Protocol of the Session on November 9, 2005

Die Stärke unserer exzellenten Betreuungsangebote für Kinder und auch für Jugendliche wird in großen Teilen durch die wirtschaftliche Schwäche komplett aufgebraucht, leider, betone ich. Aber auch Großstädte wie Berlin und Hamburg sind für Familien zu teuer, zu unsicher. Darum versinglen im Übrigen diese Regionen zunehmend.

An dieser Stelle weise ich ausdrücklich noch einmal auf unser gemeinsames Programm der Sozialdemokraten in Bund und Ländern der Ganztagsschule hin. Auch da, Herr Renz, hätte ich mir gewünscht, wenn Sie darauf einmal eingegangen wären. Leider haben Sie das Ganztagsschulprogramm im Wesentlichen in der Vergangenheit durch die CDU im Bund maßgeblich blockiert, so dass wir hier insgesamt...

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und Linkspartei.PDS – Unruhe bei Abgeordneten der CDU – Kerstin Fiedler-Wilhelm, CDU: Was?!)

Frau Fiedler-Wilhelm, ich schätze Sie und ich glaube, dass Sie auch nicht zu denjenigen gehören, die das blockieren würden.

(Zurufe von Rudolf Borchert, SPD, und Harry Glawe, CDU)

Ich glaube es tatsächlich, aber auf Bundesebene – das haben wir gerade aus der Föderalismusdiskussion und -debatte wieder gehört – ist für Sie das Bildungsthema kein Thema.

(Unruhe bei einzelnen Abgeordneten der CDU – Zuruf von Torsten Renz, CDU)

Und für mich sowie für uns Sozialdemokraten ist das nicht gut.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der SPD)

Ich glaube, man muss noch einmal sagen, zur ganzen Wahrheit gehört aus meiner Sicht auch, dass wir feststellen, dass nirgendwo – und das ist heute schon einmal angedeutet worden – in Europa mehr Frauen bislang kinderlos bleiben als in Deutschland.

(Dr. Margret Seemann, SPD: Männer auch.)

Ich habe die wunderbare rote Lampe gesehen und komme auch gleich zum Schluss.

Nirgendwo in Deutschland ist es tatsächlich so, dass so viele Familien oder Frauen kinderlos bleiben. Es wächst also eine Generation junger Frauen heran, von denen sich jede vierte, vielleicht sogar jede dritte für ein Leben ohne Kinder entschieden hat. Das ist aus meiner Sicht tatsächlich nicht gut. Wir müssen gemeinsam dafür sorgen, dass Deutschland insgesamt, dass Mecklenburg-Vorpommern zum kinderfreundlichen und familienfreundlichen Land wird. Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten! – Herzlichen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und einzelnen Abgeordneten der Linkspartei.PDS)

Vielen Dank, Herr Dr. Backhaus.

Das Wort hat jetzt die Vorsitzende der Fraktion der Linkspartei.PDS Frau Gramkow.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ja, vielleicht ist das Thema „Familienland Mecklenburg-Vorpommern“ doch für die Aktuelle Stunde nicht geeignet.

(Zuruf von Torsten Renz, CDU)

Wir haben anlässlich der Aktuellen Stunde der CDU im April zur Frage Familienpolitik als Fraktion der Linkspartei.PDS bereits ein Bündnis zur Zusammenarbeit von Kommunen, Verbänden, Vereinen, Gewerkschaften, den Kirchen, von Familien und auch der Politik angeregt. Wir haben schon sehr viel darüber gehört, was wir getan haben, aber man muss auch sagen, die Politik kann nur Rahmenbedingungen setzen, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Ich will aber hinzufügen, Herr Backhaus: Für uns ist Familie nicht nur da, wo Kinder sind.

(Beifall Dr. Margret Seemann, SPD, und Gabriele Meˇsˇt’an, Die Linkspartei.PDS – Dr. Till Backhaus, SPD: Ich bin zu meinem anderem Teil nicht mehr gekommen, Frau Gramkow, leider.)

Familie ist da, wo Nähe ist. Familie ist da, wo Menschen von sich einfach sagen, dass sie eine Familie haben, und das kann auch ohne Kinder sein. Deshalb will ich dieses Thema nutzen, um zur Gesamtperspektive etwas zu sagen.

Es ist doch nicht die Politik, sondern es ist die Gesellschaft im Ganzen, die darüber entscheidet, mit ihren Werten, mit dem Grundgefühl, mit dem Wohlfühlen. Sie entscheidet darüber, wie wir zusammen leben wollen, ob wir alleine oder zusammen leben wollen und ob wir Kinder haben. Es ist die Frage, anerkennt, unterstützt, aktiviert und achtet die Gesellschaft diejenigen, die mit Kindern leben? Tun wir alles, um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf für Frauen und Männer zu ermöglichen, ja, eigentlich zu verbessern? Fördert die Gesellschaft diejenigen, die Menschen pflegen? Sichern wir Arbeit und Ausbil

dung, so dass jeder seine Arbeitsleistung erarbeiten und davon leben kann, oder – trotz aller guten Maßnahmen in Bund und Ländern – herrschen Angst, das Gefühl von Betroffenheit, Zukunftsnot und Unsicherheit doch vor? Will unsere Gesellschaft das Zusammenleben mit Kindern wirklich oder macht uns nur die demografische Falle Sorgen? Die Worte der Kirchen – gerade wieder in der letzten Woche –, sie mahnen uns. Ich sage klar: Das geht nicht nur mit Geld. Geld ist manchmal das Geringste, was wir aufwenden müssen.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der SPD – Ministerin Sigrid Keler: Tja.)

Wie sehen die Realitäten in Mecklenburg-Vorpommern aus? Herr Renz, Sie mahnen eine Wende in den Köpfen an. Ich habe 1990 eine Wende in Köpfen zu dieser Frage erlebt.

(Zuruf von Torsten Renz, CDU)

Es gab offensichtlich eine Zeit, in der man gerne Kinder bekommen hat, in der man sich sicher war, sie großziehen zu können im Interesse des eigenen Wohlgefühls. Ein bisschen von dieser Zeit haben wir doch verloren.

(Torsten Renz, CDU: Da haben aber doch andere Faktoren eine Rolle gespielt.)

Wir haben heute in Mecklenburg-Vorpommern 493.000 Fa

milien. Davon leben 285.000 mit Kindern, aber 202.000 Menschen sind allein stehend. Davon sind 111.500 Alleinerziehende mit Kindern. Von diesen Alleinerziehenden sind 76 Prozent Frauen, 25,5 Prozent sind dabei erwerbslo s und 17,8 Prozent der allein erziehenden Frauen haben ein monatliches Einkommen unter 700 Euro. Die zunehmende Lebensform bei uns im Land für viele Ältere, aber auch für viele Jüngere ist das Alleinleben. Seit 1991 bis 2004 haben wir einen Zuwachs der 1-Personen-Haushalte von 53 Prozent, der 2-Personen-Haushalte von 40,8 Prozent und der 3-Personen-Haushalte minus 10 Prozent. Herr Renz, wir beide gehören zu einem Haushalt von vier Personen, wenn ich mich richtig erinnere.

(Torsten Renz, CDU: Das haben Sie gut recherchiert.)

Wir haben 46 Prozent der Haushalte mit vier Personen verloren in den letzten 15 Jahren und 52 Prozent der 5Personen-Haushalte. 425.300 Kinder haben wir. 35 Prozent werden von Alleinerziehenden erzogen.

(Zuruf von Vincent Kokert, CDU)

Unsere Geburten stagnieren bei etwa 11.000, Eheschließungen allerdings nehmen erfreulicherweise zu.

(Zuruf von Kerstin Fiedler-Wilhelm, CDU)

Die Situation in Mecklenburg-Vorpommern hat etwas damit zu tun, dass auch Armut Familien belastet. Wir haben 150.000 Bedarfsgemeinschaften, die zurzeit der Situation um Hartz IV ausgesetzt sind. 160.000 Menschen sind arbeitslos. 26,3 Prozent der Kinder in unserem Land unterliegen dem Sozialgeldbezug. Im europäischen Maßstab heißt das Armut. Wir unterliegen einer Stigmatisierung derjenigen, die die Hartz-Gesetzgebung ausnutzen, weil es das Gesetz ermöglicht. Paare, Liebende ziehen auseinander, Jugendliche nehmen eine eigene Wohnung, was ich immer als Vorteil im Gegensatz zu einer Situation in der DDR angesehen habe.

(Beifall Gabriele Meˇsˇt’an, Die Linkspartei.PDS)

Missbrauch wird groß geschrieben, Stigmatisierung legal per Gesetz. Und die Antwort, Herr Renz, ist ein Antrag Ihrer Fraktion hier im Parlament. Die Antwort der Politik heißt doch zu dieser Frage von Armutsbelastung Umkehr der Beweislast bei Bedarfsgemeinschaften, sie heißt Unterhaltsrückgriff für Jugendliche und damit Belastung der Eltern von Jugendlichen bis 25 Jahre. Sie heißt keine Wohnungsausstattung für betroffene Jugendliche bis 25 Jahre mehr, sondern Leben weiterhin bei den Eltern. Ihre Antwort heißt, wir sparen 4 Milliarden Euro mal schnell bei der Betroffenheit von Hartz IV.

(Zuruf von Birgit Schwebs, Die Linkspartei.PDS)

Sie haben die Anrechnung des Kindergeldes nicht verändert. Und wo bleibt Ihre Antwort zur Schaffung von Arbeitsplätzen?

(Kerstin Fiedler-Wilhelm, CDU: Der ent- sprechende Antrag wurde im Ombutsrat gestellt, Frau Gramkow. Das haben Sie jetzt nicht gesagt!)

Von der Frage der Gleichstellung kann man in bundespolitischer Sicht doch überhaupt nicht mehr reden. Wo sind Ihre Versprechen für die Familienfreundlichkeit? Wo sind die Forderungen von 50 Euro Rentenbeitrag pro Kind, 8.000 Euro Existenzminimum pro Kind? Meine sehr verehrten Damen und Herren der CDU, auch dafür sind Sie gewählt worden in der Bundesrepublik Deutschland!

(Beifall bei Abgeordneten der Linkspartei.PDS – Heiterkeit bei Harry Glawe, CDU)

Wo sind die Ankündigungen von Kostenfreiheit für Kitas?

(Torsten Renz, CDU: Wir werden auf Bundesebene mit der SPD schon einen Familienpakt schnüren, Frau Gramkow. Da brauchen Sie jetzt nicht...)

Ja, ich fände es toll, Herr Backhaus, wenn die SPD es schaffen würde, das Elterngeld durchzusetzen. Lieber wäre es mir allerdings nicht erst 2008 und ohne Haushaltsvorbehalt, weil ich weiß, was das bedeutet.

Die Antwort der großen Koalition Familien gegenüber heißt Mehrwertsteuererhöhung und sie wird immer vor uns hergetragen. Mehrwertsteuererhöhung für Strom, Gas und Licht, Kinderbekleidung, Schulranzen und alles, was zum Leben dazugehört.

(Torsten Renz, CDU: Sprechen Sie doch mal über Ihre Zukunftspläne!)

Ihre Antwort heißt Kürzung der Pendlerpauschale.

(Torsten Renz, CDU: Sprechen Sie doch mal über Ihre Zukunftspläne!)

Für die Arbeitenden in Mecklenburg-Vorpommern kommt sie erst ab 20 Kilometern