Dann hätten Sie uns nicht wählen müssen. Ich habe es nicht vergessen, ich habe nur mal in der Schatzkiste ein bisschen gekramt. Und ich hoffe, dass nicht nur ich heute, sondern die anderen, die vielleicht zu dieser Frage auch sprechen werden, mit Nachdruck erwarten, dass wir für Kultur die entsprechenden Richtlinien bekommen, damit die Leute, die Träger, die es angeht, draußen dann auch endlich damit arbeiten können und uns nicht fragen: Sagt mal, was macht ihr da eigentlich schon seit vier Jahren? Ich möchte am Ende meiner Legislaturperiode nicht den gleichen Satz von unserem Minister lesen. – Danke.
Im Ältestenrat ist eine Aussprache mit einer Dauer von bis zu 45 Minuten vereinbart worden. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen.
Als Erster hat ums Wort gebeten der Minister für Bildung, Wissenschaft und Kultur Professor Dr. Metelmann. Bitte schön, Herr Minister.
Liebe Frau Voland, herzlichen Dank für die kräftige Anregung, die Sie gegeben haben, jetzt was zu tun. Und ich bin ja heilfroh, dass wir doch eine kleine Bilanz vorlegen können von dem, was sich inzwischen getan hat. Immerhin ist diese Kulturförderrichtlinie auch noch nicht eingestaubt. Sie ist vom 12. Juli 2002 und es war zugesagt worden, dass sie turnusgemäß immer mal wieder überarbeitet wird.
Was hat sich in letzter Zeit getan? Funkstille ist ganz bestimmt nicht richtig. Nur mal im September aufgelistet: Wir hatten zu dem Thema eine ganztägige Kulturbeiratssitzung am 15. September in Greifswald. Da ging es darum, wie die Förderrichtlinien aussehen könnten. Wir hatten die Konferenz der Theaterintendanten und Orches
terchefs in Schwerin am 19. September. Wir hatten die Landeskulturkonferenz am 27. September in Parchim. Herausgekommen sind Thesen zur Kulturpolitik, die inzwischen diskutiert werden. Herausgekommen ist ein Grundsatzpapier, das bei uns im Netz steht. Herausgekommen ist, dass das Kulturportal weiter ausgebaut wird, und herausgekommen ist, dass jetzt Analysen zusammengestellt werden.
Eine turnusmäßige Überarbeitung jederzeit natürlich, die Frage der institutionellen Förderung, die Sie angesprochen haben, ist etwas, was wir ganz bestimmt nicht aus dem Ärmel schütteln werden und auch nicht können. Denn da ist die Frage: Wer bekommt die? Und dann ist die Frage: Wer bekommt sie dann nicht? Wo streichen wir das weg? Das ist eine Frage, die der Fachausschuss klären sollte. Frau Abgeordnete, Sie sitzen in dem Fachausschuss.
Erlauben Sie mir aber bitte, diese schwierige Frage der Förderrichtlinie Kulturprogramme einmal dazu zu nutzen, um zu fragen: Wo wollen wir eigentlich hin? Was ist eigentlich anders, wenn diese ganzen Kulturprogramme richtig funktionieren, wenn das ganze Geld fließt, wenn die richtigen Kulturförderrichtlinien da sind, wenn das alles so stimmt? Was ist anders? Was ist besser in MecklenburgVorpommern? Die Frage ist: Was erwarten wir von Kultur, wenn sie denn losgelöst von allen irdischen Zwängen tatsächlich erfolgreich ist?
Und an dieser Stelle möchte ich einmal einhaken, ich muss zugeben noch unter dem ganz frischen Eindruck der 32. Generalversammlung der UNESCO in Paris, wo das ein ganz wichtiges Hauptthema war: Was erwarten wir von Kultur? In Deutschland verbinden wir Kultur sehr schnell – assoziativ sogar schon – mit den Begriffen Theater, Museum, Musikfestivals und zunehmend auch mit solchen Begriffen wie Szenenkino oder Kneipengalerien.
In Frankreich – wichtiges Thema bei der UNESCOGeneralversammlung – verbinden wir mit dem Begriff Kultur so etwas wie kultiviertes Leben, Zivilisation. Und dann tauchen solche Begriffe schlagwortartig auf, wie wir sie kennen, wie Savoir-vivre, Lebenskunst, oder Grande Cuisine, große Küche, oder Haute Couture, Mode, oder einfach Esprit, gepflegtes Gespräch auf hohem Niveau. In Italien ist der Kulturbegriff ganz ähnlich, aber noch mehr menschlich orientiert, mehr auf Schönheit orientiert. Da gehören zum Kulturbegriff Michelangelo oder Enrico Caruso oder Sophia Loren.
Bei uns in Deutschland, wenn wir von Kultur reden, reden wir von Gebäuden und Organisationen, von Plänen und Strukturen, in denen sich doch bitte Kulturleben abspielen soll. In anderen europäischen Ländern reden wir vom Leben an sich, was wir mit Kultur meinen – Savoir-vivre. Und das heißt, Frankreich, Italien und einige andere Länder „verkaufen“, wenn sie Kultur meinen, ein Lebensgefühl. Sie verkaufen ein Modell des Zusammenlebens. Das steht für einen Gesellschaftstraum, der sehr attraktiv, sehr charakteristisch, sehr identisch ist. Kultur ist dann kein teurer Zeitvertreib, für den es schwierig ist, die richtigen Gelder zur Verfügung zu stellen, keine Freizeitaktivität, kein purer Luxus, sondern, wenn wir auf das Beispiel Frankreich sehen, ein Stück Identität,
ein Stück Unverwechselbarkeit in Europa allenthalben. Wer verwechselt Paris mit irgendeiner anderen Stadt auf der Welt?
Und dann hat Kultur eine politische Funktion. Und ein zweiter Punkt, wenn wir Kultur so begreifen, dann hat sie auch eine ökonomische Funktion. Dieses Savoir-vivre kann man nicht verkaufen, aber es hilft natürlich erheblich beim Verkaufen, beim Verkaufen von Brot und Obst und Joghurt und Gänseleberpastete und schlichtem Quellwasser. Ich nenne diese Produkte alle, weil wir die auch verkaufen, weil wir die auch anbieten, aber wir bieten sie ohne Savoir-vivre an. Und vielleicht liegt es daran, dass ein Wasser Sanpelegrino aus Italien oder ein Eau de Vichy aus Frankreich einfach erfolgreicher ist als die Jarmener Wendenquelle.
Worauf wollen wir hinaus? Kultur. Wenn wir auf den Kulturbegriff schauen, und er ist mehr als nur die Gebäude, in denen Leben stattfinden kann, dann müssen wir uns fragen: Was haben wir eigentlich? Wie sieht unser Kulturbegriff aus? Ich glaube nicht, dass wir hier für Savoir-vivre sitzen.
Leider. Wenn es uns gelingt, einen Kulturbegriff zu besetzen, dann haben wir damit ein Persönlichkeitsmerkmal, so, wie das den Franzosen, den Italienern, vielen anderen exzellent gelingt. Daraus ziehen wir Selbstbewusstsein, mehr als unsere allenthalben greifbare Orientierungslosigkeit, die so leicht in eine gewisse Miesepetrigkeit abgleitet, weil wir ja irgendwie keinen richtigen Platz gefunden haben. Die Franzosen haben da keine Schwierigkeiten.
Zweitens. Mit dem Kulturbegriff schaffen wir ein Markenzeichen, mit dem wir das, was wir herstellen, auch verkaufen können. Und wenn man diese Produkte von uns kauft, dann hofft man auch, dass man ein Stück von dieser Lebensqualität, von dieser Kultur mit erwerben kann, damit man sie zu Hause auf den Tisch stellen und essen und trinken kann.
Und natürlich haben wir mit so einem Kulturgriff ein Lebensmodell, ein Gesellschaftsmodell, das auch für viele andere Menschen attraktiv ist, das uns zusammenführt oder vielleicht sogar viele Menschen zum Leben bei uns gewinnen könnte. Und deshalb möchte ich diesen Beitrag mit einer ganz offenen Frage stehen lassen. Wir haben den französischen Kulturbegriff Savoir-vivre, wir haben einen italienischen, bei uns ein bisschen in Missgunst geraten, aber warum nicht, Dolce Vita, wir haben einen englischen Begriff, Tradition and Style. Welchen Kulturbegriff haben wir eigentlich? Und ich würde lieber darüber reden im Kulturbeirat als darüber, wann wir die Förderrichtlinien verabschieden. – Herzlichen Dank.
Es hat jetzt das Wort für die Fraktion der CDU die Abgeordnete Frau Fiedler. Bitte schön, Frau Abgeordnete.
der Koalitionsfraktionen fordert die Erarbeitung einer neuen Förderrichtlinie Kultur. Herr Minister, ich habe erwartet, dass Sie auch diesen Antrag wieder begrüßen. Ich bin Ihnen für Ihre Ausführungen eigentlich sehr dankbar, denn Sie haben an einer Stelle Ausführungen gemacht, auf die ich im Verlauf meiner Rede auch noch einmal eingehen möchte. Sie haben hinterfragt, wohin wir eigentlich wollen. Und genau diese Frage stelle ich mir auch.
Frau Voland, Ihre kritischen Bemerkungen haben mich sehr überrascht, aber sie sind völlig richtig. Ich habe mir, als ich Ihnen zuhörte, allerdings folgende Frage gestellt: Haben wir es hier mit einem Haushaltsantrag zu tun oder geht es um eine neue Kulturförderrichtlinie? Sicherlich kann man beides nicht losgelöst voneinander betrachten. Sie haben deutlich gesagt, dass Sie für Kultur mehr Geld wollen.
Vom Minister haben wir gehört, dass wir uns über den Kulturbegriff in Mecklenburg-Vorpommern und in Deutschland einmal einigen müssen. Herr Minister, eine ganz kleine Episode vielleicht zwischendurch: Der Kulturbegriff in den USA, was Deutschland betrifft, der besteht aus Sauerkraut, Oktoberfest und Lederhosen. Also irgendwie haben es die Bayern da geschafft.
(Dr. Gerhard Bartels, PDS: Ja, das glaube ich, das es so ist, aber das spricht vielleicht gegen die USA.)
der gerade im letzten Jahr auf Ihren Antrag hin überarbeiteten Richtlinie. Frau Voland hat das ja vorhin ausgeführt. Umgesetzt wurde Ihr Anliegen mit der Richtlinie vom 12. Juni 2002. Die Richtlinie ist damit jetzt 16 Monate alt. Liest man nur den Antragstext, könnte man eigentlich auf die Idee kommen, dass es konzeptionelle Überlegungen im Kulturministerium gibt, über die Sie als Parlamentarier natürlich unterrichtet werden wollen. Das ist Ihr gutes Recht und das kann Ihnen niemand verwehren. Das ist auch richtig so.
Der Herr Minister führte ja aus, dass es bereits einige Ansätze von konzeptionellen Überlegungen gibt. Die Begründung lässt jedoch relativ schnell Ernüchterung eintreten, denn der bereits erwähnte Antrag vom Juni 2001 und dieser hier sind nahezu identisch. Sieht man einmal von der Forderung nach einer zeitnahen Ausreichung der Fördermittel ab – die laut Landtagsprotokoll vom 28. Juni 2003 auch unstrittig war, und zwar über die Fraktionsgrenzen hinweg, obwohl dies eigentlich weniger mit der Förderrichtlinie als vielmehr mit der Ausreichungspraxis zu tun hatte –, so läuft auch dieser Antrag wie sein Vorgänger auf eine Ausweitung der Kulturförderung in der Breite hinaus.
Angesichts der äußerst angespannten Lage in unserem Haushalt, auch im Haushalt der Kommunen, frage ich mich doch, ob so eine Forderung noch zeitgemäß sein kann. Mit immer weniger Mitteln, so steht es in der Begründung Ihres Antrages, soll immer mehr gefördert werden. Es werden immer mehr Begehrlichkeiten geweckt, für deren Erfüllung die Finanzkraft des Landes nicht ausreichen wird.
Am Beispiel der Musikschulen sehen wir, wohin diese Förderpraxis führt. Konnten im Zuge der Verhandlungen zum Nachtragshaushalt 2003 die ursprünglich vorgesehenen Reduzierungen der Zuwendungen nämlich noch halbiert werden, so finden wir die andere Hälfte dieser Reduzierung, wir sprechen hier über 150.000 Euro, schon wieder im nächsten Haushalt. Der Kulturfördertopf des Landes wird von Jahr zu Jahr kleiner, Frau Voland, Sie haben das ausgeführt, aber nicht nur der. Das Bundesprogramm „Kulturförderung in den neuen Ländern“ und das „Dach und Fach“-Programm werden eingestellt. Die Förderung soll sich auf die im so genannten Blaubuch beschriebenen Leuchttürme der Kultur mit landesweiter Bedeutung konzentrieren. Der Topf schmilzt also zusammen. Wie viel dem Land ab dem nächsten Jahr zufließt, ist noch nicht klar. Der Doppelhaushalt 2004/05 enthält zwar noch die Mittel für das „Dach und Fach“-Programm, aber sie sollen ja in das neue Programm von Frau Weiss integriert werden. Wie viel das ist, das ist im Haushalt noch nicht ersichtlich.
In der Landeskulturförderung verfahren wir indes weiter nach einem Gießkannenprinzip. Und mit Ihrem Antrag wollen Sie diesen Strahl – so lese ich ihn jedenfalls in der Begründung – noch erweitern, um eine größere Fläche bei einer geringer werdenden Menge an Wasser zu gießen. Damit wird es wohl zwangsläufig zu Unterversorgungen kommen.
Herr Kollege Friese, sind Sie hier? Ja. Wenn ich Sie aus Ihrer Rede zitieren darf, Sie sagten vor zwei Jahren: „Die Förderrichtlinie kann auch dazu dienen, kulturelle Schwerpunkte durch das Land zu unterstützen. Die Förderrichtlinie sollte künftig mit den Schwerpunktsetzungen des in Vorbereitung befindlichen Landeskulturentwicklungsplanes gemeinsam gesehen werden.“ Ein paar Zeilen zuvor haben Sie sich sehr zuversichtlich gezeigt, was den Landeskulturentwicklungsplan betraf. Da haben Sie gesagt: „Den Plan hat der Minister und den wird er fertig stellen.“ Jetzt haben wir einen neuen Minister. Es war damals 2002– die Diskussion um den Landeskulturentwicklungsplan reicht bis mindestens in die zweite Legislaturperiode zurück – und wir haben ihn immer noch nicht. Jeder der SPD-Kulturminister gab bisher nur Ankündigungen von sich und wurde dabei auch tatkräftig von der eigenen Fraktion unterstützt.
Ich vermute, solange der Landeskulturentwicklungsplan – wo solche Dinge drinstehen, wie, was für uns eigentlich Kultur ist, wie wir den Kulturbegriff für unser Land definieren und wo wir eigentlich hin wollen und wie wir Identifikation schaffen – nicht auf den Tisch kommt,
davon bin ich überzeugt, denn nichts anderes verbirgt sich wahrscheinlich hinter der Formulierung „konzeptionelle Überlegung“, die Sie im Antrag formuliert haben, werden wir uns sicher noch sehr, sehr oft mit Anträgen zu Förderrichtlinien zu beschäftigen haben und damit immer wieder originäres Regierungshandeln einfordern.