Protocol of the Session on August 14, 2013

Aber, liebe GRÜNE und sonstige Vertreter, die solche Heime sofort schließen und die Jugendlichen zurückholen möchten, ich frage Sie, wenn man das in die Praxis umsetzen und das Heim sofort schließen würde, wo denn dann die Jugendlichen hin sollen. Das Problem ist doch, dass man nicht jemanden in die Stadt in eine offene Unterbringung geben kann, der jetzt in der geschlossenen Unterbringung ist. Das ist ein großes Problem gewesen, wie wir im Familienausschuss gehört haben. Deshalb sage ich abschließend für uns: Wir wollen, konstruktiv, wie wir nun mal sind,

(Dr. Andreas Dressel SPD: Sehr gut!)

erst einmal das Aktenvorlageersuchen richtig durchlesen, um die Faktenlage zu kennen, und aus einer gesicherten Faktenlage, so wie man das in der FDP macht, eine tolle Alternative, möglichst gemeinsam mit allen Fraktionen, im Familienausschuss finden. Dann wären wir glücklich. Und wir hoffen, dass wir, wenn es Missstände gibt – momentan deutet nichts so klar darauf hin, wie es Frau Blömeke meinte –, diese auch ausräumen können. Wir als FDP-Fraktion vertrauen unserem Rechtsstaat, und wir vertrauen vor allem auch unseren Augen,

(Dr. Andreas Dressel SPD: Dem Senator!)

was wir im Aktenvorlageersuchen sehen werden. Wir würden uns freuen, wenn die SPD den Antrag zur Debatte vielleicht noch einmal an den Familienausschuss überweisen würde. Ansonsten würden wir aber den Antrag in der Form, wie er vorliegt, ablehnen. – Danke schön.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Ritter. – Das Wort hat Frau Özdemir.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir wurden darauf hingewiesen, dass die Vorgängersenate ähnliche Dinge getan haben sollen oder getan haben, aber jetzt ist es wichtig, dass der Senat, vor allem der SPD-Senat und Senator Scheele, reagieren und handeln, denn die Problematik ist jetzt aufgetaucht.

(Vizepräsidentin Kersten Artus übernimmt den Vorsitz.)

Herr Senator Scheele hätte nicht so lange warten müssen, sondern müsste sofort handeln.

(Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN)

Es wird doch seit Jahren über die Misshandlungen und die Menschenrechtsverletzungen berichtet, und es geht hier nicht um Kleinigkeiten. Bei Herrn Eisolds Ton hatte ich das Gefühl, als würde es sich hier um Kleinigkeiten handeln; das ist aber leider nicht der Fall. Hier geht es um Fixierungen an Betten, um Menschenrechtsverletzungen, um Isolierung und es geht darum, dass Kinder nicht gut behandelt wurden, sondern wirklich sehr, sehr schlecht. Es geht natürlich auch um die Besuchsverbote für Angehörige, wenn das Kind nicht genügend Wohlverhalten gezeigt hat, und es war auch die Rede von Verabreichung von Psychopharmaka. In der letzten Zeit ist auch die Zahl der bekannt gewordenen Fälle angestiegen, und immer wieder hat dieser Träger versprochen, das abzustellen. Immer wieder werden der Haasenburg neue Auflagen erteilt, und seit 2010 wird mit einer neuen Betriebsgenehmigung gearbeitet. Momentan schicken immer weniger Bundesländer Kinder und Jugendliche in diese Einrichtung. Eine Einrichtung musste vorübergehend geschlossen werden. Die Haasenburg hat selbst berichtet, dass sie inzwischen rund 40 Mitarbeiterinnen entlassen hat.

Andere Bundesländer handeln hier offensichtlich. In Brandenburg hat anscheinend eine Debatte angefangen, welche Alternativen es geben könnte. Nur Hamburg bleibt leider zurück, obwohl es im Arbeitsprogramm des Senats heißt – ich zitiere –:

"Der Kinderschutz hat weiterhin höchste Priorität. Wir werden sorgfältig darauf achten, dass eine mögliche Gefährdung des

(Finn-Ole Ritter)

Kindeswohls frühzeitig erkannt und wirksam gegengesteuert wird. Aufgabe der Jugendämter und aller, die mit Kindern und Jugendlichen zu tun haben, ist es hinzusehen, zu helfen und wo nötig auch einzugreifen."

Vor diesem Hintergrund ist es für meine Fraktion und für mich einfach unverständlich, wie der Senator auf die Idee kommt, dass die noch in den Einrichtungen der Haasenburg befindlichen Jugendlichen vor Misshandlungen sicher sind.

(Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN)

Wir fragen uns auch, warum Sie nicht sofort handeln. Was muss denn noch geschehen, damit Sie endlich etwas tun? In anderen Fällen, Frau Blömeke hat es auch erwähnt, zum Beispiel im Fall des Pflegekindes Chantal, haben Sie auch gehandelt. Und warum jetzt nicht bei der Haasenburg? Ihr Verweis auf die Geschichte der dort Untergebrachten rechtfertigt in keiner Weise solche Misshandlungen und auch nicht die Position, sie einer solchen Gefahr auszusetzen. Die Unterbringung dort wird von Ihnen, Herr Senator, als Maßnahme zur Vermeidung von Jugendknast gerechtfertigt. Ihre Haltung ist einfach inakzeptabel und tut den Kindern und Jugendlichen nicht gut.

(Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN)

Es reicht eigentlich schon, einen Blick auf das Konzept der Haasenburg zu werfen. Es ist ein Konditionierungskonzept härtester Art, ein Konzept, das unter Fachleuten sehr umstritten ist und auch von Kritikern als Dressur bezeichnet wird. Für uns ist einfach nicht nachvollziehbar, warum Senator Scheele und seine Fachbehörde ein solches Konzept seit Monaten gut heißen, vor allem mit dem Argument der Gefährlichkeit der dort Untergebrachten und dies sei zum Schutz der Bevölkerung.

Aus unserer Sicht ist die Haltung des Senats und auch die der CDU nicht fachlich, sondern politisch ausgerichtet. In Ihren Augen sind die Jugendlichen gefährlich, sie gehören weggesperrt und bestraft. Das ist aber nicht der Grundgedanke des Jugendhilfegesetzes. Der Gesetzgeber sieht den Gedanken der Erziehung und die Hilfe im Vordergrund und erlaubt Freiheitsentzug nur in ganz, ganz engen Grenzen. Es gibt keine Studie, die nachweisen kann, dass die geschlossene Unterbringung Erfolge zeigt. Es wird viel ausgegeben für einen Markt, der dort entstanden ist. Allein die drei Einrichtungen der Haasenburg haben im letzten Jahr über 3 Millionen Euro Gewinn mit solchen Maßnahmen gemacht.

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, warum der Hamburger Senat nicht zu einem Umgang mit diesen Hamburger Kindern und Jugendlichen zurückkehrt, wie es die SPD-Senate vor 2001 praktiziert haben

(Beifall bei der LINKEN)

und wie es der ehemalige Sozialsenator Jan Ehlers oder die ehemalige Landesjugendamtsleiterin Dorothee Bittscheidt in Interviews der letzten Zeit gefordert haben.

Wir setzen uns für Alternativen zur geschlossenen Unterbringung ein, und hierzu schlagen wir einen Kooperationspool zur Vermeidung von geschlossener Unterbringung vor. Dies entspricht einem ähnlichen Vorgehen, wie es vor 2001 rund 20 Jahre lang erfolgreich praktiziert wurde. Wir fordern den Hamburger Senat auf, dazu mit einem Trägerverbund in die Diskussion zu gehen, und unterstützen den Antrag der GRÜNEN in allen drei Punkten.

Herr Eisold hat Frau Blömeke gefragt, warum sie denn nicht die Ausschussreise zur Haasenburg abgewartet hätte. Ich kann mir vorstellen, dass wir, wenn wir am Freitag dort hinfahren, vielleicht gestrichene Wände und renovierte Räume wiederfinden werden. So habe ich es noch von der Feuerbergstraße in Erinnerung. Vielleicht war ich da noch sehr jung, aber auch in meinem Freundeskreis wurde über die Maßnahmen gesprochen und auch darüber, was eigentlich passierte, als die Politikerinnen und Politiker diese Einrichtung besucht haben. Von daher denke ich, dass der Senat sofort handeln sollte und dass wir keine Zeit mehr haben, abzuwarten und die Reise zu machen, sondern die Kinder sofort nach Hamburg zurückholen sollten.

(Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN)

Herr Senator Scheele, Sie haben jetzt das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich will einmal versuchen, ein bisschen Licht in dieses Wirrwarr zu bringen. Wir haben in Hamburg 6000 Kinder, die außerhalb ihrer Familien untergebracht sind.

Sie sind noch nicht dran, Frau Blömeke, es kann gleich weitergehen.

(Zuruf von Christiane Blömeke GRÜNE)

Ach so, ich dachte, Sie winken mir.

(Christiane Blömeke GRÜNE: Also immer stehen Sie nicht im Mittelpunkt!)

Schade.

1300 Kinder leben in Pflegefamilien und ungefähr 4500 sind in stationärer Unterbringung innerhalb und außerhalb Hamburgs. Der geschlossenen Unterbringung geht ein gerichtlicher Beschluss voraus, der auf Antrag der Sorgeberechtigten entsteht. In diesem Gerichtsverfahren liegt ein jugendpsychiatrisches Gutachten vor. Danach trifft das Gericht eine Entscheidung zur Unterbringung, dann tagt die Fallkonferenz und entscheidet, welche Einrichtung geeignet ist – dies nur, damit Sie

(Cansu Özdemir)

es einmal gehört haben. Dies alles veranlasst kein Senator und kein Sozialpädagoge.

(Jens Kerstan GRÜNE: Das ist aber jetzt sehr überheblich! – Gegenruf von Dr. Andre- as Dressel SPD: Was heißt hier überheb- lich? Die GRÜNEN wollen es mal wieder nicht hören!)

Sie sind doch noch gar nicht dran, Herr Kerstan. Was wollen Sie denn von mir? Ich möchte Ihnen das doch nur erklären, damit Sie wissen, wo Sie zwischenrufen müssen.

So ist der Ablauf, um überhaupt in eine geschlossene Unterbringung zu kommen.

(Jens Kerstan GRÜNE: Das weiß ich ja und das bestreite ich nicht!)

Das ist doch schön.

Wir gehen davon aus, und das haben wir auch im Familien-, Kinder- und Jugendausschuss gesagt, dass wir ungefähr eine Gruppe – mal mehr, mal weniger – von 20 Jugendlichen haben, die für eine solche Unterbringung nach einem Gerichtsbeschluss infrage kommen. Es sind 20, 10, 7 oder 8 Jugendliche von diesen 6000. Man muss dieses Problem auch quantitativ einordnen, denn bei der aufgeregten Debatte entsteht manchmal der Eindruck, als würde dieser Senat oder auch der Vorgängersenat die Mehrheit der Jugendlichen so unterbringen.

(Dr. Anjes Tjarks GRÜNE: Das hat auch kei- ner unterstellt!)

Das ist nun wahrlich nicht der Fall. Wir haben im Familienausschuss lange diskutiert und vorgetragen, und ich bin keineswegs abgetaucht. Wir haben sowohl im öffentlichen als auch im nicht öffentlichen Teil ausführlich vorgetragen. Dazu hat Herr Ritter eben auch einiges gesagt, wie nämlich die Erkenntnislage im nicht öffentlichen Teil war. Das hatten wir schon öfter: Es gibt vorher wildes Geschrei, dann tritt der Jugendamtsleiter von Hamburg-Mitte auf und redet über Jeremy im vertraulichen Teil. Da werden alle dann ganz schweigsam, weil auf einmal beispielsweise zutage kommt, dass ein schwer gestörter Jugendlicher nur unter sehr extremen Situationen in einer Einrichtung gehalten werden kann. Und dann hört das politische Geschrei schlagartig auf. Ich würde mir wünschen, dass eine Lehre aus diesen vertraulichen Teilen gezogen wird, die wir in allen Fällen hatten: bei Nina aus Wandsbek, dies ist ein anderer Name, bei Jeremy und auch bei Chantal. Auch da war der vertrauliche Teil immer sehr viel ruhiger und fachlicher als der ganze Aufruhr und Qualm, der sonst vonstattengegangen ist. Ich würde mir wünschen, dass wir uns öfter an die Erkenntnisse der Mitarbeiter der Jugendämter in den verschwiegenen Teilen der Ausschüsse erinnern.

(Beifall bei der SPD und bei Carl-Edgar Jar- chow FDP)

Ich sagte schon in der letzten Debatte, dass mir keiner sagen muss, wer Jan Ehlers ist. Da bin ich besser gebildet als die meisten hier. Wir reden miteinander, und ich weiß auch, was 1980 war und wie die Rahmenbedingungen 1980 aussahen.

(Klaus-Peter Hesse CDU: Der sieht es mitt- lerweile auch anders!)

Und Jan weiß auch, wie die Rahmenbedingungen heute sind. Das möchte ich gern zum Besten geben. Wir sind beide keine Freunde der geschlossenen Unterbringung, denn auch das wurde hier schon von einigen gesagt. Der letzte Schritt vor dem Jugendgefängnis ist der Versuch, mithilfe der Jugendhilfe die Jugendlichen vor dem Jugendgefängnis zu bewahren. Genau dafür ist die geschlossene Unterbringung da. Die Alternative ist nämlich nicht ein offenes Setting, sondern sie ist das Gefängnis. Wir wissen alle – und ich bin auch davon überzeugt –, dass das Gefängnis kein Ort pädagogischer Auseinandersetzung für Jugendliche ist. Falls Sie dieser Auffassung sind, müssten Sie das sagen, aber ich glaube es nicht.