Protocol of the Session on April 24, 2013

Sie wissen doch ganz genau, Herr Wersich, dass dieses eine Debatte ist,

(Robert Bläsing FDP: Wahlkampfdebatte ist das! – Zurufe von der CDU)

und das hat der Senator eben ausführlich dargestellt, in der es einen Zusammenhang gibt zwischen dem, was an Defizit und Blockade auf Bundesebene vorhanden ist, und dem, was wir für unseren Bereich erst einmal klarstellen. Und dass sich das daran orientiert, was für Vorstellungen wir haben, die dann auch ausgeweitet werden können, das ist der Zusammenhang, und den sollten Sie auch kapieren.

(Beifall bei der SPD und bei Phyliss Demirel GRÜNE)

Der CDU-Vorschlag für eine allgemeine Lohnuntergrenze wird das Problem der deutschen Armutslöhne nicht lösen.

(Zurufe von der CDU – Glocke)

Nun schreien Sie nicht dauernd dazwischen, hören Sie sich das einmal in Ruhe an.

Herr Rose, ich hatte eigentlich geklingelt, um Ihnen zu helfen und den Appell loszuwerden, dass alle anderen sich etwas ruhiger verhalten.

(Wolfgang Rose)

(André Trepoll CDU: Dem ist nicht zu hel- fen!)

Also darauf möchte ich jetzt nicht eingehen.

Der CDU-Vorschlag für eine allgemeine Lohnuntergrenze wird das Problem der deutschen Armutslöhne nicht lösen. Der Vorschlag von Frau von der Leyen ist völlig unzureichend. Die CDU will eine allgemeine Lohnuntergrenze ausschließlich in den Bereichen, in denen keine Tarifverträge existieren. Diese Regelung bietet einen Anreiz für viele Unternehmen, sich Pseudogewerkschaften als Partner für Hungerlohntarifverträge zu suchen oder selbst solche zu gründen. Was Herr Scheele eben gesagt hat, war ein Beispiel dafür, und die werden dann bei Gericht für nicht zuständig erklärt. Solche Entwicklungen kennen wir aus der Leiharbeit und von den Briefzustellern. Der CDU-Vorschlag verhindert deshalb nicht, dass weiterhin Millionen von Menschen für Hungerlöhne arbeiten müssen. Ihr Slogan "Sozial ist, was Arbeit schafft" ist eben nicht ausreichend. Er muss heißen: Sozial ist, was gute Arbeit schafft oder jedenfalls solche, von der man leben kann.

(Beifall bei der SPD und bei Phyliss Demirel GRÜNE)

Die CDU, die GRÜNEN und die LINKE fordern in ihren Zusatzanträgen alle eine Mindestlohnkommission. Die CDU nennt sie fälschlicherweise sogar Tarifkommission, um ihr den Anstrich von Tarifautonomie zu verleihen. Eine solche Kommission ist in dem eingegrenzten Geltungsbereich in Hamburg nicht erforderlich. Auf Bundesebene halten wir die Einbeziehung der Tarifparteien natürlich für sinnvoll und notwendig, aber die Übertragung der Letztentscheidung auf einen Schlichter lehnen wir ab. Es handelt sich beim Mindestlohn letztendlich um ein Gesetz, und da werden wir uns als Sozialdemokraten nicht vor der politischen Verantwortung eines Gesetzgebers drücken, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der SPD)

Ich will noch ein Wort zur LINKEN sagen, die sich immer gerne als die Gewerkschaftspartei darstellt.

(Finn-Ole Ritter FDP: Oh, jetzt gibt es eine interne Aussprache!)

Bei einer so zentralen Frage wie dem Mindestlohn erliegt sie der Versuchung, immer noch eine Extraprofilierung obendrauf zu legen. Alle Gewerkschaften haben sich auf 8,50 Euro verständigt, und alle wollen diesen Betrag natürlich regelmäßig dynamisieren. Ich bin sicher: Wenn die Gewerkschaften sich auf 10 Euro geeinigt hätten, dann hätte DIE LINKE 11 Euro gefordert; wir kennen das auch aus anderen Bereichen.

(Beifall bei der SPD)

Es geht doch nicht um die Frage, wer es als Erster gefordert hat. Es geht auch nicht um die Frage, wer der Radikalste im ganzen Land ist,

(Dietrich Wersich CDU: Natürlich, genau!)

sondern es kommt doch jetzt darauf an, dass es überhaupt einen flächendeckenden Mindestlohn geben soll und dass alle, die das wollen – Gewerkschaften, Parteien, Handwerkskammern und Sozialverbände – geschlossen für dieses gemeinsame Ziel eintreten. Es wäre ein gutes Zeichen bei diesem Thema, wenn auch DIE LINKE ihre parteipolitische Profilierung zurückstellen und dem Mehrheitsantrag zustimmen würde.

(Beifall bei der SPD)

Ich will abschließend noch eine grundsätzliche Bemerkung machen, denn natürlich, Herr Wersich, gibt es einen Zusammenhang zwischen diesem Hamburger Gesetz und seiner Diskussion und einem Bundesgesetz über einen gesetzlichen Mindestlohn.

(Dietrich Wersich CDU: Den haben Sie nur noch nicht klargemacht!)

1938 wurde in den USA ein Mindestlohn eingeführt, und in den 185 Mitgliedsländern der Internationalen Arbeitsorganisation ILO haben 90 Prozent einen Mindestlohn.

(Hans-Detlef Roock CDU: Sie vergleichen Äpfel mit Birnen!)

In der EU, Herr Scheele hat es schon gesagt, haben 20 Länder einen Mindestlohn. Von den Kirchen über die Wohlfahrtsverbände bis zu den Handwerkskammern wird der gesetzliche Mindestlohn gefordert. Über 200 Manager haben sich in den letzten Tagen für einen gesetzlichen Mindestlohn ausgesprochen. Zwei Drittel der CDU/CSUAnhänger und drei Viertel der Bundesbürgerinnen und Bundesbürger sind in den letzten Umfragen für die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns. Dass wir hier heute als Landesparlament ein vorläufiges Mindestlohngesetz für einen begrenzten Personenkreis beschließen, halte ich eigentlich für eine Schande. Und es ist eine ungeheure Blamage für unsere Zivilgesellschaft, dass diese Bundesregierung sich bis heute beständig weigert, die soziale Ungerechtigkeit von Armuts- und zum Teil Hungerlöhnen zur Kenntnis zu nehmen und einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn einzuführen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der SPD)

Die Einführung eines Mindestlohns ist nicht nur eine Frage der sozialen Gerechtigkeit, sondern auch eine Frage der demokratischen Kultur und der öffentlichen und politischen Moral. Würde hat ihren Wert und Arbeit hat ihren Preis – dieses Motto hat "Der Kirchliche Dienst in der Arbeitswelt" bereits 2006 für das Thema Arbeit in Gottesdiensten pro

(Vizepräsidentin Barbara Duden)

klamiert. Angesichts eines Evangelischen Kirchentages in Hamburg, der am Tag der Arbeit beginnt und sich die Losung "Soviel du brauchst" gegeben hat, wäre es ein Zeichen der zivilgesellschaftlichen Solidarität – gerade auch von der Partei mit dem christlichen Menschenbild –, wenn von hier aus ein gemeinsamer Appell an die Bundesregierung ausgehen würde, ihre Blockadehaltung endlich zu beenden und den flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn einzuführen. Nach der Bundestagswahl kommt er sowieso. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort bekommt Frau Prien.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Nach meinem Kalender ist der 1. Mai zwar erst nächste Woche, aber vielen Dank, Herr Rose, dass Sie uns schon einmal eine kleine Kostprobe geboten haben.

(Beifall bei der CDU)

Man fragt sich bei diesem engagierten Vortrag, warum eigentlich Rot-Grün in ihrer Regierungszeit zu Anfang des Jahrtausends keinen gesetzlichen Mindestlohn eingeführt hat und warum es eigentlich so ist, dass unter CDU-Beteiligung die meisten Mindestlöhne für allgemeinverbindlich erklärt worden sind. Irgendetwas scheint mit Ihrer Wahrnehmung nicht so ganz hinzuhauen.

(Beifall bei der CDU)

Tatsache ist aber, dass jetzt auch der letzte – Depp, hätte ich fast gesagt – auf der Straße gemerkt hat, dass es Ihnen bei diesem Landesmindestlohngesetz nicht etwa um die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Hamburg geht, sondern wir haben Bundestagswahlkampf. Das hat auch der Letzte jetzt gemerkt, und so ist dieses Gesetz eben leider auch zu bewerten.

(Beifall bei der CDU)

Auch für diesen Überbietungswettbewerb, den Sie sich mit GRÜNEN und LINKEN in Sachen Mindestlohn bieten und offensichtlich zukünftig vor jeder Wahl bieten wollen, haben Sie uns schon einmal eine kleine Kostprobe gegeben. Das erleben wir im Moment in der Steuerpolitik, das erleben wir beim Mindestlohn – besonders eindrucksvoll und glaubwürdig ist das leider nicht.

(Beifall bei der CDU)

Herr Senator Scheele und auch Sie, Herr Rose, haben uns dann noch das gute Beispiel aus dem europäischen Vergleich bringen wollen. Da haben wir zum Beispiel den gesetzlichen Mindestlohn in Frankreich mit 9,43 Euro, und wir haben nahezu 11 Prozent Arbeitslosigkeit in Frankreich. In Deutschland haben wir branchenspezifische Min

destlöhne – das ist gut so – und wir haben 5,7 Prozent Arbeitslose. Das ist das Verdienst der Bundesregierung, und das ist auch gut so.

(Beifall bei der CDU und der FDP – Zurufe von der SPD)

Aber kommen wir doch einmal zurück auf Ihr kleines Landesmindestlohngesetzchen, dieses Gesetzchen, das sich, wie Sie selbst eingeräumt haben, nur auf eine ganz geringe Anzahl von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern auswirken wird. Wir haben einmal ausgerechnet, dass es etwa 0,04 Prozent der Hamburger Arbeitnehmer, knapp 300 Menschen, betrifft. Auch die sind wichtig,

(Ksenija Bekeris SPD: Na, da haben Sie ja noch mal die Kurve gekriegt!)

deshalb unterstützen wir dem Grunde nach eine Mindestentgeltgrenze von 8,50 Euro, aber das ist doch wirklich nicht das Papier wert, auf dem es steht. Das ist reine Symbolpolitik, die Sie hier betreiben, und das haben Sie durch Ihren Vortrag heute auch wirklich glaubwürdig zum Ausdruck gebracht.

(Beifall bei der CDU – Ksenija Bekeris SPD: Die Symbolpolitik haben Sie aber ganz schön in die Länge gezogen, Frau Prien!)

Sie, Herr Scheele, distanzieren sich dann auch noch vom Kombilohnmodell Ihres früheren Arbeitsministers Müntefering. Das ist wirklich eine peinliche Veranstaltung heute.

(Beifall bei der CDU)