Protocol of the Session on November 13, 2003

(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

Danke, Frau Ministerin.

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Dr. Nieszery von der Fraktion der SPD.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es gibt sicherlich angenehmere Tage im Leben eines Abgeordneten, als heute die Rentenkürzungen auf Bundesebene hier auch noch zu verteidigen. Ich persönlich – und ich glaube, auch meine Genossen hier im Land – bedauere sehr, dass es zu einem solchen Notprogramm der Bundesregierung zur Stabilität des Beitragssatzes für die gesetzliche Rentenversicherung kommen musste.

(Torsten Koplin, PDS: Sie haben meinen Respekt, Herr Dr. Nieszery.)

Uns ist sehr wohl bewusst, dass wir den Rentnern auch in unserem Land nicht nur gewisse, sondern auch zu beziffernde Härten zumuten. Das betrifft nicht nur die Nullrunde, meine Vorredner haben das alles ausgeführt, sondern auch die volle Beitragszahlung zur Pflegeversicherung und natürlich auch den Auszahlungstermin für Neurentner erst zum Monatsende. Keiner von uns, meine Damen und Herren, das können Sie mir wirklich glauben, ist glücklich mit diesem Notprogramm. Dennoch, denke ich, ist es ein notwendiges und legitimes Mittel, um wesentliche Ziele des Gesamtreformpaketes zu verwirklichen, und das heißt, das sind Ausschließung von Beitragserhöhungen und damit Absenkung der Lohnnebenkosten.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der SPD)

Ich denke, das ist auch bei der CDU anerkannt. Und, meine Damen und Herren von der CDU, solange Sie hier keine konkreten Vorschläge machen, wie Sie denn diese Ziele verwirklichen wollen und wie Sie das finanzieren wollen, ohne dass wir den Rentnern in die Tasche greifen, müssen Sie es hier auch mal erzählen

(Torsten Renz, CDU: Das hat von uns nie einer gesagt. Das hat nie einer gesagt.)

und nicht immer nur kluge Sprüche klopfen.

(Beifall Regine Lück, PDS)

Die politische Verantwortung, meine Damen und Herren, hat der Bundeskanzler in seiner Rede vom 10.09. übernommen. Herr Schubert hat aus dieser Rede zitiert. Ich habe dem nichts hinzuzufügen. Ich kann an dieser Stelle nur die Rentnerinnen und Rentner in unserem Land, zwar schweren Herzens, aber dennoch bitten, dieses Opfer auf sich zu nehmen. Ich denke, es wird sich in Zukunft auch wieder auszahlen.

Die eigentliche Frage, die sich hinter diesem Problem verbirgt – und da gebe ich auch meinen Vorrednern Recht, in einer doch sehr inkonsistenten Politik, was die Renten betrifft –, ist die: Wie finanzieren wir denn künftig unsere sozialen Sicherungssysteme? Und da, meine Damen und Herren von der CDU, bin ich auf eine Diskussion mit Ihnen sehr gespannt, denn hier stehen sich die Modelle Bürgerversicherung und Kopfpauschalen gegenüber. Im Wesentlichen – und das möchte ich hier ausdrücklich betonen – geht es hier um die Beibehaltung des solidarischen Prinzips, wofür wir eintreten, gegen eine zunehmende Privatisierung und es geht letztendlich um den Erhalt der sozialen Gerechtigkeit auch in unserem Land, auch in schwierigen Zeiten.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der SPD – Torsten Koplin, PDS: Die Bundesregierung macht aber was anderes.)

Dieser Debatte sehe ich gespannt entgegen und am Ende – das wage ich hier mal als Prophezeiung und Prognose – werden wir im sozialdemokratischen Geist auch das Vertrauen unserer Bürger zurückgewinnen können, weil wir letztendlich trotz aller schwierigen Entscheidungen, die wir in der Gegenwart treffen müssen, für die Zukunft die gerechteren und sozialeren Konzepte haben. – Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und einzelnen Abgeordneten der PDS)

Danke schön, Herr Dr. Nieszery.

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Herr Koplin von der Fraktion der PDS.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Schubert hat den Antrag begründet, Frau Sozialministerin Dr. Linke ist darauf eingegangen, hat sich positioniert und hat Antworten gegeben auf die Frage nach den Auswirkungen. Dazu werde ich auch noch etwas näher erläutern wollen.

In einem Punkt, Herr Schubert, stimme ich mit Ihnen überein: Was soll man von einer Politik halten im Kern, die im Frühjahr 2001 angetreten ist und gesagt hat, wir machen eine Jahrhundertreform,

(Torsten Renz, CDU: Richtig!)

und die Dauer dieses Jahrhunderts belief sich auf ganze 24 Monate?

Die Frage, die Sie gestellt haben seitens der CDU, ist: Welche Auswirkungen hat dieses Gesetz? Frau Dr. Linke ist darauf eingegangen, welche Auswirkungen es speziell auf die Frage der Pflegeversicherung hat. Das Bundeskabinett hat auf seiner Homepage die kurzfristigen, mittelfristigen und langfristigen Maßnahmen des Reformvorhabens dargestellt und an drei Punkten – an anderen Punkten ist das nicht konkretisierbar – mitgeteilt, welche Einsparungseffekte entstehen würden, und zwar durch die Nullrunde 700 Millionen Euro, durch die Rentenauszahlung zum Monatsende noch einmal eine Einsparung von 700 Millionen Euro und durch die Rentenabsenkung, durch den Nachhaltigkeitsfaktor, umgerechnet 540 Millionen Euro aufs Jahr, macht zusammen 1.940.000.000 Euro. Und das verteilt auf die Rentnerinnen und Rentner im Bundesgebiet und dann wieder übertragen auf das Land Mecklenburg-Vorpommern werden nach uns vorliegenden Berechnungen jeder Rentnerin und jedem Rentner fortan 150 Euro pro Jahr aus der Tasche gezogen, was nichts anderes heißt als – weil die Frage nach der Kaufkraft stand – 45 Millionen Euro Kaufkraftverlust an dieser Stelle. So weit zu den Auswirkungen.

(Reinhard Dankert, SPD: Mein Vater hat sich nicht beschwert. – Angelika Peters, SPD: Und meine Mutter und meine Schwieger- mutter beschweren sich auch nicht.)

Das ist möglich, dass sich Einzelne nicht beschweren. Das muss man ganz einfach zur Kenntnis nehmen. Die Frage ist aber weniger die, sich jetzt in den einzelnen Details zu verlieren, sondern auch grundsätzlicher Natur: Muss es in unserem Land eine Politik geben und muss eine Politik verfolgt werden, in der das Land auf Kosten der Rentnerinnen und Rentner, der Arbeitslosen und Sozialhilfeempfänger die öffentlichen Kassen saniert? Und dazu fällt mir Folgendes ein, ich möchte mit einigen Beispielen arbeiten:

Im vergangenen Jahr hat die Zahl der Euromillionäre in diesem Land Bundesrepublik Deutschland um 20.000 zugenommen. Wir haben mittlerweile ein Verhältnis von Arbeitslosen zu Euromillionären von 1:6. Und da frage ich: Soll da Solidarität nicht möglich sein?

Ein zweites Beispiel: Die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe – de facto ja die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe – soll die öffentlichen Kassen um 4,5 Milliarden Euro entlasten. Das ist erstaunlicherweise der Betrag, der den öffentlichen Kassen dadurch verloren geht, dass der Spitzensteuersatz abgesenkt wird. Und diesen Zusammenhang einmal hergestellt, zeigt sich das doch so, dass die Arbeitslosenhilfeempfängerinnen und -empfänger, die Sozialhilfeempfängerinnen und -empfänger die Steuergeschenke der Reichen und Superreichen dieser Gesellschaft bezahlen.

Ein drittes Beispiel – und das halte ich dann für skandalös: Es ist Usus in diesem Land, dass Manager, die ihre Unternehmen an die Wand fahren, mit einem goldenen Handschlag noch belohnt werden.

(Harry Glawe, CDU: Arbeit ist zu teuer in Deutschland, Herr Kollege. Ist Ihnen das nicht bekannt?)

Und ich nenne nur einmal Ron Sommer, der dafür, dass er die Telekom fast an den Rand des Ruins gewirtschaftet hat, mit 20 Millionen Euro belohnt wurde.

(Regine Lück, PDS: So was wollen sie nicht hören.)

Und ich erinnere daran, dass Herr Esser für die Aufgabe von Mannesmann 60 Millionen bekommen hat. Einmal umgerechnet: Wie lange müsste eine Durchschnittsverdienerin oder ein Durchschnittsverdiener arbeiten, um so viel zu bekommen wie Herr Sommer? Um so viel zu bekommen, wie Herr Sommer für das Fast-an-die-WandFahren der Telekom bekommen hat, müsste eine Durchschnittsverdienerin in diesem Land seit Martin Luther gearbeitet haben!

(Harry Glawe, CDU: Da müssen Sie mal mit der Gewerkschaft reden. Die haben doch zugestimmt im Aufsichtsrat.)

Und so viel, wie Herr Esser bekommen hat, da müsste der Durchschnittsverdiener gearbeitet haben seit Christi Geburt, nur um mal die Dimension dieser Ungleichheit und Ungerechtigkeit darzustellen.

Mein Sohn ist jemand, der die Erfolgsstory, wie Frau Gesundheitsministerin Schmidt sie benennt, Minijob erlebt. Mein Sohn hat einen Minijob. Wie lange müsste er wohl arbeiten, um so viel zu bekommen,

(Harry Glawe, CDU: 400 Euro.)

wie Ron Sommer als goldenen Handschlag bekommen hat bei der Telekom? Seit Nofretete hätte er arbeiten müssen, um jemals so viel zu bekommen wie dieser Mann, damit man ihn los wird aus dem Unternehmen, damit der Schaden nicht noch größer wird.

(Beifall Gerd Walther, PDS)

Die Abschaffung der Vermögensteuer in diesem Land hat den öffentlichen Händen Verluste eingefahren, die mittlerweile höher sind als das, was die Bundesanstalt für Arbeit jährlich aufzuwenden hat. Und – wenn ich das hier auch noch mal abschließend als Beispiel benennen

kann – Deutschland ist das erste Mal seit 1992 wieder Exportweltmeister

(Zuruf von Harry Glawe, CDU)

mit einem Überschuss von 87 Milliarden Euro. Und ich frage Sie, ob die Auftraggeber wohl noch Dollars drauflegen für die Waren und Dienstleistungen, die deutsche Unternehmen auf dem Weltmarkt erwirtschaften, weil sie Mitleid haben mit den leeren Rentenkassen, oder ob sie Geld geben für gute Arbeit, gute Qualität.

Die Frage, die sich stellt, ist die – Herr Glawe hat es mit einem Zwischenruf begleitet –, ob der ausschließliche Blick auf die Lohnnebenkosten das Allheilmittel ist. Es wird gesagt, dass internationale Konkurrenzfähigkeit durch hohe öffentliche Ausgaben bedroht ist. Das kann der Fall sein, wenn in ökonomisch konkurrierenden Ländern die Situation besser wäre als in Deutschland. Und insofern ist es wichtig zu vergleichen, wie steht denn Deutschland mit der Abgabenquote für die sozialen Sicherungssysteme da und wie stehen konkurrierende Länder da. 1965 lag Deutschland mit 32 Prozent deutlich über dem EU-Niveau, 1981 erstmals unter dem EUNiveau und seit dem Jahr 2000 beträgt die Differenz 4 Prozent. In Deutschland haben wir eine Abgabenquote von 38 Prozent und in den EU-Staaten bei 42 Prozent. Seit 1977 liegt die deutsche Abgabenquote zwischen 37 und 38 Prozent, nachzulesen in den Ausführungen des Wirtschaftswissenschaftlers Hans-Ulrich Deppe von der Uni Hamburg.

Interessant ist ein Blick darauf, was passiert, wenn Lohnnebenkosten sinken. Das ist an zwei Stellen passiert. 1996 hat die damalige Kohl-Regierung die Lohnnebenkosten abgesenkt und trotzdem ist die Arbeitslosigkeit übers Jahr um 419.000 gestiegen.

(Harry Glawe, CDU: Unter Kohl ging es den Leuten deutlich besser als heute, Herr Kollege.)

Die Absenkung des Beitragssatzes durch die jetzige Bundesregierung im Jahre 2001 von 20,3 auf 19,1 Prozent können Sie selbst nachlesen.

Entscheidend ist aus unserer Sicht jedoch der Anteil der Lohnnebenkosten an den Gesamtkosten. Und dieser sinkt. Laut Nachrichtenmagazin n-tv vom 24. Februar dieses Jahres ist der Anteil der Lohnnebenkosten an den Gesamtkosten von 1996 mit 44,5 Prozent auf derzeit 43,3 Prozent gesunken. Also Schluss mit den Unwahrheiten über die Lohnnebenkosten! Nun stellt sich die Frage, weil es aus dem Punkt IV der CDU nicht ganz deutlich wird, sie spricht nicht von ihrem Konzept, sondern von einem schlüssigen Gesamtkonzept – vermutlich sehen Sie ihres doch nicht als vorzeigbar an, wenn Sie sagen, wir sollen hier dem CDU-Konzept den Vorrang einräumen –:

(Harry Glawe, CDU: Das wäre doch gut.)

Was hat denn die Herzog-Kommission vorgelegt?

(Torsten Renz, CDU: Das kommt beim nächsten Mal.)

Die Herzog-Kommission hat erst einmal etwas vorgelegt, was sich allein schon an seinen Berechnungen verrät, und zwar die Prognoseberechnung und die Grundlagen der Herzog-Kommission. Das können Sie nachlesen auf der Homepage, 69 Seiten lang.