Protocol of the Session on September 28, 2016

(Arno Münster SPD: Es ist doch alles schon gesagt worden!)

Ich glaube, es ist wichtig, dass wir uns dort noch einmal ausführlich über die Punkte, auch die kritischen Punkte vonseiten der CDU, unterhalten und zu einem sinnvollen Ergebnis kommen.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank, Frau Hannemann. – Frau Dutschke von der FDP-Fraktion, Sie haben das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Die Integration von zugewanderten Menschen in unsere Gesellschaft ist eine wirklich große Herausforderung – und ich finde, es ist nicht in allen Redebei

(Inge Hannemann)

trägen deutlich geworden, wo wir hier eigentlich vor welcher Aufgabe stehen –, denn wenn wir die Integration nicht schaffen, dann treiben wir einen Keil in unsere Gesellschaft, und das belastet unsere Gesellschaft nachhaltig zutiefst. Es muss allen bewusst sein, dass man dieses Thema wirklich mit der notwendigen Ernsthaftigkeit diskutieren muss.

(Beifall bei der FDP)

Die sicherlich komplexeste und für die Integration entscheidendste Frage ist, wie wir die vielen Menschen, die zu uns gekommen sind, in Arbeit bringen können. Ich will da einmal als Erstes auf die W.I.R-Stichprobe eingehen, weil ich die Zahlen, die dort genannt werden, doch mit etwas mehr Sorge beurteile, als die eine oder andere Vorrednerin es getan hat. Wir haben nur 23 Prozent in der W.I.RStichprobe, die tatsächlich den Abschluss einer akademischen oder beruflichen Ausbildung im Heimatland vorweisen können. Wir haben insgesamt nur 35 Prozent, die über hinreichend verwertbare berufliche Kenntnisse und Erfahrungen verfügen, die man hier verwenden kann. 35 Prozent – das ist ein Bruchteil der Menschen, die hierhergekommen sind, und diese 35 Prozent sind vermutlich diejenigen, die in unserem deutschen Arbeitsmarkt zumindest mittelfristig überhaupt eine Chance haben.

Aber es gehört zu diesen Zahlen nun einmal auch die ernüchternde Wahrheit – und das ist leider die Erkenntnis, die diese Stichprobe uns liefert –, dass der Großteil der Flüchtlinge in unserem System vermutlich keine Perspektive auf ein selbstbestimmtes Leben durch eigene Arbeitsleistung haben wird.

(Farid Müller GRÜNE: Ein bisschen mehr Vertrauen in die Menschen kann man ja ha- ben! – Gegenruf von Dr. Bernd Baumann AfD: Warum denn? Woher?)

Der Senat räumt selbst ein, dass der Hamburger Arbeitsmarkt nicht über ausreichend Potenzial an Hilfstätigkeiten verfügt, wo Menschen ohne spezifische Berufsausbildung den Berufseinstieg schaffen können. Nun, meine Damen und Herren, das ist aber ein hausgemachtes Problem dieser rot-dominierten Bundesregierung, das muss man an dieser Stelle einfach einmal sagen.

(Zurufe von der SPD)

Unser stark überregulierter Arbeitsmarkt ist nämlich der Hauptgrund dafür, dass unqualifizierte Arbeitskräfte langfristig in Überbrückungsmaßnahmen bleiben und Hartz IV beziehen müssen. Für Flüchtlinge stellt sich dieses Problem noch einmal deutlich dramatischer dar, denn es nimmt ihnen die Chancen auf einen schnellen Arbeitsmarktzugang und somit die Chance auf ein selbstbestimmtes Leben ohne Abhängigkeiten. Allein der Mindestlohn führt zu einem Abbau von Helfertätigkeiten und damit …

(Zurufe – Glocke)

Vizepräsidentin Christiane Schneider (unterbre- chend): Frau Dutschke hat das Wort und nur Frau Dutschke.

(Gerhard Lein SPD: Das behält sie auch; Zwischenrufe sind zulässig!)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Allein der Mindestlohn führt zu einem Abbau von Helfertätigkeiten und ist damit einer der Hauptgründe dafür, dass der Großteil der Flüchtlinge in Deutschland jahrelang über staatliche Regelsysteme versorgt werden muss.

(Zurufe)

Herr Schwieger, auf Sie komme ich auch noch zu sprechen.

(Beifall bei der FDP – Zurufe von der SPD: Oh!)

Der Senat spricht das selbst an: Nur Vorbereitung auf qualifizierte Tätigkeiten, Weiterbildung und Ausbildung sind für viele die einzige Chance, überhaupt einen Arbeitsmarktzugang zu finden. Aber wie soll das gelingen, wenn über 43 Prozent der Menschen keinerlei Ausbildung im Heimatland absolviert haben und wenn wir sehen, dass beinah die Hälfte der Menschen bereits zwischen 25 und 35 Jahre alt ist? Mal ehrlich, unser Bildungssystem ist doch überhaupt nicht darauf vorbereitet, Erwachsene in dem Alter und vor allen Dingen in dieser Vielzahl von Menschen, die dann ohne verwertbare Kenntnisse kommen, das zu vermitteln, was Kinder und Jugendliche in jahrelanger Schulund Ausbildung lernen und was bei uns im deutschen Markt abgefordert und erwartet wird.

(Beifall bei der FDP und bei Dr. Bernd Bau- mann AfD – Farid Müller GRÜNE: Was schlagen Sie vor, Frau Kollegin?)

Darf ich ausreden?

(Farid Müller GRÜNE: Kommt ja nichts! Sie verlieren sich in Szenarien, in Horrorszenari- en! – Glocke)

Vizepräsidentin Christiane Schneider (unterbre- chend): Selbstverständlich dürfen Sie ausreden und ich bitte um ein bisschen mehr Ruhe.

Ich verliere mich nicht Horrorszenarien, ich versuche, Ihre Sozialromantik hier mal ein bisschen mehr an die Realität anzupassen.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU)

Die Realität ist leider, dass jemand, der wenig Bildungserfahrung in seinem Leben gesammelt hat,

es umso schwerer hat, überhaupt die deutsche Sprache zu erlernen, überhaupt zu lernen, wie wir in unserem Ausbildungssystem arbeiten, wie unser Bildungssystem funktioniert. Das fällt doch nicht einfach vom Himmel.

(Farid Müller GRÜNE: Das hat ja keiner ge- sagt!)

Das ist eine riesige Herausforderung, und die muss man erst einmal anerkennen, und das tun Sie nicht.

(Beifall bei der FDP und bei Dr. Bernd Bau- mann AfD und Karin Prien CDU – Zuruf von Farid Müller GRÜNE)

Wir müssen uns darauf einstellen, dass ein Großteil der Menschen das erforderliche Sprachniveau auch mit den Sprachkursen nicht erreichen kann und dass es deshalb umso schwieriger ist, diese Leute überhaupt so weit zu bringen, dass sie in unseren Arbeitsmarkt kommen. Und wenn Frau Demirel anspricht, dass die Leute hier ja alle hervorragende Grundkenntnisse in Deutsch vorwiesen – wenn man mit der W.I.R-Studie in die Sprachkurse geht und nach Probanden sucht und in der Stichprobe Leute sind, die überwiegend schon Sprachkurse gemacht haben, dann ist es auch kein Wunder, dass dort Leute sind, die schon Deutschsprachkenntnisse haben.

(Beifall bei der FDP und bei Dr. Bernd Bau- mann AfD und Karin Prien CDU)

Wir müssen dahin kommen, dass wir uns Gedanken darüber machen, wie wir das Ganze nachhaltig gestalten können. Selbst diejenigen, die es schaffen, durch die Sprachkurse zu gehen und durch Aus- und Fortbildung an den Punkt zu kommen, an dem sie bei uns in den Arbeitsmarkt integriert werden können, sind vielfach wahrscheinlich erst dann an dem Punkt, hier Arbeit zu finden, wenn sich die Lage in ihren Heimatländern stabilisiert hat und sie wieder zurückkehren können. Das ist nun einmal ein jahrelanger Prozess, und da kann man nicht einfach so tun, als sei das Problem von heute auf morgen gelöst.

(Farid Müller GRÜNE: Das hat ja auch nie- mand gesagt!)

Der Umkehrschluss darf dann aber auch nicht sein – und, Frau Hannemann, da bin ich vor allen Dingen bei Ihnen –, dass man unser System infrage stellt und Niveaus von Aus- und Weiterbildungen oder von Sprachanforderungen für Flüchtlinge absenken will. So ein Passus steht nämlich auch in Ihrer Pressemitteilung, die Sie an dem Tag, an dem Sie das W.I.R-Programm vorgestellt haben, verschickt haben. Wenn Sie formulieren, dass rein formale Qualifikationen nach klassisch deutschen Maßstäben nicht der einzige Maßstab sein dürften, dann kann ich nur hoffen, dass Sie damit nicht un

ser Qualifikationsniveau der dualen Ausbildung infrage und zur Disposition stellen.

(Beifall bei der FDP und der AfD – Farid Müller GRÜNE: Kommen jetzt noch Vor- schläge?)

Die Lösung der Integration …

(Glocke)

Vizepräsidentin Christiane Schneider (unterbre- chend): Entschuldigen Sie, Frau Dutschke. Erlauben Sie eine Zwischenfrage oder eine Zwischenbemerkung der Kollegin Demirel?

Nein, ich möchte endlich einmal ausreden. – Die Lösung der Integration von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt ist einfach in weiterer Ferne, als wir das gern hätten. Wenn Sie sehen – und das steht in Ihrer Senatsdrucksache drin –, dass rund 11.500 Arbeitssuchende mit Kontext Fluchtmigration zum 30. Juni dieses Jahres in Hamburg registriert waren, dann muss Ihnen allen doch klar sein, dass die starre Regulierung des Arbeitsmarkts der falsche Weg war, um 1000 Geringqualifizierte mit unzureichenden Deutschkenntnissen in Arbeit zu bringen.

Wir haben schon in der letzten Legislaturperiode ein Modellprojekt gefordert. Es ging um eine Tagesjobbörse für Geringqualifizierte und Langzeitarbeitslose und darum, dass man sich Gedanken darüber macht, wie man diese Menschen fördern kann, die eben auch nicht unbedingt für den ersten Arbeitsmarkt qualifiziert sind. Sie haben das leider abgelehnt, so wie Sie auch den Niedriglohnsektor in Gänze verurteilen, dessen Fehlen aber genau das Problem ist, das wir haben. Die Situation macht deutlich, dass auch Senat und Bundesregierung sich im Hinblick auf die Arbeitsmarktflexibilisierung bewegen müssen, wenn die Arbeitsmarktintegration der vielen Flüchtlinge, die im letzten Jahr nach Deutschland gekommen sind und die immer noch nach Deutschland kommen, gelingen soll.

Aber die Entwicklungen auf Bundesebene zeigen auch Erfreuliches, vor allen Dingen, wenn man sieht, dass nun auch dieser Senat sich politisch für das Richtige entscheidet, dass Sie hier noch abgelehnt haben, als es auf FDP-Antrag eingebracht wurde. Ich beziehe mich dabei insbesondere auf die Aussetzung der Vorrangprüfung und auf die Sicherheit für Auszubildende, ihre Ausbildung auch beenden zu können. Ich finde lustig, Herr Schwieger, dass nun ausgerechnet Sie sich hinstellen und die Aussetzung der Vorrangprüfung abfeiern, wo Sie, als ich hier in einer meiner ersten Bürgerschaftsreden einen Antrag vorgestellte, in dem wir die Abschaffung der Vorrangprüfung forderten, das Ganze noch als Arbeitnehmerentrechtung verteu

felt hatten. Das ist wirklich sehr amüsant. Man sieht, dass sogar Sie noch dazu in der Lage sind, Einsicht zu zeigen. Das macht Hoffnung.

(Beifall bei der FDP und bei Karin Prien CDU – Glocke)

Vizepräsidentin Christiane Schneider (unterbre- chend): Erlauben Sie, Frau Dutschke, eine Zwischenfrage oder Zwischenbemerkung des Abgeordneten Schwieger?

(Jens-Peter Schwieger SPD: Schade!)