Protocol of the Session on October 9, 2003

Der übliche Kunde vermag selber zu definieren – das ist vorhin auch schon mal gesagt worden –, was er haben will. Wenn er sich geirrt hat oder getäuscht wurde, kann er umtauschen. Im Gesundheitswesen hat der Patient in der Regel diese souveräne Stellung nicht. Deshalb kommt von Seiten des Patienten Vertrauen und von Seiten der Leistungsanbieter neben der medizinischen Kunst das Gewissen ins Spiel. Vertrauen und Gewissen sind jedoch keine handelbaren Güter. Geld und Geldvermehrung sind kein Nährboden für Vertrauen und Gewissen. Genau deshalb darf Gesundheit selber keine Ware sein. Gesundheit und Gesundheitsvorsorge sind ein elementares Menschenrecht. Und gerade angesichts der gegenwärtigen Debatte in der CDU sage ich ganz deut

lich für die PDS: Die PDS wehrt sich entschieden dagegen, dass menschliche Werte auf ihren Geldwert hin degradiert werden.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Deswegen lehnen wir mit aller Entschiedenheit die Vorschläge der Herzog-Kommission ab, nicht aus parteipolitischen Gründen, sondern wegen ihrer Philosophie, die dahinter steckt, denn auch die Kopfpauschalendiskussion – sie ist im Moment auch in den Medien – ist nicht der Knackpunkt. Der Knackpunkt ist, die HerzogKommission empfiehlt wegzukommen von der solidarischen und paritätischen Finanzierung in der Krankenversicherung. Sie will als Alternative die kapitalgedeckten Versicherungssysteme einführen. Und das pervertiert aus unserer Sicht das vorhin Gesagte. Nach den Vorstellungen der Herzog-Kommission ist Gesundheit nicht nur Ware, sondern gar Spekulationsobjekt an der Börse. Eine solche Auffassung ist mit der unsrigen nicht vereinbar.

Sehr geehrte Damen und Herren, Hauptursache für die gegenwärtigen Probleme sind aus Sicht der PDS Einnahmeausfälle durch Massenarbeitslosigkeit und abgesenkte Beitragszahlungen der Bundesanstalt für Arbeit sowie die Ausweitung prekärer Beschäftigungsverhältnisse. Die eigentlichen Probleme der Krankenversicherung stehen deshalb auch nicht auf der Ausgabenseite, sie müssen auf der Einnahmeseite gesucht werden.

Ein zukunftsfähiges und gerechtes Gesundheitswesen ist aus Sicht der PDS untrennbar mit der Schaffung einer solidarischen Bürgerversicherung verbunden. Die PDS hält aus fünf guten Gründen das Modell der Bürgerversicherung für nützlich und da korrespondieren wir sehr mit dem, was Herr Schlotmann vorhin gesagt hat. Wir sehen es auch so. Die solidarische Bürgerversicherung ist wichtig, notwendig und machbar,

1. weil sie Verteilungsgerechtigkeit und Solidarität gewährleistet Unterstellt man, dass die Versorgung bei Krankheit zu den elementaren Aufgaben der Daseinsvorsorge gehört, so ist das Konzept gemeinsamer Finanzierung nach Leistungsfähigkeit das gerechtere Verfahren.

2. weil es dauerhafte Beitragsstabilität und Nachhaltigkeit sichert Wenn die Bemessungsgrundlage alle Berufsgruppen und sämtliche Einkünfte umfasst, kann davon ausgegangen werden, dass bei entsprechender medizinischer und absehbarer demographischer Entwicklung der für die Gesundheitsleistungen erforderliche Anteil des Gesamteinkommens auch in Zukunft stabil bleibt.

3. weil sie die Möglichkeit einer erheblichen Senkung des Beitragssatzes erfordert Durch die Einbeziehung der Vermögenden werden sich die Einnahmen der Bürgerversicherung nahezu verdoppeln, während die Ausgaben durch zusätzliche Versicherte nur um knapp zehn Prozent steigen werden.

(Unruhe bei einzelnen Abgeordneten der PDS – Glocke der Vizepräsidentin)

Liebe Kollegen von der eigenen Fraktion, es irritiert mich etwas, dass Sie so laut sprechen.

So ist eine Senkung des Beitragssatzes auf unter zehn Prozent möglich.

4. weil die Bürgerversicherung in volkswirtschaftlich vernünftiger Weise den Faktor Arbeit entlastet und

5. weil sie Generationengerechtigkeit sichert

Im Übrigen möchte ich darauf verweisen, dass Herr Blüm dieser Tage dem NDR-Info ein sehr interessantes Essay übergeben hat zur Frage der Generationengerechtigkeit.

Sehr geehrte Damen und Herren, die vorliegende Entschließung ist ein Signal an die Gesellschaft, dass es Alternativen zur Herzog- oder zur Rürup-Kommission gibt. Der Agenda 2010 gehört eine Agenda Sozial entgegengesetzt. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

Danke, Herr Koplin.

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Herr Heydorn von der Fraktion der SPD.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Seit heute wissen wir – seit Herrn Renz –, dass Beamte scheinbar im versorgungsleeren Raum zu hängen scheinen. Erst mit In-Kraft-Treten der Bürgerversicherung erwerben Beamte Versorgungsansprüche. Bisher ist da nichts geregelt. Das sind wirklich Menschen, die arm dran sind.

Aber im Ernst, Herr Renz, Sie haben im Grunde genommen nach Zielen gefragt. Sie haben gefragt, welche Ziele mit diesem Antrag verfolgt werden. Ich will Ihnen ein paar Ziele aufzählen. Das erste Ziel ist Information, Information zu Alternativen. Das zweite Ziel für mich ist das Thema deutliche Herausarbeitung von Unterschieden. Ich finde es enorm wichtig, nachdem die Herzog-Kommission jetzt ihre Vorschläge auf den Tisch gelegt hat, dass man Unterschiede aufzeigt, dass man sagt, das ist unsere Position und das ist die Position der CDU, die sie im Bundesvorstand, in ihrem Parteibundesvorstand mit nur zwei Gegenstimmen beschlossen hat. Und nachdem das vorlag, kam ich schon ein bisschen ins Grübeln.

Ich will in diesem Zusammenhang an Oswald von Bräuning erinnern, Herr Renz,

(Dr. Ulrich Born, CDU: Sehr gut, Herr Heydorn.)

Oswald von Bräuning, einen der maßgeblichen Architekten der christlichen Soziallehre. Oswald von Bräuning hat zwei Grundsätze herausgearbeitet,

(Dr. Ulrich Born, CDU: Übrigens sehr alt geworden.)

einmal den Grundsatz von Solidarität, und der zweite Grundsatz ist der Grundsatz von Subsidiarität. Und wenn man das im Einzelnen mal nachliest, dann hat das im Grunde bis heute guten Bestand gehabt. Vor allen Dingen, die Lehre von Oswald von Bräuning ist von der CDU in ihr Parteiprogramm bis heute eingearbeitet worden. Das sind im Grunde genommen Dinge, die als Grundsätze der Christlich-Demokratischen Union bis heute maßgeblich sind, aber davon scheint man sich ja zu verabschieden.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der SPD)

Und dann muss man sich die Frage stellen: Wofür steht die CDU in Zukunft? CDU – wer das Kreuz hat, segnet sich zuerst, oder vielleicht auch: CDU – jeder für sich und Gott gegen alle. Das sind die Dinge, die man ja dann neu

definieren muss, wenn es hier zum Thema Kopfpauschalen kommt.

Ich will auf ein anderes Problem hinweisen. Das Problem, was Sie hier haben, liegt doch in der CDU, das Thema ist also die fehlende Heterogenität. Solche Berichte habe ich aus der Konsensverhandlung zur Gesundheitsreform gehört. Da sind Sie doch immer nur diejenigen gewesen, die wie ein Hühnerhaufen kaum zusammenzuhalten gewesen sind, auf der einen Seite also der Kreis um Seehofer, die an einem bestehenden System festhalten wollen, und auf der anderen Seite der Kreis um Angela Merkel, die hier deutlich zu radikalen Veränderungen kommen wollen.

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Renz?

Das machen wir zum Schluss, würde ich sagen, Herr Renz.

Jetzt wollen wir uns doch mal ansehen, zu welchen Veränderungen wir denn kommen. Wir kommen zu einer gigantischen Umverteilung, wenn das Thema Kopfpauschalen kommt, einer gigantischen Umverteilung von 30 Milliarden Euro, die Sie über die Steuer in Gang setzen wollen. Haben Sie sich schon mal darüber Gedanken gemacht, Herr Renz, was das für einen Verwaltungsaufwand bedeutet?

(Torsten Renz, CDU: Ich habe zur Bürger- versicherung gesprochen, weil das auf der Tagesordnung stand.)

Was das für einen Verwaltungsaufwand bedeutet, 3 0 Milliarden umzuverteilen bei einer demographischen Entwicklung, wo heute schon jeder weiß, dass diese 30 Milliarden Euro längst nicht das Ende der Fahnenstange sind! Dazu hätten Sie sich doch mal positionieren müssen, Herr Renz!

(Torsten Renz, CDU: Ich habe zur Kopfpauschale nicht gesprochen.)

Die einzigen Gewinner bei diesem System sind die privaten Krankenversicherungsunternehmen, die dabei richtig Kasse machen. Ansonsten gewinnt keiner. Und von diesen privaten Krankenversicherungsunternehmen haben wir ja auch einen Großteil in Hessen. Vielleicht ist das der Grund, warum Ihr Herr Koch so massiv für diese Lösung p l ä d i e r t.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der SPD)

So, Herr Renz, wenn Sie noch Interesse haben,

(Heiterkeit bei einzelnen Abgeordneten der SPD)

sollten wir zu Ihren Fragen kommen. Aber Sie können sich auch gerne weiter mit Ihren Kollegen unterhalten.

Also, meine Herren Abgeordnete, erst bin ich dran.

Sie gestatten jetzt die Anfrage des Abgeordneten Renz? (Zustimmung)

Bitte, Herr Renz, dann fragen Sie.

Ich habe zwei Fragen zur Klarstellung.

Herr Heydorn, Sie haben eben behauptet, dass der Herr Seehofer festhält an dem alten System. Ist Ihnen

nicht bekannt, dass Herr Seehofer für die Bürgerversicherung eintritt?

Herr Seehofer präferiert eine differenzierte Lösung, für die wir ja auch stehen. Seehofer ist jemand, der auf der einen Seite den Gesundheitskompromiss mitträgt, deutlich mitträgt, das hat er immer wieder getan, aber Herr Seehofer war beispielsweise auch jemand, der das Thema Positivliste – Herr Renz, Positivliste ist Ihnen ein Begriff, oder soll ich darauf auch noch kurz eingehen? – …

(Beifall und Heiterkeit bei einzelnen Abgeordneten der SPD)

Das war nicht meine Frage.

… mitträgt, was vom Rest der CDU, aus welchen Gründen auch immer, letztendlich nicht gewollt ist. Und natürlich ist mir bekannt, dass Herr Seehofer als perspektivische Lösung das Thema Bürgerversicherung favorisiert. Ja, das ist mir bekannt.