Protocol of the Session on September 20, 2001

Wie sieht es aus mit der Anzahl der arbeitslosen Schwerhörigen und Gehörlosen in unserem Land? Dringend – dringend! – muss die Statistik dahin gehend unterteilt werden, dass wir wissen, welche Behinderungsgruppen Arbeitslose in welchen Zahlen darstellen, denn nur dann können irgendwelche spezifischen Förderinstrumente auch wirken, wenn wir wissen, wo, wie und für wen sie wirken sollen. Und da sollten wir auch keine Scheu davor haben, Förderinstrumente, die sich nicht bewährt haben, abzuschaffen.

Wie sieht es aus mit der Fähigkeit hörgeschädigter Menschen, wirklich am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen? Ganz konkret: Wie sieht es aus mit der Möglichkeit, bestimmte Sitzplätze in Theatern, Kinos und so weiter und so fort wirklich mit Hörhilfen auszugestalten und die Sitze auch so anzubringen, dass das visuelle Aufnehmen für Hörgeschädigte wirklich optimal möglich ist? Denn gerade das ist ja der Punkt, mit dem Hörgeschädigte viele Beeinträchtigungen aufgrund der Hörbehinderung kompensieren können, dass sie eben zusehen können, und zwar uneingeschränkt zusehen können.

Die Aufzählung von Frühförderstellen, das haben Frau Bretschneider und auch Herr Glawe schon gesagt, ist gewiss interessant, aber gerade für unsere Hörbehinderten ist es eben nicht so, dass Frühförderung in Frühförderstellen wirklich flächendeckend möglich ist. Dazu gehört, dass das Personal dementsprechend ausgebildet ist. Und ich denke mir, das könnte auch ein Beispiel dafür werden, wie Zusammenarbeit zwischen Schulen und Frühförderstätten, sprich zwischen Bildungs- und Kultusministerium und Sozialministerium, gestaltet werden kann, nämlich dass übergreifend die Möglichkeit besteht, dass die dementsprechend ausgebildeten Fachkräfte da und dort ihr Können einbringen können, also wie gesagt ein lohnendes Feld.

Leider sind die älteren Hörgeschädigten in diesem Bericht überhaupt nicht in Erscheinung getreten. Und es reicht einfach nicht, sich einzubilden, dass ein flächendeckendes Netz von Beratungsstellen auch älteren Bürgern zum Beispiel bei der Bewältigung ihres täglichen Lebens hilft. Wir und auch die betroffenen Vereine und Verbände haben schon mehrmals darauf hingewiesen, dass Rehabilitationsmaßnahmen für ältere Bürger zum Beispiel bei der Handhabung ihrer Hörgeräte eine unwahrscheinlich wichtige Angelegenheit sind. Ich betone hier noch einmal das, was die Vertreterinnen und Vertreter unserer Selbsthilfegruppen schon seit Jahren sagen. Gerade in dem Punkt Hörgeräte haben wir das Problem, dass eben die pauschale Behandlung der Krankenkassen, was die Bezahlung und Zuzahlung von Hörgeräten betrifft, nicht ausreicht. Es geht den Gehörlosen und Schwerhörigen nicht um eine maximale Ausstattung mit Hörgeräten – das wird unterstellt –, es geht um die optimale Ausstattung mit Hörgeräten, also um die Ausstattung mit Hörgeräten, mit denen der Betroffene wirklich umgehen kann, die er bewältigen kann, die ihn zufrieden machen und wirklich eine bessere Lebenssituation bringen, weil er eben besser versteht. Hörgeräte, die einfach bezuschusst werden von der AOK oder einer anderen Krankenkasse, weil sie eben in dem Bereich des Betrages liegen, den man sich da vorstellt, sind, wenn sie falsch verordnet sind, falsche Investitionen, falsche Investitionen für den Betroffenen und falsche Investitionen für die Krankenkasse. Die betroffenen Verbände und Vereine haben sich schon des Öfteren auf den verschiedensten Ebenen dafür stark gemacht, sie haben ausdrücklich ihre Hilfe bei der Bewältigung dieses Problems angeboten. Ich bitte die Beteiligten des Sozialministeriums, bei den Gesprächen mit den Krankenkassen die Bürgerinnen und Bürger, die es betrifft und die sich in der Selbsthilfe auch derart kompetent fühlen, mit an den Tisch zu nehmen. Noch einmal: Hörbehinderte möchten für sich handhabbare Hörgeräte und nicht das maximale unbedingt, denn es ist sehr individuell einzuschätzen, wer was wie braucht.

Ein Wort noch zur sozialen Rehabilitation: Es gibt natürlich auch unter Hörgeschädigten spät Ertaubte, spät ge

hörlos Gewordene. Wie sieht das Angebot der Rehabilitation, der beruflichen und sozialen Rehabilitation für Hörbehinderte in Mecklenburg-Vorpommern aus? Traurig, kann ich nur sagen. Angebote im Berufsförderwerk Stralsund werden nur punktuell gemacht und zeitlich begrenzt. Zeitlich begrenzt, damit meine ich, dass nicht ständig Angebote für Hörbehinderte da sind, sondern in verschiedenen Zeiten ab und an mal. Wir haben hier in Schwerin Salo + Partner, die seit mehreren Jahren regelmäßig einoder zweijährige Umschulungen anbieten. Aber, meine Damen und Herren, wir stehen da vor dem Grundsatz „Rehabilitation kommt vor Berentung“. Und bei den Zahlen, die ich jetzt nicht wiederhole, die uns ja genannt wurden, von Menschen mit Hörbeeinträchtigungen, da gebe ich Ihnen Brief und Siegel, dass die punktuellen Angebote in Stralsund und hier in Schwerin nicht reichen.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der PDS)

Ein Wort noch zur Gebärdensprache und zu unseren Dolmetschern. Es ist gewiss hervorragend, dass wir in dieser kurzen Zeit die Dolmetscherangelegenheit auf diese Art und Weise lösen können, wie sie im Moment gelöst ist, aber unsere Gebärdensprachdolmetscher sollen Mittler sein zwischen den hörenden und den nicht hörenden Menschen. Wie sieht es wirklich aus? Gebärdensprachdolmetscher müssen gleichzeitig Sozialarbeiter sein, müssen gleichzeitig Juristen sein, müssen gleichzeitig Behördenangestellte sein. Und warum?

(Harry Glawe, CDU: Ja.)

Ganz einfach deshalb, weil es nicht einmal die RehaBeauftragten der Arbeitsämter für nötig halten, dass wenigstens einer darunter ist, der die Gebärdensprache kann. Es ist einfach nicht möglich, dort zu vermitteln, dass die Gebärdensprache als Kommunikationsmittel natürlich in diese Ämter und Einrichtungen gehört. Und auch in jeder öffentlichen Einrichtung und in jedem Amt, in jeder Behörde sollte wenigstens eine Person sein – nur eine Person! –, die der Gebärdensprache mächtig ist. So schwer ist es doch nun wirklich nicht. Und ich möchte mal nachfragen, wie unser Innenminister wohl reagiert, wenn er aufgrund der Anerkennung der Gebärdensprache als Form der deutschen Sprache ab sofort jeden Gang eines Gehörlosen oder hochgradig Hörbehinderten mit seinem Dolmetscher zu einem Amt bezahlen muss, denn der Dolmetscher, meine Damen und Herren, wird von unseren Gehörlosen und von den Schwerhörigen aus der eigenen Tasche bezahlt. Er muss ja irgendwie leben können. Es ist unabhängig von bestimmten Angeboten, die gemacht werden, die dann das Sozialministerium fordert. In dem Moment, wo ich ganz privat meinen Gebärdendolmetscher brauche zur Bewältigung des täglichen Lebens, zahle ich, und zwar richtig Geld. Und es gibt keine Mehraufwandsentschädigung für Gehörlose in unserem Land.

Weiteres Problem, die psychotherapeutische Betreuung: Hier brauchen wir, werte Frau Bunge, unbedingt Ihre Hilfe und Unterstützung. Es gibt nun mal psychotherapeutische Behandlungen, die müssen – das geht ganz einfach nicht anders – ohne Sichtkontakt mit den betroffenen Patienten durchgeführt werden. Sie werden sich vorstellen können von der Logik her, dass ohne Sichtkontakt bei einem Gehörlosen andere Behandlungsmethoden verlangt werden, als sie allgemein üblich sind. Leider sperren sich die Krankenkassen mit aller Kraft und aller Gewalt, alternative Behandlungsmethoden, die zugegeben noch nicht die Lobby haben in Deutschland, aber sehr

wohl vorhanden sind und sehr wohl anerkannt sind, auch wenn es Länder sind um Deutschland herum – können Sie ja auch mal schlau sein, denke ich mir –, anzuerkennen und zu bezahlen. Es gibt auch gehörlose Menschen, die psychotherapeutische Betreuung brauchen. Dann muss die aber so gestaltet sein, dass sie auch angewandt werden kann. Und wie gesagt, ohne Sichtkontakt ist das nun mal schwierig bei Gehörlosen.

Noch ein ganz besonderes Problem, auf das Frau Bretschneider auch schon hinwies und das langsam, aber sicher sehr traurig macht und auch fast frustriert: Wir brauchen im Land Mecklenburg-Vorpommern ein modernes Förderzentrum für Hörbehinderte.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der PDS)

Dieses moderne Förderzentrum besteht schon seit nunmehr etlichen Jahren als Konzept und ich bitte, dass davon abgegangen wird, nur Finanzrelevanzen sprechen zu lassen. Im Hinterkopf sage ich da, dass in Güstrow um Himmels willen diese Gebäude nicht leer werden dürfen, denn dann hat die Kommune beziehungsweise das Land große leer stehende Häuser. Es geht ganz einfach nicht vom wissenschaftlichen Standpunkt aus, dass die Zusammenführung der Gehörlosen- und Schwerhörigenschule derart passiert: alles nach Güstrow, alles in diese Schule – wird schon klappen. Meine Damen und Herren, das klappt nicht. Wir haben heutzutage ganz einfach den Anspruch einer umfassenden – einer umfassenden! – Bildung und Beschulung und dazu gehören viel mehr Dinge als nur die Fächer, die wir in der Schule kennen. Dazu gehört auch die Sprachpflege, dazu gehört auch das Hörenlernen und Verstehenlernen, dazu gehören auch psychische und physische Betreuungen. Das muss in einem solchen Hörzentrum zumindest Stück für Stück möglich sein. Ich verstehe vollauf, dass wir als Land Mecklenburg-Vorpommern nicht sofort die Millionen zur Verfügung haben, die zum Aufbau eines solch modernen Hörzentrums notwendig sind. Aber ich verstehe nicht, werter Herr Kauffold, dass man sich nicht wenigstens die Mühe macht, das Ziel modernes Hörzentrum in Angriff zu nehmen, scheibchenweise die Jahresringe zu machen, in

denen wir es eben bringen können, und demzufolge zu diesem Ziel hinarbeiten.

Frau Müller, ich muss Sie bitten, zum Schluss zu kommen.

Ja. Danke.

Es wird für uns hier viel teurer, wenn wir hinterher feststellen, dass wir irgendwo was hinzu- und anbauen müssen.

Meine Damen und Herren, der vorliegende Bericht ist ein Lehrbeispiel dafür, dass Behindertenpolitik eben nicht Sache des Sozialministeriums ist, und andere Ministerien arbeiten schnell mal ein paar Zahlen von Hörbehinderten, die bei ihnen wohl aufgetaucht sind, zu. Behindertenpolitik geht in alle Lebensbereiche hinein, demzufolge in alle Politikfelder. Aus diesem Grunde muss solch eine Arbeit von allen gleichmäßig gemacht werden, mit gleicher Konsequenz und Hingabe. Demzufolge ist der Bericht eine Basis, aber nicht das, was wir haben wollten. – Danke.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der PDS)

Ich schließe die Aussprache.

Kann ich davon ausgehen, dass wir nach der jetzigen Aussprache die Unterrichtung durch die Landesregierung auf Drucksache 3/2098 verfahrensmäßig für erledigt erklären? – Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen.

Meine Damen und Herren, wir sind damit am Schluss der heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Landtages auf Freitag, den 21. September 2001, 9.00 Uhr ein. Die Sitzung ist geschlossen.