Protocol of the Session on October 17, 2018

Unsere Verfassung trifft dazu klare Regeln, und vielleicht wäre es gut gewesen, wenn Sie sich das auch noch einmal angeschaut hätten. In 50.4. Denn es ist auch dafür Sorge zu tragen, und das legt uns eben die Hamburgische Verfassung auf, dass sich die Politik nicht einfach selbst aus der Verantwortung entlassen kann. Ein Preis von über 300 Millionen Euro, die an anderer Stelle sinnvoll eingesetzt werden könnten, steht hier zur Debatte. Sie könnten eingesetzt werden für Schulen, für Kitas, für mehr Sicherheit und moderne Infrastruktur, und deshalb müssen wir heute darüber diskutieren.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Bitte gestatten Sie mir, dass ich doch ein bisschen tiefer einsteige und nicht ganz so an der Oberfläche bleibe, wie das bisher der Fall gewesen ist. Denn Kern allen Übels ist doch das wahltaktische, damalige Versprechen von Olaf Scholz von 950 Millionen Euro Mindestpreis für das restliche Fernwärmenetz. Das haben wir damals zusammen sehr entschieden mit den GRÜNEN kritisiert, und wir sehen uns heute voll bestätigt.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der FDP)

950 Millionen Euro Preisgarantie für ein Netz, das heute noch 645 Millionen Euro wert ist. Von wegen ehrliche Makler und solide Hanseaten, mittlerweile hat man das Gefühl, bei Rot-Grün geht es zu wie auf einem Basar.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der FDP)

Und es war nicht nur Herr Scholz, der aus Wahlkampfgründen ein Milliardenversprechen abgegeben hat. In dieser Debatte haben Sie, Herr Tschentscher, als damaliger Finanzsenator sich wie folgt eingelassen – ich zitiere:

"Dass die Mindestpreise trotz der gerade erstellten Wertgutachten so niedrig sind, ist ein bemerkenswerter Verhandlungserfolg für die Stadt."

(Dennis Thering CDU: Ach!)

Was für eine grandiose politische Fehleinschätzung, muss man heute sagen.

(Beifall bei der CDU)

Dazu kommt dann noch die damalige Aussage Ihres Sprechers, der, glaube ich, heute auch noch für Sie tätig ist, es gäbe eigentlich nur eine Situation, nur eine Situation, in der der Wert des Unternehmens unter den Mindestpreis sinken könne, und zwar – hören Sie genau zu –, wenn Sie die grünen Konzepte eines Fernwärmegesetzes umsetzen würden. Genau das ist passiert.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

(Erster Bürgermeister Dr. Peter Tschentscher)

Genau das ist passiert.

Und jetzt versuchen Sie, uns das alles schönzurechnen und schönzureden. Da gab es jetzt für Sie nur noch einen Ausweg. Wie sah der aus? So lange teure Gutachten erstellen zu lassen, bis ein passendes dabei ist. Die Bewertung des Fernwärmenetzes hat im ersten Gutachten durch die renommierte Wirtschaftsprüfungsgesellschaft BDO sechs Monate gedauert. Dabei lagen BDO alle für die Bewertung relevanten Informationen vor, einschließlich die der Fernwärmegesellschaft. Sie konnten in jede Schublade schauen. Das Ergebnis: ein Wert von 645 Millionen Euro. Die anschließende Querprüfung durch die ebenfalls renommierte Prüfungsgesellschaft PwC ist zu demselben Ergebnis gekommen.

Jetzt kommt der von Kerstan neu beauftragte Gutachter um die Ecke, setzt neue Prämissen an und verkündet nach wenigen Wochen, das Netz sei plötzlich 1,1 Milliarden Euro wert. Wer soll Ihnen das glauben?

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Aber das zeichnet doch einen guten Gebrauchtwagenhändler aus, der hat immer das passende Gutachten in der Tasche, Herr Kerstan.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der FDP)

Was nicht passt, wird passend gemacht, und in dieser Dimension haben wir das in Hamburg so nicht erlebt. Und ich finde, gerade nach unseren gemeinsamen Erfahrungen als Parlament, wie verschiedene Senate mit der Elbphilharmonie, mit der HSH Nordbank umgegangen sind, hätte so etwas nicht wieder passieren dürfen.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der FDP)

Jetzt peitschen Sie dieses Verfahren wieder innerhalb weniger Tage durch das Parlament,

(Farid Müller GRÜNE: Sind schon noch ein paar Wochen!)

und in naher Zukunft unterhalten wir uns dann wieder, wie es dazu kommen konnte und welche Untersuchungsausschüsse das alles aufarbeiten müssen. Das ist nicht die richtige Vorgehensweise. Das Prinzip des vorsichtigen Kaufmanns treten Sie mit Füßen auf diese Art.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der FDP)

Herr Kerstan, ich mache Ihnen persönlich dabei gar keinen Vorwurf. Die GRÜNEN wollten den unverzüglichen, vollständigen Rückkauf der Fernwärme ohne Rücksicht auf die Landeshaushaltsordnung, EU-Beihilfeverfahren oder finanzielle Konsequenzen in der Zukunft.

(Heike Sudmann DIE LINKE: So ein Quatsch!)

Ohne Rücksicht auf Verluste. Hier wird eine grüne Agenda mit Ansage durchgesetzt, koste es, was es wolle, im wahrsten Sinne des Wortes.

Enttäuscht bin ich von Ihnen, Herr Tschentscher, und insbesondere von Ihnen, Herr Dressel, denen ich mehr Vorsicht und Seriosität zugetraut hätte. Und enttäuscht bin ich insbesondere von der SPD, die sich hier immer als soziales Korrektiv verstanden hat. Es geht doch immerhin um Wohnkosten für zig Tausende SAGA-Mieter. Dass gerade die SPD bei der Energiewende nicht mehr die sozialen Fragen in den Blick nimmt, und damit meine ich die Bezahlbarkeit der Fernwärme auch in Zukunft für alle Bürgerinnen und Bürger, das ist auch ein Grund für den Niedergang der ehemals stolzen Volkspartei SPD.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der FDP – Dirk Kienscherf SPD: Das müssen Sie gerade sagen hier in Hamburg!)

Es gibt nun also zwei neue Annahmen, die den Unternehmenswert jetzt geradezu plötzlich explodieren lassen. Das eine ist die Fortsetzung der KWK-Förderung, Kraft-Wärme-Kopplung, die nach heutigem Stand demnächst auslaufen wird. Selbst wenn die Verlängerung kommen sollte,

(Dr. Monika Schaal SPD: Da fragen Sie mal bei Bundesminister Altmaier nach!)

bis 2025 oder bis 2030, kann das doch nicht die Grundlage sein für eine so langjährige Unternehmensbewertung. Und deshalb streicht Ihnen PwC an ihrem unter Vorsichtsgesichtspunkten erstellten Gutachten diese 155 Millionen Euro auch wieder raus. Aber Sie stützen sich trotzdem auf eine finanzielle Entscheidung im Milliardenbereich. Wie unseriös ist eine solche Annahme.

(Beifall bei der CDU – Dr. Monika Schaal SPD: Ja, wie unseriös ist dann Ihre Argu- mentation!)

Die zweite entscheidende Annahme besteht in den Synergien und Vorteilen der Eingliederung des Netzes in die HGV, die Hamburger Gesellschaft für Vermögen.

Fakt ist, im Rahmen von Unternehmenszusammenführungen werden rund 80 Prozent der erwarteten oder versprochenen Synergien am Ende nicht gehoben. Und dabei sind meist Effizienzmaßnahmen beim Personal schon eingerechnet, die Sie zu Recht ausschließen. Die Berührungspunkte zwischen Wärme sowie Strom und Gas sind gering, technische Überschneidungen gibt es nicht, weil ein Fernwärmenetz etwas völlig anderes ist als ein Strom- oder Gasnetz. Synergien klingen immer gut, am Ende kommt aber dabei meist wenig heraus, und deshalb sage ich auch, wie unseriös eine solche Annahme ist.

(Beifall bei der CDU)

Sie müssen sich dann schon die Fragen gefallen lassen. Wenn diese Annahmen angeblich so wichtig sind und so richtig sind, warum waren sie nicht schon gleich im ersten Gutachten enthalten? Und warum kommt dann das neue Parallelgutachten der Finanzbehörde wieder auf einen anderen Wert mit maximal 905 Millionen Euro? Und wann kommt eigentlich das nächste Gutachten, fragt man sich. Wie viel Geld werden Sie am Ende für diese Gutachten ausgegeben haben? Wie unseriös ist das alles?

(Beifall bei der CDU und bei Anna-Elisabeth von Treuenfels-Frowein FDP)

Ich billige Ihnen doch zu, dass es unterschiedliche Vorstellungen zu den Renditeerwartungen in Umwelt und Finanzbehörde geben kann, aber um Gottes willen, warum schaffen Sie es denn nicht vorher, sich auf eine gemeinsame Grundlage zu einigen? Das ist doch auch nicht Ihr Geld, das Sie für die Gutachten ausgeben, sondern das ist Steuergeld. Damit muss man auch anständig umgehen.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Und weil Ihnen das selbst im Nachhinein jetzt nicht gelingt, soll die neue Lenkungsgruppe dann sogar unter dem Vorsitz des Bürgermeisters gesteuert werden. Dann haben Sie in einer Pressekonferenz vergangene Woche und heute auch wieder von klimaschonendster Lösung gesprochen. Das ist die Unwahrheit, und Sie wissen das.

(Dr. Anjes Tjarks GRÜNE: Nee, das ist nicht so!)

Fakt ist, mit Ihrer Entscheidung, Moorburg nicht an das Netz anzuschließen und die Wärme einfach sinnlos in die Hamburger Luft zu pusten, bleibt der uralte Kohlemeiler Wedel länger am Netz.

Das ist genauso sinnvoll, wie die Diesel kilometerlange Umwege fahren zu lassen, um die Messstellen zu schützen. Das nützt dem Klima überhaupt nichts.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Ich frage mich, ob das mit Schleswig-Holstein abgestimmt ist.

(Dirk Kienscherf SPD: Da muss Herr Scheu- er mal ein bisschen tätig werden!)

Mit Ihrem gestrigen Senatsbeschluss haben Sie Ihre bisherige Planung auch bereits revidiert, die sah einmal eine Wedel-Abschaltung im Jahr 2022 vor. Jetzt haben Sie beschlossen – ich zitiere:

"voraussichtlich 2024".