Die millionenteure Verlegung des Frauenvollzugs nach Billwerder wird von allen relevanten Fachleuten und der gesamten Opposition abgelehnt. Ich werde nicht müde, das zu erwähnen – schon wegen der unwägbaren Risiken für die Frauen. Welche Zustände aber in Billwerder herrschen, haben die öffentlich gewordenen Gewaltvorfälle um den
Gefangenen Sven K., die wir alle kennen, gezeigt. Und auch hier wieder dasselbe Muster: Meldewege bei Gewaltvorfällen sind unklar oder werden nicht eingehalten, Beweise werden nicht gesichert, Angehörige des misshandelten Gefangenen müssen erst die Polizei einschalten, und die Behördenleitung kann den Verdacht der Vertuschung nicht ganz ausräumen. Solche Zustände, Frau Senatorin, sind doch offenkundig nicht geeignet, um einen Frauenvollzug genau dorthin zu verlagern. Verstehen Sie das bitte endlich.
Diese Zustände sind aber sehr wohl geeignet, um die Verhältnisse in Billwerder dringend und detailliert wieder auf rechtsstaatlich vertretbares Niveau zu bringen. Aber auch hier tun Sie nicht genug, weichen aus und wissen nichts Genaues zu berichten. Diese Justizsenatorin wird so zur Personifizierung einer Hamburger Justizkrise, man muss es leider so benennen.
Die Zustände lassen sich wohl treffend mit dem Filmtitel "Apocalypse Now" umschreiben, und für Sie, Frau Senatorin, ist es jetzt High Noon. – Vielen Dank.
Meine Damen und Herren, Frau Präsidentin! Ich bin dagegen, spektakuläre Vorfälle wie den Ausbruch eines Gefangenen, aber auch Gewaltvorfälle in der JVA Billwerder auf eine solche Weise politisch auszuschlachten, wie es meine Oppositionskolleginnen und -kollegen vor mir getan haben.
Das wird nahezu zwangsläufig populistisch, auch bei allen romanwürdigen Bildern, und ist für eine angemessene differenzierte Behandlung realer Probleme nicht hilfreich.
Zum Gefängnisausbruch: Wir haben den Ausbruch eines Gefangenen aus dem Untersuchungsgefängnis in einer Sondersitzung des Justizausschusses behandelt. Es ist nicht meine Aufgabe und auch nicht meine Absicht,
den Senat und die Senatorin gegen Kritik aus der Opposition zu verteidigen, aber die aufgeblasene Aufregung von Herrn Trepoll zum Beispiel teile ich einfach nicht. Es ist in der Sondersitzung deutlich
geworden, dass mindestens eine gravierende Fehleinschätzung und eine Verkettung unglückseliger Umstände den Ausbruch begünstigt haben. Bisher habe ich aber nicht den Eindruck gewonnen, dass der Senat der Untersuchung der Schwachstellen und Fehler aus dem Wege geht. Ich erwarte, dass er dem Ausschuss einen detaillierten Bericht darüber und über die zu ziehenden Konsequenzen bei der Weiterentwicklung des schon aus dem Jahr 2008 stammenden Sicherheitskonzepts vorlegt. Was ich nicht erwarte, ist, dass die Frau Senatorin sich hinter einen Busch hockt und darauf wartet, ob jemand kommt, oder dass sie die Mauern abschreitet, um zu schauen, ob irgendwo etwas fehlt.
Aber kein noch so totales Kontrollregime bietet Gewähr, ein Entweichen von Gefangenen zu verhindern.
Unter der SPD-Regierung kommen Entweichungen und Ausbrüche ebenso vor wie unter CDU-Regierungen, und auch sogenannte ausbruchsichere Gefängnisse stellen sich immer wieder als eben nicht ausbruchsicher heraus. Deshalb halte ich eine Instrumentalisierung für im Moment billig und auf die Dauer teuer, denn es kann zurückschlagen.
Sehr problematisch sind in der Tat die öffentlich gewordenen Gewaltvorfälle in Billwerder, die in der Sondersitzung aus Zeitgründen nicht mehr erörtert werden konnten. Einige Umstände finde ich bei meinem gegenwärtigen Wissensstand höchst problematisch, vor allem die Tatsache, dass bei Hinweisen auf schwerere Straftaten Polizei und Staatsanwaltschaft offenbar nicht schnell und automatisch eingeschaltet werden. Hier steht eine gründliche parlamentarische Aufarbeitung noch aus. Diese ist aber vor allem auch deshalb notwendig, weil die öffentlich gewordenen Vorfälle und die Vorfälle, die der Senat in seiner Antwort auf Schriftliche Kleine Anfragen aufführt, nur die kleine Spitze eines großen Eisberges sind. Laut einer Studie von Professor Pfeiffer vom Kriminologischen Forschungsinstitut aus dem letzten Jahr sind über 25 Prozent der befragten erwachsenen männlichen Gefangenen im Laufe eines Monats Opfer mindestens eines körperlichen Übergriffs geworden, im Jugendstrafvollzug war es sogar fast die Hälfte. Das ergab eine Untersuchung in fünf Bundesländern.
Viele Gewaltopfer zeigen selbst schwere Übergriffe nicht an, und häufig können sie, aus welchen Gründen auch immer, nicht einmal mit anderen
Menschen darüber sprechen. Im Gefängnis gelten offenbar andere subkulturelle Regelungen. Das ist ein allgemeines Problem des Justizvollzugs und der totalen Institution Gefängnis. Nicht nur der Justizvollzug, nicht nur die Exekutive, sondern auch wir als Bürgerschaft müssen uns mit dem bedrückenden Problem befassen und damit, wie Gefangene ermutigt werden können, Hilfe gegen Gewalt in Anspruch zu nehmen. Jeder Fehler im Umgang mit Gewalt und jede verweigerte Unterstützung ist deshalb extrem kontraproduktiv. Daher dringt unsere Fraktion darauf, dass die Vorfälle in Billwerder nicht nur restlos aufgeklärt, sondern dass auch Konsequenzen gezogen werden. Populismus hilft hier nicht weiter.
Unter den allgemeinen Überschriften dieser Aktuellen Stunde lässt sich vieles ansprechen. Der dritte Komplex ist die schwere Unterfinanzierung der Justiz. Wenn sich die Staatsanwaltschaft, die Richter und die Anwälte mit Warnrufen an die Öffentlichkeit wenden, dann ist die Lage ernst. Überarbeitung auf der einen Seite – sicher nicht überall, aber an zu vielen Stellen – und überlange Verfahrensdauer auf der anderen Seite bedrohen die Justiz in ihrer Funktionsfähigkeit und unterhöhlen den Rechtsschutz und die rechtsstaatliche Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger. Das zu beklagen und zu verurteilen reicht aber nicht aus. Wenn die anderen Oppositionsparteien ihre Kritik ernst meinen und nicht nur wahlkampftaktisch, dann müssen sie die Konsequenzen ziehen; als glühende Befürworter der Schuldenbremse sind sie unglaubwürdig.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Jede Entweichung aus dem Strafvollzug ist ein ernster Vorgang, weil er die berechtigten Sicherheitsinteressen der Bürgerinnen und Bürger berührt. Deshalb ist es wichtig, dass wir den Vorfall umfassend aufarbeiten. Wir haben bereits mit unterschiedlichen Maßnahmen reagiert.
Jeder Gewaltvorfall im Strafvollzug ist eine ernste Angelegenheit, weil sich die Gefangenen in staatlicher Obhut befinden. Auch deshalb ist es richtig, dass die Vorfälle in Billwerder sorgfältig aufgeklärt werden. Dennoch – und das möchte ich ausdrücklich erwähnen – sind die von Teilen der Opposition gegen den Strafvollzug erhobenen Vorwürfe weder in der Sache noch in der Form gerechtfertigt und zeichnen ein falsches Bild vom Strafvollzug in Hamburg.
Meine Damen und Herren! Ich trage Verantwortung für fast 5000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Behörde, in der Justiz und im Vollzug – Kolleginnen und Kollegen, die jeden Tag für Sicherheit und Recht sorgen, die gute Arbeit leisten und dafür Anerkennung und Respekt verdienen.
In einem so großen System treffen viele Menschen verantwortungsvoll und eigenständig Entscheidungen. Das ist gut so und muss auch so bleiben. Wenn dabei Fehler geschehen, dann ist das natürlich nicht gut. Die Entweichungen aus der Untersuchungshaftanstalt und der Umgang mit den gewalttätigen Übergriffen in der Justizvollzugsanstalt Billwerder sind alles andere als normale Vorgänge, und ich habe in den letzten Wochen mehr als deutlich gemacht, dass ich beides sehr ernst nehme. Doch wo Menschen arbeiten, geschehen Fehler, und ich würde es mir zu leicht machen, wenn ich meine Verantwortung in solch einem Fall darauf reduzieren würde zu sagen: "Verhaften Sie die üblichen Verdächtigen." Genauso wenig kann die Alternative sein, dass künftig sämtliche Entscheidungen im Hamburger Strafvollzug allein von der Behördenleitung getroffen werden. Ich bezweifle sehr, dass die Senatoren Kusch, Lüdemann oder Steffen täglich jede Mauerkrone in den Vollzugsanstalten kontrolliert und selbst überprüft haben oder dass sie nach einem Gewaltvorfall im Strafvollzug selbst den Tatort gesichert haben.
Moderne Führungskultur bedeutet, dass auf allen Ebenen die Entscheidungen im eigenen Zuständigkeitsbereich selbstverantwortlich und selbstverantwortet getroffen werden.
Das bedeutet konkret, dass die Entscheidungen, die nach den Strafvollzugsgesetzen von den Anstalten zu treffen sind – und das war in der Untersuchungshaftanstalt und in Billwerder der Fall –,
(Finn-Ole Ritter FDP: Sie haben die Auf- sicht! – Anna-Elisabeth von Treuenfels FDP: Sie haben die Verantwortung!)
auch dort getroffen werden. So ist es in den Strafvollzugsgesetzen vorgesehen, und zwar nicht erst seit dieser Legislaturperiode.
Natürlich trage ich als Justizsenatorin die Gesamtverantwortung, aber ich will auch, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die zuständigen Kolleginnen und Kollegen, wie im Fall der Außensicherung in der Untersuchungshaftanstalt geschehen, auf Mängel hinweisen, und dass sie verantwortungsvoll überlegen, wie diese abzustellen sind.
Das geht nur, wenn wir einen angemessenen Umgang mit Fehlern haben und bei der Aufklärung nicht die im Nachhinein falsche Bewertung der Sicherheitslage im Vordergrund steht, sondern die Frage, wie es in Zukunft besser gemacht werden kann.
Deshalb habe ich auch sofort konkrete Maßnahmen zur Sicherung der Untersuchungshaftanstalt angeordnet und entschieden, dass ab sofort Untersuchungshaftanstalt und Strafvollzugsamt zweimal wöchentlich die Sicherheitslage in der Untersuchungshaftanstalt umfassend gemeinsam beraten. Ich habe auch veranlasst, dass bei gewalttätigen Übergriffen bis auf Weiteres im Zweifel sofort Polizei und Staatsanwaltschaft hinzugezogen werden. Das war in der Vergangenheit keine Selbstverständlichkeit, obwohl es so klingt.