Protocol of the Session on June 4, 2014

Wiederbeginn: 19.45 Uhr

Verehrte Abgeordnete! Ich eröffne die Sitzung wieder. Ich bitte Platz zu nehmen – oder auch nicht. Herr Yildiz, ich erteile Ihnen nachträglich für Ihre beleidigenden Äußerungen gegenüber dem Abgeordneten Haufler einen Ordnungsruf.

Sie haben erneut das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich habe, das, was ich vorhin gesagt habe, auch zurückgenommen in der Debatte. Bei dieser Debatte geht es nicht darum, dass irgendjemand gegen das Erlernen der deutschen Sprache ist, sondern es geht um ein Grundrecht der Menschen zu einer Entscheidung für ein gemeinsames Leben. Das wird von vornherein verwehrt mit der Begründung, dass sie in ihren Herkunftsländern die deutsche Sprache lernen müssen.

(Dietrich Wersich CDU: Also, eine Entschul- digung klingt anders, Herr Yildiz! – Robert Bläsing FDP: Dazu muss man erst einmal Einsicht haben! – Dennis Gladiator CDU: Und Größe!)

Die Praxis hat eines gezeigt, nämlich dass diese Entscheidung häufig auch negativ ausfällt, weil viele Menschen in ihren Herkunftsländern die deutsche Sprache lernen müssen, hauptsächlich in den Ländern, die von der Regelung betroffen sind. Die Menschen aus ländlichen Gegenden müssen aus 100 Kilometern Entfernung in die Hauptstädte fahren, um die Goethe-Institute zu besuchen. Sie sind in der Regel finanziell dazu nicht in der Lage, denn sie müssen meistens Unterkünfte mieten und das alles bezahlen. In der Regel müssen sie auch ihre Arbeit für diese Zeit aussetzen. Die Liebe und das

Zusammenleben von Menschen können doch nicht davon abhängen, welchen Geldbeutel sie haben, welche Herkunft sie haben oder welchen Bildungsstatus, sondern das Recht auf ein gemeinsames Leben ist im Grundgesetz, in der Europäischen Charta und in jedem Gesetz, das wir als Demokraten achten, verankert. Und es kann nicht sein, dass diese Ausgrenzung für bestimmte Länder gilt.

Daher muss diese Regelung abgeschafft werden. Wir unterstützen den Antrag der GRÜNEN. Ich freue mich, dass wir auch im Ausschuss darüber diskutieren werden.

(Beifall bei der LINKEN und bei Christa Goetsch GRÜNE)

Wir hatten vor Jahren in einer Sitzung des Eingabenausschusses ein Beispiel, wo ein Mann aus der afrikanischen Community hier lebte und arbeitete und seine Frau aus einem Land kam, in dem sie, um Deutsch zu lernen, fast 500 bis 600 Kilometer fahren musste. Sie hatte nicht die finanziellen Möglichkeiten, den Deutschkurs zu besuchen, der zusätzliches Geld erforderte. Ich weiß nicht, was im Nachhinein passierte, ich bin aus dem Eingabenausschuss ausgeschieden. Der Mann tat mir leid, weil er über Monate und Jahre dafür kämpfen musste, dass seine Frau überhaupt kommen konnte. Das muss nicht sein.

Das gleiche Recht, das für die europäischen Mitbürger gilt oder für Bürger aus Israel oder Japan, sollte auch für die anderen gelten. Wenn unter dem Motto gehandelt wird, dass jemand seine Bildung und seinen Abschluss hat als Akademiker und wir ihn für unsere Wirtschaft nach Deutschland holen können und von ihm Nutzen haben, den anderen können wir aber nicht nehmen, weil er vielleicht dem Bildungsniveau – in Anführungszeichen – nicht entspricht, so kann es doch nicht sein, dass wir so eine Selektierung betreiben, von der Hunderttausende von Menschen betroffen sind. Wenn wir sagen, dass wir alle das Grundgesetz schätzen, dann sollten wir uns auch an das Grundgesetz halten. Es kann nicht sein, dass es neben dem Grundgesetz immer mehr Gesetze gibt, die Menschen, die hier mit ihrem Lebenspartner leben wollen und diese Gesellschaft bereichern wollen, ausgrenzen. Und wer sagt denn, dass Deutsch Basis der Integration ist? Dann frage ich mich, was Sie unter Integration verstehen. Versteht ihr unter Integration das Zusammenleben, also Assimilation, dann muss man fragen, ob die Deutschen oder die Menschen, die in Wilhelmsburg oder Billstedt leben, nach der Definition, die ständig geäußert wird, nicht integriert sind. Integration kann man nicht mit der Sprache gleichsetzen

(Arno Münster SPD: Doch! Gerade mit der Sprache!)

und darauf beschränken, sondern Integration und Zusammenleben sind ein Prozess. Und eine Spra

che zu erlernen, sollte man unterstützen, aber man sollte nicht ständig Menschen zu etwas zwingen.

(Beifall bei der LINKEN)

Zwang sind nämlich der Einbürgerungstest oder der Integrationstest. Alles, was die Migranten betrifft, wenn sie hier einen Aufenthalt wollen, sind Zwangsmaßnahmen, beispielsweise, dass man ein ausreichendes Einkommen oder ausreichenden Wohnraum hat und so weiter. Das kann nicht sein. Wenn Menschen zu uns kommen und hier leben, dann sollen sie auch gleichberechtigt leben.

(Beifall bei der LINKEN)

Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor, dann kommen wir zur Abstimmung.

Wer stimmt einer Überweisung der Drucksache 20/11911 in der Neufassung an den Innenausschuss zu? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Damit ist die Überweisung mehrheitlich erfolgt.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 4 auf, Drucksache 20/10935, Große Anfrage der FDP-Fraktion: Schulinspektion – Veröffentlichung von Eckdaten.

[Große Anfrage der FDP-Fraktion: Schulinspektion – Veröffentlichung von Eckdaten – Drs 20/10935 –]

Wird hierzu das Wort gewünscht? – Frau von Treuenfels von der FDP-Fraktion, Sie haben es.

Eine Schuldebatte naht, und der Raum füllt sich, wie schön.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Wir wecken uns nun wieder auf, ich erzähle Ihnen nämlich jetzt die Ergebnisse unserer Großen Anfrage. Sie machen einiges ganz deutlich: Gute und weniger gute Schulen und gute und weniger gute Schülerleistungen sind, wie man nicht denken möchte, aber es ist so, durchaus unabhängig vom sozialen Umfeld. Ganz anders, als immer wieder behauptet wird, belegen das zahlreiche Beispiele. Ich will nur einige wenige hervorheben.

Eine Grundschule im Raum Rahlstedt/Jenfeld befindet sich nach dem KESS-Faktor 1 in einer stark belasteten Lage, und 55 Prozent der Viertklässler erhalten hier Nachhilfeförderung, also mehr als die Hälfte. Aber ein paar Hundert Meter weiter schafft es eine andere Grundschule mit demselben KESSFaktor 1, dass nur 23 Prozent der Viertklässler Nachhilfeförderung brauchen, also 23 Prozent statt 55.

Solche Beispiele gibt es in fast allen Schulformen, und sie machen eines wirklich deutlich: Gute Schulen gibt es in jedem Stadtteil und in jeder Sozialstruktur genauso wie weniger gute. Und es zeigt auch, dass es weder nötig noch sinnvoll ist, relevante Schulleistungsdaten unter dem Deckel zu halten.

(Beifall bei der FDP und bei Dr. Walter Scheuerl fraktionslos)

Es kann im Gegenteil für alle Schulen unter allen sozialen Bedingungen Ansporn oder Bestätigung sein, sie zu kennen. Deshalb war und bleibt es falsch, unsere Initiative abzulehnen, nach der die veröffentlichten Schulinspektionsergebnisse um Eckdaten wie etwa die Quoten der Nachhilfeförderung ergänzt werden sollten. Die verquaste Argumentation der Transparenzgegner ist dabei immer die gleiche. Die Schulen hätten eine so unterschiedliche Schülerschaft, dass man sie einfach nicht miteinander vergleichen dürfe.

Das Beispiel von Rahlstedt-Jenfeld – und davon gibt es mehrere – und noch viele andere Beispiele beweisen doch, dass es überhaupt gar keinen Grund gibt, sich hinter dem Sozialindex zu verstecken und mit Verweisen auf KESS-Belastungen Transparenz zu verhindern. Dieses Argument ist schlicht vorgeschoben, die Wahrheit verlangt ein ganz anderes Vorgehen. Man muss Schulen miteinander vergleichen, denn dann wird man feststellen, dass eben nicht nur der Sozialindex allein ausschlaggebend ist.

Bei "Fördern statt Wiederholen" gibt es beispielsweise weder an Stadtteilschulen noch an Gymnasien einen kausalen Zusammenhang zwischen der Teilnahmequote und dem KESS-Faktor. Bei den Stadtteilschulen zum Beispiel lag die Teilnehmerquote im letzten Halbjahr unabhängig vom KESSFaktor zwischen 5 und 20 Prozent. Vielmehr sind die Unterschiede zwischen Schulen mit dem gleichen Sozialindex riesig. Die Frage, warum das so ist, muss nicht nur erlaubt sein, sondern sie muss dringend gestellt und vor allen Dingen auch beantwortet werden.

(Beifall bei der FDP und bei Dr. Walter Scheuerl fraktionslos)

Sonst bleiben nämlich Vergleichsarbeiten, Schulinspektionen oder zentrale Abschlussprüfungen wirkungslos. Sie sind doch kein Selbstzweck, sondern sollen Schulentwicklung vorantreiben. Zur Erinnerung: Selbstverantwortete Schule und Inspektionsergebnisse sollen Schulen mehr Freiheiten, mehr Spielräume und mehr Feedbackkultur verschaffen. Wer sich am Ergebnis einer Arbeit messen lässt, der erreicht auch die Souveränität, um noch besser zu werden. Beides geht Hand in Hand.

So lautet auch die zentrale Empfehlung der Enquete-Kommission. Der Anspruch auf Transparenz wird in Hamburg aber immer noch nicht erfüllt.

(Mehmet Yildiz)

Stattdessen werden Entwicklungen, die Anlass zur Sorge geben, man möchte beinahe sagen, verschleiert. An "Fördern statt Wiederholen" sieht man das sehr deutlich.

(Vizepräsident Dr. Wieland Schinnenburg übernimmt den Vorsitz.)

Mittlerweile wird dieses System wie eine Art zweite Qualitätsebene im Hamburger Schulsystem eingezogen, und das mit 55 Prozent, manchmal sogar 60 Prozent aller Schüler einer Klassenstufe. Das sagt uns eben auch, dass der Regelunterricht allein leider immer weniger ausreicht. Es wird einfach auf den Nachhilfeunterricht delegiert. So wird also die Verantwortung für guten, regulären Unterricht geradezu ein bisschen wegverlagert, offenbar, ohne dass für die Verbesserung des regulären Unterrichts ausreichend gesorgt wird. Und eine Absprache zwischen Lehrern und Hilfskräften der Nachhilfeförderung scheint, wie man aus anderen Anfragen erkennen kann, auch nicht zu funktionieren. Kein Wunder also, dass es sehr fraglich erscheint, ob der Nachhilfeunterricht überhaupt einen positiven, nachhaltigen Effekt erzielt. Fast überall nämlich steigt die Teilnehmerquote von Klassenstufe zu Klassenstufe stark an, das verstetigt sich also.

Wir sagen: Eltern haben ein Recht darauf zu erfahren, welche Schulen guten, regulären Unterricht machen und welche nicht. Die Ergebnisse unserer Großen Anfrage bestätigen ebenfalls, dass der Übertritt von der Grundschule auf das Gymnasium natürlich auch an den sozialen Hintergrund der Schüler gekoppelt ist, das stellt keiner in Abrede. Allerdings liegen auch hier zwischen den Schulen mit demselben Sozialindex – und das ist es, worauf es hier ankommt – Welten. Die Quote der Gymnasialempfehlungen bei den Schulen mit KESS-Faktor 1 liegt zwischen 8 und 31 Prozent, bei KESS-Faktor 6 liegt sie zwischen 26 und 88 Prozent. Da stellt sich allmählich zwingend die Frage, wie Schulen es schaffen, unter schwierigen Bedingungen ein Drittel ihrer Schüler für das Gymnasium fit zu machen, während andere Schulen, deren Schüler die besten Voraussetzungen mitbringen, ein schlechtes Ergebnis erzielen. Wie kann es denn sein, dass an einzelnen Gymnasien rund ein Fünftel der Schüler nach Klasse 6 gehen muss, während es an anderen Gymnasien mit demselben Sozialindex nur ganz wenige sind?

Auch das, liebe Frau Heyenn, kann übrigens keinesfalls so vereinfacht werden, wie Sie es meiner Ansicht nach in der letzten Woche getan haben. Abschulung ist ein stadtteilweites Problem. Das Wort Abschulung ist hässlich – man muss es leider so benennen –, das keineswegs nur die Schüler in sozial schwachen Quartieren trifft. Die Zahlen unserer Großen Anfrage belegen das wirklich eindeutig.

Die Aufforderung an Eltern, Stadtteilschulen mehr in Erwägung zu ziehen, muss dabei ergänzt werden durch eine Aufforderung auch an den Schulsenator: Statten Sie gerade neue Stadtteilschulen in sozial schwachen Gebieten ganz einfach besser aus.

Meine Damen und Herren! Die differenzierten Ergebnisse unserer Großen Anfrage dürfen nicht verschwiegen, sondern müssen öffentlich zugänglich gemacht und diskutiert werden. Das ist für uns ein ureigenes Elternrecht. Deshalb erneuert meine Fraktion ihre Forderung: Ergänzen Sie die Schulinspektionsberichte um die wichtigen Eckdaten der Großen Anfrage. Leistung und Wettbewerb der Schulen untereinander dürfen nicht tabuisiert werden, denn gute Schulen müssen Transparenz nicht scheuen, insbesondere dann, wenn sie unter schwierigen Bedingungen arbeiten. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und bei Dr. Walter Scheuerl fraktionslos)

Vielen Dank, Frau von Treuenfels. – Das Wort hat Herr Holster von der SPD-Fraktion.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Im Schulgesetz steht, dass die Schulinspektion die Qualität des Bildungs- und Erziehungsprozesses untersucht. Frau von Treuenfels, die Frage ist doch, ob die Eckdaten, die in dieser Großen Anfrage erhoben worden sind, eigentlich den Qualitätsstandard der Schulen widerspiegeln oder ob das ein Indikator dafür ist, ob ein guter Unterricht an einer Schule stattfindet.

Nehmen wir einmal Ihr Beispiel "Fördern statt Wiederholen". Sie sagen, die eine Schule im gleichen Stadtteil habe 25 Prozent Schülerinnen und Schüler, die daran teilnehmen, und die andere ungefähr 50 Prozent. Daraus zu schließen, dass die Schule, die einen höheren Anteil an Schülerinnen und Schülern hat, die an "Fördern statt Wiederholen" teilnehmen, einen schlechteren Unterricht macht, finde ich sehr gewagt.

(Dora Heyenn DIE LINKE: Ja, sehr gewagt!)

Ich würde stattdessen eher sagen, dass diese Schule die Mittel, die sie zur Verfügung gestellt bekam, optimal einsetzt. Rückschlüsse daraus zu ziehen, dass ein hoher Prozentsatz von Schülerinnen und Schülern an "Fördern statt Wiederholen" teilnimmt, halte ich für absolut gewagt und auch nicht richtig.

(Beifall bei der SPD und bei Dr. Stefanie von Berg GRÜNE und Dora Heyenn DIE LINKE)

Dann noch der zweite Punkt, den Sie angesprochen haben. Wir haben gerade eine interessante Diskussion, die Frau Heyenn gestern angeschoben hat, nämlich der Übergang von Klasse 4 in Klas

(Anna-Elisabeth von Treuenfels)

se 5. Auch das kann man in vielen Tabellen dieser hundertseitigen Großen Anfrage lesen. Auch hier habe ich Sie eben richtig verstanden, dass Sie daraus schließen, je mehr Empfehlungen für das Gymnasium es gibt, desto höher ist die Qualität dieser Grundschule.