Protocol of the Session on March 27, 2013

Frau Heyenn, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Die FDP hat ihrem Antrag ein Zitat aus dem Schulgesetz vorangestellt, und sie zieht daraus den Schluss, dass lernschwache Schüler unterstützt werden müssen, aber auch besonders begabte Schüler eine gezielte Förderung brauchen. Damit stimmen wir soweit überein. Ich möchte mich dem Thema Hochbegabtenförderung und der Forderung, dass ein Glücksfall zum Regelfall werden soll, nämlich dass Schüler insgesamt richtig gefördert werden, mit zwei Beispielen nähern.

Das erste Beispiel: Eine Mutter ist zu mir gekommen und hat mir ihr Leid geklagt. Ihr Sohn sollte abgeschult werden, weil er verhaltensauffällig war und eine dicke Schülerakte hatte. Der Junge wollte aber unbedingt auf dieser Schule bleiben. Schließlich wurde er am UKE untersucht. Was stellte sich heraus? Der Sohn war hochbegabt. Daraufhin schaltete die Mutter den Schulaufsichtsbeamten ein, ging zur Beratungsstelle für besondere Begabungen. Es half alles gar nichts. Jetzt ist das Kind auf einer Privatschule.

Das zweite Beispiel: Eine Mutter kam zu mir und erzählte, dass das Kind von Anfang an – schon in der Grundschule war das klar – eine Lese-Rechtschreibschwäche hatte. Sie hat versucht, eine Förderung zu bekommen, die sie aber in der Grundschule nicht bekommen hat. Jetzt ist das Kind in der sechsten Klasse und in allen Fächern fürchterlich schlecht geworden. Es schreibt fast kein einziges Wort fehlerfrei und hat überhaupt kein Selbstbewusstsein mehr. Und nun bekommt dieses Kind Förderung, aber, wie die Mutter mir mitteilte, nur bis zum Ende der sechsten Klasse, dann ist Schluss. Sie sieht jetzt schon mit großen Ängsten, dass ihr Sohn wahrscheinlich gar keinen Schulabschluss bekommt.

Das sind zwei Fälle, an denen man von entgegengesetzten Enden her sehen kann, wo die Förderung in Hamburg noch einen großen Nachholbedarf hat. Es gibt Schülerinnen und Schüler mit sehr unterschiedlichen Begabungen. Das Hauptproblem ist, dass diese Begabungen oft überhaupt nicht erkannt werden. Da gliedert sich dieses Problem, Hochbegabte zu fördern, ein. Das ist kein isoliertes Problem.

Sie weisen in Ihrem FDP-Antrag auf die Schulinspektion hin und formulieren, dass gezielte Förderung nicht dem Zufall überlassen werden dürfe und dass es nicht davon abhängen dürfe, ob Schülerinnen und Schüler auf eine engagierte Lehrkraft tref

fen. Aber genau das ist die Realität, und das hat die Schulinspektion jetzt zweimal bestätigt, nämlich dass die Motivation und die Lernbereitschaft von Schülerinnen und Schülern zu 93 Prozent davon abhängen, welchen Lehrer oder welche Lehrerin sie haben. Das trifft für alle zu, nicht nur für Hochbegabte, die 2 bis 3 Prozent der Schülerschaft ausmachen. Es ist richtig, es sind 4000 bis 6000 Hochbegabte. Es ist also keine Frage des Unterrichts, sondern es ist eine Frage der Methodenvielfalt. Es muss alles versucht werden, diese Abhängigkeit von der Lehrerpersönlichkeit zu reduzieren. Dazu ist aber bisher noch niemandem etwas Schlaues eingefallen.

Nun hat die Universität Würzburg Hochbegabtenklassen untersucht und unter anderem festgestellt – ich zitiere –:

"Im immer noch vorherrschenden Frontalunterricht richten sich die Lehrer in der Regel nach dem 'durchschnittlichen' Schüler aus, was bei den Hochbegabten leicht zu Unterforderung und Motivationsproblemen führt."

Später im Text weisen sie darauf hin, dass es in Bayern und Baden-Württemberg seit etlichen Jahren spezielle Klassen für hochbegabte Schüler gibt. Und ob die Erwartungen so erfüllt wurden, wie man es erwartet hat, darüber gibt es eine Studie. Eine Wissenschaftlerin zieht aus dieser Studie folgenden Schluss – ich zitiere –:

"Vor allem das hohe Maß an individueller Unterstützung und die gelungene soziale Integration wurden von den Eltern positiv bewertet."

Das ist genau das, was auch Frau von Berg gesagt hat, es muss im Klassenverband stattfinden.

Nun hat auch die CDU einen Antrag eingebracht. Sie fordern in Punkt 2 den Stand der Umsetzung des 2006 entwickelten Förderkonzepts für hochbegabte und besonders begabte Schülerinnen und Schüler. Es ist richtig, dass Sie 2006 etwas auf den Weg gebracht haben. Sie haben auch Schnellläuferklassen eingerichtet, das Springermodell und das Juniorstudium. Man muss aber auch sagen, dass die Springerklassen wieder abgeschafft wurden, es nur noch eine einzige Schnellläuferklasse gibt und insgesamt 88 Schülerinnen und Schüler am Juniorstudium teilnehmen. Das ist eine sehr geringe Ausbeute und man kann nicht sagen, dass das ein Erfolgsrezept ist.

In dem FDP-Antrag werden mehrere Vorschläge gemacht. Da frage ich mich natürlich, wenn Sie in Punkt 2 sagen, Sie wollten in einzelnen Schwerpunktschulen Hochbegabtenförderung machen, wie Sie denn die Schulen aussuchen wollen? Dazu haben Sie kein Wort gesagt. Welche Schulen sollen das sein und welche nicht? Ob diese externe Zertifizierung so viel bringt, weiß ich wirklich nicht.

(Dr. Stefanie von Berg)

Wir sind für eine Überweisung, aber wir werden dem CDU-Antrag und dem FDP-Antrag auf keinen Fall zustimmen.

Das Hauptproblem bei der Förderung von unterschiedlichen Begabungen besteht darin, dass man diese Begabung nicht erkennt. Das gilt sowohl für Lehrkräfte als auch für Eltern, und das bleibt die ständige pädagogische Herausforderung. Daran wird täglich gearbeitet. Da müssen wir sowohl mit dem LI als auch mit der Lehrerausbildung und mit genügend Zeit, die die Lehrkräfte in den Schulen haben müssen, arbeiten. Die Anträge der FDP und der CDU werden nicht dazu beitragen, dass die begabten Schülerinnen und Schüler in Hamburg besser gefördert werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren! Gibt es weitere Wortmeldungen? – Wenn das nicht der Fall ist, können wir zur Abstimmung kommen. Zunächst zum Überweisungsbegehren hinsichtlich der Drucksache 20/7152.

Wer möchte diese an den Schulausschuss überweisen lassen? – Die Gegenprobe. – Enthaltungen? – Das ist dann einstimmig so überwiesen worden.

Wer möchte die Drucksache 20/7365, Antrag der CDU-Fraktion, ebenfalls an den Schulausschuss überweisen? – Auch hier die Gegenprobe. – Enthaltungen? – Dann ist dieses Überweisungsbegehren abgelehnt.

Wir stimmen in der Sache ab.

Wer möchte den Antrag der CDU-Fraktion annehmen? – Die Gegenprobe. – Enthaltungen? – Damit ist dieser Antrag abgelehnt.

Wir kommen zu Punkt 70, Drucksache 20/7222 in der Neufassung, Antrag der Fraktion DIE LINKE: Streikrecht für gute Arbeit ist ein Grundrecht – es muss durch die Änderung bestehender Gesetze verteidigt werden.

[Antrag der Fraktion DIE LINKE: Streikrecht für gute Arbeit ist ein Grundrecht – es muss durch die Änderung bestehender Gesetze verteidigt werden – Drs 20/7222 (Neufassung) –]

Hierzu liegt Ihnen als Drucksache 20/7389 ein Antrag der SPD-Fraktion vor.

[Antrag der SPD-Fraktion: Missbrauch von Leiharbeitskräften und befristet Beschäftigten als Streikbrecher verhindern – Drs 20/7389 –]

Wer wünscht das Wort? – Frau Artus.

Frau Präsidentin, sehr geehrte Herren und Damen! Streiken ist ein Grundrecht. Aber was ist dieses Grundrecht noch wert? Eine 55-jährige Arbeiterin, die bei Neupack in Stellingen arbeitet und seit fast fünf Monaten streikt, ist diesbezüglich weitgehend desillusioniert. Sie schreibt in einem Beitrag auf Facebook:

"Die Verträge der polnischen Kollegen wurden bis 2014 verlängert, und wir wissen alle, was das heißt. Wir kommen nicht aus Dummsdorf. Ich wünsche mir, dass spätestens die zweite Generation nach mir den Mut haben wird, aufzustehen und lauthals ins Land zu schreien, dass auch wir Rechte und nicht nur Pflichten haben, dass wir Menschen sind und keine Marionetten, dass auch wir Steuerzahler und Wähler sind und kein Spielball für die Reichen."

(Beifall bei der LINKEN)

Sehr geehrte Abgeordnete! Da stehen Menschen in der kältesten Jahreszeit vor ihrem Werk für einen Tarifvertrag. Der wird ihnen keinen Luxus bringen, sondern nur mehr Gerechtigkeit, aber das ist den Menschen wichtig. Sie sind so bescheiden und jetzt erleben sie, dass diese Bescheidenheit keinen Erfolg hat. Dass es noch keinen Tarifvertrag gibt, daran trägt die derzeitige Gesetzeslage einen großen Anteil. Deswegen haben wir diesen Antrag gestellt.

Welches Landesparlament, wenn nicht Hamburg, muss jetzt Flagge zeigen für die Sicherung eines der wichtigsten demokratischen Grundrechte, den Streik?

(Beifall bei der LINKEN)

Der Neupack-Inhaber ist vermutlich kein Mensch mit schlechtem Charakter. Er kennt aber seine rechtlichen Möglichkeiten und beherrscht die Regeln des Klassenkampfes. Die eine lautet aus Unternehmersicht: Keine Zugeständnisse machen, wenn es nicht sein muss, denn das nimmt vom Gewinn etwas weg. Die andere Regel heißt: Teile und herrsche. Stelle Leute als Leihkräfte und befristet ein und versprich ihnen feste Arbeit und behandle die anderen wie den letzten Dreck. Die Rahmenbedingungen, die es ihnen erlauben, einen Tarifvertrag zu behindern, sind von den Bundesregierungen seit Mitte der 1980er Jahre systematisch ermöglicht worden.

Die Fraktion DIE LINKE in der Hamburgischen Bürgerschaft hat daher die größten Verschlimmbesserungen in dem vor Ihnen liegenden Antrag zusammengetragen. Es muss Schluss sein damit, dass Streikbrecher eingestellt werden dürfen, wenn draußen vor dem Werk Menschen um faire Bezahlung kämpfen.

(Dora Heyenn)

(Beifall bei der LINKEN)

Es muss Schluss sein damit, dass Betriebsräte während eines Streiks entmachtet sind.

(Beifall bei der LINKEN)

Es muss Schluss sein damit, dass Arbeitsuchende an bestreikte Betriebe vermittelt werden dürfen.

(Beifall bei der LINKEN)

Und es muss Schluss sein damit, dass Gewerkschaften bislang keine direkten rechtlichen Möglichkeiten haben, Gesetzesverstöße im Betrieb und Restriktionen gegen Streikende mithilfe der Gerichte zu untersagen.

(Beifall bei der LINKEN)

Sehr geehrte Abgeordnete! Die Zahl der tarifgebundenen Betriebe ist seit 1996 stark zurückgegangen. Immer mehr Unternehmen treten aus dem Arbeitgeberverband aus. Bundesweit arbeiteten im Jahr 2009 nur noch 52 Prozent der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in tarifgebundenen Betrieben, 1996 waren es noch 67 Prozent. Es wird immer schwerer, tarifliches Recht durchzusetzen, und es finden immer öfter sogenannte Häuserkämpfe statt. Immer öfter streiken auch nur Berufsgruppen. Das haben wir bei den Lokomotivführern beispielsweise und auch beim Bodenpersonal an den Flughäfen gesehen.

Das können Sie an folgenden Fakten festmachen: Die Zahl der an Streiks und Warnstreiks beteiligten Beschäftigten hat sich gegenüber 2011 mehr als versechsfacht. Sie stieg von rund 180 000 auf 1,2 Millionen. Nicht zuletzt dadurch lag das Arbeitskampfvolumen 2012 mit schätzungsweise 630 Ausfalltagen mehr als doppelt so hoch wie 2011. Die Mehrzahl der Arbeitskämpfe sind mittlerweile Auseinandersetzungen um Haustarifverträge, also wie bei Neupack. Hinzu kommt, dass nur 0,65 Prozent aller Tarifverträge noch allgemeinverbindlich sind. Das heißt, nur 0,65 Prozent aller Tarifverträge gelten auch dann, wenn Arbeitgeber nicht im Arbeitgeberverband sind oder einen Haustarifvertrag mit einer Gewerkschaft unterschrieben haben.

Daher hatten SPD, LINKE und GRÜNE Anfang 2012 im Bundestag mit jeweils eigenen Beschlussvorlagen beantragt, die 50-Prozent-Klausel im Tarifvertragsgesetz zu ändern, die Voraussetzung für eine Allgemeinverbindlichkeit ist. Dies stieß bei Expertinnen und Experten auch auf ein weitgehend positives Echo, wie es bei einer Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Soziales auch deutlich wurde. CDU, CSU und FDP haben das ignoriert und alle drei Anträge abgelehnt.

Daher erwarte ich von Ihnen auf der rechten Seite der Bürgerschaft, dass Sie uns heute endlich keine Märchen mehr erzählen, indem Sie das Lied von der Tarifautonomie singen. Das glaubt Ihnen nie

mand mehr. Ich fordere von Ihnen endlich Ehrlichkeit. Oder kritisieren Sie die Beschlüsse Ihrer Bundestagsfraktionen, dann gewinnen Sie an Glaubwürdigkeit zurück.

(Beifall bei der LINKEN)

Sehr geehrte Abgeordnete! Neupack lässt sich seit Jahren staatlich subventionieren, denn dort werden so niedrige Löhne gezahlt, dass viele der dort Beschäftigten davon gar nicht leben können. Damit ist Neupack nicht allein, denn die Agenda 2010, die durch die Schröder-Fischer-Regierung eingeführt wurde, hat vielen Betrieben dieses Lohndrückermodell erst ermöglicht. Das wird in vielen Kreisen übrigens Jobwunder genannt. Dieser Neusprech bedeutet aber nichts anderes als arm durch Arbeit, und auch das muss endlich beendet werden.