Protocol of the Session on September 30, 2015

(Zuruf von Jörg Hamann CDU)

Migration ist kein starrer, sondern ein dynamischer Prozess, es entwickelt sich auch. Erstens das, und zweitens kann ich Sie beruhigen: Die Spätaussiedler können sich auch zur Wahl stellen, und sie haben sehr gute Chancen, in den Integrationsbeirat gewählt zu werden.

(Beifall bei Ksenija Bekeris SPD)

Deshalb sehe ich keinen Sinn darin, die Spätaussiedler als homogene Gruppe zu betrachten. Vor allem auch in Anbetracht der Migrantinnen und Migranten, die in der Stadt leben und neu in die Stadt kommen, ist es wichtig, dass man den Beirat in der Konzeption weiterentwickelt.

Insgesamt verstehe ich an diesem Antrag der CDU vor allem eines nicht. Warum kommen Sie erst jetzt damit? Heute läuft die Wahl zum Integrationsbeirat aus, heute ist der letzte Tag. Sie hätten doch früher mit diesem Antrag kommen können. Warum kommen Sie erst jetzt? Es hat Gespräche gegeben, die Wahl läuft heute aus. Sie kommen sehr spät, und auch die Begründung, die Sie dafür geliefert haben, ist nicht nachvollziehbar. Deshalb lehnen wir Ihren Antrag ab.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort bekommt nun Frau Demirel von der GRÜNEN Fraktion.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Meine Damen und Herren von der CDU, ich weiß nicht, entweder fehlt es Ihnen an Themen, oder Sie sind inhaltlich nicht auf dem aktuellen Stand. Wie Herr Abaci eben gesagt hat, ist heute der letzte Tag, an dem man den Integrationsbeirat wählen kann. Jetzt ist es vorbei. Einen solchen Antrag hätten Sie viel früher einreichen müssen. Außerdem habe ich die Information bekommen, dass Sie, Herr Hamann, ein Gesprächsangebot von Herrn Krupp erhalten, es aber nicht wahrgenommen haben. Sie haben das Angebot von Herrn Krupp abgelehnt, weil Sie wahrscheinlich unbedingt mit Herrn Scheele reden wollten.

Ich möchte jetzt einige Aspekte Ihres Antrags ansprechen beziehungsweise Begriffe darin nicht so stehen lassen. Vielleicht irre ich mich, aber ich nehme an, dass Herr Haufler Ihren Antrag in dieser Weise formuliert hat. Sie bezeichnen den Beirat in

der neuen Form als abgeschottete Migranteneinrichtung. Sie sollten mit solchen Begriffen lieber vorsichtig sein. Offensichtlich wollen Sie gar nicht akzeptieren, dass sich in dieser Stadt viele Menschen mit Migrationshintergrund sehr erfolgreich für die Teilhabe aller einsetzen und auch in der Lage sind, die richtigen Entscheidungen an den richtigen Stellen zu treffen. An dieser Stelle möchte ich meinen Respekt gegenüber allen Ehrenamtlichen aussprechen, die sich tagtäglich für andere Menschen einsetzen. Wie wertvoll diese ehrenamtliche Arbeit ist, erleben wir auch bei der Versorgung von Flüchtlingen, wofür wir uns nicht oft genug bedanken können.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Noch einmal ein ganz großes Dankeschön an alle Ehrenamtlichen in dieser Stadt.

Ich komme noch einmal zu Ihrem Antrag zurück. Ihre Annahme, liebe CDU, bei der Neubildung des Beirats werde auf die Beteiligung externer Fachleute gänzlich verzichtet, ist schlicht und einfach falsch. Wir GRÜNE haben immer kritisiert, dass die Migrantenorganisationen im Integrationsbeirat keine Entscheidungsbefugnis haben und oft überstimmt werden. Auch die eigene Bewertung und das Resümee zur geleisteten Arbeit des Beirats am Ende der vergangenen Legislaturperiode machen deutlich, dass es in der Struktur des Beirats Verbesserungsbedarf gibt. Dem gehen wir jetzt nach. Auch das ist ein Teil unserer Arbeit, genau hinzusehen, was funktioniert, was nicht gut läuft und wo umgesteuert werden muss. Das ist genau der richtige Weg, den der rot-grüne Senat einschlägt, auch wenn es Ihnen inhaltlich nicht passt, liebe CDU.

Wir wollen, dass der Integrationsbeirat künftig eine viel stärkere Rolle als Vertretungsorgan der migrantischen Community spielt und seine Wahrnehmung durch eine Reihe neuer Maßnahmen und Verbesserungen erhöht wird. Auf die wertvollen Erfahrungen und das Fachwissen der Experten aus verschiedenen Einrichtungen wollen wir nicht verzichten – das ist uns sehr, sehr wichtig. Genau deshalb sollen die Expertinnen und Experten den Integrationsbeirat weiterhin begleiten und unterstützen. Sie werden als beratende Mitglieder weiterhin in den Foren und Arbeitsgruppen tätig sein; auch die Bezirke werden darin eingebunden.

Es stimmt, die Spätaussiedler bilden im neu gebildeten Beirat keine eigene Gruppe mehr. Das kritisieren Sie, zugleich beschreiben Sie oder Herr Haufler aber in Ihrem Antrag, dass es sich hierbei nicht um Ausländer im eigentlichen Sinne handelt, sondern um Deutsche. Im selben Atemzug kritisieren Sie, dass die Türkei für sich ein sogenanntes Kontingent bildet. Wie auch Herr Abaci eben erläutert hat, wissen Sie, dass Spätaussiedler nicht aus einem Land, sondern aus mindestens acht bis zehn Ländern kommen. Für diese acht oder zehn

(Kazim Abaci)

Länder gibt es auch Kontingente, wo sie selbst kandidieren können. Der Integrationsbeirat ist jetzt so konzipiert, dass jeder Mensch mit Migrationshintergrund in Hamburg für den Beirat kandidieren kann und sich nicht von diesen Kontingenten wählen lassen muss. So weit ist das jetzt reformiert. Die Menschen, die aus der Türkei stammen, bilden mit 93 000 Menschen die größte Minderheitengruppe und somit auch ein Kontingent.

(Zuruf: 93 000 im Jahr!)

Wir wollen, dass der Integrationsbeirat funktionsfähiger und repräsentativer wird. Dafür ändern wir einiges in den Strukturen des Beirats. Hier sind wir mit unserem Latein noch nicht am Ende. Deshalb werden wir überprüfen, ob der Beirat in dieser Konstruktion das richtige Organ ist, oder ob die Stadt Hamburg auch andere Strukturen braucht, um die Teilhabe von Menschen mit Migrationshintergrund zu erhöhen. Wir in Europa stehen gerade vor einer großen Herausforderung unserer Geschichte. Täglich nehmen wir Hunderte von Flüchtlingen in Hamburg auf. Der Integrationsbeirat wird sich künftig viel stärker auch mit solchen Themen beschäftigen müssen und nicht nur mit solchen Argumentationen und Anträgen, wie Sie sie hier einreichen. Es macht eigentlich überhaupt keinen Sinn, heute über den Antrag zu diskutieren, weil erstens die Frist abgelaufen ist und zweitens …

(Jörg Hamann CDU: Was hat das mit Fristen zu tun? Sie können das doch jederzeit än- dern!)

Natürlich hat das etwas mit den Fristen zu tun. Heute ist das Wahlverfahren abgelaufen. Herr Hamann, wir sollen unser gesamtes Wahlverfahren ändern, damit Sie zufrieden sind, egal, welche Beschlüsse wir gefasst haben.

(Jörg Hamann CDU: Das ist ein guter An- satz! Jetzt haben Sie es verstanden!)

Genau, das ist Ihr, aber nicht unser Ansatz. Was Sie vorschlagen, ist nicht konstruktiv. Wenn Sie ein echtes Interesse daran hätten, hätten Sie diesen Antrag im vergangenen Monat einreichen sollen. Dann hätten wir vielleicht die Möglichkeit gehabt, darüber zu diskutieren oder ihn gegebenenfalls an den Ausschuss zu überweisen. Aber jetzt macht das überhaupt keinen Sinn.

Deshalb werden wir den Antrag auch nicht überweisen, sondern ablehnen. Was Sie hier erläutern, ist totaler Schwachsinn.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Vielleicht können wir uns darauf einigen, dass der letzte Halbsatz etwas unverständlich war. – Jetzt hat das Wort Frau Boeddinghaus von der Fraktion DIE LINKE.

Ich mache es kurz und bündig. Herr Hamann, Sie müssen sich auch gar nicht aufregen, wenn ich Ihnen jetzt sage, dass wir Ihren Antrag doch eher als einen Lobbyantrag empfinden als einen,

(Kazim Abaci SPD: Richtig!)

der ernsthaft vorhat, den Integrationsbeirat zu stärken.

(Beifall bei der LINKEN und vereinzelt bei der SPD)

Wir haben heute schon gelernt, dass auch in Zukunft Spätaussiedler durchaus die Möglichkeit haben werden zu kandidieren, zum Beispiel in der Gruppe Europa. Von daher müssen wir uns gar nicht so echauffieren. Frau Demirel, mit Freude höre ich, dass Sie bereit sind, durchaus noch Vorschläge aufzunehmen, um den Integrationsbeirat weiterzuentwickeln. Denn er selbst hat im Bericht 2015 bemängelt, dass ihm keine eigenen Ressourcen zur Verfügung stünden, er kein eigenes unabhängiges Büro zur Verfügung habe und es auch angemessene Aufwandsentschädigungen geben müsse. Wir sind gespannt, ob Sie im Lauf der Zeit solche konkreten Forderungen dann auch wirklich umsetzen. Wir selbst haben das schon einmal in einem Antrag gefordert. Ich glaube wirklich, dass es an der Zeit ist, dem Integrationsbeirat die Würde zu verleihen, dass er echte Mitwirkungsrechte, echte Mitbestimmungsrechte mit einem eigenen Budget und einen Integrationsbeauftragten beim Senat bekommt. Uns ist sehr wichtig, Ihnen auf den Weg mitzugeben, dass Sie dafür sorgen, dass auch die Integrationsbeauftragten in den Bezirken dauerhaft finanziert sind und ihre Arbeit machen. Das sieht im Moment anders aus und ist für eine gute Arbeit vor Ort, die vieles bewirkt, sehr schlimm. Es muss sichergestellt sein, dass diese Stellen auch weiterhin finanziert werden. – Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Frau Dutschke von der FDP-Fraktion bekommt nun das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Der Integrationsbeirat wurde übrigens unter Regierungsbeteiligung der FDP mit einer durchaus wichtigen Intention eingerichtet.

(Zurufe von der SPD: Oh!)

Ziel war es – das hat der CDU-Antrag sehr richtig herausgestellt –, nicht nur über Migranten, sondern mit ihnen zu reden. Dass der rot-grüne Senat nun plant, die Vertreter aus Wirtschaft, Wissenschaft und Verwaltung in eine beratende Funktion zu verbannen, zeigt erneut, dass der Senat die aktuelle Situation nicht im Ansatz verstanden hat. Gerade

(Phyliss Demirel)

jetzt wird ein starker arbeitsfähiger Integrationsbeirat gebraucht.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Tausende Flüchtlinge kommen in die Freie und Hansestadt Hamburg und Rot-Grün fällt nichts Besseres ein, als das Gremium, welches zu integrationspolitischen Fragen konstruktiv und kritisch beraten soll, der für das Gelingen von Integration so wichtigen externen Expertise zu berauben. Ich sehe nicht, dass das eine Verbesserung oder eine Stärkung ist. Vielmehr sollte darüber diskutiert werden, wie der Integrationsbeirat in Zukunft gestärkt werden kann, denn der Bericht zum Ende der 20. Legislaturperiode über die Arbeit des Hamburger Integrationsbeirats macht deutlich, dass der Beirat in der vergangenen Legislaturperiode von seiner Möglichkeit, eigene Vorschläge für Maßnahmen zum Integrationskonzept zu unterbreiten, nur unzureichend Gebrauch gemacht hat.

(Kazim Abaci SPD: Wie kommen Sie denn darauf?)

Dem Bericht zufolge war übrigens auch nur eine Minderheit der Beiratsmitglieder davon überzeugt, ihr Recht, Beschlüsse zu fassen, ausreichend genutzt zu haben. Da uns die Integration der vielen Migranten, die bei uns leben, und der vielen Flüchtlinge, die zu uns kommen, vor enorme Herausforderungen stellt, ist ein starker Integrationsbeirat, der seinen Beitrag zur Integration leistet und hierzu deutlich in die Pflicht genommen werden muss, erforderlich. Daher stimmen wir dem CDU-Antrag zu. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Das Wort bekommt nun Herr Dr. Baumann von der AfD-Fraktion.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Die Spätaussiedler, vor allem die Russland-Deutschen, machen in Hamburg 90 000 Menschen aus; das sind fünf Prozent aller Hamburger. Das ist schon eine gewaltige Masse, um die wir uns heute Abend kümmern, und das sollten wir auch nicht leichtfertig tun. Ihre deutschen Vorfahren sind vor Jahrhunderten ausgewandert und haben im Lauf der Zeit, vor allem unter Stalin, zumeist fremde Sprachen angenommen, sodass, wenn sie hierher kommen, ähnliche oder gleiche Probleme haben wie andere Migranten, weswegen sie gerade in diesem Gremium interessant sind. Bei uns im Alltag fallen sie wenig auf, weder in Problemstatistiken sind sie auffällig

(Hildegard Jürgens SPD: Nein, weil sie Deutsche sind!)

noch treten sie in spektakulären Einzelfällen oder Problemlagen in Erscheinung. Sie sind sozusagen ein Musterbeispiel gelungener Integration, auch

wenn sie mit völlig anderer Sprache, meist Russisch, hierher kamen. Sie haben auch deutlich bessere Integrationserfolge. Die Arbeitslosigkeit ist deutlich geringer als bei anderen Migranten, sogar geringer als bei einheimischen Deutschen. Also können diese Leute eine gewisse Erfahrung in die Prozesse, die wir zu bewältigen haben und im Moment so unzureichend bewältigen, einbringen. Warum sollen wir sie nicht stützen und ihnen an entscheidender Stelle Funktionen geben? Sie wollen sich im Integrationsbeirat, den es seit fast 15 Jahren gibt, weiter einbringen. Dort gehören sie zu den gewählten Vertretern, die über verschiedene anerkannte Migrantenorganisationen als eigene Gruppe mit ähnlicher Herkunft, ähnlichem Schicksal und ähnlicher Erfahrung in den Beirat gewählt werden. Das schließt sie zusammen, auch wenn sie nicht alle aus einem Land kommen. Das ist kein Argument dagegen, diese Gruppe als Gruppe zu erfassen und zusammenzufassen. Sie selbst sehen sich als Menschen mit einer gemeinsamen Identität. Warum soll man ihnen das nehmen?

Nach dem Willen des Senats sollen jetzt die Spätaussiedler im Beirat als zusammenhängende Gruppe aufgelöst werden. Sie sollen auf Länderuntergruppen verteilt werden. Ein Teil würde dann bei den Sibiriern auftauchen, bei Kirgisen, Tadschiken und anderen Leuten, die von dort zu uns kommen, oder sie müssen bei europäischen Gruppen unterkommen. Sie würden also völlig getrennt; ihre gemeinsame Identität wäre aufgelöst. Warum machen wir das? Das macht doch keinen Sinn. Sie haben eine gemeinsame Identität, eine gemeinsame Erfahrung, die sie auch einbringen können. Wenn es durchgeführt wird, wie es jetzt geplant ist, wird es keine gemeinsamen Einschätzungen der Spätaussiedler mehr geben, keine gemeinsamen Positionen mehr in Arbeitsgruppen, Veranstaltungen, Veröffentlichungen, Beratungen, Kontakten mit Unternehmen, mit Verwaltung, mit Wissenschaft, mit dem Arbeitsmarkt, mit Politikern und Parteien. Das macht keinen Sinn, dabei gehen wichtige Erfahrungen verloren, und dagegen wenden wir uns.

(Beifall bei der AfD)

Zu den gewählten Mitgliedern kommen im Beirat noch die von der Behörde berufenen Vertreter aus Wissenschaft, Wirtschaft und Verwaltung als Experten hinzu, um den Erfahrungsaustausch von verschiedenen Seiten aus zu ermöglichen. Diese sollen jetzt aus dem eigentlichen Beirat herausgenommen und in die weit weniger wichtigen Fachausschüsse verwiesen werden, wodurch wirklich der Charakter einer etwas abgeschotteten Einrichtung entsteht. Auch das wollen wir von der AfD nicht. Wir wollen diese erfolgreiche Institution so erhalten, wie sie ist. – Vielen Dank.