Protocol of the Session on June 29, 2016

Gleichzeitig sind Sie noch nicht einmal so ehrlich zu sagen, dass Sie auch das Elternwahlrecht anfassen. Denn dann müssen Sie den Eltern erklären, dass ihr Kind leider nicht für das Abitur geeignet sei. Das ist meiner Meinung nach unehrlich und auch ein elitäres Denken, das sich dadurch offenbart.

(Anna-Elisabeth von Treuenfels-Frowein FDP: Die Rede haben Sie doch schon vor einem Jahr geschrieben! Das habe ich doch gar nicht gesagt!)

Das ist ein Schlag ins Gesicht für die Stadtteilschulen.

(Michael Kruse FDP: Ihre Schulpolitik ist ei- ne Schande für die Stadt!)

Wenn Sie über Monate und Jahre schreiben – und das tut seine Wirkung, Worte sind mächtig –, dass es nicht das Abitur ist, was angestrebt wird, sondern das Abitur vielmehr ein Zufallsprodukt ist, dann muss ich Sie einmal fragen, ob die Tausenden Abiturientinnen und Abiturienten von den Stadtteilschulen im Jahr ein Zufallsprodukt sind. Ich finde nicht.

(Beifall bei den GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD)

Aber die CDU ist da auch oft nicht viel besser. Da wurde immer wieder implizit der Zweifel am Wert des Abiturs an der Stadtteilschule laut. Immer wieder wird der Wert des mittleren Schulabschlusses an der Stadtteilschule infrage gestellt, als ob das keine richtigen Abschlüsse sind.

(Karin Prien CDU: Worüber reden Sie ei- gentlich? Gehen Sie doch einmal ein auf die Argumente!)

Ich habe alle Ihre Pressemitteilungen studiert und auch mit Eltern geredet. Das ist sehr deutlich, was da herauskommt.

Und dann sagen Sie, sie sollen sich doch einmal auf Rechnen, Schreiben, Lesen konzentrieren. Das sind Grundschulaufgaben und nicht Stadtteilschulaufgaben. Das ist den Stadtteilschulleitungen gegenüber eine ziemliche Frechheit.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Wo ich gerade dabei bin, Frau Boeddinghaus, ich finde, dass Sie mit Ihrer Pressemitteilung die Schulen und auch die Stadt vor eine erneute Zerreißprobe stellen. Und ich muss Ihnen ehrlich sagen: Wir sind dafür nicht die Bündnispartnerinnen

und Bündnispartner. Sie machen tatsächlich dieses Positionspapier im Moment zu einem Spielball der Politik. Ich finde das unverantwortlich, denn wir wissen alle, dass vor sechs Jahren ein Volksentscheid gescheitert ist, den wir einfach einmal zur Kenntnis nehmen müssen. Wir haben gesagt, dass wir einen Schulfrieden schließen, damit die Schulen die zehn Jahre in aller Ruhe nutzen können, um sich zu entwickeln, ohne dass das Damoklesschwert der Schulstrukturreform über ihnen hängt.

Ich kann Sie alle nur auffordern, diesen Schulstrukturfrieden zu nutzen. Das heißt nicht, dass es Grabesruhe ist.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Wir, die beiden Regierungsfraktionen, sehen die Stadtteilschulen als Schulen, die für alle Kinder da sind. Das tun sie bereits. Wir sehen Stadtteilschulen als die Schulen, die alle Schulabschlüsse anbieten. Wir sehen Stadtteilschulen als die Schulen, die die Vielfalt der Kinder nicht als Last wahrnehmen, sondern als Chance. Ja, sie haben sehr viel breitere Aufgaben als die Gymnasien, sie müssen tatsächlich sehr viel mehr leisten. Und es ist tatsächlich Aufgabe der Politik, dafür zu sorgen, dass Stadtteilschulen dazu befähigt werden. Wir müssen sehr ernsthaft mit den Stadtteilschulleitungen in Gespräche gehen.

Ich sehe das Positionspapier übrigens nicht als Misstrauensvotum. Ich habe das nicht so verstanden, auch nicht als ich mit den Stadtteilschulleitungen gesprochen habe. Es ist ein Gesprächsangebot. Und dieses Angebot werden wir sehr gern wahrnehmen und mit allen Beteiligten – übrigens auch mit Grundschulen und Gymnasien, denn das Schulsystem ist durchaus ein Prinzip der kommunizierenden Röhren – sehr gern sprechen. Und ich verspreche Ihnen, dass wir zu konstruktiven Lösungen kommen werden. – Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Frau Boeddinghaus von der Fraktion DIE LINKE bekommt das Wort.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich verstehe Sie, Frau Duden, dass Sie sagen, die Debatte ist hier schon öfter geführt worden. Ich für meinen Teil könnte Ihre Reden mittlerweile eigentlich auch halten.

(Milan Pein SPD: Das machen Sie mal!)

Aber wir haben eine neue Qualität in der Debatte. Und es ist angeklungen, es ist dieses Positionspapier. Ich finde jedoch, dass der Inhalt dieses Papiers viel zu wenig Niederschlag gefunden hat in Ihrer aller Reden.

(Beifall bei der LINKEN)

(Dr. Stefanie von Berg)

Und ich finde es auch nicht sehr überzeugend, wenn die FDP und die CDU versuchen, dieses Papier in gewisser Weise für sich zu vereinnahmen.

(Karin Prien CDU: Und was machen Sie mit dem Papier?)

Denn wenn man es einmal durchliest, dann sind die Lösungswege, die die Stadtteilschulleitungen vorschlagen, diametral unterschiedlich zu dem, was FDP und CDU vorhaben.

Und, Frau von Berg, es ist zu viel der Ehre, wenn Sie meinen, ich würde etwas anzetteln in der Stadt. Ich darf Ihnen einmal aus dem Positionspapier zitieren:

"Wir Schulleiterinnen und Schulleiter der Hamburger Stadtteilschulen sind überzeugt, dass die Herausforderung in unserer Stadt, eine moderne vielfältige Gesellschaft zu leben, die sozialdemokratisch gerecht und chancenreich ist, mit der einen Schule für alle Schülerinnen und Schüler bewältigt werden kann."

Und weiter unten steht …

(Glocke)

Erzählen Sie ruhig zu Ende und überlegen Sie sich bitte, ob Sie eine Zwischenfrage von Frau von Berg zulassen.

Weiter unten steht:

"Mit dem Schulfrieden wurde in Hamburg ein politisches Stillhalteabkommen abgeschlossen. Dabei wurden die Kinder und Jugendlichen unserer Stadt aus dem Blick verloren."

Genau das meine ich auch. Und ich möchte jetzt gern weiterreden. Wir haben ja nachher noch einmal die Gelegenheit zur Debatte.

Ich finde es ziemlich eklatant, wie jetzt auf diesen Appell reagiert wird. Der Schulsenator sagt nicht etwa, dass er dieses Papier ernst nehme, dass er anerkenne, dass es eine klare, eindeutige Analyse und ein Ziel hat, aber auch Lösungswege aufzeigt; dass er anerkenne, dass sich die Schulleitungen starkmachen für ihre Schule. Denn sie reden ihre Schule nicht schlecht. Man hat fast das Gefühl, den Schulleitungen wird unterstellt, dass sie ihre eigene Schulform schlechtreden, indem sie das Thema in die öffentliche Debatte bringen. Nein, das Gegenteil ist der Fall. Wir haben Expertinnen und Experten, die jeden Tag mit großem Engagement und Herzblut für diese Schulform eintreten und sich mit sehr unterschiedlichen Kindern auseinandersetzen und sie wirklich fördern wollen. Und der Schulsenator zeigt in seiner Pressemitteilung nur die einzige Reaktion, er sagt:

"Hamburgs Gymnasien und Stadtteilschulen sind bei Eltern und Kindern beliebt und auf einem guten Weg."

Punkt. – Also wenn das jetzt bedeuten soll, dass Sie dieses Positionspapier ernst nehmen …

Ich muss noch ein weiteres Zitat von Ihnen vorlesen. Die Schulleitungen schreiben, dass sie es nicht mehr akzeptieren können, dass eine immer kleiner werdende Gruppe von Schülerinnen und Schülern, die zunehmend sozial ausgelesener ist – das müssen wir doch einmal zur Kenntnis nehmen, dass das so ist – und mit sich selbst sehr viel zu kämpfen hat, noch die Kraft haben soll, fast die gesamte Inklusion zu stemmen und eine Mehrzahl von geflüchteten Kindern und Jugendlichen auch noch zu integrieren. Wie soll das funktionieren? Darauf erwarte ich fundierte Antworten.

(Beifall bei der LINKEN und bei Anna-Elisa- beth von Treuenfels-Frowein und Carl-Edgar Jarchow, beide FDP)

Was macht der Senator laut Zitat in der "Welt":

"'In keinem anderen Bundesland sagen die Lehrer und Schulleiter, dass sie es ungerecht finden, dass sie sich mit diesen Schülern befassen müssen' […] Auch Kinder, die vielleicht nicht das Abitur schaffen, seien doch 'freundliche Kinder, mit denen man einen tollen Unterricht machen kann'. Und er wolle doch gern mal wissen, wer sich ausgedacht habe, Flüchtlinge als Last zu bezeichnen. 'Ich kann mir den Unterricht mit Flüchtlingen als ausfüllende und spannende Aufgabe vorstellen.'"

Ich finde das wirklich zynisch, auf diese Weise auf den Appell der Schulleiterinnen und Schulleiter zu reagieren. Denn sie machen genau das, sie bekennen sich zu ihrer Schulform, sie kämpfen für ihre Schulform. Sie sagen aber mit diesem Positionspapier, dass das Zwei-Säulen-Modell in einer Sackgasse steckt. Sie haben den Maulkorb abgelegt und gehen in die Öffentlichkeit. Und sie verdienen mehr als solche Zitate, Herr Schulsenator.

(Beifall bei der LINKEN und vereinzelt bei der FDP)

Sie werden sich sicher hier zu Wort gemeldet haben. Ich gehe nicht davon aus, dass Sie ein bösartiger Mensch sind. Denn im Grunde spricht Ihr Vorgehen für eine schiere Verzweiflung. Sie wissen in Ihrer Behörde sehr genau, dass das Zwei-SäulenModell in einer Sackgasse steckt und es nicht einfach Lösungen par ordre du mufti gibt, indem man sagt: Liebe Stadtteilschulen, bei all den Herausforderungen, denen ihr euch stellen müsst, seht einfach zu, dass ihr auch die leistungsstarken Schüler fördert. – Ja, gern. Dann sollen sie aber erst einmal kommen.

Wie aber motivieren Sie, Herr Schulsenator, die Eltern, ihre Kinder auch an der Stadtteilschule anzumelden? Das geht nicht einfach per Federstreich. Und dann die Schulleitungen so zu deformieren, das finde ich wirklich sehr, sehr bitter.

(Beifall bei der LINKEN und bei Anna-Elisa- beth von Treuenfels-Frowein FDP)

Überdies können Sie mir noch diese Frage beantworten: Wenn es Ihrer Meinung nach eine derart tolle Arbeit ist, warum machen nicht die Gymnasien diese Arbeit? Warum fangen Sie denn nicht endlich einmal an nachzudenken, dass im 21. Jahrhundert, im Zeichen von Inklusion, alle Schulen sich mit diesen Herausforderungen auseinandersetzen müssen?

(Beifall bei der LINKEN – Glocke)

Ich kann es nicht verstehen, und ich erwarte von Ihnen, dass Sie sich damit ernsthaft auseinandersetzen. Alles Weitere in der zweiten Runde. – Danke schön.

(Beifall bei der LINKEN)