Protocol of the Session on June 30, 2006

Meine Damen und Herren, wenn wir von der Bewahrung der Schöpfung sprechen, dann gehören auch Menschen dazu.

(Ute Schildt, SPD: Genau.)

Es wurde schon mal von der Würde des Menschen gesprochen und es gehört dazu, dass für geleistete Arbeit angemessen entlohnt wird und dass die Menschen in unserem Land die Möglichkeit erhalten, sich mit Arbeitskraft und Kreativität in die Gemeinschaft einzubringen. Es lohnt sich eine gemeinsame Anstrengung, es lohnt sich aber auch, offen und ehrlich und auch kritisch zu sein mit sich selber. Es lohnt sich auch aus parteitaktischen Gründen, vielleicht einfach mal das Programm zu vergessen und sich der Realität zu widmen

(Heiterkeit und Unruhe bei Abgeordneten der Linkspartei.PDS – Zuruf von Konrad Döring, Die Linkspartei.PDS)

und nicht in alten Programmen zu suchen, zu wühlen und zu kramen und zu glauben, dass es stimmt. Ich hätte diesen Redebeitrag freundlicher abgeschlossen, aber ich muss feststellen, dass es gerade auf der sehr, sehr linken Seite hier immer noch heißt: Nistplätze vor Arbeitsplätze.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Heiterkeit bei einzelnen Abgeordneten der Linkspartei.PDS)

Danke schön, Frau Strenz.

Es hat jetzt das Wort für die Fraktion der Linkspar tei.PDS die Abgeordnete Frau Lück. Bitte schön, Frau Abgeordnete.

(Zuruf von Egbert Liskow, CDU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Es ist Weltmeisterschaftszeit in Deutschland und so mancher wünscht sich wohl, dass das Fußballfi eber die leidigen Themen wie fünf Millionen Arbeitslose,

(Egbert Liskow, CDU: Wir haben heute eine andere Zahl gehört.)

Löhne und Einkommen wegschießt. Ob Klinsi und unsere Jungs die beste Mannschaft der Welt werden, weiß ich nicht, auch wenn ich es hoffe,

(Reinhard Dankert, SPD: Die Frauen sind doch Weltmeister!)

aber klar ist, dass wir auf alle Fälle nicht leer ausgehen im Kampf um Weltmeisterehren. Wir sind nämlich Exportweltmeister und das spielt eine ganz große Rolle bei der

Frage, wenn wir hier darüber diskutieren, wie ist das alles fi nanzierbar. Die Kassen klingeln zumindest bei den Bossen. Und statt sich bei den Beschäftigten mit höheren Löhnen zu bedanken, werfen sie diese zum Dank raus wie jüngst die Deutsche Bank und nun die Allianz.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der Linkspartei.PDS – Zuruf von Jörg Heydorn, SPD)

Wir sind Exportweltmeister,

(Jörg Heydorn, SPD: Mecklenburg- Vorpommern nicht! – Unruhe bei einzelnen Abgeordneten der Linkspartei.PDS)

weil die Produkte unserer Unternehmen gut sind. Kein anderes Land erzielt einen so hohen Überschuss bei seinen Exporten. Aber, um im sportlichen Vokabular zu bleiben, ein weiterer Wettbewerb endet 25:0, nämlich der zwischen den Gewinn- und Lohnsteigerungen zwischen 2004 und 2006. Die Gewinne stiegen laut Bericht der Bundesregierung in diesen drei Jahren um 25 Prozent. Die Löhne stagnierten in der Summe bei null.

(Gabriele Měšťan, Die Linkspartei.PDS: Das sind die Fakten.)

Da fragt man sich doch, um noch einmal in der Fußballsprache zu bleiben, ob der Ball denn noch richtig rund ist. Während die Lohnstückkosten in der Euro päischen Union zwischen 1999 und 2005 um 1,5 bis 3,3 Prozent stiegen, lag Deutschland in diesem Zeitraum 0,7 bis 2,3 Prozent darunter, im Jahr 2004 sogar bei minus 1,2 Prozent. Trotz dieser günstigen Entwicklung in der Wettbewerbssituation erleben wir eine rasche Ausweitung des Niedriglohnsektors, ein Wachstum prekärer Beschäftigungsverhältnisse, die Zunahme von Minijobs, von Leiharbeit und befristeten Arbeitsverträgen. Das kennen wir auch aus unserem Bundesland.

(Zuruf von Karin Strenz, CDU)

Sehen wir, liebe Kolleginnen und Kollegen, nur mal zu den Werften, zum Beispiel mit dem Einsatz der Arbeitszeitfi rmen. Eine verlängerte fl exible Arbeitswelt mit löchrigem oder gar ohne sozialem Netz ist Realität. Der Druck auf die Löhne senkt nicht nur die Lohnstückkosten, sondern auch die Familieneinkommen und damit die Kaufkraft,

(Karin Strenz, CDU: Ja, ja.)

das heißt die Binnennachfrage. Mit Arbeit kann man arm bleiben. Das halte ich für einen Skandal.

(Beifall bei Abgeordneten der Linkspartei.PDS)

So bekamen im Juni 2005 bundesweit 388.000 sozialversicherungspfl ichtig Beschäftigte ergänzende Arbeitslosengeld-II-Leistungen. Und insgesamt musste das Arbeitseinkommen von 900.000 Erwerbstätigen wegen seines Armutsniveaus aufgestockt werden,

(Zuruf von Torsten Koplin, Die Linkspartei.PDS)

darunter von fast 400.000 Minijobbern.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Thema Löhne beschäftigt uns in dieser Legislatur nicht zum ersten Mal.

(Zuruf von Egbert Liskow, CDU)

So haben wir uns im April 2004 mit dem Antrag der Koalitionsfraktionen unter dem Titel „Für angemessene Löhne und Gehälter gegen ein Niedriglohngebiet Ost“

beschäftigt. Unser Fazit lautete damals wie heute: Wir haben als Niedrig- und Billiglohnland keine Chance, im internationalen Wettbewerb zu bestehen. Niedriglohn und Lohndumping schaden der Binnennachfrage, weil sie die Kaufkraft und die öffentlichen Kassen schwächen, aber auch uns in Mecklenburg-Vorpommern. Das Thema „Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes“ ist übrigens keine Erfi ndung des 21. Jahrhunderts und doch scheint erst in diesem Jahr, im Jahr 2006, die Zeit reif zu sein, die Empfehlungen der EU aus dem Jahre 1977, also mit fast 30 Jahren Verspätung, auch in Deutschland umzusetzen.

(Zuruf von Egbert Liskow, CDU)

Im Sommer und Herbst 2004 haben sich sogar die damaligen beiden Regierungsfraktionen im Bund, SPD und Bündnis 90/Die Grünen, mit dem Thema befasst. Im Zuge der Einführung von Hartz IV wurde das Thema jedoch nicht weiterverfolgt. Die Idee vom Mindestlohn ist also keine Erfi ndung der Linkspartei.PDS und erst recht kein Teufelszeug. Nein, ein gesetzlicher Mindestlohn ist nicht nur überfällig, er ist notwendig, weil es um die Würde der Menschen geht.

(Beifall bei Abgeordneten der Linkspartei.PDS)

Wir fordern die Garantie eines armutssicheren Lohnes für alle in Deutschland beschäftigten Menschen, denn ein Lohn, der Arbeit ohne Armut ermöglicht, stellt aus unserer Sicht die Mindestanforderung an eine sozial gerechte Gegenleistung für Erwerbsarbeit dar. Der gesetzliche Mindestlohn ist kein Allheilmittel, sondern nur ein Instrument, wenn auch ein wichtiges, nur ein Baustein zur Lösung unserer gesellschaftlichen und auch unserer volkswirtschaftlichen Probleme.

Warum brauchen wir den gesetzlichen Mindestlohn so schnell wie möglich? Hierzulande arbeiten 6,9 Millionen Beschäftigte zu prekären Löhnen.

(Torsten Koplin, Die Linkspartei.PDS: Schlimm.)

Das heißt, sie haben weniger als 75 Prozent des Durchschnittslohnes, so, wie es Herr Mohr auch gesagt hat bei seiner Einführung. Die 2.100 Millionen Vollzeitbeschäftigten, die sogar zu Armutslöhnen, das heißt zu weniger als 50 Prozent des Durchschnittslohnes arbeiten, stehen acht und mehr Stunden am Tag ihre Frau und ihren Mann und gehen arm nach Hause.

(Karin Strenz, CDU: Was haben Sie denn acht Jahre lang gemacht?)

Oder wie würden Sie es nennen, wenn eine Friseuse 3,50 Euro Stundenlohn bekommt, Frau Strenz?

(Karin Strenz, CDU: Was haben Sie denn gemacht acht Jahre lang?)

Also Herr Wilcken von den Vereinen der Unternehmensverbände für Mecklenburg-Vorpommern war so freundlich, uns gestern noch ein Material für unsere, wie er schreibt, außergewöhnliche Debatte über den Mindestlohn zukommen zu lassen. Auf Spekulationen über das Außergewöhnliche an dieser Debatte möchte ich mich jetzt nicht einlassen, aber ich möchte kurz auf den Artikel Bezug nehmen. „Niedriglohn und Arbeit – zwei Paar Schuh“, diese Überschrift stimmt eben nur zum Teil, denn Armut trotz Arbeit ist der Beginn von Armut des einzelnen Arbeitnehmers und seiner Familie.

(Karin Strenz, CDU: Das ist doch geistige Armut.)

Geradezu sarkastisch wird es, wenn es im Artikel heißt,

ich zitiere: „In Ostdeutschland haben immerhin 43 Prozent der Arbeitnehmer mit Niedriglohn noch einen Partner, der mehr mit nach Hause bringt als sie selbst.“ Wem soll der Niedriglöhner denn dafür danken, frage ich Sie. Schauen wir uns doch die Haushaltseinkommen an. Eine Studie der renommierten GFK-Marktforschung GmbH Nürnberg vom November 2004 zeigt, dass in Mecklenburg-Vorpommern 31,2 Prozent aller privaten Haushalte monatlich weniger als 1.100 Euro netto haben.

(Zuruf von Karin Strenz, CDU)

Das ist der negative Spitzenwert in Deutschland. Berlin und Bremen folgen mit 30,6 beziehungsweise 29,7 Prozent. 132.900 Einpersonenhaushalte in Mecklenburg-Vorpommern verfügten über ein monatliches Haushaltsnettoeinkommen von weniger als 900 Euro. 222.000 Mehrpersonenhaushalte verfügten über ein monatliches Haushaltsnettoeinkommen von weniger als 1.700 Euro, das heißt pro Person 850 Euro. Diese Zahlen sollten uns doch zu denken geben.

(Karin Strenz, CDU: Reden Sie doch über die Konsequenzen, die eintreten, wenn das eingeführt würde. Das ist der springende Punkt.)

Der bundesweite Pfändungsfreibetrag, der jedem Schuldner ohne Unterhaltsverpfl ichtung vom Gesetzgeber zugebilligt wird, liegt derzeit bei 985,15 Euro. Bundesweit und auch in Mecklenburg-Vorpommern können viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer selbst bei einem Vollzeitjob mit ihrer Hände Arbeit nicht mehr das Nötigste, das man zum Leben braucht, verdienen.