Im Ältestenrat wurde eine Aussprache mit einer Dauer von 45 Minuten vereinbart. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ganz ohne Zweifel, Gehörlosigkeit und Schwerhörigkeit in all ihren Abstufungen sind Behinderungen, die wegen ihrer Unsichtbarkeit weitgehend unterschätzt werden. Im Vergleich zu Körperbehinderten wirkt der schwerhörige, gehörlose und ertaubte Mensch „ganz normal“. Seine körperliche Unversehrtheit erschwert Außenstehenden ein verstehendes und nachfühlendes Beurteilen der Dinge.
Da sich Familienleben, Ausbildung und Beruf, die ganze Vielfalt der menschlichen Kommunikation vorwiegend auf das gesprochene Wort begründen, müssen Schwerhörige gewaltige psychische und physische Anstrengungen auf sich nehmen, um sich auf die ständig wechselnden akustischen, technischen und kommunikativen Gegebenheiten einzustellen und um diese Barrieren zu überwinden. Hinzu kommt, dass vielen Menschen nicht bewusst ist, mit welchen Problemen sich hochgradig schwerhörige, gehörlose und ertaubte Menschen auseinander setzen müssen.
Meine Damen und Herren, bevor ich näher auf den Antrag der Koalitionsfraktionen eingehe, hier noch einige statistische Bemerkungen, auf die auch schon Frau Bretschneider in ihrem Einführungsreferat hingewiesen hat. Nach Untersuchung des Deutschen Grünen Kreuzes sind etwa 17 Prozent der erwachsenen Bundesbürger in einer Form und in einem Maße hörbehindert, dass sie medizinisch versorgt oder sozial betreut werden müssen. Auf Mecklenburg-Vorpommern runtergebrochen sind das etwa 310.000 bis 320.000 Menschen. Die Zahl der Kinder mit Hörproblemen wird bundesweit auf 200.000 bis 250.000 Kinder geschätzt. So weit einiges zur rein quantitativen Dimension der Einschränkung der Hörfähigkeit in Bezug zur Gesamtbevölkerung.
Die Menschen mit Hörproblemen erwarten und ihre Verbände, zum Beispiel der Landesverband der Schwerhörigen und der Ertaubten in Mecklenburg-Vorpommern und der Gehörlosen Landesverband, fordern von der Poli
tik und von der Verwaltung, dass ihre Behinderungen endlich richtig verstanden und daraus die nötigen Konsequenzen gezogen werden. Ich zitiere aus einem Schreiben des Landesverbandes des Schwerhörigenbundes vom Mai ’98: „Wir möchten vor allem wissen, was wird in Mecklenburg-Vorpommern getan, um die gleichberechtigte Teilhabe auch schwerhöriger Menschen am sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben zu sichern.“ Und um ihre Ansprüche zu konkretisieren, hat der Landesverband des Schwerhörigenbundes dem oben zitierten Schreiben gleich einen Forderungskatalog beigelegt.
Ein Blick zurück zeigt übrigens, dass diese und ähnliche Forderungen des Landesverbandes schon in einem Schreiben von ’94 formuliert wurden und letztlich auch in einer Diskussionsrunde im Oktober ‘99, an der ja auch mehrere Landtagsabgeordnete in Neubrandenburg teilgenommen haben, ebenfalls wieder erhoben wurden.
Also das, was aus Sicht der betroffenen Menschen und ihrer Verbände zu tun wäre, ist eigentlich klar. Das sage ich wohlwissend auch im Hinblick darauf, dass nicht alle Wünsche und Forderungen der schwerhörigen, ertaubten und gehörlosen Menschen sofort und in vollem Umfang erfüllt werden können. Und da wären wir wieder beim vorliegenden Antrag. Welches Anliegen, meine Damen und Herren von der Koalition, verfolgen Sie mit Ihrem Antrag? Wohin soll er führen? Was soll das Konkrete sein?
Es kann doch nicht in der Bestandsaufnahme über die aktuelle Situation von hörgeschädigten Menschen in Mecklenburg-Vorpommern liegen.
Es existieren in unserem Bundesland, und das wage ich in Anbetracht der vielen Schreiben einfach zu behaupten, keine gravierenden Informationsdefizite, was die Situation der Schwerhörigen, Gehörlosen und Ertaubten in Mecklenburg-Vorpommern anbelangt. Verstehen Sie mich nicht falsch! Ich habe nichts gegen Berichte, auch nichts gegen die Berichterstattung, die mit dem vorliegenden Antrag initiiert werden soll. Eine solche Berichterstattung erlaubt der Landesregierung, eigene Impulse und Initiativen von Zeit zu Zeit an der Wirklichkeit zu überprüfen und gegebenenfalls zu korrigieren. Nur, meine Damen und Herren, das setzt voraus, dass von der Landesregierung in Sachen Behinderten- und Integrationspolitik Impulse und Initiativen ausgegangen wären.
Das Integrationsförderratsgesetz ist nach vielem Hin und Her endlich auf den parlamentarischen Weg gebracht. Es ist weder Fisch noch Fleisch und bringt die eigentliche Aufgabe, die Integration behinderter Menschen in die Gesellschaft, wenn überhaupt, so doch nur millimeterweise voran.
Die Landesregierung, speziell das Sozialministerium, verlässt mit dem Integrationsförderratsgesetz den Weg des aktiven Handelns für die Belange der Behinderten und begibt sich zurück auf den Weg des reinen Diskutierens.
Das einzig Greifbare für die Interessenvertreter der gehörlosen, ertaubten und schwerhörigen Menschen wäre ein Platz im Integrationsförderbeirat. Allerdings, das ist mehr als nichts, aber diese Mitsprache dort wird wohl weniger zur Lösung der konkreten Probleme der betroffenen Personengruppen beitragen können. Leider, kann man da nur sagen, denn Behindertenpolitik ist nun mal nicht zum Nulltarif zu haben.
(Heike Lorenz, PDS: Da reden Sie wider besseres Wissen. Für Selbsthilfe ist so viel eingestellt worden. Das kann man nicht einfach ignorieren.)
Meine Damen und Herren, es hat den Anschein, als sollen die berechtigten Forderungen und Anliegen hörgeschädigter Menschen auf die lange Bank geschoben werden. Die Koalitionsfraktionen fordern die Landesregierung auf, den Bericht über die aktuelle Situation von Menschen mit Hörschädigungen dem Land erst in einem Jahr vorzulegen. Das ist viel zu lange.
Daher bringt die CDU-Fraktion einen Änderungsantrag ein, der diese Frist auf ein halbes Jahr verkürzen soll. Wenn in der Begründung des Antrages steht: „Weiterhin soll der Bericht die Basis bieten, um weitere Verbessungen für Präventionsmaßnahmen sowie die Integration Hörbehinderter in unserer Gesellschaft zu erreichen“, so heißt das doch nichts anderes, als dass die Forderungen des Schwerhörigenbundes im Brief vom 06.08., der an alle Fraktionen gegangen ist, weitestgehend ignoriert werden sollen. Sie sollen auf Eis gelegt werden, um frühestens in einem Jahr wieder darüber zu diskutieren.
was die inhaltliche Auseinandersetzung und die Umsetzung der Forderungen des Schwerhörigenbundes und des Gehörlosen Landesverbandes anbelangt.
(Beifall Harry Glawe, CDU – Torsten Koplin, PDS: Und unwahr ist es außerdem. – Angelika Gramkow, PDS: Glauben Sie Ihre Unverschämtheiten eigent- lich selber? – Zuruf von Heike Lorenz, PDS) Das hören Sie gleich, Frau Gramkow. Diese Sache wäre dann allerdings nur die konsequente Fortsetzung dessen, was Frau Koburger als Antwort auf ihre Kleine Anfrage auf Drucksache 2/3787 erhalten hat. Frau Koburger fragte damals, welche sachlich-rechtlichen Hinderungsgründe die Landesregierung sieht, die einem Gehörlosengeldgesetz entgegenstehen. Die Antwort der Landesregierung lautete: „Auf Grund der außerordentlich angespannten Finanzsituation sieht die Landesregierung zur Zeit keine Möglichkeit, Gesetzentwürfe mit zusätzlichen Leistungen auf den Weg zu bringen.“ (Zurufe von Harry Glawe, CDU, und Torsten Koplin, PDS)
Meine Damen und Herren, die Landesregierung antwortet nicht nur speziell nach dem abgefragten Gehörlosengeldgesetz,
sondern gleich ganz allgemein, es wird keine Gesetzentwürfe mit zusätzlichen Leistungen für die Behinderten geben.
An der Finanzsituation, meine Damen und Herren, hat sich wohl in den gut anderthalb Jahren nichts Gravierendes geändert. Was, Frau Ministerin Dr. Bunge, wollen Sie an substantieller Förderung der Integration von behinderten Menschen, speziell Hörgeschädigter, in Ihrer Amtszeit auf den Weg bringen?
Ich nenne nur mal einige Stichworte aus dem umfangreichen Forderungskatalog der Verbände, die über Jahre hinweg vorgetragen wurden. Einiges wurde hier schon von Frau Bretschneider genannt: Gehörlosengeld analog dem Blindengeld zum Beispiel,
Anerkennung der Gehörlosensprache, staatliche Finanzierung von Gebärdendolmetschern, Abbau von Kommunikationsbarrieren, Ablehnung von Festbeträgen und Reparaturpauschalen für Hörgeräte und die Finanzierung von Schwerhörigenberatungsstellen. Und die Liste ließe sich noch weiter fortsetzen. Hier, Frau Dr. Bunge, sind Sie als Sozialministerin gefragt. Nutzen Sie Ihr Amt und damit auch Ihren Einfluss, um hier in der Sache substantielle Erleichterungen für die schwerhörigen und gehörlosen Menschen auf den Weg zu bringen.
Was nützt den Betroffenen, was nützt auch uns, dem Parlament, und der Landesregierung ein neuer Bericht über die Situation der Hörgeschädigten, wenn aus Mangel an finanziellen Mitteln davon nichts oder nur wenig umgesetzt werden kann? Eine kostenneutrale Integrationsförderung, Frau Ministerin, ganz gleich, welche Gruppe der Behinderten Sie auch nehmen, wird es nicht geben. Es ist Ihre originäre Aufgabe, dafür zu sorgen, tragfähige, inhaltlich ausgereifte Integrationskonzepte auf den Weg zu bringen und vorzulegen und auch für die nötigen finanziellen Mittel zu sorgen. Beides ist gleich wichtig. Es ist halt wie beim Arzt: In der Regel nützt Diagnose ohne Therapie auch wenig.
Meine Damen und Herren, es gibt dringendere und wichtigere Dinge bei der Integration von Behinderten in unserer Gesellschaft zu lösen, als die Regierung zu beauftragen, innerhalb eines viel zu langen Zeitraumes von einem Jahr dem Landtag einen Bericht über die Situation von Menschen mit Hörschädigungen in MecklenburgVorpommern vorzulegen.
dann, denke ich, ist die Landesregierung im Interesse ihrer eigenen Handlungsfähigkeit in Sachen Integration von behinderten Menschen willens und auch in der Lage, diesen Bericht bis zum 30. September 2000 zu erarbeiten
(Dr. Ulrich Born, CDU: Die SPD traut Ihnen nichts zu, Frau Ministerin. – Dr. Arnold Schoenenburg, PDS: Ablehnen.)
Meine Damen und Herren, Mecklenburg-Vorpommern ist bekanntlich ein Tourismusland. Wenn mit diesem Antrag die Landesregierung aufgefordert wird, über die Situation von Menschen mit Hörschädigungen umfangreich zu berichten, so sollte die Landesregierung auch den Aspekt, inwieweit die Tourismuskonzepte des Landes auch auf behinderte Menschen, insbesondere hörgeschädigte Menschen zugeschnitten sind, mit in die Berichterstattung aufnehmen.
Meine Damen und Herren, so weit einige Bemerkungen zum vorliegenden Antrag der Koalitionsfraktionen. Ich bitte im Interesse der Behinderten um Zustimmung und um die Verkürzung des Berichterstattungstermins von März 2001 auf September 2000.