Protocol of the Session on May 16, 2013

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Trepoll, Sie wissen doch, dass ein gewisser Herr MacAllister aus Niedersachsen zwei Pässe hat. Und das stört Sie offensichtlich überhaupt nicht – oder?

Wir GRÜNE fordern seit Langem eine grundlegende Reform des Staatsangehörigkeitsrechts. Zu einer offenen Gesellschaft der Vielfalt gehört eine Politik der Mehrstaatigkeit. Das aktuelle Staatsangehörigkeitsrecht beinhaltet eine Reihe von Diskriminierungen, die korrigiert werden müssen. Dazu gehört die Annahme der doppelten Staatsbürgerschaft beziehungsweise die Mehrstaatigkeit und vor allem die Abschaffung der Optionspflicht.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei Tim Golke DIE LINKE)

In Deutschland geborene Kinder gehören hierher. Die Staatsangehörigkeit, die sie mit der Geburt erhalten, kann ihnen nicht nachträglich entzogen werden. Es ist integrationspolitisch kontraproduktiv, junge Menschen, junge Deutsche dazu zu zwingen, die deutsche Staatsangehörigkeit abzulegen,

(André Trepoll CDU: Warum? Warum denn?)

sie gar zwangsweise auszubürgern.

(Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN)

Zudem ist es sehr fraglich, ob die Optionspflicht überhaupt mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Der Innenausschuss des Bundestags hat im März die

ses Jahres eine Expertenanhörung zur Optionspflicht, bei der ich auch als Zuhörerin anwesend war, durchgeführt. Auch diese Expertenanhörung hat gezeigt, dass der Abschaffung der Optionspflicht für hier geborene und aufgewachsene junge Menschen grundsätzlich nichts im Wege stehen sollte.

Auch die Tatsache, dass Mehrstaatigkeit in vielen Fällen bei der Einbürgerung bereits Praxis ist, spricht dafür. 3 Millionen Russlanddeutsche und 2 Millionen EU-Bürger sind bereits im Besitz der doppelten Staatsangehörigkeit. Hier wird wieder deutlich, dass nur bestimmten Ländern die doppelte Staatsangehörigkeit verweigert wird. Es gibt also doppelte Standards bei doppelter Staatsangehörigkeit. Während Menschen aus den USA, Kanada, Japan oder der EU ohne Probleme ihre bisherige Staatsangehörigkeit behalten dürfen, wird Menschen aus der Türkei, wie mir beispielsweise, die doppelte Staatsbürgerschaft nicht erlaubt. Das ist eine klare Ungleichbehandlung und muss abgeschafft werden.

(Beifall bei den GRÜNEN, der LINKEN und bei Ekkehard Wysocki SPD)

Im Bund scheiterten die Bemühungen bisher an der CDU/CSU und zum Teil auch an der FDP. Sie ziehen nur Negativbeispiele heran und stellen die Loyalität der Menschen, die seit Jahrzehnten hier leben, infrage. Die Behauptung, dass Menschen mit Doppelpass kriminelle Handlungen begehen und sich dann vom Acker machen würden, ist nicht nur haltlos, sondern auch beschämend.

(Beifall bei den GRÜNEN, der LINKEN und bei Kazim Abaci und Ksenija Bekeris, beide SPD)

Es ist so kleinkariert und realitätsfern in einem Land, in dem Transnationalität längst gelebt wird. Die Erfahrungen zeigen, dass die Vermeidung von Mehrstaatigkeit die größte Hürde bei der Einbürgerung ist. Viele, insbesondere ältere Menschen, wollen sich angesichts der bürokratischen Entlassungsverfahren, aber auch durch emotionale Bindungen an das Herkunftsland nicht einbürgern. Auch im Hinblick auf die aktuellen Ereignisse der NSU-Morde zögern viele Menschen, sich einzubürgern. Dieses Gefühl der Ungewissheit und der Vertrauensbruch gegenüber dem demokratischen System ist auch ein Grund, warum viele Menschen mit Migrationshintergrund noch Angst haben, ihre bisherige Staatsangehörigkeit aufzugeben. Und gerade solche Gesetze vermitteln die falsche Botschaft.

Gerade deshalb wollen wir aus Hamburg ein klares Bekenntnis zur doppelten Staatsangehörigkeit abgeben, ein starkes Signal zur Abschaffung des Optionszwangs senden und uns dafür auch gemeinsam mit Baden-Württemberg auf Bundesebene einsetzen.

(André Trepoll)

Morgen im Bundestag bringen die drei Fraktionen jeweils ihre Anträge ein. Die SPD-Fraktion, die GRÜNEN und DIE LINKE bringen jeweils Anträge zur Abschaffung der Optionspflicht ein. Und da hoffen wir, dass wir dies auch mit unserer Initiative aus Hamburg stärken können. Ich freue mich über das einstimmige Petitum des Ausschusses bei Enthaltung der CDU und der FDP, auch wenn unser Zusatzantrag viel weitgehender war. Für eine gleichberechtigte Teilhabe auf allen Ebenen der Gesellschaft und für ein friedliches Zusammenleben auf gleicher Augenhöhe sagen wir: ja zum Doppelpass, weg mit dem Optionszwang. – Danke schön.

(Beifall bei den GRÜNEN, der LINKEN und bei Kazim Abaci und Wolfgang Rose, beide SPD)

Vielen Dank, Frau Demirel. – Das Wort hat Herr Ritter.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Das Thema Optionspflicht stellte schon immer einen politischen Kompromiss dar, einen Kompromiss, den unter anderem der an diesem Sonntag verstorbene Dr. Max Stadler erarbeitet hat. Damit sollte den Unionsparteien eine Brücke hin zu einer Öffnung des deutschen Staatsangehörigkeitsrechts gebaut werden. Wir haben vieles aus diesem Kompromiss gelernt.

Die Studie des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge hat beispielsweise bestätigt, dass die deutsche Staatsbürgerschaft unter deutschen Jugendlichen mit Migrationshintergrund einen hohen Stellenwert genießt. Sie sehen ihre berufliche und private Zukunft in Deutschland und begreifen Deutschland als ihre Heimat. Integration findet damit unserer Ansicht nach auch über die Staatsbürgerschaft statt. Dann darf man sie aber insbesondere jungen Menschen nicht verwehren, zumal es viele Fälle gibt, in denen eine doppelte oder gar mehrfache Staatsangehörigkeit sowieso hingenommen wird beziehungsweise hingenommen werden muss, sei es, weil es Staatsangehörige aus anderen EU-Mitgliedsstaaten sind oder weil andere Staaten keine Entlassung aus ihrer Staatsangehörigkeit vorsehen. Warum dann noch die Optionspflicht beibehalten?

(Christiane Schneider DIE LINKE: Richtig! Abschaffen!)

Warum eine Einzelfallgesetzgebung zur Diskriminierung einzelner Staatsangehörigkeiten aufrechterhalten? Wir, jedenfalls in der FDP-Fraktion in Hamburg, sehen hierzu keine haltbare Grundlage

(Christiane Schneider DIE LINKE: Es gibt keinen Grund!)

und geben diesen Kompromiss im Hinblick auf das Optionsmodell auf.

(Beifall bei der FDP und der LINKEN)

Uns Liberalen ist aber auch bewusst, dass eine Gesetzesänderung Zeit braucht und selbst eine unerfreuliche Regelung nicht über Nacht hinweggefegt werden kann. Daher muss sichergestellt werden, dass diejenigen, die noch von der Optionspflicht betroffen sind, ausreichend informiert und beraten werden, damit sie sich über die Folgen ihrer Wahl im Klaren sind. Wir Hamburger Liberale sind für eine volle Integration von Menschen mit Migrationshintergrund. Die Staatsangehörigkeit verschafft dabei die rechtliche Integration mit allen Rechten und Pflichten, die ein Deutscher genießt beziehungsweise denen er unterliegt.

Wir wollen aber auch die gesellschaftliche Integration. Dafür bedarf es aber nicht nur der Staatsbürgerschaft, sondern auch der Sprachkenntnisse, die zur effektiven Teilnahme an der Gesellschaft befähigen. Zudem ermöglichen diese Sprachkenntnisse erst die vollwertige Teilnahme an Wahlen und an der Meinungsbildung, wie von Herrn Abaci beschrieben. Daher wollen wir uns zwar von dem Optionsmodell verabschieden, geben aber nicht den Anspruch an unsere neuen Staatsbürger auf, auch unserer Sprache mächtig sein zu müssen.

Aus diesem Grunde stimmen wir heute weiterhin gegen den Antrag der GRÜNEN und auch gegen den der CDU

(Dr. Anjes Tjarks GRÜNE: Die Stimmen wol- len wir auch nicht haben!)

und unterstützen den Antrag der SPD.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Vielen Dank, Herr Ritter. – Das Wort hat Frau Schneider.

(Senator Michael Neumann: Ich kann es kaum abwarten, was zu sagen!)

– Herr Neumann, ich weiß schon, dass Sie es nicht so gern hören, wenn ich rede.

Meine Damen und Herren, Herr Präsident! Es ist gar nicht so leicht, etwas Neues zu sagen, wenn man immer die fünfte Rednerin ist; ich bemühe mich trotzdem.

Ich habe vor einigen Tagen in der "Neuen Osnabrücker Zeitung" gelesen, dass die in andere Länder ausgewanderten deutschen Staatsbürgerinnen und Staatsbürger die Debatte um die doppelte Staatsbürgerschaft in Deutschland mit großem Interesse verfolgen. Sie können nämlich Einiges über die Probleme berichten, die sich aus der Verweigerung einer doppelten Staatsbürgerschaft ergeben.

Wer zum Beispiel seine deutsche Staatsbürgerschaft aufgibt, um eine fremde Staatsbürgerschaft

(Phyliss Demirel)

anzunehmen, kann sich nur für 90 Tage in Deutschland aufhalten. Im Falle eines Notfalls in der Familie wäre das eine erhebliche Einschränkung. Wenn man länger bleiben will, gibt es die Möglichkeit, eine Aufenthaltsgenehmigung zu beantragen. Um in Deutschland arbeiten zu können, müsste man gleichermaßen eine Arbeitserlaubnis beantragen. Man verliert mit dem Verlust der deutschen Staatsbürgerschaft, wenn man in ein Land außerhalb der EU auswandert, auch den deutschen EU-Pass und damit das Recht, in anderen EU-Ländern zu arbeiten. Man kann bestimmte Berufe nicht ausüben und so weiter.

Die Nachteile aus der Verweigerung einer doppelten Staatsbürgerschaft liegen wirklich auf der Hand. Sie treffen deutsche Staatsbürger, die ins Ausland auswandern, aber natürlich ihre Wurzeln damit nicht ein für alle Mal kappen wollen, genauso wie etwa türkischstämmige Jugendliche, die mittels der Optionspflicht gezwungen werden sollen, sich für eine der beiden Staatsbürgerschaften zu entscheiden. Sie müssen einmal erzählen, Herr Trepoll, woher Sie es nehmen, dass diejenigen, die gezwungen werden, sich für eine von zwei Staatsbürgerschaften zu entscheiden, damit keine Probleme hätten, weil sie die deutsche wählten. Sie wählen die deutsche Staatsbürgerschaft, okay, aber dass sie damit keine Probleme hätten, woher wollen Sie das denn wissen?

(Beifall bei der LINKEN und bei Kazim Abaci SPD und Phyliss Demirel GRÜNE)

Das deutsche Staatsbürgerschaftsrecht entspricht nicht mehr und zunehmend weniger den Realitäten. Dass Deutschland ein Einwanderungsland ist, bestreitet heute kaum noch jemand. In Hamburg sind fast 30 Prozent der Bevölkerung Menschen mit Migrationshintergrund, 45 Prozent sind es bei den unter 18-Jährigen, und in anderen Großstädten sind es teilweise, wie beispielsweise in Frankfurt, noch viel mehr.

Ich komme zu etwas Neuem, das wir vielleicht in der Debatte bedenken sollten. Es ist nämlich keineswegs so, dass Migranten der ersten, zweiten oder dritten Generation, die ihren Lebensmittelpunkt schon lange oder seit der Geburt in Deutschland haben, auf ewig hierblieben. Die wissenschaftliche Forschung konstatiert nämlich längst eine transnationale Wanderung wachsenden Ausmaßes. Seit 2008 ist zum Beispiel die Zahl türkischstämmiger Menschen, die aus Deutschland in die Türkei auswandern, größer als die Zahl von Türkinnen und Türken, die aus der Türkei nach Deutschland auswandern. Dabei handelt es sich – das hat die Forschung ergeben, das steht wohl zweifelsfrei fest – nicht um sogenannte schlecht integrierte, sondern um gut integrierte, überdurchschnittlich qualifizierte Menschen. Und sie sind eigentlich wenig zu unterscheiden von Deutschen,

die auswandern, weil sie woanders eine bessere Zukunft suchen.

Sie wandern vielleicht für einige Jahre, vielleicht für längere Zeit oder vielleicht für immer aus. Vielleicht leben sie auch an mehreren Orten, es sind doch längst keine Einzelschicksale mehr. Wir haben wahrscheinlich alle in der Verwandtschaft oder Bekanntschaft Rentnerinnen und Rentner, die oft in Wohnungen, die sie sich in warmen Gefilden erworben haben, überwintern, im Sommer aber in Deutschland sind.

(Klaus-Peter Hesse CDU: Sie haben ja tolle Bekannte!)

Beharren sie auf der deutschen Staatsbürgerschaft, unterliegen sie im Ausland vielen Beschränkungen. Verzichten sie auf die deutsche, gilt es umgekehrt. Die transnationale Migration stellt das Bild der national begrenzten Gesellschaft und ihrer sesshaften Normalbürgerinnen und Normalbürger massiv infrage. Sie werden es mit der Verweigerung der doppelten Staatsbürgerschaft nicht zementieren können.

Zu den vielen Gründen, die die SPD – Herr Abaci, Frau Demirel und die GRÜNEN – für die doppelte Staatsbürgerschaft und gegen den Verzicht auf den Optionszwang angeführt haben, will ich deshalb auch nur einen einzigen weiteren hinzufügen: Nicht aus der Perspektive des Nationalstaats, sondern aus der der Menschen stärkt die doppelte Staatsbürgerschaft das fundamentale Recht auf unbeschränkte Freizügigkeit zwischen mehreren Staaten. Mobilität und Migration finden ohnehin statt, und zwar in wachsendem Ausmaß, mit und ohne Barrieren. Die Frage ist, ob man Migranten, Migrationswilligen oder potenziellen Migranten Barrieren in den Weg stellt oder nicht.

Wir LINKEN sind dagegen, ihnen Barrieren in den Weg zu stellen, und am Ende wird es – auch gegen die CDU – die doppelte Staatsbürgerschaft geben, aber besser wäre es natürlich mit der CDU.

(Beifall bei der LINKEN und bei Phyliss De- mirel GRÜNE)