Protocol of the Session on January 30, 2002

Gleiches ließe sich auch bezüglich der gleichberechtigten Teilhabe von Menschen mit Behinderungen darlegen. Jahrhundertelang von Ausgrenzungen jeglicher Art bis hin zur Vernichtung so genannten unwerten Lebens betroffen, hat es in der Gesellschaft – wenn auch langsam – ein Umdenken gegeben. Heute gibt es keinen Ausschluss von Bildung mehr und von Beeinträchtigungen betroffene Menschen können einer Erwerbstätigkeit nachgehen. Noch vorhandene Barrieren und Vorurteile, die eine breite Umsetzung solcher Forderungen nach Erwerbsarbeitsplätzen verhindern, befinden sich vorrangig in den Köpfen von Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträgern, die nicht von Beeinträchtigungen betroffen sind.

Welchen Gewinn es für die Einzelne, den Einzelnen und die Gemeinschaft bringt – manchmal auch mit einem größeren Aufwand, was die entsprechende Ausgestaltung der Arbeitsbedingungen anbelangt –, sehen wir in unserem Hohen Hause täglich. Wer von Ihnen hätte geglaubt, dass es fast unproblematisch möglich ist, die Arbeit einer blinden Abgeordneten abzusichern? Ich denke, Frau Müller belegt hier exemplarisch für Tausende andere Menschen mit Behinderungen, dass es möglich ist und keine negativen Beeinträchtigungen für Arbeitsablauf oder Ähnliches mit sich bringt. Im Gegenteil, alle in den Verwaltungen und alle, die wir hier sitzen, haben enorm dazugelernt, denke ich, vor allem auch Entscheidungen mit den Augen von bestimmten betroffenen Gruppen zu sehen und zu bewerten.

Dass die Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen nicht ohne materielle Mehraufwendung für die Gesellschaft realisierbar ist, ist, glaube ich, auch unstrittig, angefangen von technischen Hilfsmitteln, Umgestaltung von entsprechenden Arbeitsplätzen, bis hin zum finanziellen Ausgleich von Minderleistung, zum Beispiel bei geschützten Betriebsabteilungen oder sozialen Zweckbetrieben, die Menschen mit Behinderungen beschäftigen. Aber ich frage Sie: Was ist für die Gesellschaft als Ganzes sozial, aber auch volkswirtschaftlich besser – die Verteilung von Almosen oder die Integration dieser Menschen?

Das Aufgabenfeld, meine Damen und Herren, ist breit gefächert. Auch der Bereich der Integration von Emigrantinnen und Emigranten bietet vielfältige Betätigungsnotwendigkeiten für die Politik und die Verwaltungen der verschiedenen Ebenen. Klar muss für uns sein: Eine umfassende Integration, berufliche wie auch soziale, ist die beste Grundlage für das Zurückdrängen rechtsextremistischen Gedankengutes und Gewalt. Dazu gehört für uns die Schaffung von Bedingungen zur Anerkennung gleichwertiger Qualifikationen und Berufsabschlüsse, zum Beispiel bei Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedlern, jüdischen Emigrantinnen und Emigranten oder anerkannten

Flüchtlingen. Auch hier kann die bisherige Verfahrensweise nicht weiter hingenommen werden. Wir sehen im Übrigen bei der Umsetzung der EU-Richtlinien das Bündnis für Arbeit gefordert, da dies keineswegs – und das hat auch Herr Neumann schon zum Ausdruck gebracht – eine ausschließliche Aufgabe der Politik ist.

Meine Damen und Herren! Berufliche und soziale Integration, die Schaffung von Rahmenbedingungen für die gleichberechtigte Teilhabe aller Menschen an allen Bereichen der Gesellschaft ist nicht zum Nulltarif zu haben. Das gilt für die Bundesebene genauso wie für die Landes- und Kommunalebene. Vorhandene Programme sind in vollem Umfang finanziell zu untersetzen. Ich bin mir durchaus bewusst, dass dies für unser Land nicht einfach zu realisieren ist, dennoch kommen wir nicht umhin.

Auch in diesem Zusammenhang bitte ich, neben den an erster Stelle der Bewertung stehenden menschenrechtlichen Aspekten die volkswirtschaftlichen mit in unsere Überlegungen einzubeziehen. So manches wäre nach unserer Sicht unproblematischer, unbürokratischer realisierbar, wenn die Barrieren in unseren Köpfen abgebaut werden und eher nach dem Motto verfahren würde, was und wie kann ich für die einzelne Person die Problemlösung, den Erwerbsarbeitsplatz, Entwicklungschancen und die Integration ermöglichen, und nicht nach dem Motto, was kann er/sie alles eventuell nicht. – Vielen Dank.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der PDS)

Danke schön, Frau Koburger.

Es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor, dann schließe ich die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der PDS und SPD auf Drucksache 3/2620. Wer

diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. – Danke. Gegenprobe. – Enthaltungen? – Danke.

(Unruhe bei einzelnen Abgeordneten der SPD)

Damit ist der Antrag der Fraktionen der PDS und SPD auf Drucksache 3/2620 mit den Stimmen der Fraktion der SPD, einer Enthaltung der SPD …

(Zurufe von Abgeordneten der SPD: Nee, nee, nee, nee! – Ministerin Sigrid Keler: Das war Herr Glawe. – Zuruf von Sylvia Bretschneider, SPD)

Entschuldigung, also fange ich noch einmal von vorne an.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und PDS – Sylvia Bretschneider, SPD: So verändern wir die Mehrheiten nicht.)

Dem Antrag der Fraktionen der PDS und SPD auf Drucksache 3/2620 wurde mit den Stimmen der Fraktion der SPD,

(Unruhe bei Abgeordneten der SPD und PDS – Heinz Müller, SPD: Er ist doch unübersehbar!)

der Fraktion der PDS, bei einer Gegenstimme der Fraktion der CDU und sechs Stimmenthaltungen zugestimmt.

Meine Damen und Herren, wir sind damit am Schluss der heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Landtages auf Donnerstag, den 31. Januar 2002, um 9.00 Uhr ein. Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche allen einen erholsamen Abend.