Protocol of the Session on September 10, 2014

Ich empfehle allen, einmal "Tagesthemen" und "ZDF heute-journal" nacheinander zu schauen und alles auf sich wirken zu lassen. Wenn man das gemacht und die überregionalen Tageszeitungen gelesen hat, dann sieht man sehr, sehr anschaulich, was weltweit los ist. Und man sieht, wie sich die Kommunen in Deutschland landauf, landab damit quälen, eine ordentliche Unterbringung bereitzustellen, und zwar völlig egal, wer regiert: die CSU, die CDU, die FDP, die GRÜNEN oder DIE LINKE. Nun tun Sie nicht so, als sei das in Hamburg ganz anders als anderswo. Wir sind ehrlicherweise sogar ein bisschen erfolgreicher, denn bisher ist hier nichts passiert. Darauf können wir stolz sein.

(Beifall bei der SPD)

Ich kann für den Senat und sicher in großem Einvernehmen mit allen Hamburgerinnen und Hamburgern zusichern, dass wir alles unternehmen werden, um Flüchtlingen aus den Bürgerkriegsgebieten dieser Erde Schutz zu bieten – Menschen aus Syrien, dem Irak, aus Eritrea, aus Afghanistan, dem Sudan. Diese Menschen fliehen aus Angst um Leib und Leben aus ihrer Heimat und wir müssen ihnen helfen. Zugleich, das will ich auch sagen, finde ich es richtig, dass die Bundesregierung drei europäische Länder, nämlich Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina, zu sicheren Drittstaaten erklären will. Die Situation der Menschen dort ist in keiner Weise mit der im Irak vergleichbar. Die Anerkennungsquote in Asylverfahren liegt nahe null Prozent. Wir müssen uns in dieser Situation energisch um die wirklich Schutzbedürftigen kümmern. Die Ressourcen müssen gebündelt werden.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der CDU)

Ich wünsche mir sehr, dass die Gespräche zwischen dem Kanzleramt und den rot-grün regierten Landesregierungen mit Blick auf die Bundesratssitzung am 19. September erfolgreich sind. Es liegt ja einiges an Leistungsverbesserungen für die Flüchtlinge auf dem Tisch: früher arbeiten, mehr Bildung und möglicherweise der Wegfall der Vorrangprüfung. Das ist ein Riesenschritt, denn dies würde nicht nur für Flüchtlinge wegfallen, sondern für alle. Das wäre ein großer Schritt. Geben Sie sich einen Ruck und stimmen Sie zu.

(Beifall bei der SPD und bei Dr. Roland Heintze CDU)

Noch ein Wort zur Debatte um das europäische Asylrecht und die Forderung, dieses humaner und liberaler zu gestalten. Am Weltflüchtlingstag hat die UNO über 50 Millionen Flüchtende weltweit gezählt. Weder Hamburg noch Deutschland noch Europa können allen derzeit weltweit auf der Flucht befindlichen Menschen Schutz und Auskommen bieten. Auch wenn es ein modernisiertes europäisches Flüchtlingsrecht mit asylunabhängigen Fluchtgründen gäbe – ich befürworte eine europäische Aufnahmequote mit speziellen Länderquoten, wie sie beispielsweise der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration vorschlägt –, würde es nie für alle reichen, die kommen wollen. Ich sage das so deutlich, weil in der Diskussion manches Mal der Eindruck entsteht, wenn Deutschland und Europa nur wollten, dann könnten sie allen helfen. Aber auch die, die das Flüchtlingsrecht modernisieren wollen, müssen sich der Frage stellen, was mit denen ist, die wir nicht aufnehmen können. Daran kann man nicht vorbei.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren! Diese generellen Überlegungen gehören zu einer Debatte über die öffentlich-rechtliche Unterbringung, da die großen Anstrengungen Hamburgs einsortiert werden müssen.

Nun zur Lage in unserer Stadt und zu dem häufig geäußerten Vorwurf, die derzeitige Situation sei absehbar gewesen und die Behörden in Deutschland hätten sich nur früher darauf einstellen sollen. Vor drei Jahren beantragten etwa 50 000 Menschen in Deutschland Asyl. Für das Jahr 2014 geht das BAMF von mindestens 200 000 Flüchtlingen aus. 2011 kamen monatlich 100 neue Flüchtlinge nach Hamburg. Anfang dieses Jahres waren es 300 im Monat, gegenwärtig sind es 500, und angesichts der Weltlage ist anzunehmen, dass diese Zahl noch steigt.

(Zuruf von Mehmet Yildiz DIE LINKE)

Immer ruhig Blut.

Mit anderen Worten: Jeden Monat muss diese Stadt eine neue Unterkunft eröffnen. Nach bezirkli

(Senator Detlef Scheele)

chen Maßstäben, die in der Regel keine größeren Gruppen als 250 wollen, müssten es sogar zwei Unterkünfte sein. Ich höre jedoch keine Vorschläge, wo die Unterkünfte sein könnten.

Damit allein ist es aber nicht getan. Wir wollen die Beschulung der Kinder in Integrationsklassen oder in der Regelschule sicherstellen, die Kita-Versorgung organisieren und Gesundheits- und Jugendhilfe engagieren, denn die Kinder dürfen dabei möglichst nicht auf der Strecke bleiben.

(Beifall bei der SPD)

Ich will bekennen, dass es unser Anspruch ist, die Verfahren so durchzuführen, dass zumindest eine kleine Willkommenskultur erhalten bleibt.

(Glocke)

Vizepräsident Dr. Wieland Schinnenburg (unter- brechend): Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Warnholz?

Von Herrn Warnholz ja.

Herr Senator, ich kann bestätigen, dass wir im Sozialausschuss über die Dinge gesprochen haben, die Sie sagen. Aber ich frage Sie jetzt, ob es die Aufgabe der Opposition ist, beispielsweise Grundstücke oder Liegenschaften nachzuweisen? Sie als Senat können es, Sie haben die Möglichkeit, im Senat direkt abzufragen. Das ist keine Aufgabe der Opposition, das ist Ihre Arbeit, das möchte ich ausdrücklich sagen.

– Das war eine Stellungnahme, die ich zur Kenntnis nehme.

Ich will hinzufügen, dass die Arbeitsbedingungen der Mitarbeiter bei "fördern und wohnen" und in der Ausländerbehörde verantwortbar bleiben müssen. In den Behörden – und ich danke Frau Fegebank, dass sie auch darauf hingewiesen hat – wird gerade Großes geleistet. Ich will die Gelegenheit nutzen, den dort tätigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ausdrücklich für ihre weit über das normale Maß hinausgehende Arbeit und für ihr Engagement für die Flüchtlinge zu danken. Sie müssen die Unterkünfte suchen und keine Exceltabellen ausfüllen.

(Beifall bei der SPD)

Wir danken als Senat auch den vielen Hamburgerinnen und Hamburgern, die sich ehrenamtlich in den Unterkünften engagieren. Das ist beileibe nicht selbstverständlich, das Engagement muss gepflegt und gewürdigt werden. Wir brauchen die Bereitschaft der Hamburgerinnen und Hamburger, sich vor Ort für die Flüchtlinge einzusetzen und ihnen zu helfen. Die Bereitschaft ist vorhanden, wir können das an den vielen Unterstützerkreisen für

die verschiedenen Unterkünfte sehen. Wir haben bereits in der vorliegenden Drucksache 200 000 Euro für das Ehrenamt vorgesehen. Und wenn die Bürgerschaft diese Summe heute verdoppelt, dann wäre das ein gutes Signal der Wertschätzung in die Stadt hinein.

(Beifall bei der SPD)

Dass sich die Zahl der Schutzsuchenden in so kurzer Zeit so rasant erhöhen würde, war aus meiner Sicht nicht vorhersehbar. Und das BAMF prognostiziert übrigens immer nur für das laufende Jahr, daran will ich erinnern.

Der Blick nach München oder Berlin und grundsätzlich in alle Metropolen der Republik macht deutlich, dass Hamburg mit seinen Sorgen nicht alleinsteht, und er zeigt auch, dass Hamburg vergleichsweise gute Lösungen gefunden hat. Wir haben in den letzten Jahren mehr als 2600 Plätze in der öffentlich-rechtlichen Unterbringung geschaffen. Bis zum Ende des Jahres schaffen wir weitere rund 700 Plätze, im nächsten Jahr kommen noch 2800 hinzu. Wir wissen übrigens auch wo, die Standorte sind bekannt, die Genehmigungsverfahren laufen. Dazu gehören Standorte wie die Sophienterrasse oder der Volksdorfer Grenzweg, also Unterkünfte in den besten Hamburger Lagen. Dazu gehören aber auch Grundstücke wie die Berzeliusstraße, für die wir uns eigentlich keine solche Unterkunft mehr wünschen.

(David Erkalp CDU: So ist es!)

Ich bekenne, dass wir uns das nicht wünschen.

Wir haben außerdem 14 weitere Standorte mit 2000 Plätzen auf einer Optionsliste für die Jahre 2015 und 2016. All diese Plätze werden mit vernünftigem Standard entstehen, es wird eine Versorgung der Kinder mit Schule und Kita geben, ebenso mit Gesundheits- und Jugendhilfe.

Aber das alles reicht nicht aus, um Zelte im Winter zu verhindern und die bereits in Harburg stehenden Zelte wieder abzubauen. Das ist es aber, was dieser Senat will: keine Zelte in Hamburg.

(Beifall bei der SPD)

Gegenwärtig gehen wir davon aus, dass uns Ende des Jahres auf Basis dieser 500 NettozuwandererZahlen rund 1500 Plätze fehlen werden. Wenn sich die weltpolitische Lage nicht nachhaltig ändert, werden uns im Dezember 2015 etwa 4800 Plätze fehlen.

Sieht man die Nachrichten, so scheint es, als ob die Welt aus den Fugen geraten sei. Wir stehen vor einer großen Herausforderung, für die es aus meiner Sicht kein Patentrezept gibt. Die Dynamik der Ankunft neuer Flüchtlinge trifft auf langwierige Verfahren beim Aufbau neuer Unterkünfte; ich würde mir auch vieles schneller wünschen. Wir sind daher an einem Punkt angekommen, bei dem wir

(Senator Detlef Scheele)

auf Notlösungen angewiesen sind. Alles, was ich jetzt sage, sind Notlösungen, und sie unterscheiden sich von dem, was wir bisher gemacht haben. Deshalb werden wir ein Sofortprogramm umsetzen, das ausschließlich dazu dient, eine Unterbringung in Zelten zu vermeiden.

(Beifall bei der SPD)

Deshalb wird es Wohnschiffe in Hamburg geben, deshalb werden wir Schlafsäle in ehemaligen Schulen einrichten müssen, und wir nehmen Hallen, die wir so herrichten, dass sie als Notlösung vertretbar sind. Wir werden das alles nach Polizeirecht tun und sind dazu gezwungen. Wir sichern aber zu, dass wir die Fraktionen in den Bezirksversammlungen und die Sprecher der Fraktionen einladen, und das, was an Beteiligungsverfahren nach Polizeirecht nicht mehr geht, in einer Information zumindest so nachholen, dass jeder weiß, was in seinem Bezirk, in seinem Wahlkreis passiert. Aber es geht nicht anders, es ist eine Notlage.

(Beifall bei der SPD)

Eines will ich noch sagen, bevor mich jemand über mangelnde Privatsphäre oder große Enge belehrt: Sowohl mir als auch meinem Kollegen Michael Neumann und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von "fördern und wohnen" und den Behörden ist klar, dass es zu eng ist. Es gibt wenig Privatsphäre, es ist nicht der Standard, den der Senat sich wünscht, es ist eine Notsituation. Wir stehen alle vor dem gleichen Problem. Hier steht nicht eine Partei gegen die andere, nicht die Opposition gegen die Regierung, denn es ist nicht das Regierungsprogramm der SPD, das ich gerade vortrage. Hier steht die Politik zusammen und sucht gemeinsam nach Lösungen bei der Bewältigung dieser Herausforderung.

Sie alle können Beiträge zur Vereinfachung der Lage leisten. Sie sind Wahlkreisabgeordnete, Sie können vor Ort für Verständnis für die schwierigen Lagen werben. Sie alle können auf die Bezirke zugehen und aktiv bei der Lösung helfen. Und auch auf Bundesebene können wir gut Hilfe gebrauchen. Sie alle sind in Parteien, die irgendwo in diesem Land regieren. Der Bund muss sich in der Frage bewegen und den Ländern Bundesimmobilien zur Zwischennutzung zur Verfügung stellen.

(Klaus-Peter Hesse CDU: Die sind doch gar nicht geeignet!)

Ich habe dazu an die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben geschrieben und mich zusätzlich mit meinen Kollegen aus Berlin und Bremen an die zuständigen Bundesministerien gewandt. Wir brauchen mehr finanzielle Unterstützung des Bundes und auch Unterstützung bei der Flächensuche.

(Beifall bei der SPD)

Ich will mich nicht drum herumdrücken – darauf ist von Frau Föcking hingewiesen worden –, dass wir

über eine Verteilung der 16- bis 18-jährigen minderjährigen unbegleiteten Flüchtlingen reden müssen. Gegenwärtig geht das nach Jugendhilferecht nicht. Dass in Thüringen 2013 ein Einziger zu versorgen war und in Hamburg 487 minderjährige Flüchtlinge aufgenommen wurden, kann so nicht bleiben.

(Beifall bei der SPD)

Die Kollegen aus dem Kinder-, Jugend- und Familienausschuss wissen, dass, wenn die Erstunterbringung zu Ende ist, die Unterbringung nach Jugendhilferecht in einer Hilfen-zur-Erziehung-Maßnahme erfolgt. Den Aufwand dafür haben wir in der Drucksache dargestellt, es soll keinem schlecht gehen, aber die Maßnahmen müssen gerechter in Deutschland verteilt werden.