Protocol of the Session on November 9, 2005

Sie sind als Arbeitsminister, Herr Holter, von diesem Ziel sehr, sehr weit entfernt. Ich glaube schon, dass die Konzepte, die Sie hier vorlegen, nicht mehr greifen werden, und Sie werden Ihre arbeitsmarktpolitische Bilanz nicht schönen können, indem Sie jetzt immer auf dem Punkt rumreiten, sondern Sie werden hier im Land Ihre Fehler oder auch Ihre Missleistungen, die Sie in den letzten Jahren getätigt haben, noch verantworten müssen. Dafür werden wir sorgen, meine Damen und Herren!

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der CDU – Zuruf von Regine Lück, Die Linkspartei.PDS)

Die Frage Elterngeld ist eine ganz wichtige, die auf Bundesebene diskutiert wird. Sie kennen die Zahl, dass bis zu 1.800 Euro gezahlt werden sollen ab dem ersten Lebensjahr ab dem Jahr 2008, wenn die Finanzlage es zulässt. Ich bin jetzt kein Hellseher, ich weiß nicht, was bis Sonnabend im Koalitionsvertrag steht. Auf alle Fälle haben beide Parteien, CDU wie SPD, den Willen, ein Elterngeld einzuführen.

(Dr. Margret Seemann, SPD: Ein toller Sinneswandel! Vor einigen Tagen wurde noch etwas anderes erzählt.)

Und, Frau Ministerin, es hilft überhaupt nichts, wenn Sie hier immer auf den Bund verweisen und sagen, was er tun sollte. Sie selbst müssen für Familien in diesem Land etwas tun, und zwar im Rahmen Ihrer Möglichkeiten,

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der CDU)

und diese Möglichkeiten schöpfen Sie bei Weitem nicht aus.

Noch ein Wort zu den Kitas. Da werden immerhin 179 Millionen Euro als Festbetrag für die Inanspruchnahme von Plätzen ausgegeben. Aber was heißt das? Je mehr in Anspruchnahmen getätigt werden, je geringer wird der Landeszuschuss an die Gemeinden, an die Träger. Und was passiert dann? Es steigen Sozialhilfeanträge, es steigen die Belastungen der Gemeinden, es steigen die Belastungen der Eltern. Das ist die Realität in der Praxis und nicht umgedreht. Was wir brauchen, ist ein Bildungsangebot für Dreijährige und Ältere und nicht nur ab fünf Jahren, am besten sogar schon im Krippenbereich. Aber so weit will ich jetzt gar nicht gehen.

(Heiterkeit bei Angelika Gramkow, Die Linkspartei.PDS: Schade, Herr Glawe! – Zuruf von Rudolf Borchert, SPD)

Entscheidend ist, dass das Bildungsangebot verbessert werden muss. Auch die PISA-Studie hat gezeigt, dass in diesem Bereich weitere Möglichkeiten bestehen müssen, um für dieses Land Mecklenburg-Vorpommern

(Rudolf Borchert, SPD: Richtig!)

die Bildungsangebote, die Lebenschancen für unsere Kinder zu verbessern.

(Zuruf von Peter Ritter, Die Linkspartei.PDS)

Ein weiteres Beispiel sei mir noch gestattet. Wir müssen uns auch darum kümmern, dass wir die Lebensqualität der älteren Generation sichern. Die Pflege wird eine der entscheidenden gesellschaftlichen Botschaften und Aufgaben für die Zukunft in Mecklenburg-Vorpommern sein.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der CDU)

Der Blick auf die demografische Entwicklung zeigt, dass wir in diesem Bereich noch Erhebliches leisten müssen. Das fängt an bei der Bereitstellung von Wohnraum, das geht über die Fragen: Wer pflegt wen? Sind die Familien auf Dauer dazu in der Lage? Brauchen wir andere Betreuungssysteme? Alle diese Fragen stehen im Mittelpunkt der nächsten Jahre. Und Sie wissen es, ein Drittel aller Bürgerinnen und Bürger sind heute älter als 50 Jahre, und darauf müssen wir uns auch im Interesse der Familien einstellen.

Das Thema, was Sie hier weitestgehend überhaupt noch nicht betrachtet haben, ist die Frage der Abwanderung. Wer verlässt denn dieses Land Mecklenburg-Vorpommern? Es ist die Jugend.

(Reinhard Dankert, SPD: Nicht nur dieses Land.)

Es sind die, die keine Lehrstellen bekommen, die hier keine Perspektive sehen. Wir müssen dafür sorgen, dass Arbeitsplätze in Mecklenburg-Vorpommern entstehen und nicht Abwanderung sozusagen favorisiert wird. Die Rückholagenturen von Herrn Holter haben nach meiner Meinung nicht viel gebracht, sie werden auch nicht viel bringen.

(Angelika Gramkow, Die Linkspartei.PDS: Wir sollten mal mitgehen, wir sollten uns das mal angucken bei der Evangelischen Jugend, Herr Glawe.)

Wir brauchen Konzepte, um Arbeitsplätze, Teilzeitangebote für Arbeit in Mecklenburg-Vorpommern zu schaffen, um Zukunftsperspektiven für die Bürgerinnen und Bürger und für die jungen Menschen hier im Land zu schaffen. Dazu sind Sie nach sieben Jahren oder später in acht Jahren wahrscheinlich nicht in der Lage gewesen. Das wird Ihre Bilanz sein.

(Reinhard Dankert, SPD: Wir sollten mit Sachsen-Anhalt zusammenarbeiten, mit Thüringen und Sachsen-Anhalt.)

Ja, Sie sind groß angetreten, Sie wollten alles besser machen, die soziale Gerechtigkeit haben Sie auf Ihre Fahne geschrieben.

(Reinhard Dankert, SPD: Ja.)

Aber sozial gerecht sind Sie nicht geworden. Das sind alles nur Fahnensprüche, die Sie sozusagen vor Ihren Parteitagen ablassen, die den Bürgern in diesem Land aber nicht helfen. – Vielen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Vielen Dank, Herr Glawe.

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete der SPD-Fraktion Frau Dr. Seemann.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich war sehr gespannt, wie Sie die Kurve zum Thema der Aktuellen Stunde kriegen würden. Sicherlich, der 9. November bietet sich hinsichtlich der Familienzusammenführung an. Aber worüber wir eigentlich hier diskutieren immer wieder auf Ihre Anträge hin, ist doch nicht das Problem Familie, Förderung von Familie, sondern das Problem, was bei dieser Diskussion immer im Vordergrund steht, ist die Bevölkerungsentwicklung. Ich finde es äußerst bedauerlich – Frau Gram

kow hat schon darauf hingewiesen –, dass wir offensichtlich nicht in der Lage sind, uns mit der ganzen Komplexität der Förderung von Familien, der Familienproblematik auseinander zu setzen, sondern sehr kurzschlüssig in der Politik seit etlichen Jahren Diskussionen zur Bevölkerungsentwicklung mit Diskussionen zur Familienpolitik verwechseln. Ich habe in Vorbereitung auf die Aktuelle Stunde auf die Internetseite des zuständigen Bundesministeriums geguckt. Da gibt es mittlerweile 13 Einträge über Studien zur Familienpolitik innerhalb von drei Jahren, also von 2003 bis 2005. Aber eigentlich meinten auch diese Studien Bevölkerungsentwicklung und nicht Familienpolitik.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, auch Allensbach und Forsa haben sich mit dieser Problematik beschäftigt und haben herausgefunden, dass für fast 90 Proz e nt der Deutschen die Familie an erster Stelle der persönlichen Prioritäten steht, Familie aber im umfassenden Sinne. Wichtige Motive für zu beklagende Kinderlosigkeit werden dann in folgender Form benannt, und zwar zum einen das Fehlen eines geeigneten Partners, das hat die höchste Priorität, nämlich 44 Prozent, zum anderen die Sorge um den Arbeitsplatz mit 39 Prozent. Und, meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn wir über finanzielle Transferleistungen diskutieren, dann muss man sich natürlich bei dieser Untersuchung fragen, wie es kommt, dass nur 24 Prozent der Befragten ein höheres Kindergeld fordern. Also ist doch offensichtlich die Diskussion nicht so, wie Sie, meine Damen und Herren von der CDU, es uns hier versuchen zu verdeutlichen, dass fehlende finanzielle Mittel allein nicht das Problem sind – damit sage ich nicht, dass Familien nicht entsprechend finanziell ausgestattet werden müssen –,

(Torsten Renz, CDU: Wer hat das gesagt? – Unruhe bei einzelnen Abgeordneten der CDU)

sondern es fehlen entsprechende Rahmenbedingungen.

Gestatten Sie mir, meine sehr geehrten Damen und Herren und vor allem Sie, Frau Präsidentin, dass ich jetzt wörtlich aus einer Studie vorlese, und zwar vom BerlinInstitut für Bevölkerung und Entwicklung, das in seiner Untersuchung zu folgender Schlussfolgerung gekommen ist: „Der Rückgang der Geburtenraten auf niedrige Werte wie in Spanien, Griechenland oder Deutschland folgt keinem Naturgesetz. Er ist die Konsequenz einer gesellschaftlichen Entwicklung, bei der die Emanzipation der Frauen eine wichtige Rolle spielt. Der Rückgang ist dort am stärksten ausgeprägt, wo Frauen weitgehend emanzipiert sind, wo der Rest der Gesellschaft aber noch auf einem vergleichsweise traditionellen Entwicklungsstand verharrt. Gesellschaften, in denen die neue Rolle der Frauen anerkannt und unterstützt wird, zeichnen sich hingegen durch relativ hohe Kinderzahlen aus. Den Daten zufolge streben westeuropäische Frauen mehrheitlich nach eigener beruflicher Entwicklung und wirtschaftlicher Unabhängigkeit. Unter diesen Bedingungen erscheint es logisch, dass ein Festhalten an der traditionellen Arbeitsteilung zwischen Frauen und Männern die Kinderzahlen eher noch weiter sinken lassen würde.“

Meine sehr geehrten Damen und Herren, und deshalb sage ich hier an dieser Stelle, ich hatte es in einer der letzten Debatten auch schon betont: Voraussetzung für eine nachhaltige Familienpolitik ist eine zukunftsweisende Frauen- und Gleichstellungspolitik.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und Angelika Gramkow, Die Linkspartei.PDS)

Es wurde hier schon mehrfach auf einige Zahlen hingewiesen. Ich möchte sie nicht alle wiederholen. Aber man möchte sich einmal verinnerlichen, dass 30 Prozent aller Frauen in Deutschland mittlerweile kinderlos sind. Allerdings sind noch mehr Männer als Frauen ohne Kinder, auch das sollten wir uns in der Diskussion vergegenwärtigen. Während in Irland zum Beispiel 90 Prozent aller Frauen erwerbstätig sind und es dem dortigen Arbeitsmarkt im Übrigen auch nicht schadet, geben in Deutschland 44 Prozent aller Mütter, wenn sie das erste Kind bekommen, ihren Beruf auf. Der Gegensatz ist, in Deutschland haben wir 1,3 Kinder pro Frau, in Irland haben wir zum Beispiel 1,93 Kinder pro Frau.

(Zuruf von Harry Glawe, CDU)

Die Entwicklung wird noch komplizierter, wenn man sich höher qualifizierte Frauen anguckt. Frauen zwischen 35 bis 39 Jahren mit Hochschulausbildung sind in den alten Bundesländern zu 44,3 Prozent kinderlos, in den neuen Bundesländern zu 16,2 Prozent.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, das ist doch in anderen europäischen Ländern wie zum Beispiel in Schweden oder in Frankreich anders. Die Ursache liegt meines Erachtens – und ich glaube, da müssen wir anfassen – zum einen in den sozialen Sicherungssystemen, denn diese haben immer noch die Funktion, dass Frauen als Zuverdienerinnen betrachtet werden, in den abgeleiteten Ansprüchen aus der Familienversicherung und – darauf ist hier heute schon einmal hingewiesen worden – im Ehegattensplitting. Ich bin der festen Überzeugung, dass die Geburtenrate nicht eine Angelegenheit der Frauen alleine ist,

(Torsten Renz, CDU: Da haben Sie Recht. – Heiterkeit bei Harry Glawe, CDU, und Kerstin Fiedler-Wilhelm, CDU)

sondern vor allen Dingen...

Herr Glawe, nicht auf dem Niveau, auf dem jetzt Ihr Lächeln beruht.

... auch eine Angelegenheit der Männer, indem entsprechende Rahmenbedingungen geschaffen werden.

(Zurufe von Harry Glawe, CDU, und Kerstin Fiedler-Wilhelm, CDU)

Deshalb appelliere ich noch einmal auch in Richtung Bund, dass man im Zusammenhang mit Familienpolitik die Gleichstellung von Frauen und Männern stärker wieder in den Vordergrund hebt, die Abschaffung von finanziellen Privilegien für die Institution Ehe, solange sie die Abhängigkeit der Partner voneinander fördern, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu verstärken, und zwar auch mit dem Fokus auf Frauen und Männer. Es kann nicht sein, dass Teilzeitbeschäftigung nach wie vor in Deutschland nur in Bezug auf die Betätigung von Frauen diskutiert wird, wo wir ohnehin schon wissen, dass Frauen weniger verdienen und sie dadurch vor allen Dingen mit Kindern in die Armutsgrenze fallen.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der SPD und Linkspartei.PDS)

Und wir brauchen ein insgesamt kinderfreundlicheres gesellschaftliches Umfeld, meine sehr geehrten Damen und Herren. Politik kann alleine nicht alles regeln. Ich kann Ihnen ein Beispiel aus meinem eigenen Wahlkreis benennen. Dort wurde in einem neu gebauten Wohngebiet

solange Theater gemacht, weil die Kinder vor der Tür gespielt haben, bis die Familie mit Kindern weggezogen ist. So etwas kann der Staat nicht regeln, so etwas kann die Verwaltung nicht regeln, sondern so etwas ist einfach das Denken der Menschen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, Linkspartei.PDS und Kerstin Fiedler-Wilhelm, CDU – Torsten Renz, CDU: Deshalb eine Wende in den Köpfen.)

Herr Glawe und Herr Renz, zum Schluss noch ein Wort zum Landeserziehungsgeld. Sie heben das Landeserziehungsgeld immer so als Fahne für Familienfreundlichkeit hervor. Wenn Sie sich mit den wissenschaftlichen Untersuchungen, die ich hier vorhin schon benannt habe, beschäftigt hätten, dann würden Sie wissen, dass gerade das Erziehungsgeld in der Zeitdauer, wie es in den letzten Jahren gezahlt worden ist, zur Falle für viele Familien geworden ist, vor allen Dingen zur Falle für Frauen.