Protocol of the Session on February 27, 2014

Ich kann mich in der Bewertung des Antrags vielen Punkten anschließen, die Frau Dr. Föcking gerade dargelegt hat. Ich würde gern das Thema noch um zwei Schleifen weiterdrehen, und vielleicht wird dann auch klar, warum wir diesen Vorstoß, der natürlich ein richtiges Anliegen beinhaltet, nämlich die bessere Gesundheitsförderung von Langzeitarbeitslosen – ich denke, das wollen wir alle – noch für etwas unausgegoren und vielleicht nicht so richtig in das System passend halten.

Es ist völlig klar, dass Menschen, die lange vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen sind, diejenige Bevölkerungsgruppe ist – das wird auch in allen Studien deutlich –, die am stärksten von körperlichen und psychischen Erkrankungen bedroht ist. Gesundheitsprävention ist dann am effektivsten, wenn sie dazu führt, dass man in den Arbeitsmarkt zurückkehrt. Wir haben schon oft darüber gesprochen, dass Arbeit krank machen kann, aber genauso haben wir sehr viele Fälle – in Hamburg sind es 68 000 Langzeitarbeitslose, um die wir uns kümmern müssen, mit denen gearbeitet werden muss –, bei denen die Rückkehr in den Arbeitsmarkt teilweise auf eine lange Perspektive, vielleicht sogar für immer, absolut versagt bleibt.

Deshalb hätten wir uns erhofft, wenn ein solcher Vorstoß kommt, bei dem es darum geht, langfristigen Krankheiten vorzubeugen und das für eine Gruppe, die ohnehin schon, wie es so schön heißt, sich in diesen komplexen Profillagen befindet, also multiple Probleme hat, dass es hier größere Anstrengungen gibt, auch vonseiten des Senats, den sozialen Arbeitsmarkt stärker in den Mittelpunkt zu rücken und ein richtiges Angebot zu machen, diese Menschen in Arbeit zu bringen und das als starke Gesundheitsprävention zu begreifen.

Der zweite Punkt, auch das haben wir in diesem Haus schon häufiger besprochen, ist, dass Ihr Vorstoß relativ unaufmerksam am Parlament vorbei eine Neuausrichtung der psycho-sozialen Beratung und Betreuung von Arbeitslosen auf den Weg bringt. Das bedeutete eine drastische Einschränkung von Unterstützung für Langzeitarbeitslose. Das ist in unseren Augen ein Abbau des Systems von Prävention gewesen, und zwar von niedrigschwelligen und vertraulichen Zugängen. Wir hätten uns gewünscht, dass man hier aufsattelt und das Problemfeld und die Herausforderung der Gesundheitsprävention an das bestehende System andockt, dass man auf bewährten Strukturen aufbaut, diese nicht völlig wegwischt und auf ein Modellprojekt aus Köln zurückgreift, von dem überhaupt nicht klar ist, wie viele Menschen es tatsächlich erreicht hat, wie viele Menschen es danach geschafft haben und inwiefern es überhaupt als tragfähig evaluiert wurde. Sie meinen, jetzt damit den großen Vorstoß in der Gesundheitsprävention von Langarbeitslosen zu machen. Die Zielrichtung muss also der soziale Arbeitsmarkt sein.

Die zweite Forderung, die sich für uns daraus ableitet: Warum gibt es diese Neuausrichtung der psycho-sozialen Betreuung und Beratung, die in etwas mündet, was uns jetzt noch nicht so plausibel erscheint? Und warum gibt es hier neue Modellprojekte zu bestimmten Feldern? Warum integriert man das nicht in eine Struktur, die es gegeben hat und die jetzt von Ihnen zerschlagen wurde? Sie nehmen ein Modellprojekt, dessen Ausgang ungewiss ist und von dem wir nicht wissen, ob es in anderen Städten erfolgreich gewesen ist. Wir würden uns wünschen, dass man hier ganzheitlicher denkt und diese Gruppe der Menschen ernsthafter wieder in Richtung Arbeitsmarkt zurückführt. – Danke.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Das Wort bekommt Frau Kaesbach.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Ich beginne nicht ganz so lyrisch wie Frau Dr. Föcking, aber meine Kritik geht in eine ähnliche Richtung. Es ist ein großer Aufschlag, aber zumindest zurzeit wenig dahinter. Arbeitslosen wird schon heute eine Vielzahl arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen zur Qualifizierung und Reintegration angeboten. Diese Angebote haben sich in der Regel auch bewährt, aber leider werden dabei noch immer die Aspekte der Krankheitsprävention und Gesundheitsförderung zu wenig berücksichtigt.

Wie schon meine Vorredner ausgeführt haben, zeigen zahlreiche Studien erhebliche negative Auswirkungen der Langzeitarbeitslosigkeit auf die Gesundheit der Betroffenen. Psychische und körperli

(Dr. Friederike Föcking)

che Erkrankungen, Angstzustände, Depressionen, Bluthochdruck, Herzinfarkt oder Schlaganfall treten bei Langzeitarbeitslosen nachgewiesenermaßen verstärkt auf.

Auch wenn die Gesundheitsförderung für Arbeitslose in den letzten Jahren einen größeren Stellenwert erhalten hat, ist in diesem Bereich noch einiges zu verbessern. Von daher begrüßt die FDP den Vorschlag, auch in Hamburg ein modellhaftes Projekt zu initiieren, bei dem den Betroffenen ein niedrigschwelliges Beratungs- und Leistungsangebot bereitgestellt wird. Jedoch ist uns der SPD-Antrag inhaltlich noch viel zu dünn, Herr Kekstadt.

(Beifall bei der FDP)

In Ihrem Antrag sind weder konkrete Angebote benannt, noch ist klar, wie die Finanzierung dieser Maßnahmen aussehen soll. In der Antragsbegründung wird zwar auf ein Projekt in Köln verwiesen. Ob aber dieses Beispiel wirklich so gut gewählt ist – meine Vorredner sprachen es auch schon an –, wage ich zu bezweifeln. So hängt dort nämlich die Teilnahme an den Maßnahmen von der Einschätzung der Jobcenter-Mitarbeiter ab. Es ist fraglich, ob diese Mitarbeiter wirklich den gesundheitlichen Förderbedarf richtig einschätzen können. Zudem werde in Köln häufig individuelle Gesundheitsberatung angeboten. Das klingt gut, aber nach einem Artikel im Deutschen Ärzteblatt haben diese individuellen Beratungen nur sehr geringe gesundheitliche Effekte gezeigt. Es zeigt sich einmal mehr, liebe SPD: Gut gemeint ist noch längst nicht gut gemacht.

Wir bedauern, dass sich die SPD unserem Überweisungsbegehren verweigert. Wir können somit leider nicht mehr dem Antrag die erforderliche inhaltliche Tiefe verleihen oder spezielle Regelungen diskutieren. Wir werden uns bei dem Antrag enthalten

(Dirk Kienscherf SPD: Ach!)

und den Verlauf des Modellprojekts mit anderen parlamentarischen Mitteln begleiten. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP)

Frau Artus, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin, sehr geehrte Herren und Damen! Die Analyse der SPD stimmt. Langzeitarbeitslose haben eine kürzere Lebenserwartung, sie haben ein höheres Risiko für bestimmte Erkrankungen, und richtig wird auch die Feststellung aus dem Deutschen Ärzteblatt zitiert, dass Arbeitslose eine gesundheitliche Risikogruppe darstellen. Natürlich schlussfolgern Ärztinnen und Ärzte aus ihrem Verantwortungsbewusstsein heraus, dass für die gesundheitliche Förderung

von sozial benachteiligten Menschen daher in besonderem Maße Angebote zur Vorsorge von Erkrankungen verfügbar gemacht werden müssten.

Heruntergebrochen auf die Hamburger Situation stellt die SPD fest, dass es 67 900 Menschen sind, die sogenannte komplexe Profillagen aufweisen, und 81 800 der erwerbslosen Hilfebedürftigen schon länger als zwei Jahre SGB-II-Leistungen beziehen. Und für diese Menschen will die SPD-Fraktion Hamburg jetzt etwas tun. Und was will sie tun? Sie will ein mehrjähriges Projekt in Hamburg initiieren, ein Beratungs- und Leistungsangebot bereitzustellen. Verehrte SPD-Abgeordnete, wir werden Ihren Antrag ablehnen,

(Beifall bei der LINKEN)

und zwar deswegen, weil kein anderer Antrag wie dieser deutlich macht, wie sich die SPD als Ärztin an das Krankenbett des Kapitalismus setzt.

(Beifall bei der LINKEN – Zurufe von der SPD und der FDP: Oh, oh!)

DIE LINKE steht für grundsätzliche Veränderungen in der Beschäftigungspolitik.

(Glocke)

(unterbrechend) : Meine Damen und Herren! Das Wort hat Frau Artus.

DIE LINKE steht für grundsätzliche Veränderungen in der Beschäftigungspolitik. Sie steht dafür, Arbeitsplatzvernichter in die Pflicht zu nehmen.

(Zurufe von der CDU: Jawohl!)

Sie steht dafür, Hartz IV abzuschaffen

(Beifall bei der LINKEN)

und stattdessen eine repressionsfreie Grundsicherung für alle Menschen einzuführen, die nicht in der Lage sind, durch Erwerb ihren Lebensunterhalt zu sichern.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Caritas und auch die gesetzlichen Krankenkassen beschäftigen sich schon lange mit der Thematik, was man tun kann, um die Gesundheitsgefährdung infolge von Langzeitarbeitslosigkeit zu mindern. Beispielsweise sollen gesundheitliche Präventionskurse für Langzeitarbeitslose endlich kostenlos sein. Und auch der Deutsche Gewerkschaftsbund kommt in einer Studie über die Gesundheitsschädigung, die vor allem psychischer Natur und oft irreparabel sind, zu dem Ergebnis, dass Präventionsmaßnahmen der Krankenkassen Erwerbslose überhaupt nicht erreichen.

Und was soll jetzt ein mehrjähriges Pilotprojekt? Es wird das Gleiche dabei herauskommen. Dieser An

(Martina Kaesbach)

trag ist ein Schaufensterantrag erster Güte. Sie müssen sich doch ernsthaft fragen, verehrte SPD, wo der letzte Rest Ihrer Glaubwürdigkeit geblieben ist.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Hartz-Gesetze haben doch erst bewirkt, dass Menschen in Erwerbslosigkeit verhaften.

(Zurufe von der SPD: Oh, oh!)

Verehrte Abgeordnete! Seit diese Gesellschaft mit den Hartz-Gesetzen leben muss, also seit über zehn Jahren, hat sich die Situation für Erwerbslose massiv verschlechtert. Es ist nachgewiesen, dass man sich mit dem Hartz-IV-Satz nicht gesund ernähren kann. Das hat das gut verdienende SPDMitglied Thilo Sarrazin schon dazu gebracht, zynische Vorschläge zu machen, wie man sich mit 4,52 Euro am Tag wertstoffreich ernähren kann.

(Dirk Kienscherf SPD: Stimmt! – Finn-Ole Ritter FDP: Wer hat das erwiesen?)

DIE LINKE fordert deswegen, den Hartz-IV-Regelsatz endlich auf zunächst 500 Euro heraufzusetzen

(Zuruf von Dirk Kienscherf SPD)

und mittelfristig eine Mindestgrundsicherung von 1050 Euro einzuführen.

(Beifall bei der LINKEN)

Schauen wir uns einmal die weiteren Ursachen an, die Erwerbslose krank machen. Wenn Sie alle einmal konkret ertragen müssten, wie das ist, wenn ein Job-Center Sie sanktioniert, dann würden Sie es wissen. Es sind die Leistungskürzungen.

(Finn-Ole Ritter FDP: Woher wollen Sie das wissen?)

Es gibt zuhauf Berichte von Menschen, die Eingliederungsmaßnahmen nicht einhalten konnten und denen deswegen ihre Mindestgrundsicherung gekürzt wurde. Dann bleiben noch nicht einmal 4,52 Euro am Tag, um sich Essen zu kaufen. Depressionen bei Arbeitslosen kann vor allem dadurch begegnet werden, dass in den Job-Centern endlich aufgehört wird, willkürlich kranke Menschen zu sanktionieren.

(Beifall bei der LINKEN)