[Antrag der GRÜNEN Fraktion: Kommunales Wahlrecht für Bürgerinnen und Bürger aus Nicht-EU-Länder – Drs 20/8017 –]
[Antrag der FDP-Fraktion: Kommunales Wahlrecht für Bürgerinnen und Bürger aus Nicht-EU-Ländern – Drs 20/8158 –]
Beide Anträge sollen auf Wunsch der SPD- und der Fraktion an den Verfassungs- und Bezirksausschuss überwiesen werden.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Bei den Wahlen 2011 habe ich meine Nachbarin, die sechs Monate zuvor aus Portugal gekommen war, um in Hamburg zu arbeiten, im Wahllokal getroffen. Sie darf bei den Bezirksversammlungswahlen wählen. Auf dem Rückweg sah ich meinen Nachbarn aus der Türkei vor der Bäckerei und habe ihn angesprochen, ob er auch wählen war. Das war wohl die falsche Frage. Daraufhin hat er ein langes Referat gehalten, dass er nun schon seit weit mehr als 30 Jahren hier lebe, seine Enkelkinder in die Schule gingen und er es unmöglich fände, nicht einmal bei den Bezirksversammlungswahlen wählen zu dürfen. Er hat recht, meine Damen und Herren.
Er fuhr fort: Ich werde hier behandelt wie ein Bürger zweiter Klasse. Warum hat ein EU-Bürger mehr Rechte als ich. Ich wohne doch länger als viele EU-Bürgerinnen und EU-Bürger in diesem Land, sogar viel länger als die Bundeskanzlerin. Dann meinte er: Ich habe doch dieses Land mit aufgebaut,
und mit meinen Steuern werden hier Straßen saniert und Schulen gebaut. Warum muss ich mich unbedingt einbürgern lassen, um hier vor Ort entscheiden zu dürfen? Für ihn war das eine Frage der Gerechtigkeit.
Meine Damen und Herren, es ist unglaublich laut. Vielleicht können wir ein bisschen mehr der Rednerin lauschen. Fahren Sie fort, Frau Demirel.
Phyliss Demirel GRÜNE (fortfahrend) : Danke schön. – Ich habe ihm Anfang der Woche von unserem Antrag berichtet und er schaute mich einfach an und sagte: Lieber spät als nie, Frau Demirel, ich bin sehr gespannt, was als Ergebnis herauskommt.
Richtig, meine Damen und Herren, lieber spät als nie. Es ist schon 22 Jahre her, dass das Bundesverfassungsgericht zum staatlichen und kommunalen Wahlrecht ein Urteil gefällt hat, dass das Wahlrecht direkt an die deutsche Staatsbürgerschaft gekoppelt hat. Zwei Jahre danach war diese Rechtsprechung schon überholt. Angestoßen durch das Europarecht änderte der Bundestag den Artikel 28 des Grundgesetzes und führte das kommunale Wahlrecht für EU-Bürgerinnen und EUBürger ein. Dem folgte das Wahlrecht zu den Europaparlamentswahlen. Das war eine Kehrtwende im Wahlrecht.
Seitdem ist das Wahlrecht in Deutschland nicht mehr an die deutsche Staatsangehörigkeit gebunden, sondern an den ständigen Wohnsitz. Ob jemand wahlberechtigt ist, richtet sich nicht mehr nach der Staatsangehörigkeit, sondern, zumindest bei den EU-Bürgerinnen und EU-Bürgern, ganz einfach danach, ob jemand seinen Wohnsitz in Deutschland hat. Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit aus Nicht-EU-Ländern wurde dieses Recht aber bislang nicht eingeräumt. Dieser Teil unserer Bevölkerung ist von der politischen Teilhabe ausgeschlossen. Durch dieses Demokratiedefizit dürfen Millionen Menschen in Deutschland nicht dort wählen, wo sie leben. Das können wir nicht länger hinnehmen.
Es kann nicht sein, dass Menschen, die seit Jahrzehnten hier leben, die zum Wohlstand beitragen, ihre Steuern zahlen, ihre Kinder und Enkelkinder in die Schule schicken, zur Mitwirkung an Staat und Gesellschaft aufgerufen werden, aber keinerlei Einfluss auf Entscheidungen haben, die ihr Lebensumfeld betreffen. So können wir nicht weitermachen.
In Hamburg lebten Anfang 2002 rund 238 000 Migrantinnen und Migranten ohne deutsche Staatsangehörigkeit, davon kommen etwa ein Drittel aus EU-Ländern und zwei Drittel aus Nicht-EU-Ländern. Die Zahl der Nicht-EU-Bürger im wahlberechtigten Alter ohne deutsche Staatsangehörigkeit beträgt rund 145 000. Diese 145 000 Leute leben in Hamburg ohne Stimmrecht. Wenn wir die Integration aber als gleichberechtigte Teilhabe auf allen Ebenen definieren, wozu auch die politische Partizipation gehört, läuft hier einiges schief. Während EU-Bürgerinnen und EU-Bürgern nach einem dreimonatigen Aufenthalt in Hamburg das kommunale Wahlrecht zusteht, dürfen Menschen, die seit 20, 30 Jahren hier leben, nicht mitbestimmen, wenn es um Angelegenheiten in ihrer Kommune geht. Dafür gibt es keine vernünftige Erklärung.
In vielen europäischen Ländern ist das kommunale Wahlrecht eine Selbstverständlichkeit, so in Estland, Finnland, Luxemburg, Schweden, Dänemark, Belgien oder in den Niederlanden. Die Europäische Kommission, das Europäische Parlament, der
Ausschuss der Regionen haben in vielen Beschlüssen dazu aufgefordert, auch Bürgerinnen und Bürger aus Nicht-EU-Ländern das kommunale Wahlrecht einzuräumen. Viele zivilgesellschaftliche Organisationen und Verbände unterstützen diese Forderung, wie der DGB in Hamburg. Wir müssen endlich diese Benachteiligung von Drittstaatsangehörigen aus dem Weg räumen.
Die Stadt Bremen hat im vergangenen Jahr diesen Schritt gewagt, ein kommunales Wahlrecht für Bremen und Bremer, die weder die deutsche Staatsangehörigkeit noch eine andere EU-Staatsbürgerschaft besitzen, einzuführen. Das Gesetz zur Ausweitung des Wahlrechts wurde in der Bremischen Bürgerschaft im Januar 2013 in erster Lesung beschlossen und dem Staatsgerichtshof zur Prüfung vorgelegt. Auch der Schleswig-Holsteinische Landtag forderte die Landesregierung im April 2013 auf, durch eine Bundesratsinitiative die rechtlichen Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass dauerhaft in Deutschland lebende Drittstaatsangehörige das aktive und passive Wahlrecht für Kommunalwahlen erhalten. Auch Hamburg sollte diesen Weg gehen. Wir wollen mit unserem Antrag die rechtlichen Möglichkeiten der FHH prüfen lassen, das kommunale Wahlrecht auf die Hamburgerinnen und Hamburger auszuweiten, die nicht aus EU-Ländern kommen und ihren ständigen Wohnsitz in Hamburg haben. Gleichzeitig fordern wir mit unserem Antrag den Senat auf, eine Bundesratsinitiative zum kommunalen Wahlrecht auf den Weg zu bringen und sich vorhandenen Bundesinitiativen anzuschließen.
Hier geht es um Teilhabe und Chancengleichheit. Hier geht es um die Gerechtigkeit. Wir können noch so viele Maßnahmen und Projekte und Konzepte erstellen, das wird nicht viel helfen, solange nicht alle Menschen demokratische Mitgestaltungsrechte haben.
Zum Schluss würde ich gern, wie Ihr Genosse Björn Tschöper aus Bremen, Willy Brandt zitieren. Willy Brandt sagte zur parlamentarischen Demokratie:
"Solche demokratische Ordnung braucht außerordentliche Geduld im Zuhören und außerordentliche Anstrengung, sich gegenseitig zu verstehen. Wir wollen mehr Demokra
(Anja Hajduk GRÜNE: Jetzt gibt es Zustim- mung zum Antrag, nicht, Frau Steppat? – Gegenruf von Ksenija Bekeris SPD: Wenn Sie das Integrationskonzept gelesen hätten, dann wüssten Sie es längst!)
Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich gleich zu Beginn meiner Rede betonen, dass sich die SPD für das kommunale Wahlrecht von Nicht-EU-Bürgerinnen und -Bürgern einsetzt.
Das Thema ist nicht neu. Ich möchte nur zwei Stationen aus der Vergangenheit nennen. Erstens: Die SPD forderte bereits in ihrem Grundsatzprogramm von 1989, Ausländerinnen und Ausländern das kommunale Wahlrecht einzuräumen. Zweitens: Es hat dazu in der Bürgerschaft in der vergangenen Legislaturperiode auch von unserer Fraktion mehrere Initiativen gegeben.
Seit 1992 dürfen EU-Bürgerinnen und -Bürger bei Kommunalwahlen mitwählen. Ein Kommunalwahlrecht für alle Ausländer erfordert eine Grundgesetzänderung. Schon 1993 hat die SPD auf Bundesebene versucht, in der gemeinsamen Verfassungskommission eine solche Grundgesetzänderung herbeizuführen, leider ohne Erfolg. Weitere gesetzgeberische Aktivitäten auf Bundesebene scheiterten in den folgenden Wahlperioden stets an der strikten Ablehnung durch die CDU/ CSU-Bundestagsfraktion. Auch in der Großen Koalition war die Union, obwohl es zwischen den Koalitionären vereinbart war, nicht bereit, dem SPDVorschlag zu folgen.
In dieser Legislaturperiode hat die SPD-Bundestagsfraktion ebenfalls einen Antrag zur Änderung des Grundgesetzes eingebracht. Erreicht werden sollte durch Änderung von Artikel 28 Absatz 1 des
Grundgesetzes, dass die hier lebenden Ausländerinnen und Ausländer, die nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedsstaates der EU besitzen, das aktive und passive Wahlrecht bei Kommunalwahlen erhalten. Der Gesetzentwurf wurde, ebenso wie die Initiativen der GRÜNEN und der LINKEN, von der schwarz-gelben Mehrheit im Bundestag abgelehnt. Das ist also die derzeitige Gefechtslage auf der entscheidenden Ebene, der Bundesebene. Wir können nur hoffen, dass nach der Bundestagswahl im September die schwarze Blockadehaltung aufgegeben wird und man nicht einfach einem hier lebenden Anteil der Bevölkerung das Recht auf politische Mitwirkung verwehrt.
Eines ist klar: Für eine Grundgesetzänderung braucht es eine Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat.
Die ist, das wissen wir alle, nur dann möglich, wenn sich auch die Union bewegt und den hier lebenden Ausländerinnen und Ausländern endlich ein Mitbestimmungsrecht eingeräumt wird. Andere Länder haben uns das längst vorgemacht, wie Frau Demirel bereits ausgeführt hat. Damit komme ich zurück auf die Landesebene. Dass auch dieser Senat das Ziel verfolgt, Ausländerinnen und Ausländern das kommunale Wahlrecht zu verleihen, hat er unter anderem gerade im Hamburger Integrationskonzept ausdrücklich betont.
In dem Anfang des Jahres beschlossenen Konzept, mit dem wir in Hamburg große Fortschritte in der Integrationspolitik einleiten konnten, wurde hierzu im Kapitel "Einbürgerung und politische Mitgestaltung" formuliert – Zitat –: