Protocol of the Session on June 22, 2005

Davon votierten 73 Prozent für eine schnellstmögliche Einführung und 24 Prozent möchten dies erst mittelfristig. Besonders bemerkenswert ist, dass sich 53 Prozent der Befragten – also die Mehrheit – für eine gemeinsame Schulzeit von acht und mehr Jahren aussprachen, 33 Prozent meinten bis Klasse 6 und nur 10 Prozent wollten die Trennung nach der Jahrgangsstufe 4 beibehalten.

(Zuruf von Karin Strenz, CDU)

Fazit: Eine deutliche Mehrheit in der Gesellschaft ist für die Aufhebung der im Moment existierenden Trennung der Schullaufbahnen nach Klasse 4. Ich glaube, das ist eine gute Ausgangsbasis für die bevorstehenden Reformen.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, lassen Sie mich an dieser Stelle auf ein zweites Problem eingehen, das in der Diskussion einen breiten Raum eingenommen hat. Nicht zuletzt ist heute auch ein Flugblatt verteilt worden,

(Torsten Renz, CDU: Da sind Sie ja auch drauf.)

auf dem es unter anderem um die Frage einer Enquetekommission ging. Als Voraussetzung für die Einführung

dieses längeren gemeinsamen Lernens wurde eine breite gesellschaftliche Diskussion beziehungsweise Akzeptanz gefordert und die Einsetzung einer Enquetekommission.

Dass ich im Gegensatz zu Ihnen die erwähnte Umfrage als ein Zeichen gesellschaftlicher Akzeptanz werte, habe ich schon gesagt. Dass es in Detailfragen nach wie vor unterschiedliche Auffassungen gibt, ist sicher nicht zu bestreiten und auch ein Stück Normalität in einem solchen Verfahren. Ich habe mich in meiner letzten Rede hier zum Antrag der CDU bezüglich einer Enquetekommission ausführlich zum Problem von Ergebnissen von Bildungs- und Enquetekommissionen geäußert.

(Heike Polzin, SPD: Ja, ich auch. Es hat nichts genützt.)

Sie hatten keine konkreten Ergebnisse, die Schulstruktur in Deutschland hin zu einem international üblichen integrativen Schulsystem nachhaltig zu verändern.

Die Diskussion um längeren gemeinsamen Unterricht ist in Deutschland doch nicht neu. Es gab in der Geschichte der Bundesrepublik seit ihrer Gründung mindestens vier Chancen, die alle vertan wurden. Sie scheiterten an der CDU und auch am Widerstand von konservativ geprägten Lehrerverbänden.

(Kerstin Fiedler-Wilhelm, CDU: Die haben aber die besten Ergebnisse in den Studien. Gucken Sie sich die Studien mal an! – Torsten Renz, CDU: Was ist denn ein konservativ geprägter Lehrer?)

Erste Chance: 1947 hatte der Alliierte Kontrollrat in seiner Direktive Nr. 54 ein einheitliches Schulsystem für alle Kinder bis zum 15. Lebensjahr als Kernstück demokratischer Erziehung in Deutschland vorgeschrieben.

(Kerstin Fiedler-Wilhelm, CDU: Die Gesamt- schulen fallen hinten runter. Sie reden sich Ihre Studien schön. – Torsten Renz, CDU: Was ist denn ein konservativ geprägter Lehrer? Das würde mich ja mal interessieren.)

In den Westsektoren wurde es nicht eingeführt,

(Torsten Renz, CDU: Kleine Anfrage machen.)

im sowjetischen Sektor dagegen umgesetzt.

(Torsten Renz, CDU: Gibt es denn auch sozialdemokratisch geprägte Lehrer?)

Zweite Chance: Im Jahre 1964 veröffentlichte Georg Picht sein Buch „Die deutsche Bildungskatastrophe“. Darin diagnostizierte er dem deutschen Schulsystem erhebliche Mängel,

(Wolfgang Riemann, CDU: Er kannte das mecklenburg-vorpommersche noch nicht.)

unter anderem zu wenig Abiturienten, erhebliche Benachteiligung von Mädchen und von Kindern aus dörflichen Strukturen.

(Zuruf von Torsten Renz, CDU)

Im Ergebnis dieses Buches werden der Deutsche Bildungsrat gegründet und die Empfehlung an die Bundesländer ausgesprochen, integrative Schulen als Versuch zuzulassen. Die damals CDU-regierten Länder behinderten die Einrichtung von Gesamtschulen erheblich und diffamierten sie als sozialistische Einheitsschule. Gesamtschulen bekamen nie die gleichen Ausgangs- und Erhaltungsbedingungen wie Gymnasien.

(Kerstin Fiedler-Wilhelm, CDU: Aber in Mecklenburg-Vorpommern sind sie besser gestellt. In Mecklenburg-Vorpommern sind sie besser gestellt. Sie machen es hier umgekehrt. – Zuruf von Eckhardt Rehberg, CDU)

Dritte Chance: 1990 – Deutsche Einheit. 17 Millionen DDRBürger, Neubürger der Bundesrepublik, hatten ihre Erfahrungen mit einer gemeinsamen Schule bis zur 8. oder bis zur 10. Klasse.

(Wolfgang Riemann, CDU: Vor allem mit Staatsbürgerkunde und Wehrkunde. – Angelika Gramkow, PDS: Nicht mal das hat bei Ihnen gewirkt. – Alexa Wien, PDS: Aber das hat Ihnen doch gar nichts geschadet. – Glocke der Vizepräsidentin)

Ein Leistungsvergleich von Dr. Baumert – jetzt PISAKoordinator – ging zugunsten der DDR-Schule aus. Trotzdem wurde durch die CDU nach den Wahlen in den neuen Bundesländern das von Ihnen favorisierte gegliederte und selektive Schulsystem der Bundesrepublik übertragen, und zwar gegen die ausdrücklichen Befürchtungen und Warnungen vieler progressiver Pädagogen und Wissenschaftler.

(Heike Polzin, SPD: Und ohne Enquete- kommission. – Rudolf Borchert, SPD: Es geht auch ohne. – Zuruf von Kerstin Fiedler-Wilhelm, CDU)

Einige der CDU-geführten Länder weigerten sich zum Beispiel, das Abitur der EOS anzuerkennen, weil es in nur zwölf Jahren erworben wurde.

(Zuruf von Torsten Renz, CDU)

Allerdings führten die tatsächlichen Leistungen der Abiturienten an den Universitäten dann zu einem Positionswechsel.

(Torsten Renz, CDU: Sprechen Sie doch jetzt mal wieder zum vorliegenden Gesetzentwurf!)

Und an dieser Stelle kann ich es mir nicht verkneifen, darauf hinzuweisen, dass die Spitzenkandidatin der CDU/CSU für die kommende Bundestagswahl

(Torsten Renz, CDU: Wir hoffen doch auf Ihre Stimme!)

ihre Bildungsbiographie von der Schule über die Hochschule bis zur Promotion an Bildungseinrichtungen der DDR erworben hat.

(Angelika Gramkow, PDS: Und jetzt ist sie Kanzlerkandidatin.)

Wenn sie das qualifiziert, spricht das natürlich auch für die Entwicklung.

(Heiterkeit bei Angelika Gramkow, PDS: Und das mit DDR-Schule! – Heiterkeit bei einzelnen Abgeordneten der SPD und PDS)

(Unruhe bei Abgeordneten der CDU – Kerstin Fiedler-Wilhelm, CDU: Sie grinsen auch. Sie grinsen auch. Sie wissen, dass der Vergleich schief ist. – Zuruf von Torsten Renz, CDU)

Aber solche Bildungsbiographien sind in diesem Hohen Haus parteiübergreifend auch nichts Außergewöhnliches.

(Unruhe bei einzelnen Abgeordneten der SPD, CDU und PDS – Lorenz Caffier, CDU: Dann kannst du sie ja auch wählen. Sie sind ja für dich wählbar! – Torsten Renz, CDU: Wollen Sie Frau Merkel wählen, Herr Bluhm, oder was heißt das? – Glocke der Vizepräsidentin)

Nur das Bekenntnis zu dieser Bildungsbiographie ist ein anderes.

(Beifall Angelika Gramkow, PDS: Sehr richtig. – Torsten Renz, CDU: PDS-Stimme für Frau Merkel. – Glocke der Vizepräsidentin)

Vierte Chance: PISA 2000. Das deutsche Schulsystem erweist sich international als wenig leistungsfähig und sozial extrem ungerecht.

(Kerstin Fiedler-Wilhelm, CDU: Genau. Und im Ergebnis werden die Gesamtschulen heruntergezogen.)

Am Befund von Picht aus dem Jahre 1964 – also nach 40 Jahren – hat sich nichts geändert. Geändert hat sich nur, dass aus dem damaligen benachteiligten katholischen Dorfmädchen inzwischen der großstädtische Migrantenjunge geworden ist, mit all den gleichen Problemen.

(Eckhardt Rehberg, CDU: Jetzt reicht es aber, Herr Bluhm! Jetzt reicht’s!)

Das katholische Dorfmädchen, Herr Rehberg, war eine Aussage von Picht als benachteiligtes Kind.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der PDS – Eckhardt Rehberg, CDU: Ja, ja, es reicht, Herr Bluhm. Es reicht! – Torsten Koplin, PDS: Ach ja!)

PISA 2000, 2003 und andere Studien zeigen,