Die Fraktionen der GRÜNEN und LINKEN möchten die Drucksache gern an den Familienausschuss überweisen. – Das Wort bekommt Frau Schneider.
Meine Damen und Herren, Frau Präsidentin! Ich muss sehr kurzfristig meinen Kollegen Mehmet Yildiz vertreten, der plötzlich aus wichtigen Gründen verhindert ist, also nehmen Sie mit mir vorlieb.
Mit unserem Antrag für Sofortmaßnahmen zur Stabilisierung der Arbeit des Allgemeinen Sozialen Dienstes, kurz ASD, setzen wir die berechtigten Anliegen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Jugendämter auf die Tagesordnung der Bürgerschaft. Wie eine Personalversammlung im Hamburg-Haus Eimsbüttel Ende April deutlich gemacht hat, besteht dringender Handlungsbedarf. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter brauchen bessere Arbeitsbedingungen, eine Bezahlung, die ihrer Verantwortung gerecht wird, und Wertschätzung ihrer Arbeit.
Außerdem muss die Ausrichtung der Arbeit überprüft werden. Hierzu gehören der Abbau von übermäßigen Kontrollund Dokumentationspflichten sowie die Überprüfung von JUS-IT und der Jugendhilfeinspektion.
Die Situation der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Jugendämtern ist prekär. Ihr Protest ist verständlich. Bis jetzt sollen sie allerdings nur als Zeugen im PUA vorgeladen werden, aber als handelnde Menschen mit Sachverstand kommen sie nicht
vor. Es ist verständlich, dass vor diesem Hintergrund die Beschäftigten überlegen, dort die Aussage zu verweigern.
Von der Bürgerschaft muss aus unserer Sicht ein deutliches Signal ausgehen, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Jugendämter und ihre Personalvertretungen fachlich angehört werden.
Es steht sonst zu befürchten, dass die weiteren Sitzungen des PUA nur die Politikunfähigkeit der Stadt dokumentieren werden. Der Senator muss sich mit den Beschäftigten der Stadt zusammensetzen, sie und ihre Personalvertretungen anhören, und über den in unserem Antrag aufgelisteten Themenkatalog muss direkt mit den Beschäftigten verhandelt werden. Ein Runder Tisch in der Sozialbehörde ist das richtige Instrument dafür.
Beispiel 1: die Fluktuation der ASD-Beschäftigten. In den ersten drei Monaten des Jahres haben beim ASD 21,5 Stellenwechsel stattgefunden, davor waren es elf Stellenwechsel. Jeder Wechsel einer Mitarbeiterin oder eines Mitarbeiters in diesem 1. Quartal bedeutet, dass für rund 90 Fälle Kontakte zu Kindern und Jugendlichen und ihren Familien verloren gehen und wieder neu aufgebaut werden müssen. Das sind in diesem 1. Quartal über 1900 Fallübergaben. Das bedeutet, dass verbleibende Kolleginnen und Kollegen die neuen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einarbeiten müssen. Es bedeutet, dass diese überlastet sind und krank werden. Und es fliehen noch mehr Kolleginnen und Kollegen aus der Arbeit. Diese Abläufe müssen schnell besprochen werden.
Dabei genügt es nicht, die Stellen schnell wieder zu besetzen oder die Kolleginnen und Kollegen besser zu bezahlen. Sie fliehen trotzdem. Darüber muss dringend mit ihnen und ihren Personalvertretungen gesprochen werden.
Beispiel 2: der Krankenstand der Beschäftigten. Aus unseren Anfragen an den Senat und die Bezirke Wandsbek und Harburg ist deutlich geworden, dass allein in vier Abteilungen aus den vier Bezirken Hamburg-Mitte, Eimsbüttel, Bergedorf und Wandsbek zwölf Mitarbeiterinnen den ganzen Monat gefehlt haben. Wenn ich wieder von rund 90 Fällen pro Mitarbeiterin oder Mitarbeiter ausgehe, sind das fast 1100 Fälle allein in diesen vier Abteilungen. Die Fälle müssen von anderen Kolleginnen und Kollegen bearbeitet werden oder, was häufig passiert, die Akten werden zur Seite gelegt.
In Wandsbek gab es allein in der Abteilung JA 3/ ASD 2 einen Ausfall von 42 Prozent des Personals im 1. Quartal 2014. Das ist ein Skandal, Herr Senator.
Beispiel 3: die Mitarbeiterschulungen zu JUS-IT. Aus den Antworten des Senats auf unsere Anfrage geht hervor, dass es sehr viele Schulungen und Fortbildungen zu JUS-IT und zur Dokumentation gibt. Das frisst noch einmal Zeit, die für den direkten Kontakt mit den Menschen vor Ort verloren geht. Allein 32 Millionen Euro werden in 2014 für den Parallelbetrieb von Handakten und JUS-IT ausgegeben. Die Sozialbehörde traut also ihrem eigenen Softwaresystem nicht und gibt mehr Geld dafür aus als für die gesamte Arbeit der Einrichtungen der Offenen Kinder- und Jugendhilfe und der Familienförderung, die Sozialen Hilfen und Angebote einmal beiseite gelassen.
21 Millionen Euro sollen jetzt zusätzlich ausgegeben werden, um das System zum Laufen zu bringen. Die Summe steigt bei der Elbphilharmonie der Sozialbehörde auf über 133 Millionen Euro. Auch das ist ein Skandal.
Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter fordern zu Recht eine Überprüfung von JUS-IT. Der Senator sagt zu Recht, dass die Vorgängerregierung ihm das Ei ins Nest gelegt habe. Aber, Herr Senator, Sie sind jetzt an der Regierung und müssen mit den Beschäftigten Lösungen erarbeiten. Wie viel Geld wollen Sie noch in dieses System stecken? Wie viel Geld wollen Sie für andere soziale Einrichtungen dafür im Rahmen der Schuldenbremse an anderer Stelle kürzen?
Bis zu 70 Prozent der Arbeit verbringen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter laut Professor Schrappers Lagebericht zum ASD aus dem Jahr 2012 mit dem Dokumentieren – bis zu 70 Prozent. In der Fachliteratur wird laut Professor Schrapper die Sollarbeitszeit mit 30 Prozent für Teamgespräche und kollegiale Beratung verbracht, 20 Prozent für einzelfallübergreifende, organisatorische Arbeit und 50 Prozent für unmittelbare, fallbezogene Arbeit inklusive direkter Kontakte mit Hilfesuchenden. Es ist ein Skandal, dass diese Werte ins Gegenteil verkehrt werden, ohne dass die Behörde tätig wird.
Herr Senator, Ihr Argument im "Hamburger Abendblatt", dass das Überprüfen von JUS-IT unmöglich sei, sticht nicht, denn schon jetzt werden parallel Handakten geführt, weil JUS-IT nicht getraut wird. Nach unseren Informationen ist sogar geplant,
noch weiteres Geld in das System zu stecken und in den 35 Dienststellen jeweils 0,5 Personalstellen zur Betreuung des Systems im Normalbetrieb anzudocken. Hier dienen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dem Softwaresystem und nicht, wie vorgesehen, das System den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.
Wie aber ist der Umgang des Senats mit den Argumenten der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter? Wenn eine solche Not bei der Polizei herrschen würde, dann wären Sie, Herr Bürgermeister, und Sie, Herr Neumann, sicher schon vor Ort gewesen, um Hände zu schütteln oder eine Geldspritze aus dem Topf für Unvorhergesehenes zu spendieren.
Aus unserer Sicht muss die Sozialbehörde endlich auf die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zugehen. Aber Sie waren nicht einmal vor Ort bei den Beschäftigten im Hamburg-Haus Eimsbüttel, Herr Senator, auch den Staatsrat haben Sie nicht geschickt. Sie haben den Leiter der Jugendhilfeinspektion, Herrn Tietjen, als Stellvertreter geschickt und so auch deutlich gemacht, dass Sie die Jugendhilfeinspektion als Instrument der Leitung sehen. Wenn Sie, Herr Senator, im "Hamburger Abendblatt" zum zweiten Mal erklären, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sagen sollten, wo der Schuh drückt, und Sie erfahren dann von so einem Forderungskatalog zur Lage der Beschäftigten, dann muss es aus unserer Sicht zum direkten Gespräch kommen.
Mit unserem Antrag ermöglichen wir Ihnen, das zu tun, was Sie spätestens Anfang Mai selbst hätten tun sollen. Stattdessen informieren Sie die Belegschaften über ein Interview im "Hamburger Abendblatt", wie Sie zu ihren Forderungen stehen. So sieht Ihre Wertschätzung der Arbeit der ASD-Beschäftigten, die Sie immer gern gegenüber der Opposition im Ausschuss einfordern, also in der Realität aus.
Ich komme zum Schluss. Die GRÜNEN hatten vorgeschlagen, unseren Antrag wenigstens an den Ausschuss zu überweisen. Die SPD-Fraktion hat selbst das abgelehnt. Diese Haltung ist grob fahrlässig. Ein weiteres Aussitzen der Probleme des ASD, dieses Herzstücks der Kinder- und Jugendhilfe, kann zum Kollaps des gesamten Systems führen. Das kann die Stadt teuer zu stehen kommen. Die Leidtragenden werden die in Not geratenen Kinder und Jugendlichen sein. – Danke.
Sehr geehrte Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich werde leider nicht innerhalb von 14 Minuten auf Ihren Antrag eingehen können, sondern muss mich etwas kürzer fassen. Gleichwohl will ich das sehr gewissenhaft tun, denn Sie sprechen mit Ihrem Antrag einen sehr wichtigen Themenkomplex und ein durchaus dringendes Thema der Freien und Hansestadt Hamburg an.
Sie haben es schon gesagt, die Arbeit der Jugendämter und insbesondere des ASD ist anspruchsvoll und komplex, denn Kinder und Jugendliche in Hamburg sind darauf angewiesen, einen kompetenten Ansprechpartner und Kontinuität in der Zusammenarbeit zu haben. Gleichzeitig sind die Allgemeinen Sozialen Dienste, auch das haben Sie schon ausgeführt, zurzeit einerseits von einem Generationenwechsel geprägt – und der hätte unsere Stadt ohnehin betroffen – und von sehr hoher Fluktuation betroffen.
Sie stellt arbeitsorganisatorisch für manche Dienststellen eine sehr hohe Herausforderung dar. Um dieser Fluktuation, die im Jahr 2010 noch einmal Schwung bekommen hat durch die massive Abwanderung von ASD-Mitarbeitern zu den Amtsvormündern, Einhalt zu gebieten, haben wir deswegen unter großen Kraftanstrengungen im Jahr 2012 die Eingruppierung der Stellen im ASD von E9 auf E10 angehoben. Damit ist die Fluktuation, wie Sie sie beschrieben haben, gebremst, aber noch nicht vollkommen behoben worden.
Diesem Umstand Rechnung tragend und um den vielen neuen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern den Einstieg bei ihrer Arbeit zu erleichtern, wurde gemeinsam mit den Bezirksämtern ein Einarbeitungskonzept erarbeitet. Dieses wird seit 2013 auch umgesetzt, unter anderem auch durch die Begleitung von Herrn Professor Schrapper, den Sie auch schon viel zitiert haben.
Im Gegensatz zu dieser Entwicklung, die wir bis ins Jahr 2011 in dieser Stadt hatten, als in einigen Bezirken zum Teil bis zu 50 Prozent aller Stellen in den Jugendämtern beim ASD unbesetzt waren, ist es immerhin gelungen zu erreichen, dass zum Ende des Jahres 2010 lediglich 3 Prozent der vorhandenen Stellen unbesetzt waren. Darüber hinaus ist in der Vergangenheit, auch als Lehre aus dem Schicksal des Mädchens Chantal, eine Steuerungsrunde Jugendhilfe eingerichtet worden, in der Bezirksämter und Jugendamtsleitung regelmäßig über die Arbeit und die Arbeitsfähigkeit der Abteilungen berichten, um bei besonderen Fehlentwicklungen rechtzeitig gegensteuern zu können.
ben. In diesem Zusammenhang haben wir die klare Aussage des Senats, dass zurzeit gemeinsam mit den Bezirksämtern und den Personalräten sowie mit beispielhaft betroffenen ASD-Mitarbeitern an einem Personalbemessungssystem gearbeitet wird. Sollten die Ergebnisse so sein – und es ist mehrfach sowohl im Ausschuss als auch medial und in dieser Runde deutlich gemacht worden –, dass dabei herauskommt, dass wir an einzelnen Stellen mehr Personal brauchen, dann gibt es die feste Zusage, dass es dieses auch geben wird.