gehabt. In den letzten 20 Jahren haben 200.000 Menschen dieses Land verlassen.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion der FDP – Gino Leonhard, FDP: Ganz genauso ist es.)

Sie haben nicht den Nachbau West in Ihrer politischen Arbeit gehabt, sondern Sie haben – und haben ihn heute noch – den Rückbau Ost als Ihre Politik erkannt.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion der FDP – Irene Müller, DIE LINKE: So, so, die sind alle in den acht Jahren gegangen. – Zuruf von Dr. Norbert Nieszery, SPD)

Mit einer solchen Art von Politik, die Sie hier heute betreiben in diesem Land,

(Irene Müller, DIE LINKE: Weniger Sachverstand ist unmöglich.)

auch heute wieder im Parlament, werden wir denen nicht gerecht, die 1989 auf die Straße gegangen sind. Es ist nicht Aufgabe von Politik, Ängste zu schüren, zu beginnen beim Arbeitnehmer, weiterzugehen über den Rentner, den sozial Schwachen, den Auszubildenden, Ängste zu vermitteln und zu sagen, alle wollen ihm alles wegnehmen, sondern verantwortliche Politik setzt da an, wo man ihnen Lösungsansätze für eine faire Gesellschaft anbietet.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion der FDP – Helmut Holter, DIE LINKE: Wer streicht denn die Beiträge für Hartz-IV-Empfänger? Die FDP und die CDU. – Zuruf von Irene Müller, DIE LINKE)

Ich will es Ihnen an drei Beispielen von Zufriedenheit und an einem Beispiel von Unzufriedenheit, an dem, was wir

in den letzten 20 Jahren erreicht haben, gerne erläutern: Während wir bis 1989 eine Nationale Volksarmee gehabt haben, deren Aufgabe es gewesen ist, Feindbilder in die Köpfe der Menschen zu implementieren, haben wir heute eine Bundeswehr,

(Irene Müller, DIE LINKE: Ja, die Armee, die uns Deutsche verteidigt.)

die sich in einem gemeinsamen Europa mit Freunden auf der westlichen Seite Mecklenburg-Vorpommerns und mit Freunden im Osten Mecklenburg-Vorpommerns

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion der FDP)