Der Antrag der Kolleginnen und Kollegen der CDU ist richtig. Es ist wichtig, dass man auch relativ unwahrscheinliche Katastrophenszenarien beleuchtet, und zwar vor dem Wahltag. Da ich aber nicht glaube, dass Sie diesen Antrag annehmen werden, haben wir als FDP-Fraktion mit der Drucksache 20/8826 rechtzeitig eine Große Anfrage zu dem Thema eingebracht. Ihrem Weltbild des devoten Staatsuntertanen setzen wir das des selbstbewussten Staatsbürgers entgegen, für den sich Leistung auch lohnen muss. Das sind Bürger, die keine 30-Stunden-Woche mit einem Rieseneinkommen haben, sondern 60, 70 Stunden für ihr Unternehmen arbeiten und das Geld reinvestieren.
Frau Hajduk, Sie können mit Freibeträgen und so weiter noch so viel argumentieren – ob das verfasssungsrechtlich haltbar ist, sei dahingestellt –, aber festzustellen ist, dass Sie das Steuersystem, das leider noch immer relativ kompliziert ist, obwohl wir es in den letzten Jahren schon etwas vereinfacht haben, dadurch noch komplizierter machen. Vielleicht finden die Steuerberater es gut, da das eine neue Konjunktur für sie wäre.
Deshalb ist es auch richtig, den Soli endlich auslaufen zu lassen. Das wurde damals versprochen, und dieses Versprechen gilt für die FDP. Am
22. September haben wir die Entscheidung: Wollen wir den rot-grünen raffgierigen und nimmersatten Steuer- und Abgabenstaat oder wollen wir das Modell, das die FDP präferiert: einen starken Staat, der allerdings schlank mit seinen Ressourcen wirtschaftet?
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Sie von der CDU haben die Bürgerschaft mit Ihrem Antrag in eine Wahlkampfarena verwandelt. Das ist nicht in Ordnung.
Sie malen ein Gespenst von Rot-Grün, den Raffzähnen, an die Wand, aber hier im Raum glaubt doch niemand, dass es eine rot-grüne Regierung nach dem 22. September gibt.
Selbst Sie stimmen mir zu, richtig? Trotzdem muss man etwas zur Steuerpolitik von Schwarz-Gelb sagen. Mehrfach ist gesagt worden – und das nehmen Sie nicht zur Kenntnis –, dass zurzeit 10 Prozent der Bevölkerung über 50 Prozent der Vermögen besitzen, und 50 Prozent der unteren Einkommen haben nichts. Sie haben über Jahre eine schwarz-gelbe Steuerpolitik nach dem Motto "Wer wenig hat, dem wird genommen, und wer viel hat, dem wird gegeben" gemacht.
Die Grundlage für diese ungerechte Verteilung, die unter Schwarz-Gelb immer schlimmer geworden ist, ist vor zehn Jahren von Rot-Grün gelegt worden. Die SPD und die GRÜNEN haben das eingesehen und jetzt Programme geschrieben, in denen sie sich ein bisschen an uns orientieren. Das begrüßen wir sehr.
In einer Zeitschrift sind alle Steuerprogramme durchgerechnet worden, und es ist herausgekommen, dass die Vorschläge der GRÜNEN die meisten Steuereinnahmen produzieren und nicht die der LINKEN, um das deutlich zu sagen.
Ich würde gern von der Geisterdebatte Rot-Grün in die Realität zurückkommen. Meine Befürchtung ist, dass es nach dem 22. September eine Große Koalition gibt und dann das kommt, was ich schon 28 Jahre lang erlebt habe, nämlich dass die Steuer
programme der SPD Makulatur sind. Es wäre schade drum, weil es nötig ist, dass man es anders macht. Gregor Gysi sagte, dass es einen sozialdemokratischen Kanzler nur mit der LINKEN geben kann.
Das ist einfache Arithmetik, und mit Millionärssteuer, Spitzensteuersatz, Vermögensteuer, Erbschaftsteuer und Transaktionssteuer haben wir viele Gemeinsamkeiten. Es gibt aber bei uns einen Unterschied zu den anderen Parteien, denn wir wollen eine Reform der Einkommensteuer. Das bedeutet, dass wir den Grundfreibetrag auf 9300 Euro erhöhen wollen und dass man bei Einkommen von 1000 Euro brutto im Monat keine Steuern zahlt. Wir wollen, dass die Einkommen bis 2500 Euro brutto pro Monat 85 Euro Steuern pro Monat weniger zahlen. Wir sind also nicht generell für Steuererhöhungen, sondern für Steuergerechtigkeit, und zwar sowohl in der Opposition als auch in der Regierung.
Wer möchte dem CDU-Antrag aus Drucksache 29/8788 in der Neufassung seine Zustimmung geben? – Die Gegenprobe. – Enthaltungen? – Dann ist der Antrag abgelehnt.
Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 82, Drucksache 20/8810, Antrag der Fraktion DIE LINKE: Personalmangel im Pflegedienst in Hamburgs Kliniken – die Auswirkungen auf die Versorgung der Patientinnen und Patienten darlegen.
[Antrag der Fraktion DIE LINKE: Personalmangel im Pflegedienst in Hamburgs Kliniken – die Auswirkungen auf die Versorgung der Patientinnen und Patienten darlegen – Drs 20/8810 –]
Diese Drucksache möchte die SPD-Fraktion an den Gesundheitsausschuss überweisen. Das Wort wird von Frau Artus gewünscht.
Herr Präsident, sehr geehrte Herren und Damen! Ein Krankenhaus ist kein Bahnhof und eine Krankenstation kein Stellwerk,
aber da seit Jahren akuter Personalmangel in den Krankenhäusern herrscht, wünsche ich mir von der Bundeskanzlerin endlich eine vergleichbare Auffor
derung an die Klinikkonzerne, wie sie sie jetzt an die Deutsche Bahn im Falle des Mainzer Bahnhofs gerichtet hat: Stellt endlich mehr Personal ein.
Ich weiß nicht, ob Frau Dr. Merkel ihren Blinddarm noch hat. Wenn er ihr herausoperiert werden müsste, dann würde das Krankenhaus dafür 3500 Euro bekommen, ganz gleich, welche Komplikationen auftreten und wie der individuelle Heilungsprozess verläuft. Grundlage ist ein seit 2003 auf Fallzahlen basiertes System. Es hat zu einer unglaublichen Ökonomisierung des Krankenhausbetriebs geführt. Die Folgen sind dramatisch und das nicht nur, weil Frau Merkel als mögliche Kassenpatientin in einem städtischen Krankenhaus nicht individuell versorgt werden würde. In der Folge wurde stückweise Personal abgebaut. Es ist heute normal, dass eine Station nachts von nur einer Pflegekraft betreut wird. Was macht also eine Pflegerin oder ein Pfleger, wenn es in mehreren Zimmern zeitgleich klingelt? Man muss sich den Stress vorstellen, den eine Pflegefachkraft hat, zu wissen, dass dringend ihre Hilfe benötigt wird, sie sich aber nicht zerteilen kann. Man muss sich vorstellen, was es für eine Patientin oder einen Patienten bedeutet, lange warten zu müssen, obwohl man ein dringendes Bedürfnis hat oder auch akute medizinische Hilfe braucht.
Die Gewerkschaft ver.di hat ausgerechnet, dass allein in Hamburg über 4000 Stellen in der Krankenhauspflege fehlen. Man muss sich vorstellen, welche Lücken das in den Krankenhausstationen bedeutet. Bei fast 40 Krankenhäusern in Hamburg können Sie sich das schnell einmal ausrechnen. Eine Pflegekraft als Nachtwache ist da nur ein Beispiel. Es fallen auch immer wieder Operationen aus, und es wird oft viel zu früh entlassen. Nach einem Kaiserschnitt gehen frischgebackene Mütter heute nach fünf Tagen aus der Klinik, vor zehn Jahren hielten sie sich noch neun Tage in der Klinik auf. Apropos Kaiserschnitt: Jede dritte Geburt endet heute mit einem Kaiserschnitt. Haben die Frauen etwa das Kinderkriegen verlernt? Nein, für eine natürliche Geburt bekommt ein Krankenhaus 1500 Euro und für einen Kaiserschnitt 2600 Euro.
Ein Kaiserschnitt dauert zwanzig bis dreißig Minuten, während eine natürliche Geburt, das wissen Sie alle, mehrere Stunden Arbeit im Kreißsaal erfordert. Die Krankenhäuser reden sich damit heraus, dass immer mehr Frauen einen Kaiserschnitt wünschen. Dem ist aber nicht so, höchstens sieben Prozent aller Kaiserschnitte geschehen auf Wunsch von Frauen.
Während also das Pflegepersonal abgenommen hat – auch wenn es in den letzten Jahren wieder eine leichte Zunahme gab –, steigen die Behand
lungsfälle. Die Krankenhäuser in der Bundesrepublik Deutschland betreuen jährlich über 18 Millionen Menschen – 1996 waren es noch etwas über 16 Millionen. Andersherum ausgedrückt kamen 1996 noch 46,3 Patientinnen und Patienten auf eine Pflegekraft, 14 Jahre später waren 59 Menschen pro Fachkraft zu versorgen.
Dass jeder Behandlungsfall – ob eine BlinddarmOP oder eine Geburt – nur pauschal vergütet wird, setzt die Krankenhäuser auch unter einen enormen wirtschaftlichen Druck. Das hat zur Folge, dass mehr Behandlungen erzeugt werden, siehe die Kaiserschnittquote. In einigen Privatkliniken kommt übrigens schon jedes zweite Baby nicht mehr auf natürlichem Wege zur Welt. Immer mehr Technik wird eingesetzt, um Bettlägerige zu überwachen, und die Betten werden so schnell wie möglich wieder freigemacht, da jeder Tag das Krankenhaus Geld kostet. Aber Herr Bahr, noch Gesundheitsminister, zweifelt nicht daran, dass man durch Wettbewerb unter den Krankenhäusern zu besseren Versorgungsbedingungen kommt, und schiebt die Schuld den Ländern zu, die Krankenhäuser nicht ausreichend zu finanzieren. Es ist relativ leicht, verehrte Abgeordnete, die Schuld für die Situation in den Krankenhäusern auf andere abzuschieben, und wir werden das gleich in einigen Reden bestimmt wieder zu hören bekommen.
DIE LINKE ist der Auffassung, dass das Pflegepersonal der Schlüssel zu einer humanen Pflege ist. Wir benötigen daher eine Mindestpersonalbemessung. Es muss eine Regelung entwickelt werden, nach der eine humane Pflege und gute Arbeitsbedingungen gewährleistet sind. Im Spagat zwischen ärztlicher Heilkunst und Ökonomisierung des Krankenhausbetriebs sind die Pflegefachkräfte das wichtigste Scharnier.
Deswegen fordern wir Sie auf, unserem Antrag zuzustimmen und eine Bundesratsinitiative über Hamburg auf den Weg zu bringen, die festschreibt, wie viele Pflegefachkräfte pro Patientin und Patient eingesetzt werden müssen.
Der zweite Teil unseres Antrags befasst sich mit der konkreten Versorgungssituation unserer Krankenhäuser in Hamburg. Eine Große Anfrage, die wir vor knapp einem Jahr an den Senat gerichtet haben und mit der wir die Situation der Notfallversorgung und der Intensivmedizin in Bezug auf Mehrarbeit und Überstunden abgefragt haben, brachte keine vernünftigen Ergebnisse.
Es gibt über dreißig Plankrankenhäuser in Hamburg. Sie haben einen konkreten Versorgungsauftrag. Die Auskünfte, die diese Krankenhäuser zur Großen Anfrage zur Verfügung gestellt haben, sind dürftig. Asklepios behauptete konstant, dass es sich bei den gewünschten Antworten um Betriebs
und Geschäftsgeheimnisse handele. Wer bislang nicht wusste, wo der Unterschied zwischen privat und öffentlich liegt, der weiß es spätestens seit dieser Aussage.