Protocol of the Session on March 3, 2004

(Dr. Armin Jäger, CDU: Nun bin ich aber gespannt!)

Sehr geehrte Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Dieses Thema, welches wir jetzt in der Aktuellen Stunde behandeln, hätte bereits im Januar auf der Tagesordnung des Landtages stehen können. Leider wurde unser Dringlichkeitsantrag damals von der PDS abgelehnt.

In den zurückliegenden Wochen konnte aber wildesten Gerüchten über die Auswirkungen dieses Urteil weiterhin Vorschub geleistet werden. Die PDS hat eben noch einmal betont, welche Position sie zum Urteil einnimmt. Ich sage hier ganz offen: Ich begrüße dieses Urteil, das im Übrigen noch nicht rechtskräftig ist, nicht. Ich habe auch nicht die Absicht, mich zu verbiegen und Menschen gegenüber Hoffnungen zu schüren, die sich nicht erfüllen lassen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich möchte Sie an Ihre Geschichtskenntnisse erinnern. Möglicherweise sagt Ihnen der Name Edwin Hoernle noch etwas. Er gilt als Theoretiker der Landwirtschaftspolitik der damaligen KPD nach 1945, in der die Bodenreform eine wichtige Rolle spielte. Nach seinen Überlegungen sollte Bodenreformland aus Enteignungen an Landwirte lediglich weitervererbt werden, wenn die Erben der damaligen Neubauern weiterhin in der Landwirtschaft tätig waren.

(Minister Dr. Till Backhaus: Genau.)

Einen Marktwert hatte das Bodenreformland damals nicht.

Was Edwin Hoernle damals nicht vorausgesehen hat und auch nicht voraussehen konnte, war die Reaktion Tausender Menschen auf die Kollektivierung der Landwirtschaft durch die SED im Bündnis mit den Blockparteien. Eine Vielzahl von Neubauernerben wollten ihr Nutzungsrecht nicht mehr wahrnehmen, weil sie in dieser Zeit in anderen Berufen bessere Chancen hatten oder einen Neuanfang durch die Flucht in den Westen versuchten. Die DDR-Verwaltung löste dieses Problem auf dem Verordnungswege durch mehrere so genannte Besitzverordnungen,

(Dr. Henning von Storch, CDU: Besitzwechselverordnungen!)

Besitzwechselverordnungen. Ich war und bin lange genug in der Landwirtschaft tätig, um zu wissen, wie viele ehemalige Erben damals ganz zufrieden über diese Regelungen waren. Bodenreformland war schließlich kein Handelsobjekt und damit für nicht in der Landwirtschaft tätige Erben ohne Interesse. Es war eher ein Klotz am Bein.

In diesem Zusammenhang wurden bereits in unserem Land im Laufe der letzten Jahrzehnte bis zur Wende über 80.000 Neubauernwirtschaften in den staatlichen Bodenfonds der DDR zurückgeführt. Ich denke, wenn wir über Bodenreform sprechen, sollten wir das wirklich sehr differenziert tun, denn diese Personengruppe ist von der höchstrichterlichen Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte nicht betroffen. Und das sollte man auch ganz offen und ehrlich so deutlich sagen.

(Zuruf von Ute Schildt, SPD)

Etwa 50.000 noch vorhandene Grundbucheintragungen wurden nach 1992 durchgeforstet und 7.000 Fälle standen zur Disposition. Von diesen 7.000 wohnten manche Erben schon lange nicht mehr in Deutschland und waren mitunter auch als Erben nicht auffindbar, so dass es sich unter dem Strich bei den 50.000 offenen Grundbucheintragungen um 3.500 Fälle handelt, für die der Fiskus seine Ansprüche angemeldet hatte und Landeseigentum feststellte. In dieser Zeit wurden mehr als 40.000 Erben nach dem Zweiten Vermögensrechtsänderungsgesetz von 1992 Volleigentümer ihrer Grundstücke aus der Bodenreform. Ich kann hier bestätigen, das habe ich in meinem Betrieb bei mehreren Kollegen selber miterlebt, wie das erfolgt ist. Es ging damals relativ komplikationslos.

Ich halte es dem letzten Repräsentanten der DDRRegierung Hans Modrow durchaus zugute, dass er 1990 Eigentum an Grund und Boden unter marktwirtschaftlichen Bedingungen für die Menschen, die 40 Jahre damit gewirtschaftet hatten, erhalten wollte. An der Bodenreform sollte auch nicht gerüttelt werden. Das war und ist gut und richtig und nach wie vor die Position der SPD.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich halte es aber auch für legitim, dass nach dem Modrow-Gesetz alle, die schon lange nichts mehr mit der Landwirtschaft am Hut hatten und nach 1990 zufällig noch im Grundbuch standen, eine günstige Gelegenheit für ein Schnäppchen sahen. Hier liegt auch der Dreh- und Angelpunkt für entstandene Ungerechtigkeiten, denn das Modrow-Gesetz machte nach 1990 zwei Jahre lang alle im Grundbuch Eingetragenen zu Volleigentümern.

(Angelika Gramkow, PDS: Richtig.)

Erst zwei Jahre später, also 1992, wurde durch das Zweite Vermögensrechtsänderungsgesetz das Eigentum durch die Bundesrepublik Deutschland für Bodenreformerben entsprechend differenziert. Der Rechtsstaat hat mit seiner Stichtagsregelung im Zweiten Vermögensrechtsänderungsgesetz nun alle diejenigen berücksichtigt, die zum Bodenreformland eine Beziehung nachweisen konnten. Ich halte es für falsch, wenn jetzt landauf und landab von neuer Enteignung gesprochen wird. Enteignet wurden Großgrundbesitz – ich möchte daran erinnern –, Betriebe mit über 100 Hektar, aktive Nazis und Kriegsverbrecher unter Besatzungsrecht im Zeitraum 1945 bis 1949. Berechtigte Alteigentümer sind nach dem Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetz entschädigt worden.

Im Gegensatz dazu wurde per Gesetz von 1992 ehemals enteignetes Eigentum neu geordnet. Inhalt und Schranken des Erbrechts für Bodenreform wurde auf der Basis von Artikel 14 des Grundgesetzes neu bestimmt. Vom Bundesverfassungsgericht wurde das ausdrücklich für rechtens befunden. Auch die Straßburger Richter haben diesen Tatbestand zustimmend zur Kenntnis genommen. Wenn die Richter jetzt befanden, dass auch die Gruppe von Erben, die nach 1992 ihre Bodenreformflächen an den Fiskus abtreten mussten, eine Entschädigung bekommen sollten, ist das zu akzeptieren, wenn ich auch persönlich dafür nur wenig Verständnis aufbringen kann.

Wer immer wieder fordert, dass dieses Urteil begrüßt werden müsste, sollte sich bewusst sein, dass damit jetzt die Tür für neue Begehrlichkeiten der Alteigentümer auf Rückgabe ihres Grundbesitzes geöffnet worden ist. Bereits jetzt ist erkennbar, dass der Ton von bestimmten Alteigentümern schärfer wird. In der letzten Beratung in Neubrandenburg fühlte ich mich in das Jahr 1990/91 versetzt, wo ich persönlich als Geschäftsführerin eines landwirtschaftlichen Unternehmens mich unheimlich stark für den Erhalt der Bodenreform engagiert hatte und die gleichen Leute, die uns das damals absprachen, auch jetzt wieder auftreten und uns die Bodenreform als unnichtig erklären lassen wollen.

Aus meiner Sicht ist es richtig, wenn der Bund gegen das Urteil Rechtsmittel einlegt, zumindest auch deshalb, um den Makel der Menschrechtsverletzung nicht auf sich sitzen zu lassen. Ich habe die Hoffung, dass die Große Kammer das Urteil konkreter fasst. Der Bund muss gesetzlich bestimmen, wie dieses emotionale Thema ein für alle Mal und wenn notwendig über angemessene Entschädigungsregelungen zu Ende gebracht werden kann.

Ich bin angetreten, um etwas für die Entwicklung der Landwirtschaft und für die Menschen im ländlichen Raum zu tun. Wer für Rückgabe von Bodenreformflächen plädiert, spielt mit dem Feuer. Ich habe keine Motivation dafür, mich bei der Bewertung dieses Urteils vor irgendeinen Karren spannen zu lassen, der in eine Richtung mit unabsehbaren Folgen zum Schaden für unser Land führt. – Danke.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Vielen Dank, Frau Kühnel.

Das Wort hat jetzt die Vizepräsidentin der CDU-Fraktion Frau Holznagel.

(Heiterkeit und Unruhe bei einzelnen Abge- ordneten der CDU – Dr. Ulrich Born, CDU: Herzlichen Glückwunsch, Frau Vizepräsidentin!)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abgeordnete!

Herr Ritter, Sie haben ja schon mal ein Szenarium dargestellt, wie es hätte sein können. Aber es ist nicht so, es kann höchstens nur noch anders werden.

(Peter Ritter, PDS: Noch schlimmer?!)

Ich denke, das Schlimme haben Sie gesagt. Ich kann sagen, nur noch besser.

Sie haben auch plakativ noch einmal die Losung hier gesagt: „Hände weg von der Bodenreform!“ Sie haben das in dem Zusammenhang gebracht, dass wir in der ersten Legislaturperiode ja fast jede oder jede zweite Landtagssitzung darüber debattiert haben. Das ist richtig. Es könnte sein, dass es jetzt auch wieder ein Thema wird, welches uns in mehreren Landtagssitzungen noch beschäftigen wird, denn dazu gibt es ja noch Gerichtsverhandlungen, die, denke ich, uns dazu auch bewegen werden.

Weil wir aber im Vorfeld schon einige Schwierigkeiten hatten, zu erfassen, worum es genau geht, möchte ich das heute noch einmal sagen: Mir geht es jetzt um das Urteil, das am 22. Januar dieses Jahres der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte entschieden hat, dass die Anwendung des Artikels 233 Paragraph 11 Absatz 3 und Paragraph 12 Absätze 2 und 3 des Bundesdeutschen Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch gegen die Menschrechte verstößt. Das wollte ich nur noch einmal deutlich sagen. Ich möchte auch noch einmal deutlich sagen, dass ich gerade diese Paragraphen ausdrücklich begrüße.

(Beifall Dr. Ulrich Born, CDU)

Insbesondere hat der Gerichtshof ausgeführt, dass eine Eigentumsentziehung ohne Zahlung eines dem Wert des Eigentums angemessenen Betrages eine übermäßige Verletzung darstellt und dass das völlige Fehlen einer Entschädigung nur unter außergewöhnlichen Umständen gerechtfertigt sein kann.

(Beifall Dr. Ulrich Born, CDU)

Dass vor dem Hintergrund des Urteils viele Menschen in unserem Land, die betroffen sind, Hoffungen haben, das kann ich wirklich verstehen. Ich denke, das ist nicht nur ein Hoffnungschüren, dem muss man auch entsprechen. Man muss wirklich versuchen, das, was jetzt im Gerichtshof in Straßburg beschlossen wurde, auch deutlich zu machen und wie für die Leute, die betroffen sind, zu verfahren ist.

Richtig ist, Frau Kühnel, dass es in unserem Land ungefähr 30.000 Hektar sind, die dazu zählen. Richtig ist auch, dass gerade aus den Besonderheiten der Bodenreform zu DDR-Zeiten wesentlich mehr Menschen mit diesem Problem zu tun haben, die sich betroffen fühlen, die aber hier gar nicht hineingehören. Das muss man natürlich auch deutlich sagen, das darf man nicht vermischen.

(Beifall Dr. Ulrich Born, CDU)

Und deswegen darf man auch nicht sagen, dass man hier was schürt. Ich bin der Meinung, darüber sollten Sie noch einmal nachdenken!

(Dr. Ulrich Born, CDU: Sehr gut.)

Vielleicht auch noch einmal was zur Geschichte. Sie haben es angesprochen, das Gesetz vom 14. Juli 1992 ist der Knackpunkt. Ich muss auch noch einmal sagen, dass dieses Gesetz damals einvernehmlich mit den Stimmen der SPD im Bundestag verabschiedet worden ist. Vor diesem Hintergrund, das möchte ich noch einmal betonen, brauchen wir uns eigentlich nicht damit zu beschäftigen, wer hier nun Schuld hat und wer nicht. Ich denke, es ist auch noch einmal wichtig, hier deutlich zu sagen, dass wir dieses Thema nicht vermischen dürfen. Die DDR war in diesem Punkt und auch in vielen anderen Punkten ein Unrechtsstaat.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der CDU)

Es hilft jetzt auch nicht, nur darauf abzuzielen, dass das die SED mit den Blockparteien war. Natürlich war es so! Aber so, wie Sie das darstellen, denke ich, muss man dazu auch noch einmal eine These sagen, die wir alle nicht vergessen haben. Die haben wir, glaube ich, aus unserer Schulbildung alle noch im Kopf: Wir hatten eine Diktatur der Arbeiterklasse.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Egbert Liskow, CDU: Genau.)

Meine Damen und Herren, Ziel dieses Gesetzes 1992, das möchte ich noch einmal deutlich sagen, das war einfach ein Versuch, um mehr Gerechtigkeit zu schaffen.

(Harry Glawe, CDU: Diktatur des Proletariats!)

Frau Kühnel hat es noch einmal deutlich gemacht, dass die Bodenreform zu DDR-Zeiten geregelt worden ist. Es ist für viele ein Vorteil gewesen, aber es ist für sehr viele auch ein Nachteil gewesen. Gerade das ist der Punkt, dass man versucht hat, hier eine Lösung zu finden, die auch für diese Fälle etwas mehr Gerechtigkeit bietet. Dass dieses Ziel verfehlt wurde, haben wir in den Jahren der Umsetzung des Gesetzes schon erleben dürfen. Es gibt wohl kaum einen Abgeordneten aus dieser Zeit, der nicht von betroffenen Bürgern in seinem Wahlkreisbüro oder hier im Landtag aufgesucht wurde und zu dieser Angelegenheit zu Rate gezogen wurde.

Das besondere Problem war die Härtefallregelung durch den Stichtag. Und ich kann Ihnen da sehr viele Fälle sagen, die in meinem Wahlkreisbüro doch wirklich aufgelaufen sind. Wer nicht nachweisen konnte, vor dem 15. März 1990 in der Land-, Forst- oder Ernährungswirtschaft tätig gewesen zu sein, wurde gezwungen, geerbtes Land ohne Entschädigung an das jeweilige n e u e Bundesland zu geben. Diese Regelung – und ich sage es noch mal – hatte der Bundestag mit den Stimmen der SPD, den Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen, CDU/CSU und der FDP beschlossen. Keiner ist also frei von Schuld.

Meine Damen und Herren, viele Bürger sind damals im Vertrauen auf die Grundbucheinträge vor Gericht gegangen. Als sie dort gezwungen wurden, ihr Land herzugeben, suchten sie natürlich Möglichkeiten, das anders zu regeln. Auch der Bürgerbeauftragte wurde befragt und hier wurde um Hilfe nachgesucht. Selbst Gerichtsverfahren wurden eröffnet.

Ich selbst habe bereits seit 1996 versucht, zunächst die Zahl der Betroffenen zu ermitteln. Da gibt es Kleine Anfragen. Ich habe auch versucht, einen sensiblen Umgang mit diesen betroffenen Bürgerinnen und Bürgern einzufor

dern. Und ich hätte mir auch gewünscht, dass eine Einzelfallprüfung hier mehr Erfolg gehabt hätte.