Kommen wir zum zweiten Teil, der konkreten Anwendung. Zunächst aber noch ein Satz zu Frau Möllers Ansinnen, wir müssten ein Instrument schaffen, um uns als Parlament hier einschalten zu können. Ich sage Ihnen ganz offen, dass ich das nicht so sehe. Wir als Parlament verabschieden Gesetze, und dann haben wir eine Exekutive, die dafür da ist, diese Gesetze auszuführen. Dafür trägt sie die Verantwortung und dafür können wir sie politisch zur Verantwortung ziehen. Und wir haben eine dritte Gewalt in diesem Staat, die genau das tut, was sie tun soll: Sie überprüft die Ausführung der Gesetze. Das hat sie zum Beispiel mit dem noch nicht rechtskräftigen Urteil aus dem Jahr 2012 über die Anwendung von Gefahrengebieten im Jahr 2011 getan. Wir haben also ein funktionierendes System, das müssen wir deutlich feststellen. Es gibt keinen Grund, warum das Parlament als Gesetzgeber auf einmal die Rolle wechseln sollte hinüber zur Exekutive. Wir wollen hier nicht exekutiv handeln, das ist Aufgabe und Verantwortung des Senats.
Ich bin mir sicher, dass wir in den nächsten Wochen und Monaten – vielleicht wird es bei einem solch komplexen Fall auch Jahre dauern – verwaltungsgerichtliche Entscheidungen bekommen werden zu dem, was der Senat gemacht hat. Am Ende werden wir klüger sein, was die rechtliche Anwendung betrifft. Ich will aber für meine Fraktion deutlich sagen, dass ich den Grundgedanken des Senats nachvollziehen kann, sich nach einer derartigen Gewalteskalation in den Wochen vor und nach den Weihnachtstagen zu überlegen, welche Maßnahmen ergriffen werden können und müssen, um Polizeibeamte, Wachen, aber auch Gebäude und Menschen in den betroffenen Stadtteilen zu schützen. Ebenso wenig will ich verhehlen, dass sich auch mir die Frage stellt, ob diese Maßnahme in ihrer Anlage und Breite nicht ein bisschen zu weit gefasst gewesen ist. Das wird der Senat in den Prozessen, die wir voraussichtlich erleben werden, im Detail nachweisen müssen. Er wird aufzeigen müssen, welche Voraussetzungen er gesehen und welche Argumente er hat, und dann werden wir bei einer Gerichtsentscheidung sehen, ob das richtig oder falsch war.
Gewünscht hätte ich mir aber trotz alledem – und dieser Punkt ist mir wichtig – die Betonung, dass eine Entscheidung mit einer solchen Tragweite mehr als eine rein verwaltungstechnische Entscheidung ist.
Die nachträgliche Information eines Innensenators kann ich mir schwer vorstellen nach den Jahren, in denen ich als Abgeordneter der Regierungsfraktion miterleben durfte, wie Senate handeln. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Innensenator Ahlhaus oder Vahldieck es geduldet hätte, dass eine Ent
scheidung dieser Tragweite ohne Beteiligung der Behördenspitze gefallen wäre. Das kann und darf nicht sein, da müssen wir klare Strukturen schaffen.
Wir werden an diesem Gesetz weiterhin festhalten und den Antrag der Kollegen der GRÜNEN nicht mittragen. Dem Änderungsantrag der SPD mit seinen vier Seiten Vortext und dem kleinen Antragstext stimmen wir zu; er wird, ehrlich gesagt, nichts verändern. Von mir aus können wir gern über einen Bericht reden, aber wichtig ist, dass die Substanz dieses Gesetzes erhalten bleibt.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Auch wir Liberale begrüßen es, dass wir nach der engagierten und teilweise hitzigen Debatte zur innenpolitischen Lage in der Aktuellen Stunde jetzt noch einmal mit etwas mehr Gelassenheit das zugrundeliegende Polizeigesetz debattieren. Lassen Sie mich eines vorweg sagen. Dieses Gesetz ist ein in Sachen Gefahrengebiet aus unserer Sicht eher unglücklich formuliertes Gesetz, und es ist in den letzten Wochen unglücklich angewendet worden. Das Problem liegt unseres Erachtens nicht in Paragraf 4 des Gesetzes über die Datenverarbeitung der Polizei, sondern vielmehr in der willkürlichen Anwendung dieses Gesetzes.
Sie alle hier im Parlament müssen einräumen, dass nach derzeitiger richterlicher Einschätzung – das sehen wir auch so – das Gesetz verfassungskonform ist. Die Konformität der Anwendung im letzten Monat ist jedoch zweifelhaft.
Denn erstens gibt es bis heute keine gesicherten Erkenntnisse darüber, ob der Vorfall, der zur Einrichtung des Gefahrengebiets hauptsächlich herangezogen wurde, tatsächlich so stattgefunden hat. Zweitens wurde die Entscheidungskette öffentlich kritisiert und infrage gestellt. Drittens ist die Größe, die dieses Gefahrengebiet hatte, in Hamburg unübertroffen und wurde deshalb in weiten Kreisen – auch von uns – als unangemessen angesehen. Dies sind jedoch Fehler, die in der Anwendung dieses Gesetzes liegen und nicht im Gesetz als solches. Damit solche Anwendungsfehler in Zukunft nicht mehr vorkommen, wollen wir Liberale am Gesetz nachbessern; daher unser Zusatzantrag. Wir wollen die willkürliche Entscheidung über die Einrichtung eines Gefahrengebiets verhindern, indem wir diese Entscheidung einem Richter
und abschließend einer Kammer, bestehend aus drei Berufsrichtern, übertragen. Diese Entscheidungsträger sind unabhängig genug, um eine objektive und verhältnismäßige Entscheidung zu treffen.
So verhindern wir, dass in Zukunft Gefahrengebiete eingerichtet werden, um die Eingriffsschwelle für polizeiliche Maßnahmen zu unterlaufen. Die Antragsbefugnis soll beim Polizeipräsidenten und seinem Stellvertreter liegen, damit in Zukunft jeglicher Verdacht, dass die Polizeiführung an einer Maßnahme von solcher Tragweite nicht beteiligt war, von vornherein vermieden wird. Was aus unserer Sicht ebenso gewährleistet werden muss, ist die geringe Größe des Gefahrengebiets, denn Lageerkenntnisse der Polizei dürfen nicht dazu führen, dass großflächig ganze Stadtteile zu einem Kontrollgebiet werden.
Das Verwaltungsgericht Hamburg hat in seiner Entscheidung bereits darauf hingewiesen, dass die Verfassungsmäßigkeit dieses Gesetzes auch dadurch gewährleistet ist, dass Personen, die die Kontrollen umgehen möchten, die Möglichkeit dazu haben. Diese Möglichkeit wird ihnen jedoch genommen, wenn das Gefahrengebiet so groß ist, dass ein Umgehen faktisch ausgeschlossen wird.
Die örtliche Beschränkung, die Anordnungsbefugnis und Beteiligung höchster Entscheidungsträger sollen dazu führen, dass der Polizei ein funktionierendes und rechtsstaatlich tragbares Mittel an die Hand gegeben wird. Gleichzeitig wollen wir aber auch, dass die Bürgerrechte in dieser Stadt zu keinem Zeitpunkt unterlaufen werden können.
Die Bürger müssen sich in Hamburg sicher fühlen, und zwar sowohl vor brutalen Krawallen als auch vor übermäßiger und anlassloser Kontrolle. – Herzlichen Dank.
Meine Damen und Herren, Herr Präsident! 51-mal hat die Polizei bisher von ihrem Recht Gebrauch gemacht, Orte, Straßenzüge und Stadtteile zum Gefahrengebiet zu erklären. Wir von der LINKEN setzen uns seit fünf Jahren kritisch mit dem Instrument des Gefah
rengebiets auseinander. Wir haben viele Anfragen dazu gestellt und die problematische Praxis des Gefahrengebiets umfangreich dokumentiert. Jetzt hat im Zusammenhang mit dem letzten, am 4. Januar errichteten Gefahrengebiet die Problematik eine breite Öffentlichkeit erreicht. Das hängt erstens mit der Größe des Gefahrengebiets zusammen. Fast 80 000 Menschen wohnen in dem betroffenen Gebiet, vielleicht noch einmal so viele halten sich am Wochenende dort auf. Zweitens war die symbolische Botschaft des Gefahrengebiets so eindeutig, die politische Absicht hinter dem Gefahrengebiet so offen, dass allen klar war, der Szene – also den kritischen städtischen Milieus in diesen Stadtteilen – sollte die staatliche Macht demonstriert werden. Und drittens sorgte der friedliche, subversive, kreative Widerstand im Gefahrengebiet für große Öffentlichkeit. Ihm und der kräftigen, insbesondere in den großen überregionalen, liberalen Tageszeitungen verbreiteten Kritik sowie der von juristischer Seite vorgebrachten Kritik ist es zu verdanken, dass die Problematik dieses Polizeiinstruments einer größeren Öffentlichkeit deutlich wurde.
Es ist bezeichnend, dass der SPD-Fraktion in ihrem eilig zusammengeschusterten, handwerklich unglaublich schlechten Zusatzantrag
der Begriff "Gefahrengebiet" nur über die Lippen kommt, wenn sie die GRÜNEN, uns oder das Verwaltungsgericht zitiert.
Selbst spricht sie von lageabhängiger Kontrollmöglichkeit für die Hamburger Polizei, als könne man durch die Verniedlichung die Problematik aus der Welt schaffen. Was Sie dann an parlamentarischen Kontrollmöglichkeiten beantragen, ist, mit Verlaub, lächerlich,
Wir von der LINKEN wollen das polizeiliche Instrument des Gefahrengebiets abschaffen. Von den vielen Gründen, die wir haben, will ich drei wichtige nennen.
Erstens ist dieses polizeiliche Instrument ein sehr politisches Instrument, eine Ermächtigung der Polizei, nicht nur in einem bestimmten Gebiet verdachts- und anlasslos Bürger- und Persönlichkeitsrechte einzuschränken, sondern damit Politik zu machen. Nicht nur das letzte Gefahrengebiet hat das überdeutlich gemacht; mehr oder weniger trifft
das für sehr viele der bisherigen Gefahrengebiete zu. Wenn die Polizei ermächtigt ist, Zielgruppen festzulegen, um sie dann systematisch zu kontrollieren, wenn sie etwa im Gefahrengebiet St. Georg, das mit Lageerkenntnissen zu Drogenkriminalität begründet wird, viele Zehntausend Platzverweise und Aufenthaltsverbote erteilt hat, dann macht sie natürlich Politik – Stadtteilpolitik. Dann versucht sie, soziale Probleme durch die systematische Vertreibung von Junkies polizeilich – in Anführungszeichen – zu lösen. Damit hat die Polizei Befugnisse, die sie unserer Meinung nach in einer demokratischen Republik nicht haben sollte.
Zweitens sind die polizeilichen Ermächtigungen durch das Gesetz nicht, wie zu verlangen, begrenzt und präzise, sondern weitreichend und unpräzise.
Je weitreichender polizeiliche Ermächtigungen ausfallen und je unpräziser sie ausgestaltet sind, desto größer die Gefahr willkürlichen polizeilichen Handelns. Da die polizeilichen Kontrollen nicht aufgrund konkreter Verdachtsmomente erfolgen, sondern verdachtsunabhängig, gibt es keine sinnvollen Kriterien für die Auswahl der zu kontrollierenden Personen. Ich greife einmal einige Zielgruppenfestlegungen der Polizei heraus, die wir in den Antworten auf unsere Schriftlichen Kleinen Anfragen erhalten haben – ich zitiere –:
"Personengruppen, die augenscheinlich nach ihrem äußeren Erscheinungsbild und/ oder ihrem Auftreten der linksradikalen/-autonomen Szene zugeordnet werden könnten"