Protocol of the Session on June 26, 2003

Zur Verbesserung der Versorgungssituation für Demente im häuslichen Bereich hatte das Sozialministerium in der Vergangenheit zwei Modellprojekte gefördert. Rund 39.000 Euro wurden für das Projekt Förderung der gerontopsychiatrischen Patienten im familiären Bereich in Mecklenburg-Vorpommern gegeben. Mit diesem Projekt ist ein systematisches Unterstützungskonzept für Familien erarbeitet worden, die entsprechende Patientinnen und Patienten im familiären Umfeld betreuen und pflegen. Die Voraussetzungen für einen längeren Verbleib der Erkrankten in der Familie und somit eben auch ein späteres Übersiedeln ins Heim konnten so verbessert werden. Seit 2002 läuft mit Unterstützung des Sozialministeriums das Modellprojekt „Sektorale Entwicklungspartnerschaft in der Altenhilfe“. Das Vorhaben wurde mit rund 46.000 Euro gefördert. Es wird vom Institut für Sozialforschung und berufliche Weiterbildung in Neustrelitz betreut und verfügt seit dem letzten Herbst über arbeitsfähige Strukturen. Im Projekt selbst wurde ein Kurrikulum für die Betreuung dementer Menschen entwickelt und Fachkräften aus dem Bereich der Altenhilfe vermittelt.

Aus diesem Projekt ging im Januar dieses Jahres die Bildung eines regionalen Qualitätszirkels zur Betreuung dementer Menschen hervor. Zielstellung ist es, regionale Netzwerke zu schaffen, um den Verbleib demenziell erkrankter Menschen in der häuslichen Umgebung zu erleichtern. Mit so genannten Präsenzkräften soll vor allem diese Aufgabe bewältigt werden. Auch bei den vollstationären Pflegeeinrichtungen ist den spezifischen Problemen und Bedürfnissen der altersdementen Heimbewohnerinnen und Heimbewohner noch mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Aus Erhebungen von Brandenburg wissen wir, dass drei Viertel aller Pflegebedürftigen, die in Altenheime umziehen, an Demenz erkrankt sind. Schon jetzt versuchen die Pflegeheime, durch besondere Konzepte hier die Versorgung zu sichern.

Mein Eindruck ist allerdings, dass zwischen den Kostenträgern und den Leistungserbringern in der Pflege hier ein erhebliches Streitpotential besteht. Diese Aussage treffe ich auch nach der letzten Anhörung des Sozialausschusses vom 18. Juni dieses Jahres. Dieses Streitpotential liegt einerseits an der Zersplitterung der Zuständigkeiten. Therapeutisches Personal wird von den Pflegekassen mit Hinweis auf die Zuständigkeit der Krankenkassen nicht anerkannt. Es liegt aber auch daran, dass die Pflegeversicherung demente Menschen finanziell benachteiligt, weil ihr Betreuungsbedarf bei der Zuerkennung der Pflegestufe unberücksichtigt bleibt. Hinzu kommt, dass die Leistungen der Pflegeversicherung seit ihrer Einführung Mitte der neunziger Jahre nicht erhöht wurden. Wirkliche Fortschritte werden wir hier nur erreichen können, wenn die Finanzierung der laufenden Kosten für die stationäre Pflege auch auf Bundesebene den tatsächlichen Bedarfen angepasst und der Betreuungsbedarf bei Zuerkennung der Pflegestufe einbezogen wird.

Verehrte Abgeordnete, bei alldem greift der Antrag von SPD und PDS wichtige Teilaspekte zur Verbesserung der Versorgungssituation für Demenzerkrankte auf, denn nicht nur die pflegerischen Strukturen, sondern auch das Gesundheitssystem haben entscheidende Bedeutung für die Versorgung demenzerkrankter Menschen. Die Forderung nach Etablierung einer zeitgemäßen Diagnostik, nach Beratungsstellen, einschließlich fachlich angeleiteter Gesprächsgruppen und nach Schaffung vernetzter Strukturen findet daher meine volle Unterstützung. Bereits jetzt gibt es landesweit Aktivitäten, gerade zur Begleitung der

Angehörigenarbeit. Sinnvoll finde ich dabei auch die fachliche Anleitung der Gruppenarbeit durch die Fachkliniken. Sie wird beispielsweise hier in Schwerin von der Carl-Friedrich-Flemming-Klinik durchgeführt. In anderen Regionen erfolgt die Gruppenarbeit in Tagesstätten für demente Patienten. Und im Jahr 2001 wurde der Landesverband Mecklenburg-Vorpommern der Alzheimer-Gesellschaft gegründet.

Mit Ärztekammer und Kassenärztlicher Vereinigung werde ich im Hinblick auf die von Ihnen angesprochenen diagnostischen Anforderungen Kontakt aufnehmen, um diese entsprechend zu berücksichtigen und umzusetzen. Der Antrag wird insofern eine Initialzündung sein. Er wird zu einer umfassenden Bestandsanalyse und zur Erarbeitung schrittweiser Verbesserungen im Leben der Betroffenen und ihrer Angehörigen führen können. Und ich hoffe auch, dass er die öffentliche Aufmerksamkeit und das Verständnis für eine Menschengruppe fördert, die selbst nicht mehr ihre eigenen Interessen vertreten kann und zu der Sie und ich mit hoher Wahrscheinlichkeit vielleicht auch einmal gehören werden. Ich bitte deshalb um Ihre Zustimmung für diesen Antrag.

(Beifall bei Abgeordneten der PDS und einzelnen Abgeordneten der SPD)

Danke schön, Frau Ministerin.

Als Nächstes hat das Wort der Abgeordnete Herr Glawe für die Fraktion der CDU.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr geehrte Kollegen! Frau Ministerin, Sie sprachen von der Initialzündung in diesem Antrag. „Verbesserung der Versorgungssituation für Demente“ ist ja die Überschrift. Wie Sie das jetzt sozusagen dem Volk erklären wollen in Mecklenburg-Vorpommern, das erschließt sich mir nach diesem Antrag zumindest nicht, denn er ist, wenn man ihn mal auseinander nimmt, sehr kurz gefasst. Er beinhaltet ein paar Datenerhebungen.

(Torsten Koplin, PDS: Das ist ja prägnant.)

Den vierten Anstrich will ich unterstreichen. Gesundheitsberichterstattung ist natürlich im letzten Bericht zu kurz gekommen und auch im Jahr 2000. Dort sind statistisch gesehen nur stationäre Dinge betrachtet worden. Bei der Differentialdiagnostik müssten Sie sich vielleicht mal an die Ärztekammer wenden und an die 2.400 Ärzte im Land. Das wird natürlich auch eine Frage des Datenschutzes sein, den man, denke ich, betrachten und beachten muss.

(Torsten Koplin, PDS: Sicherlich.)

Andererseits haben Sie richtigerweise gesagt, dass wir davon ausgehen müssen, dass wir etwa 20.000 – Sie sagten 18.000, ich sage 20.000, Herr Heydorn hat etwas über 20.000 gesagt – Demenzerkrankte in Mecklenburg-Vorpommern haben. Und die Prognose haben Sie auch vorgestellt mit über 30.000.

Meine Damen und Herren, 80 Prozent aller Demenzerkrankten sind in der Häuslichkeit und sie bedürfen einer besonderen Anleitung. Wir müssen also dafür sorgen, dass mehr Pflege, mehr Pflegeverstand auch bei den Familienangehörigen einzieht. Sie müssen sozusagen fit gemacht werden. Das fehlt mir in Ihrem Antrag völlig, obwohl diese Studie es ja beweist, über die Sie geredet haben, da steht alles drin. Sie ist auch durch Sie gefördert

worden. Sie sagten, mit Neustrelitz und den 39.000 Euro ist alles korrekt. Aber wenn wir sozusagen das Problem insgesamt anfassen wollen, dann brauchen wir vor allen Dingen mehr Tagespflege, wir brauchen Nachteinrichtungen, wir brauchen Nachtkliniken, denn gerade in dieser Phase des hohen Alters ist es ja festzustellen, dass sehr viele ältere Menschen das Problem haben, den Tag zur Nacht zu machen und am Tage zu schlafen. Das sind Dinge, die wir insgesamt im Auge haben müssen.

Deswegen, meine ich, ist die CDU-Fraktion mit Ihrem Antrag überhaupt nicht glücklich, weil er sozusagen nur statistische Dinge erfasst. Für Differentialdiagnostik sind Sie weitestgehend nicht zuständig. Mich würde wundern, wenn Sie an die Daten kommen. Ich weiß nicht, wie das klappen soll. Und zu den Gesprächsgruppen und Kooperationsverbänden ist alles so allgemein gehalten, darunter kann man alles und nichts verstehen. Da, meine ich, waren wir im Jahre 2000 schon weiter, denn Frau Bunge, kann ich mich erinnern, hatte damals mit den Grünen, mit der Grünen-Ministerin Fischer zumindest die Diskussion dahin geführt, dass man Tagespflege, Tagesangebote einmal in der Woche für Demenzkranke machen sollte. Und wenn ich mich recht erinnere, hatte Frau Bunge dann gesagt, man sollte versuchen, die Tage zusammenzuführen, dass man wenigstens für sieben Tage Angebote in Tageseinrichtungen machen könnte.

Deswegen lehnen wir diesen Antrag, den Sie hier gestellt haben, ab. Er ist einfach zu kurz. Er geht nicht auf die Probleme im Land ein und auf das, was wir hier im Land brauchen. – Danke schön.

(Beifall Dr. Ulrich Born, CDU – Torsten Koplin, PDS: Herr Glawe, schade.)

Danke schön, Herr Glawe.

Es hat jetzt das Wort der Abgeordnete Herr Koplin von der Fraktion der PDS.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!

Ich hatte gehofft, Herr Glawe, dass die Kolleginnen und Kollegen und auch Sie persönlich zu einem anderen Schluss kommen bei der Bewertung dieses Antrages.

(Zuruf von Harry Glawe, CDU)

Wir als PDS sehen zumindest drei wichtige Gründe, die für diesen Antrag sprechen: Der erste ist der Altersstrukturwandel in unserer Gesellschaft. Der zweite ist, weil Expertinnen und Experten uns deutlich machen in Gesprächen beziehungsweise Dokumentationen, dass es bezüglich der Versorgungsstrukturen, einschließlich der Unterstützung für pflegende Angehörige, einen umfangreichen und dringlichen Bedarf gibt. Und der dritte ist für die PDS – das ist eigentlich der zentrale Punkt –, dass es sich dabei um die Frage nach der Würde des Menschen handelt. Es ist somit auch eine Frage, ob Verfassungsgrundsatz zur Verfassungswirklichkeit wird, denn es heißt in der Verfassung, die Würde des Menschen ist unantastbar, sie ist zu schützen und zu achten durch die Gewalten des Staates. Das sage ich jetzt einmal so, nicht ganz im Zitat des Grundgesetzes bleibend.

Wichtige Schritte aus unserer Sicht für eine verbesserte Versorgungsstruktur sind in diesem Antrag genannt. Auch da liegen wir weit auseinander, Herr Glawe. Zu dem Punkt Differentialdiagnostik, über den Sie sich hier ausge

lassen haben, möchte ich Ihnen sagen, es geht um die Etablierung.

(Harry Glawe, CDU: Das wird doch jeden Tag in den Praxen gemacht!)

Herr Glawe, eine Krankheitsbestimmung ist der Ausgangspunkt für eine qualifizierte Unterstützung und Versorgung.

(Harry Glawe, CDU: Eine Differential- diagnostik, eine spezielle, gezielte Diagnostik, die das untersetzt.)

In Bezug auf die Diagnose, Herr Glawe, gibt es ja zwei Risiken.

(Harry Glawe, CDU: Das machen Ärzte, Herr Koplin!)

Hören Sie mir doch zu! Wenn Sie mir auch nicht zuhören,

(Harry Glawe, CDU: Nee, kann man auch nicht! Kann man nicht, das geht nicht. – Heiterkeit bei Dr. Ulrich Born, CDU)

ich habe Ihnen zugehört.

Schauen Sie, dann lassen Sie es einfach am Willen mangeln. Ich wollte Ihnen gerne sagen und ich sage es dann allen, die willens sind, es zu hören, es gibt auf diesem Gebiet zwei Risiken: Jemand, der an Demenz erkrankt ist, wird nicht als Dementer, sondern aufgrund begleitender Krankheitserscheinungen behandelt oder, die andere Variante, jemand wird vom Krankheitsbild für dement erklärt, ist es aber gar nicht, sondern er leidet zum Beispiel an tiefen Depressionen.

Hierzu muss man wissen, dass es drei verschiedene Formen der Demenz gibt. Herr Heydorn hat hier eine Definition abgegeben. Ich habe mich im Vorfeld dieser Debatte auch schlau machen dürfen. Man unterscheidet zwischen Multiinfarktdemenz und seniler Demenz vom Alzheimer Typ und der sekundären Demenz. Während die ersten beiden als unheilbar gelten, gilt die letztgenannte als behandelbar und heilbar. An alldem wird deutlich, wie wichtig Differentialdiagnostik ist. Und deswegen spreche ich noch mal dafür, um wirklich der Situation des Einzelnen gerecht zu werden. Neben der Achtung und dem Schutz des Eigenwertes und der Eigenständigkeit des Menschen hat Differentialdiagnostik durchaus letztendlich auch einen volkswirtschaftlichen Effekt. Man denke allein an die Frage der Arzneimittelversorgung oder die Häufigkeit von Arztkonsultationen.

Sehr geehrte Damen und Herren, ein weiterer wichtiger Punkt bei der Verbesserung der Versorgungsstruktur für Demente ist die Beratung und Betreuung. Hier hat zum Beispiel neben anderen, die seitens der Ministerin genannt wurden, das gerontopsychiatrische Netzwerk Mecklenburg-Vorpommern im Rahmen des Bundesmodellprojekts „Altenhilfestrukturen der Zukunft“ in den vergangenen Jahren Großartiges geleistet. Die Beratung kann und muss vor allem pflegende Angehörige unterstützen. Die Pflege und Betreuung von Dementen stellt Familien oft vor große Probleme und Belastungen, da erzähle ich hier nicht Neues. Lebensgewohnheiten verändern sich, Familienstrukturen ändern sich, neue Rollen sind in der Familie sozusagen am Entstehen und Werden und in Veränderung.

In diesem Zusammenhang hat mich ein Punkt aus der Veröffentlichung der Ergebnisse des Projektes „Altenhilfe

strukturen der Zukunft“ – an der Veranstaltung haben Sie ja auch, Herr Glawe und Herr Heydorn, teilgenommen, seitens der PDS-Fraktion konnte zu dem Zeitpunkt niemand, aber wir haben uns sehr wohl mit den Ergebnissen der Beratung und Veranstaltung beschäftigt – berührt, den ich gern hier zitieren möchte, und das ist die Frage der partiellen Trauerarbeit, die ja auch Bestandteil der Beratung und Betreuung ist.

(Harry Glawe, CDU: Das steht doch im Antrag gar nicht drin.)

Und da möchte ich gerne den zweiten Anstrich zitieren,

(Zuruf von Harry Glawe, CDU)

wenn Sie sich bitte den Antrag anschauern würden, weil ich das für sehr erwähnenswert halte. Dort heißt es: „Der Trauerprozess, der sich auf die Veränderungen des gepflegten alten Menschen bezieht,“

(Zuruf von Harry Glawe, CDU)

„und den damit verbundenen schrittweisen Abschied von der bekannten Person, mit der gemeinsame Erfahrungen oder Interessen geteilt wurden, steht im Mittelpunkt des vierten Bausteins.“ Gemeint sind an dieser Stelle Bausteine im Sinne des Rahmenkonzeptes. „Um einen Menschen, der noch lebt, auch trauern zu dürfen, die schmerzliche, oft grausame Erfahrung der Begleitung des Abschieds vom Ich einer nahe stehenden Person auch als Abschied begreifen zu dürfen, ohne Verrat zu begehen, ist für pflegende Angehörige oft ein bislang verdrängtes Anliegen, das Schuldgefühle und Aggressionen gleichermaßen entstehen lässt und auf Dauer das eigene Befinden und die eigene Gesundheit beeinträchtigt.“ So weit das Zitat.

Beratung und Betreuung ist also Lebenshilfe im wahrsten Sinne des Wortes und auch deswegen steht es zu Recht im Antrag. Die PDS unterstützt deshalb nachdrücklich das Projekt einer Koordinierungsstelle für Angehörigenarbeit in Mecklenburg-Vorpommern aus inhaltlichen Gründen, aber auch wegen der Dimension. Um circa 20.000 – andere sprechen von 22.000 bis 25.000 betroffenen Personen –

(Zuruf von Harry Glawe, CDU)

geht es bei der Beratung und Betreuung, um die Personen selbst, aber auch um ihr familiäres Umfeld, also um gut und gerne 80.000 bis 100.000 Personen.

Wenn schon von Zahlen die Rede ist, muss auch von Datenerfassung gesprochen werden, ebenfalls ein Punkt des Antrages. Die Datenerfassung ist im Beschlusstext enthalten. Der Bereich der demenziellen Erkrankung ist im Gesundheitsbericht und in Sozialberichten, das hat die CDU ebenfalls zugestanden, nur ungenügend behandelt. Aber jede Sozial- und Altenhilfeplanung kann nur bedarfsorientiert und somit treffsicher sein, wenn sie auf soliden Daten fußt, und dies ist aus unserer Sicht nicht ausreichend im Land Mecklenburg-Vorpommern. Derzeit, so sagte mir Professor Hänsel von der Fachhochschule Neubrandenburg, wird von 20.000 Dementen in MecklenburgVorpommern gesprochen, weil angenommenen wird, dass circa fünf Prozent der über 65-Jährigen dement sind. Aber hier beginnt ja also sozusagen die Grauzone der Spekulationen und das ist einfach nicht zulässig, weil hinter jeder Person, um die es geht, ein Schicksal steht. Hier werden bislang Erhebungen aus dem früheren Bundesgebiet übertragen. Und ich denke, mit dieser Situation sollten wir Schluss machen.

Sehr geehrte Damen und Herren, Sie erkennen, wir alle haben gute Gründe, zumindest die Koalitionäre haben das so gesehen