Protocol of the Session on November 27, 2013

Natürlich, aber die sind durch die Wahlkreise hineingekommen; es ist doch völlig egal, ob so oder so.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Da gab es die 3 Prozent ja noch!)

Verzeihung, Herr Dr. Dressel, egal, ob bei 51 Abgeordneten drei oder vier einzelne Abgeordnete in der Versammlung sind oder nicht, wenn die anderen Parteien nicht in der Lage sind, eine funktionsfähige Regierung – in Anführungszeichen – aufzustellen, dann tut es mir leid um die Demokratie in Hamburg. Das muss ich Ihnen wirklich einmal sagen.

(Beifall bei der FDP)

Der Vergleich des Berliner Urteils mit dem Hamburger Urteil ist natürlich auch schief und krumm. Die Bezirke in Berlin haben viel mehr Rechte als die Hamburger, das sollten Sie wissen.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Nee, so viel Un- terschied ist da nicht!)

Das werden Sie vermutlich bedauern, und wahrscheinlich wird in nächster Zeit ein Antrag der drei großen Fraktionen kommen, dass die Bezirksversammlungen viel mehr Rechte bekommen sollen, so wie andere Kommunalvertretungen in anderen Ländern. Dem sehe ich sehr aufmerksam entgegen.

(Dirk Kienscherf SPD: Nö!)

Ansonsten ist das auch wieder nur eine Schutzbehauptung.

Für uns gibt es diese drei Punkte, die dazu führen, dass wir diesem Antrag nicht zustimmen werden. Wir sehen in diesem Fall die weitreichenden Konsequenzen von Verfassungsänderungen nicht ein. Ich verstehe auch nicht – das ist eine Änderung der Verfassung –, warum das so schnell durch die Bürgerschaft gebracht werden soll

(Beifall bei Christiane Schneider DIE LINKE)

und frage mich, ob wir nächste Woche nach der ersten Lesung diese Expertenanhörung erhalten werden. Es ist doch klar, was am Ende dabei herauskommt, nämlich die zweite Lesung mit derselben Mehrheit. Ich glaube nicht, dass irgendein Parlamentarier der antragstellenden Fraktionen seine Meinung, zumindest offiziell, noch ändern wird.

(Beifall bei der FDP – Barbara Duden SPD: Vielleicht sind Sie ja derjenige, der seine Meinung ändert!)

Lassen Sie mich zum Schluss zu den Informationen kommen, die zwischen den Zeilen dieser Begründung stehen. Ich glaube nämlich nicht, dass dieser Antrag aus den demokratischen und tiefschürfenden Überlegungen heraus entstanden ist,

(Olaf Ohlsen CDU: Wieso nicht?)

die Demokratie in Hamburg könnte nach diesen Wahlen dann gestört werden.

(Zurufe von der CDU: Nee, nee!)

Früher war es viel einfacher, Zweier-Koalitionen zu bilden. Dann hatte man vier Jahre Zeit, und es hieß dann beispielsweise: Wenn du meinen Bezirksamtsleiter wählst, dann bekommt ihr in zwei oder drei Jahren, wenn wieder ein Posten frei ist, einen Dezernenten eurer Couleur. Und wenn der Turnverein XY 500 Euro bekommt …

(Zuruf von der SPD: Das haben Sie nicht ge- dacht!)

Nein, aber es ist doch gut, dass Sie Bezirkspolitikern so etwas überhaupt zutrauen.

Das heißt, in den Bezirken wird nicht sehr viel darüber entschieden, was Hamburg angeht und was wirklich gefährlich ist.

(Barbara Duden SPD: Es wird nur noch schlimmer, wenn Sie weiterreden!)

Es tut mir leid, aber die Bezirksparlamente sind wirklich Spielwiesen des Nachwuchses.

(Dirk Kienscherf SPD: Was haben Sie für ei- ne merkwürdige Bezirksversammlung in Harburg!)

Dort lernen unsere Nachwuchspolitiker gleich, wie man Politik macht, und zwar nicht über argumentative Auseinandersetzungen mit anderen Abgeordneten. Sie lernen, dass man auch für einige Dinge keine feste Mehrheit hat, weil man eben keinen festen Koalitionspartner hat. Das ist der einzige

(André Trepoll)

Grund, warum das jetzt auf der Tagesordnung steht. Einige Bezirksfürsten möchten gern ab Mai weiterregieren und das möglichst einfach. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP – Barbara Duden SPD: Dann hoffentlich ohne FDP!)

Vielen Dank, Herr Dr. Duwe. – Das Wort hat Frau Schneider.

Meine Damen und Herren, Herr Präsident! Die Fraktion DIE LINKE stimmt der Verfassungsänderung nicht zu.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich nenne dafür drei Gründe, aber ich möchte vorher noch eines sagen. Es ist darauf verwiesen worden, dass es einen Kompromiss gab. An dem waren wir auch beteiligt und haben ihm zugestimmt. "Mehr Demokratie" ist eben heftig kritisiert worden, weil sie von diesem Kompromiss abgerückt sind. Dieser Teil des Kompromisses ist durch keinen der Beteiligten aufgekündigt worden, sondern er hat der Prüfung des Hamburger Verfassungsgerichts einfach nicht standgehalten. Das heißt, die Argumente des Verfassungsgerichts gegen die Sperrklausel liefern natürlich Gründe, auch für uns, diesen Teil des Kompromisses nicht mehr mitzutragen, denn er ist nicht durch uns aufgekündigt, wir haben ihn mitgetragen, aber er ist sozusagen durch das Gericht aufgekündigt.

(Dietrich Wersich CDU: Das nennt man Dia- lektik!)

Nein, das nennt man nicht Dialektik. Sie sind jetzt vielleicht nicht darauf aus, einem Argument des Gerichts zu folgen, wir dagegen schon.

(Beifall bei der LINKEN)

Jetzt möchte ich drei Gründe nennen. Vielleicht regen Sie sich ein bisschen ab. Sie sind sehr nervös, und das spricht gegen Ihr Vorhaben.

(Dietrich Wersich CDU: Entschuldigen Sie, dass wir uns mit dem Inhalt Ihrer Rede aus- einandersetzen!)

Aber erst denken und dann reden, Herr Wersich. Erst hören ist vielleicht auch in Ordnung.

Erstens: Wo immer die Frage steht, wir sind für mehr Demokratie und nicht für weniger. Die Wiedereinführung einer Sperrklausel bei den Bezirksversammlungswahlen heißt weniger Demokratie. Vor nicht einmal einem Jahr hat das Hamburgische Verfassungsgericht der Bürgerschaft ins Stammbuch geschrieben, dass jeder Partei, jeder Wählergruppe und ihren Wahlbewerberinnen und Wahlbewerbern grundsätzlich die gleichen Chancen bei der Verteilung der Sitze eingeräumt werden müssten. Jede Sperrklausel – jede Sperrklausel ist übri

gens willkürlich, warum 3 Prozent und nicht 2,5 Prozent, warum nicht 5 oder 10 Prozent? – schließt Parteien und Vereinigungen aus, die diese Hürde verfehlen. Diese Verletzung der Wahlgleichheit und der Chancengleichheit der politischen Parteien und Vereinigungen bedeutet umgekehrt, dass die Stimmen, die dabei verloren gehen, die demokratische Legitimation der Bezirksversammlungen schwächen. Die Pluralität und Vielfalt der Meinungsbildung der Bürgerinnen und Bürger im Bezirk bildet sich in ihnen eben nicht vollständig ab.

Ein Blick auf die Wahlergebnisse von 2011 zeigt, dass vor allem die Piraten und ihre Wählerinnen und Wähler eingeschränkt wurden, auch die Freien Wähler und die NPD. Ich glaube, dass die Besorgnis, dass die NPD in die Bezirksversammlung einziehen könnte, natürlich auch Pate gestanden hat. Davon gehe ich aus, bei uns hat das in der Debatte auch eine Rolle gespielt; deswegen will ich auf dieses Argument eingehen. Der Einzug der NPD in die Bezirksversammlungen muss verhindert werden, darin sind wir uns einig.

(Beifall bei der LINKEN)

Aber wir von der LINKEN sind mehr als skeptisch, ob das durch Methoden zu bewerkstelligen ist, die die Demokratie einschränken. Wir müssen uns mit der NPD und den menschenfeindlichen Überzeugungen, die sie repräsentiert, auseinandersetzen. Wir müssen ihnen entgegentreten, wo immer es geht. Wir sind für das NPD-Verbot, weil Faschismus eben keine Meinung ist, die mit anderen Meinungen einer pluralen Gesellschaft konkurriert.

(Beifall bei der LINKEN)

Faschismus beinhaltet nämlich das Verbrechen, denn Faschismus ist Diskriminierung bis hin zur Vernichtung Andersdenkender, Andersaussehender, Anderslebender und bedeutet die Abschaffung der Demokratie. Dagegen hilft nur die Verteidigung und Stärkung der Gleichheit aller Menschen, die aktive Bejahung von Vielfalt und Pluralität. Deshalb ist die Verhängung von Sperrklauseln als Mittel zur Ausschaltung von NPD und anderen Neonazis schon strukturell sehr problematisch.

(Beifall bei der LINKEN)

Wollen wir, wenn sie einmal stärker werden sollten, die Sperrklausel eigentlich immer höher ziehen?

Zweitens: Parteien spiegeln in ihrem Kräfteverhältnis sowieso nur teilweise und oft gar nicht die Meinungsbildung der Bürgerinnen und Bürger wider. Das zeigen positiv die Ergebnisse von Volksentscheiden; diese Erfahrung haben wir gerade gemacht. Das macht auf negative Weise auch der hohe Anteil von Nicht-Wählerinnen und Nicht-Wählern deutlich, die sich zumindest in Teilen eben nicht durch die etablierten Parteien repräsentiert sehen. Auch deshalb darf es neuen Ideen und

(Dr. Kurt Duwe)

neuen oder auch speziellen Anliegen nicht schwerer gemacht werden als etablierten Parteien, Einfluss auf die Verwaltung und dadurch auf die Staatswillensbildung zu nehmen. Die Weiterentwicklung direkter Demokratie sollte nicht zur Begründung von Sperrklauseln gebraucht – und ich meine missbraucht – werden.

(Beifall bei der LINKEN)