Mich erinnert dieses Lamentieren an die Diskussion zur Abschaffung der isolierten Hauptschule, die in Hamburg vorausging. Die Datenlage war damals so, dass 35 Prozent der befragten Eltern für die Beibehaltung der Hauptschule waren, und Analysen ergaben, dass aber nur rund 11 Prozent eines Jahrgangs überhaupt in der Hauptschule angemeldet wurden. Das war eine große Diskrepanz, und die Analysen ergaben dann, dass die hohe Zustimmung auf Eltern zurückzuführen war, die auf jeden Fall verhindern wollten, dass die sozial stigmatisierten Hauptschüler mit ihren Kindern in einer Schule und in einer Klasse unterrichtet wurden.
Ich sage Ihnen von der FDP und der CDU auf den Kopf zu: Es geht Ihnen bei dem Zwei-Säulen-System in erster Linie darum, die soziale Auslese bis zum Abitur aufrechtzuerhalten.
(Beifall bei Christiane Schneider DIE LINKE – Anna-Elisabeth von Treuenfels FDP: Sie hat's verstanden!)
Sie benutzen die Stadtteilschulen, um das Gymnasium als Schulform erster Qualität aufzuwerten, das kann man aus jedem Satz von Ihnen hören. Und wie sieht Ihre Stärkung der Stadtteilschulen aus? Unter dem damaligen Schulsenator Wersich wurde die nach dem Volksentscheid mühsame Empfehlung zum Übergang von Klasse 4 auf Klasse 5 gemeinsam mit der Bürgerschaft, dem Senat und der Initiative "Wir wollen lernen" anders umgesetzt, als sie gedacht war. Anstatt einer Schullaufbahnempfehlung, die besagt, dass ein Potenzial für Hauptschule, Realschule oder Abiturabschluss vorhanden ist, wurde eine Schulformempfehlung ausgesprochen. Das wurde den Eltern an die Hand gegeben, und das ist bis heute so geblieben. Das war eine Entscheidung, die ganz klar zulasten der Stadtteilschule ging. Das Ergebnis kennen wir heute, nämlich dass nur 9 Prozent aller Schülerinnen und Schüler, die in der fünften Klasse der Stadtteilschule ankommen, eine Gymnasialempfehlung haben. Das ist die Ursache für KESS 13 und nichts anderes.
(Beifall bei der LINKEN – Dietrich Wersich CDU: Sie meinen, wenn Sie alles gleichma- chen, kommen Sie auf gleiche Ergebnisse! Tolles Konzept!)
Ein anderer Punkt ist, dass von den zwei für alle Eltern verbindlichen Lernentwicklungsgesprächen auf Druck von CDU und FDP eines gestrichen wurde. Das ist gerade für die Mittelstufe der Stadtteilschulen, die entscheidend für die Ergebnisse der KESS-13-Studie war, ein nicht wiedergutzumachender Nachteil. Auch die SPD hat das unterstützt.
(Zurufe von der CDU – Robert Heinemann CDU: Wir haben dagegen gestimmt! – Anna- Elisabeth von Treuenfels FDP: Wir auch!)
Die nach dem Volksentscheid ausgehandelte innere Schulreform sah vor, dass nach der sechsten Klasse nicht mehr per Zeugniskonferenz vom Gymnasium abgeschult werden darf. Wir waren alle sehr froh, dass wir das erreicht hatten. Jetzt können Gymnasiasten von der zehnten Klasse wieder in die VS, in den elften Jahrgang einer Stadtteilschule wechseln. Dadurch wird die Stadtteilschule
ein Auffangbecken für diejenigen, die am Gymnasium gescheitert sind. Aufwertung und Stärkung ist das nicht, und auch das hat die SPD mitgemacht.
Die Ergebnisse der Schulinspektionen werden auf Betreiben von CDU und FDP jetzt ins Netz gestellt. Angesichts der derzeitigen Situation in den Hamburger Schulen – da brauche ich nicht "Panorama" zu sehen oder irgendwelche Artikel zu lesen – ist das ein ganz klarer Nachteil für die Stadtteilschulen. Auch da sind die Sozialdemokraten leider eingeknickt.
Gestern wurde von der FDP und der CDU der Versuch unternommen, die gemeinsame Schulaufsicht für Gymnasien und Stadtteilschulen aufzulösen,
um, wie Frau von Berg sagte, den Standesdünkel, das heißt die klare Abgrenzung, wieder einzuführen. Hier hat die SPD direkt einmal Nein gesagt, aber auch nur, weil sie die GRÜNEN und DIE LINKE an ihrer Seite wusste, aber immerhin ist es ein Anfang.
Meine Damen und Herren von der FDP und der CDU, hören Sie endlich auf mit Ihren scheinheiligen Beschwörungsformeln zur Stärkung der Stadtteilschulen. Ihnen ist einzig und allein wichtig, dass die bisherige Gymnasiastenklientel unter sich bleibt und dass das Abitur auf dem Gymnasium mehr wert ist als das der Stadtteilschule. Sie haben nach wie vor nichts als Ausgrenzung im Sinn. Ich will schon gar nicht über Ihre Vorschläge zur äußeren Differenzierung reden und über die Abschaffung des Sitzenbleibens.
Das hängt alles damit zusammen. Das, was Sie vorhaben, die Ausgrenzung und die Abgrenzung, trägt nicht zum sozialen Frieden in dieser Stadt bei.
Wir sind ziemlich entsetzt, wie häufig die SPD eingeknickt ist gegenüber den Vorschlägen von CDU und FDP. Nach der KESS-13-Studie muss festgestellt werden, dass das Zwei-Säulen-Modell einem Scherbenhaufen gleicht. Es ist gescheitert, schneller und heftiger als erwartet.
Zum Wohle der Kinder und Jugendlichen aus allen sozialen Schichten sehen wir von der LINKEN nur einen einzigen Ausweg,
Dann wird auch an allen Schulen die Inklusion umgesetzt. Und das ist genau das, was der Begriff Inklusion bedeutet, nämlich alle gemeinsam und nicht an verschiedenen Schulen.
Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Die zentralen der Ergebnisse der KESS-13-Studie sind in der Tat Anlass zum Nachdenken. Vier Ergebnisse will ich nennen:
Im Vergleich zu 2005 haben sieben Jahre später im Jahr 2012 67 Prozent mehr Schülerinnen und Schüler aus den ehemaligen Haupt-, Real- und Gesamtschulen das Abitur gemacht. Die Zahl der Abiturienten ist damit gestiegen. Ihre Leistungen in Englisch sind gleich geblieben, in Mathematik haben sie sich verschlechtert.
Die nächste Botschaft ist die eigentlich schwierige. Wie schon im Jahr 2005 haben auch im Jahr 2012 diese Abiturientinnen und Abiturienten gegenüber denen am Gymnasium einen Lernrückstand von drei Jahren – ein Skandal, der uns allerdings seit mittlerweile mehr als einem Jahrzehnt begleitet. Die Studie sagt sehr klar, wann die Schülerinnen und Schüler wo zur Schule gegangen sind und wo die entscheidenden Fehler passierten. Sie weist nach, dass diese Schülerinnen und Schüler am meisten in der Mittelstufe versäumt haben, die sie von 2003 bis 2009 in den untergegangenen Haupt-, Real- und Gesamtschulen besucht haben. Nun glaubt die Opposition, dass es für diese Entwicklung gleich drei Ansatzpunkte und Schuldige gibt: erstens natürlich den Schulsenator, zweitens die angeblich fehlende Sortierung dieser Schülerinnen und Schüler in gute und schlechte Leistungsgruppen, und drittens ganz allgemein die Stadtteilschule. Ich würde diese Argumente gern genauer betrachten.
Zunächst einmal: Ist die Politik schuld und wenn ja, welche? Die Studie hat sehr klar nachgewiesen, dass die entscheidenden Versäumnisse 2003 bis 2009 an den Haupt-, Real- und Gesamtschulen passiert sind. Wenn ich mich richtig erinnere, hat in dieser Zeit nicht die SPD regiert, sondern es war im Gegenteil die CDU, deren Regierungszeit bereits zwei Jahre vorher begonnen hatte und die zwei Jahre später noch immer an der Regierung war; alle wissen das. Es wäre ehrlicher, wenn wir schon diese alberne Sündenbock-Suche machen, wenn Sie Ihre eigene Mitverantwortung – auch die der FDP – erkennen und mit dem Werfen dieser Schuldzuweisungsnebelkerzen aufhören würden.
Schule verändert sich so langsam, dass auch die ambitioniertesten Schulreformen erst nach Jahren eine Wirkung entfalten.
Also sollten wir uns eher die Fragen nach den Ursachen stellen. Herr Scheuerl sagt für die CDU, es könne daran liegen, dass die Schüler damals nicht nach Leistung getrennt, sondern in einer Art Kuddelmuddel-Situation alle gemeinsam unterrichtet worden seien, Leistungsstarke und Leistungsschwache. Tatsächlich aber ist es genau umgekehrt. Von 2003 bis 2009, lieber Herr Scheuerl, wurde unter der CDU-Regierung sehr genau darauf geachtet, dass getrennt wurde. Mein eigener Sohn besuchte damals eine Gesamtschule, und es gab in zahlreichen Fächern A- und B-Kurse für leistungsstarke und leistungsschwache Schülerinnen und Schüler. Wenn wir also schon so eine simple Ursachenforschung nach dem Motto "Trennung ist gut" machen, dann müssen wir hier feststellen, dass diese Schüler die ganze Zeit getrennt unterrichtet worden sind, aber trotzdem schlechte Leistungen gebracht haben.
Wenn es eine Erklärung gibt, dann höchstens die, dass Trennung eher ein Teil des Problems als eine Lösung ist.
Kommen wir zur dritten genannten Ursache. Es wird pauschal immer gesagt, die Stadtteilschule habe dieses oder jenes Problem und der Schulsenator müsse es lösen. Darf ich Sie daran erinnern, dass die getesteten Kinder 2003 gar nicht in Stadtteilschulen eingeschult wurden? Die wurden erst 2010 gegründet. 2003 wurden diese getesteten Kinder in Haupt- und Realschulen, in integrierten Haupt- und Realschulen und in Gesamtschulen eingeschult. Diese Studie dafür zu nutzen, die Stadtteilschule schlechtzureden und für die Ergebnisse anderer Schulformen verantwortlich zu machen, ist insofern sachlich vollkommen absurd. Ich bin schon ein Stück weit entsetzt darüber, wie einige diese Wahrheit verdrehen und die Stadtteilschule für Fehler der Vorgängerschulformen verantwortlich machen. Wenn diese Studie ein Ergebnis hat, dann lautet es, dass es allerhöchste Zeit war, die Stadtteilschule zu gründen. Das ist eine gute Schulform.
samtschulen plötzlich der Stadtteilschule anlasten wollen. An dieser Stelle muss man offen sagen, dass es teilweise unangenehme und unheilvolle Bündnisse gibt; Frau Heyenn, damit möchte ich auch Ihre Partei ansprechen. Ihre Bildungsexpertin Frau Boeddinghaus erklärt die Stadtteilschule pauschal für gescheitert, weil sie das Zwei-SäulenSystem umstürzen will. Sie braucht die kaputte Stadtteilschule. Das erinnert fatal an Politstrategien linker Sektierergruppen aus den Siebzigern nach dem Motto: Krise herbeireden, um die Revolution auszulösen. Aber hier geht es um Kinder.
Genauso entsetzt bin ich über das Verhalten der CDU. Sie hätte nach dieser Studie stolz und mit Recht sagen können: Wir haben recht gehabt. Denn es ist die CDU gewesen, die die Stadtteilschule als Antwort auf das Versagen der früheren Vorgängerschulen erfunden hat. Insofern ist diese Studie eine Bestätigung der guten Idee, die Stadtteilschule einzuführen. So hätte man es eigentlich machen können und müssen. Stattdessen aber lässt die CDU Herrn Scheuerl schalten und "waltern".
Er erzählt, dass die Stadtteilschule eine Schule zweiter Klasse sei, eine Schule für schwierige Kinder, altlinke Kollegien würden dominieren. Das Abitur an der Stadtteilschule sei ohnehin völlig unsinnig, da wir zu viele Abiturienten hätten. In jeder zweiten E-Mail lese er von der Überlegenheit der alten Haupt- und Realschule. Deswegen frage ich die CDU allen Ernstes: Was ist denn jetzt Ihre Politik? Wollen Sie die Haupt- und Realschulen wieder einführen? Wenn nicht, dann bekennen Sie sich endlich zu dieser Schulform mit einem einfachen Satz, und den sollte auch Herr Scheuerl einmal sagen: Es war richtig, die Haupt-, Real- und Gesamtschulen durch die Stadtteilschulen zu ersetzen. Wir wollen jedenfalls, dass die Stadtteilschule eine erfolgreiche Schule für Kinder aller Begabungen wird und zu allen Schulabschlüssen bis hin zum Abitur führt.