Protocol of the Session on May 21, 2014

(Dr. Thomas-Sönke Kluth)

EU-Außenhandelsgrenzen für Wirtschaftsflüchtlinge öffnen sollten. Ich weiß nicht, ob Ihnen klar ist,

(Christiane Schneider DIE LINKE: Sie ma- chen es umgekehrt! – Norbert Hackbusch DIE LINKE: Mauern für Menschen!)

wie widersprüchlich die Argumentation auf der einen Seite ist, wenn man sagt, man möge bitte die EU-Außenhandelsgrenzen für Flüchtlinge öffnen, auf der anderen Seite jedoch für eine Abschottung und für Protektionismus ist, wenn es gegen ein Freihandelsabkommen geht, das gerade kleine und mittlere Unternehmen in Deutschland unmittelbar stärken kann. Ein Sozialstaat, in dem wir leben, muss auch erwirtschaftet sein. Und er wird zurzeit erwirtschaftet von den Steuerzahlern und von den Unternehmen, die Steuern zahlen. Das sind vor allem viele, viele Menschen, die morgens um sechs Uhr aufstehen, 60 Stunden die Woche arbeiten und fast die Hälfte ihres Einkommens an die Gemeinschaft durch Steuern abführen. Das ist gut so, aber alle Menschen und auch unser Sozialstaat, unser Wirtschaftssystem haben ein Recht auf mehr Arbeitsplätze und ein Recht auf mehr Wachstum. Und dazu kann ein solches Freihandelsabkommen einen eminent wichtigen Beitrag leisten.

Ich benenne es nur einmal in Zahlen, es ist teilweise schon angeklungen: Die USA sind außerhalb der EU Deutschlands wichtigster Handelspartner, und die Exportzahlen, das Warenvolumen, das aus Deutschland in die USA exportiert worden ist, ist allein in den letzten vier Jahren von 74 Milliarden US-Dollar auf über 114 Milliarden US-Dollar angestiegen. Das zeigt, welches Potenzial der direkte Handel mit den USA hat, und deswegen haben die Verhandlungen auch drei Säulen.

Die eine Säule ist der Abbau von Marktzutrittsbeschränkungen, von Zöllen, die gerade für kleine Unternehmen für den Export sehr belastend wirken, aber vor allem zu 80 Prozent der regulatorische Bereich, der Abbau von technischen Standards im Sinne von Vereinheitlichung dieser Standards. Das bedeutet, dass Geräte, die hier von kleinen und mittleren Unternehmen produziert werden, gleich und nicht erst nach teurem Umbau in die USA exportiert werden können.

Wenn dann am Ende der Einwand kommt, das seien alles Geheimverhandlungen, dann bitte ich insbesondere die Damen und Herren von der LINKEN und den GRÜNEN, einmal auf die Webseite der Kommission zu gehen. Dort werden fast täglich neue Papiere aus der Verhandlungsgruppe veröffentlicht. Es ist zwar in Englisch, aber das ist eben die Verhandlungssprache. Es ist sinnvoll, dann diese Originaldokumente der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Das passiert auch. Vor diesem Hintergrund ist das einfach sinnvoll und alles andere als eine Geheimverhandlung.

Zusammenfassend: Ein gut verhandeltes TTIP, ein gut verhandeltes Freihandelsabkommen ist gut für Hamburg. Deswegen zeigt – um noch einmal auf den Anfang zurückzukommen – das Thema, das für heute angemeldet worden ist, und die Kampagnen, die dazu als Angstwerbung vor Genmais und Chlorhühnchen von GRÜNEN und LINKEN gefahren werden, dass am kommenden Sonntag bei der EU-Wahl gerade die LINKEN und GRÜNEN nicht gewählt werden sollten. – Vielen Dank.

(Beifall bei André Trepoll CDU – Dr. Andreas Dressel SPD: Bitte gebt doch einmal Ap- plaus!)

Nun bekommt Frau Senatorin Blankau das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Zurzeit führen die Europäische Kommission und die USA weiter Verhandlungen zum Transatlantischen Handels- und Investitionspartnerschaftsabkommen. In Vertretung für meinen Kollegen Herrn Senator Horch finde ich – und das zeigt auch schon die Debatte –, dass es höchste Zeit ist, dass auch wir uns mit diesem Thema beschäftigen.

(Beifall bei der SPD)

Die bisherige Diskussion wird sehr, sehr emotional geführt. Das zeigt uns, wie sehr dieses Thema und die Auswirkungen eines möglichen Abkommens nicht nur die Parlamentarier und Parlamentarierinnen bewegt, sondern auch die Bürger und Bürgerinnen. Aber weder übertriebene Erwartungen noch übergroße Furcht werden dem Vorhaben eines Transatlantischen Freihandelsabkommens gerecht.

Wo stehen wir in der bilateralen Debatte um ein Freihandelsabkommen? Im letzten Jahr hat die Europäische Kommission die Verhandlungen auf Basis eines Mandats der Mitgliedsstaaten mit den USA aufgenommen. Hauptziel des Abkommens ist zunächst einmal – und da stehen wir jetzt – die Erleichterung des gegenseitigen Marktzugangs durch Abbau von Zöllen und sogenannten nichttarifären Handelshemmnissen. Darüber hinaus streben die Verhandlungsparteien eine intensive Kooperation bei der Setzung internationaler Standards an. Da geht es natürlich auch immer darum, die Standards, die wir haben, zu erhalten und auszubauen.

(Beifall bei der SPD)

Dieses Abkommen ist also durchaus ambitioniert. Hinzu kommt, dass wir im Gegensatz zu früheren Abkommen von einer Elefantenhochzeit sprechen können. Zwei der stärksten Wirtschaftsräume der Welt verhandeln miteinander und haben sich nichts weniger zum Ziel gesetzt, als den mit Abstand bedeutendsten Wirtschaftsraum zu schaffen. In den zurückliegenden Monaten wurde einmal über alle

(Dr. Walter Scheuerl)

Verhandlungsthemen gesprochen sowie Anfang dieses Jahres eine politische Bestandsaufnahme gemacht. Die Informationen stehen übrigens im Internet, aber konkrete Textvorschläge gibt es derzeit weitgehend nicht. Mit Ausnahme einiger Dokumente, etwa zu technischen Handelshemmnissen, stehen aktuell vor allem grundlegende politische und konzeptionelle Fragen im Vordergrund.

Meine Damen und Herren! Wir sind für eine Ausweitung des transatlantischen Handels. Niemand wird ernsthaft bestreiten, dass ein Abkommen für beide Seiten wirtschaftliche und möglicherweise auch beschäftigungspolitische Vorteile bedeuten kann. Diese Vorteile sind nicht immer nur die, die einem bei der internationalen Drehscheibenfunktion der Handelsmetropole Hamburg sofort einfallen. Die Freie und Hansestadt Hamburg ist zugleich Heimat einer sehr diversifizierten Wirtschaft, von produzierenden Unternehmen über Dienstleistung bis hin zur Schwerindustrie. Vom kleinen über mittelständische Unternehmen bis hin zum weltweit tätigen Großunternehmen sind alle in unserer Stadt vertreten. Als Hafen und Handelsstandort sind unsere Unternehmen traditionell seit Jahrhunderten sehr international ausgerichtet und auf ausländischen Absatzmärkten erfolgreich.

Die Wirtschaftskraft der Bundesrepublik und auch Hamburgs beruht zu einem großen Teil auf unseren innovativen, exportorientierten Unternehmen. Und Hamburg ist ein guter Standort dafür.

(Beifall bei der SPD)

Das sichert Arbeitsplätze und schafft neue Arbeitsplätze; Airbus ist dafür ein hervorragendes Beispiel.

(Beifall bei der SPD)

Aus gutem Grund setzen wir uns daher an vielen Stellen dafür ein, den internationalen Warenaustausch möglichst uneingeschränkt betreiben zu können. Deshalb können die Hamburger Unternehmen, gleich, welcher Größe und Branche, und mit ihnen die Arbeitnehmer vom TTIP profitieren. Der Bundeswirtschaftsminister hat in der letzten Woche darauf hingewiesen, dass allein die deutsche Automobilindustrie jährlich – übrigens gibt es die auch in Hamburg – etwa 1 Milliarde Euro an Transferkosten, also Kosten des Verkaufs auf anderen Märkten, aufwendet. Dieses Geld ist erheblich besser bei Forschung und Entwicklung oder in den Portemonnaies der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aufgehoben.

(Beifall bei der SPD)

Besonders kleine und mittlere Unternehmen leiden entweder unter den zusätzlichen Belastungen oder aber, und das ist der Regelfall, erschließen grundsätzlich interessante Absatzmärkte nicht, weil die damit verbundenen Kosten zu hoch sind.

Bei dem erhofften Nutzen muss aber eines allen klar sein: Die Verhandlungen der EU mit den USA dürfen nicht zu Verschlechterungen für unsere Bevölkerung führen.

(Beifall bei der SPD)

Wir haben kein Interesse daran, dass unsere Standards verwässert werden. Nur eine Randbemerkung: Wenn wir die Debatte versachlichen wollen, sollte man wissen, dass es keineswegs immer die Europäer sind, die über die höheren Standards verfügen.

(Christiane Schneider DIE LINKE: Das hat auch keiner gesagt!)

Bei pharmazeutischen Produkten oder Elektrogeräten ist das Schutzniveau in den USA höher, und die Amerikaner fürchten ebenso eine Aufweichung ihres Schutzniveaus.

Meine Damen und Herren! Die Grundidee der Verhandlungsparteien auf beiden Seiten des Atlantiks ist daher, dass Standards und Zulassungsverfahren gegenseitig anerkannt werden, wenn sie ein vergleichbar hohes Niveau sichern. Daher heißt es offiziell, Deregulierung von Standards stehe nicht im Fokus. Wir haben aber ein sehr wachsames Auge auf das, was im weiteren Verlauf der Verhandlungen besprochen wird, und werden uns dann gegebenenfalls gegenüber der Bundesregierung und der EU rechtzeitig einmischen. Wichtig ist und bleibt, dass keine Seite dazu genötigt werden darf, Schutzniveaus aufzuweichen.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren! Umstritten, und das hat die Diskussion jetzt schon gezeigt, ist zudem – und wie wir finden, nicht zu Unrecht –, ob die Verhandlungsparteien die ausreichende Transparenz walten lassen. Natürlich, und das muss man beiden Seiten zugestehen, gibt man in Verhandlungen nicht seine Position sofort preis und auch nicht in aller Öffentlichkeit. Das tun wir im Übrigen auch bei unseren alltäglichen Geschäften nicht, und das verlangen wir auch nicht von der EU oder den USA. Gleichwohl ist der Level der Geheimhaltung hier ein besonders hoher, und dies trägt nicht gerade zur Versachlichung der Debatte bei.

(Beifall bei der SPD)

Wir rufen daher beide Verhandlungsparteien dazu auf, alles das, was man ohne Gefährdung der Verhandlungen offenlegen kann, mit der Öffentlichkeit zu teilen. Kleine, sogenannte Stakeholder-Runden reichen nicht. Auch muss die Frage erlaubt sein, ob bei den US-Standards Geheimhaltung auch bei uns gelten muss oder ob wir uns nicht auch hier auf eine gemeinsame Kultur der Transparenz einigen können. Und natürlich ist die demokratische Beteiligung der Parlamente zu gewährleisten.

(Beifall bei der SPD)

(Senatorin Jutta Blankau)

Meine Damen und Herren! Der zweite, besonders umstrittene Punkt ist natürlich die Frage nach dem Investorenschutz. Auch dieses Thema sehen wir besonders kritisch. Zu Recht kann man sich fragen, ob wir im transatlantischen Verhältnis so etwas brauchen. Im Ursprung, und das ist schon sehr, sehr lange her, dienten solche Abkommen dem Schutz von Investitionen im Ausland, und zwar vor allem in Regionen, in denen aufgrund rechtlicher und politischer Rahmenbedingungen ein hohes Risiko für Investoren bestand. Um gleichwohl Investitionen umzusetzen, wurden diese durch Abkommen und Unterwerfung unter eine Schiedsgerichtsbarkeit gesichert. Zweifel daran sind in der heutigen Zeit sehr berechtigt. Das wurde an einem Beispiel, nämlich dem Atomausstieg in Deutschland und dem Schiedsgerichtsverfahren unter anderem von Vattenfall, deutlich. Dies muss weiter diskutiert werden. Das gilt aber auch für Schiedsgerichtsverfahren, die die Arbeitnehmerrechte angreifen. Deswegen ist es hier besonders wichtig darauf zu achten, dass ein privates Schiedsgerichtsverfahren jedenfalls zukünftig nicht mehr stattfinden kann, wenn es nicht demokratisch legitimiert ist.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der LINKEN)

Daher begrüßen wir es übrigens, dass die EUKommission entschieden hat, den Investitionsschutz vorerst in den Verhandlungen auszusetzen. Das ist gut so, deswegen haben wir auch noch Zeit, darüber zu diskutieren.

Meine Damen und Herren! Wir haben in Europa ein hohes Schutzniveau, und das ist gut so, und es ist von Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen erkämpft worden. Schon seit Langem kämpfen die Europäerinnen und Europäer für hohe Sozialstandards, für Verbraucherschutz, für Umweltschutz und vieles mehr. Über das hohe Niveau unserer Sozialstandards mit Mindestlohn, sozialer Absicherung im Alter und bei Arbeitslosigkeit mit tariflich abgesicherten Arbeitsbedingungen und Mitbestimmung für Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen würden sich übrigens auch die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen in den USA freuen.

(Beifall bei der SPD)

Dieser Weg hat sich bewährt, und deswegen werden wir jetzt nicht ohne Not deutsche und europäische Errungenschaften aufs Spiel setzen. Es geht eben auch um die Absicherung von Sozial- und Umweltstandards, von Arbeitnehmerrechten und Verbraucherschutz. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Von der Fraktion DIE LINKE hat jetzt das Wort Frau Schneider.

Meine Damen und Herren! Ich freue mich natürlich über die sehr engagierte und kontroverse Debatte. Ich möchte deutlich sagen, dass die GRÜNEN und wir sie angestoßen haben durch unsere Anträge und dadurch, dass wir das Thema zur Aktuellen Stunde angemeldet haben. Herzlichen Dank an diese beiden Oppositionsfraktionen.

(Beifall bei der LINKEN und vereinzelt bei der SPD und den GRÜNEN)

Was hier gilt, gilt auch auf EU-Ebene. Es wäre nichts, buchstäblich gar nichts von der EU-Kommission auf irgendwelche Webseiten gestellt worden, hätte es nicht findige Whistleblower gegeben, die Dokumente veröffentlicht haben. Es würde heute kein Mensch über TTIP sprechen, wenn es nicht oppositionelle Kräfte, unter anderem DIE LINKE, angestoßen hätten. Auch die GRÜNEN sind beteiligt, aber auch viele weitere Organisationen wie "Attac" und so weiter.

Aber, Herr Kluth, es sind keineswegs nur DIE LINKE, die GRÜNEN oder "Attac" und ähnliche Gruppierungen, die vor TTIP warnen und die Geheimverhandlungen kritisieren. Ich habe mich während der Vorbereitung informiert, wer noch alles einen sehr, sehr kritischen Standpunkt einnimmt. Das sind zum Beispiel die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung, der Deutsche Städtetag, die Verbraucherzentrale, der BUND, die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, die Gewerkschaften, der Börsenverein, die Akademie der Künste und die Aktion "Freiheit statt Angst". Das sind Institutionen, Organisationen und Verbände, die genau wissen, welche Auswirkungen in ihren jeweiligen Zuständigkeitsbereichen drohen. Deshalb muss man diese Kritik, die wir versuchen, auch ins Parlament zu tragen, wirklich ernst nehmen.