Protocol of the Session on May 13, 2004

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der CDU, Jörg Heydorn, SPD, Ute Schildt, SPD, und Torsten Koplin, PDS)

Hier müssen wir als Abgeordnete einsteigen und tatsächlich etwas für die Sozialhilfeempfänger tun, die am meisten benachteiligt sind. Und für die, die sich nicht wehren können, müssen wir in die Bresche steigen,

(Torsten Koplin, PDS: Sagen Sie das auch Herrn Seehofer!)

damit wir nächstes Jahr zum 1. Januar 2005 eine Regelung haben, die entweder, wie Sie es sagen, dazu führt, dass man pro Monat 3 Euro vorfinanziert oder dass einmalig das Sozialamt vorfinanziert, oder dass auch die Möglichkeit besteht, wie wir es vorschlagen, dass einmalig gezahlt wird. Ich weiß ja, wer chronisch krank ist, denn das ist in diesem Jahr bereits bekannt, hier sind die Anerkennungen ja raus. Also weiß ich im nächsten Jahr, dass die Grenze 34 Euro wäre und dass ich die auch einmalig zahlen kann. Unser Antrag geht dahin, dass wir den Verwaltungsakt minimieren wollen.

(Beifall Wolfgang Riemann, CDU: So ist es!)

Wir wollen, dass die Bescheinigung einmal erteilt wird, dass einmal Geld fließt und dass nicht laufend Kontrolle nur der Kontrolle wegen gemacht werden muss. Deswegen bin ich auch dankbar, dass Sie unserem Antrag zustimmen wollen. Ich glaube, dass man in diese beiden Richtungen denken muss. Im Interesse der Heimbewohner und der betroffenen Sozialhilfeempfänger, denke ich, ist die Regelung vernünftig.

Wichtig ist, das ist vielleicht noch eine Hürde, Frau Ministerin, Sie haben ja die Aufsicht über die größte Kasse, dass man vielleicht einen Vertrag mit der größten Kasse hinbekommt, damit sich die anderen daran auch anschließen können, denn jeder ist nicht gleich versichert. Aber ein Vertrag im Land wird wohl dazu führen, dass auch die Ersatzkassen und die Privatkassen mitziehen.

Meine Damen und Herren, die meisten Bürgerinnen und Bürger, gerade die, die in den Heimen sind, sind sowieso bei der AOK versichert.

(Reinhard Dankert, SPD: Ich auch.)

Ich habe die Hoffnung, dass wir im Interesse der Betroffenen hier eine Regelung auf den Weg bringen, die sich den Erfordernissen stellt und den Betroffenen hilft. – Vielen Dank.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der SPD, PDS und Egbert Liskow, CDU)

Danke schön, Herr Glawe.

Jetzt hat das Wort für die Fraktion der PDS der Abgeordnete Herr Koplin. Bitte schön, Herr Abgeordneter.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, auf mich haben diese drehbaren Rollständer vor Kiosken und Buchläden immer so eine magische Anziehungskraft, denn da sind oftmals diese Kärtchen mit weisen Sprüchen drin. Nun habe ich vor einigen Tagen einmal einen Spruch gefunden von Simone de Beauvoir, den ich gerne zum Besten geben möchte: „Wie müsste eine Gesellschaft beschaffen sein, damit ein Mensch auch im Alter“ – oder bei Bedürftigkeit – „ein Mensch bleiben kann?“ Die Ant

wort ist einfach, dort steht: „Er muss immer schon als Mensch behandelt worden sein.“ Ich finde das sehr weise. Es gibt einen Bezugspunkt zu unserem Antrag heute, denn der Antrag hat in der Tat etwas – und da möchte ich Herrn Heydorn und Herrn Glawe sehr wohl unterstützen – mit Mitmenschlichkeit und mit der Würde des Menschen zu tun.

Sie wissen, meine sehr geehrten Damen und Herren, die PDS hat sich gegenüber der Praxisgebühr und den Zuzahlungen immer kritisch geäußert. Wir haben allein in Mecklenburg über 10.000 Unterschriften gesammelt und wir haben Schicksale dokumentiert. Zur Stunde laufen gerade im Auftrag der PDS Dreharbeiten zu einem Dokumentarfilm in Neubrandenburg über diese Schicksale.

Ein Schicksal möchte ich Ihnen hier gerne darlegen. Es handelt von einem vorübergehend in einem Heim aufgenommenen Mann, der in der schwierigen Situation war, Injektionen erhalten zu müssen, der gleichzeitig zeitweise nicht mobil sein konnte, da er darüber hinaus noch ein eingegipstes rechtes Bein hatte und aufgrund dieser Tatsache Pflege brauchte. Ihm stehen für diesen Zeitraum 30 Prozent vom Regelsatz für Sozialhilfeempfängerinnen und Sozialhilfeempfänger zur Verfügung, also 30 Prozent von 282 Euro im Monat. Das sind 84,60 Euro beziehungsweise täglich 2,82 Euro. Dieses Geld ist für Körperpflegemittel, Zeitungen, Telefonate oder Treffen mit Freunden und Verwandten bei einer Tasse Kaffee gedacht. Seit dem 1. Januar dieses Jahres kommt noch hinzu, dass die Gesundheitskosten ebenfalls davon bezahlt werden müssen.

Wie sah das Schicksal dieses Menschen in jüngster Zeit aus? Arztbesuch am 9. März, 10 Euro, und vom 9. März bis 26. März 4-mal wöchentlich den Verband wechseln, dafür sind 5,50 Euro in Rechnung gestellt worden, 12-mal, das macht 66 Euro, davon 10 Prozent Zuzahlung, das sind also 6,60 Euro für diese Person in bar. Hinzu kommen 10 Euro für die physiotherapeutische Behandlung, das sind allein in diesem Zeitabschnitt für diese Leistung 16,60 Euro. 15. März bis 21. März notwendige Pflege, also An- und Auskleiden, kleine und große Toilette, Wegepauschale, Investitionspauschale der Pflegekasse, denn der Pflegedienst berechnet für eine Woche 249,54 Euro, davon muss dieser Mann 10 Prozent selber bezahlen und das macht 24,95 Euro plus Pflegerezept, denn das wird noch einmal extra draufgeschlagen, 10 Euro. In der Zeit vom 29. März bis 9. April waren Folgeverordnungen fällig, wie Verband wechseln et cetera pp., das will ich nicht alles wiederholen, 9,73 Euro. Diese Summe ist deshalb so krumm, weil die Grenze, von der Frau Ministerin sprach, bereits überschritten wurde. Für die Zeit dieses einen Monats, 9. März bis 9. April, wurden Zuzahlungen von 71,28 Euro fällig, gekappt bei der Grenze, die Frau Ministerin nannte. Der Mann hatte aber nur 84,60 Bargeld zur Verfügung. Ich habe nachgerechnet, das sind knapp 85 Prozent, die von seinem verfügbaren Geld für Zuzahlungen draufgingen. Ich frage Sie: Ist so ein Leben in Würde möglich?

(Jörg Heydorn, SPD: Nein.)

Wir sind als PDS Miteinreicher dieses Antrages, weil wir jede, wirklich jede Möglichkeit nutzen wollen, um die Lebenssituation von Menschen in Not zu verbessern.

(Beifall Angelika Gramkow, PDS, und Gabriele Schulz, PDS)

Aber dieser Antrag darf auch nicht über die Ursachen, die überhaupt zu diesem Antrag geführt haben, hinwegtäuschen. Die Zuzahlungsbefreiung für Sozialhilfeempfänger wurde mit dem Gesundheitsmodernisierungsgesetz gestrichen. Das Gesundheitsmodernisierungsgesetz ist Bestandteil der Agenda 2010 und die Agenda 2010 wird von der PDS entschieden abgelehnt. Und dafür hat sie drei gute Gründe:

Erstens, weil allein schon die Begründungen für die Agenda 2010 falsch sind. Muss sich ein Land – das frage ich Sie einmal, auf Ehre und Gewissen, angesichts der Zahlen an diesem einen Schicksal –, muss sich dieses Land von Sozialhilfeempfängern, Arbeitslosenhilfeempfängern, also von Menschen, die bereits in Not sind, Geld zur Sanierung der bewusst leer gemachten Kassen holen? Das ist die Frage. Während diese Menschen um 9,3 Milliarden Euro bundesweit geschröpft werden, produziert man im Bund – Herr Glawe, Herr Seehofer war im Vorfeld am Gesundheitsmodernisierungsgesetz beteiligt, der Kompromiss im vergangenen Jahr –, produziert man im Bund die Senkung des Spitzensteuersatzes und Steuerausfälle von 6 Milliarden Euro, veranschlagt allein für das Jahr 2005.

Ich darf auch im Namen der PDS dem Bundespräsidenten von gestern, Herrn Rau, nur Recht geben, wenn er von unverschämter Gier, die es in dieser Gesellschaft gibt, geredet hat, denn sie wird deutlich, wenn man sich das einmal vergegenwärtigt, was da passiert. Ich habe einmal eine Frage: Wie lange hätte ein Durchschnittsverdiener in Mecklenburg-Vorpommern im verarbeitenden Gewerbe arbeiten müssen, um so viel zu bekommen, wie Herr Escher dafür, dass er Mannesmann an die Wand gefahren hat? Wie lange? 20.000 Euro ist der Durchschnittsverdienst. Seit Martin Luther hätte jemand arbeiten müssen, um so viel zu bekommen wie der als goldenen Handschlag dafür, der das Unternehmen so übergeben hat und ein Minijobber sogar, das können Sie nachrechnen, seit Christi Geburt. Allein daran wird doch deutlich, wie pervers das alles ist!

(Zuruf von Harry Glawe, CDU)

Zweitens. Die Wirkungen, die mit der Agenda 2010 vorausgesagt werden, werden nicht erreicht. Schon jetzt wird klar: Krankheiten werden von der Personengruppe verschleppt, die hier in Rede steht, oder chronifiziert. Gehen Sie in die Obdachlosenheime! Gucken Sie sich das an! Sprechen Sie mit den Leuten! Gerade sozial Schwache medikamentieren sich in abenteuerlicher Weise gegenseitig. All das wird langfristig volkswirtschaftlich teuer bezahlt werden müssen, das kann ich jetzt schon voraussagen.

Drittens. Die wirklichen Reformen werden nicht angepackt. Was notwendig ist, ist die Besinnung auf die Solidarität in dieser Gesellschaft und die Verbreiterung der Einnahmebasis der solidarischen Gesundheitsversicherung. Wir brauchen endlich eine solidarische Bürgerversicherung. – Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der PDS, Rudolf Borchert, SPD, und Angelika Peters, SPD)

Danke schön, Herr Koplin.

Es hat jetzt noch einmal das Wort für die Fraktion der SPD der Abgeordnete Herr Heydorn. Bitte schön, Herr Abgeordneter.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Man hat hier immer etwas Zeit, wenn man nicht gleich mit Redebeiträgen beschäftigt ist. Mir ist etwas in die Hände gefallen von der FriedrichEbert-Stiftung, „Politische Akademie“. Da veröffentlichte Herr Fritz Scharpf einen Artikel zum Thema „Staataufgaben heute“. Daraus möchte ich gerne zitieren, Herr Koplin, da gibt es einen Absatz, der höchst interessant ist: „Die geringe Zahl von Arbeitsplätzen in einfachen Dienstleistungen wird dagegen durch die Abgabenstruktur erklärt, die dem typischen kontinentalen Muster entspricht, ein hohes Aufkommen aus Sozialabgaben, ein vergleichsweise sehr niedriges Aufkommen aus Steuern aller Art und ein extrem niedriges Aufkommen aus der Einkommen- und Körperschaftsteuer, wo wir zusammen mit Frankreich, den Niederlanden und Japan am untersten Ende der hoch entwickelten Industrieländer und noch deutlich unter den USA liegen.“ Es heißt, wir belasten Arbeit im unteren Einkommenssektor in erheblichem Umfang mit Sozialabgaben.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Ja.)

Ein Grund dafür ist das Thema gesetzliche Krankenversicherung. Deswegen hat man sich darangemacht, die gesetzliche Krankenversicherung zu modernisieren. Das halte ich für notwendig. Allerdings die Lösung, die man gefunden hat, kann nur der erste Schritt sein. Da gebe ich Ihnen heute völlig Recht.

Ich möchte an dieser Stelle darauf hinweisen, dass es sowohl Beschlusslage der SPD auf Bundesebene als auch Beschlusslage hier im Landtag ist, aufgrund einer Entschließung der von der SPD eingebrachten Resolution, das Thema Bürgerversicherung einzuführen. Wir haben folgende Situation: Im Verhältnis zum Bruttoinlandprodukt sind letztendlich die Ausgaben für die Gesundheit nicht unverhältnismäßig gestiegen. Das Problem, das wir haben, ist, dass letztendlich immer weniger in der Situation sind, diese Kosten aufzubringen, weil auf der einen Seite Arbeitnehmer und auf der anderen Seite Arbeitgeber dieses System zu finanzieren haben. Das scheint an Grenzen gestoßen zu sein. Deswegen kann ich für unsere Fraktion an dieser Stelle erklären, dass wir in vollem Umfang für die Einführung der Bürgerversicherung sind, denn die muss kommen. Und da unterscheiden wir uns auch sehr fein von der CDU, die ja bekannterweise für Kopfpauschalen auf Bundesebene eintritt. Man wird sehen, wie sich das in den Jahren politisch entwickelt.

Jetzt aber zurück zu unserem Antrag. Frau Ministerin hat schon darauf hingewiesen, dass die Leistungen, die die betroffenen Menschen in Einrichtungen erhalten, dem Bereich der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Bundessozialhilfegesetz zuzuordnen sind. Da wird ein Regelsatz zugrunde gelegt und jetzt passiert Folgendes: Dieser Regelsatz beträgt für den Haushaltsvorstand für Mecklenburg-Vorpommern – ich weiß es jetzt nicht ganz genau –

(Torsten Koplin, PDS: 282 Euro.)

282 Euro. Das ist die Grundlage für die Ermittlung des Eigenanteils. Der Heimbewohner bekommt aber nur ein Taschengeld. Die Höhe des Taschengeldes hat Frau Ministerin noch einmal genannt. Ich habe einfach Zweifel an der Rechtskonformität dieser Lösung, denn der Barbetrag wird auf der Grundlage des Paragraphen 21 Absatz 3 ausschließlich für die Befriedigung persönlicher Bedürfnisse gezahlt. Und damit wird das Thema Inanspruchnahme eines Arztes oder einer Arznei zu einem Bedürfnis

des täglichen Lebens. Bedürfnisse des täglichen Lebens sind zum Bespiel Zahnpasta, Theaterbesuch, mal eine Fahrkarte, öffentlicher Personennahverkehr, Teilnahme am Leben und in der Gemeinschaft. Aber man kann nicht hergehen und das Thema Zuzahlungsbeträge zu einem Bedürfnis des täglichen Lebens erklären.

(Torsten Renz, CDU: Zum Antrag sprechen! Zum Thema sprechen!)

Herr Renz, nehmen Sie Platz! Ich erkläre Ihnen das dann noch einmal, da bin ich völlig hemmungslos.

(Torsten Renz, CDU: Bürgerversicherung.)

Ich möchte an der Stelle erklären, dass wir gerne dem Änderungsantrag der CDU zustimmen, weil er in die richtige Richtung geht. Die Befreiung von der Zuzahlung erfolgt nicht automatisch, sondern sie muss von den Betroffenen beantragt werden. Die Leute müssen einen Antrag auf Befreiung von Zuzahlung stellen. Und selbst wenn der Antrag rechtzeitig gestellt wird, es liegen bei den Krankenkassen solche Stöße von Befreiungsanträgen, bezahlt derjenige so lange zu, bis letztendlich sein Antrag bearbeitet wird. Und es geht ständig ein Betrag von seinem Taschengeld weg. Das kann keiner wollen. Deswegen kann ich für unsere Fraktion erklären, wir stimmen dem Antrag gerne zu. Und ich bin sehr froh darüber, dass wir dieses wichtige sozialpolitische Thema wirklich hier im Landtag und im Plenum im Konsens gelöst haben. – Vielen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, Dr. Armin Jäger, CDU, und Torsten Koplin, PDS)

Danke schön, Herr Heydorn.

Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Damit schließe ich die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung.

Ich lasse zunächst abstimmen über den Änderungsantrag der Fraktion der CDU auf der Drucksache 4/1203. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. – Danke schön. Die Gegenprobe. – Stimmenthaltungen? – Damit ist der Änderungsantrag der Fraktion der CDU auf Drucksache 4/1203 einstimmig angenommen.

Wer nunmehr dem Antrag der Fraktionen der SPD und PDS auf der Drucksache 4/1185 mit den soeben beschlossenen Änderungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. – Danke schön. Die Gegenprobe. – Stimmenthaltungen? – Das war verzögert, gut. Dann ist damit der Antrag der Fraktionen der SPD und PDS auf Drucksache 4/1185 mit den soeben beschlossenen Änderungen einstimmig angenommen.

Ich rufe auf Tagesordnungspunkt 24: Beratung des Antrages der Fraktion der CDU – Wettbewerbsfähige Rahmenbedingungen im Bereich des Pflanzenschutzes für Mecklenburg-Vorpommern sichern, auf Drucksache 4/1173.

Antrag der Fraktion der CDU: Wettbewerbsfähige Rahmenbedingungen im Bereich des Pflanzenschutzes für Mecklenburg-Vorpommern sichern – Drucksache 4/1173 –

Das Wort zur Begründung hat die Abgeordnete Frau Schlupp. Bitte schön, Frau Abgeordnete.