Protocol of the Session on November 7, 2012

Ich rufe nun den Punkt 7 auf, das ist die Drucksache 20/5380, Große Anfrage der CDU-Fraktion: Hamburg Metropole der Chancen, Fachkräftemangel und lebenslanges Lernen – wo steht Hamburg?

[Große Anfrage der CDU-Fraktion: Hamburg Metropole der Chancen Fachkräftemangel und lebenslanges Lernen – wo steht Hamburg? – Drs 20/5380 –]

Diese Drucksache möchten die Fraktionen der CDU und der LINKEN federführend an den Ausschuss für Wirtschaft, Innovation und Medien und mitberatend an den Ausschuss für Soziales, Arbeit und Integration überweisen.

Wird das Wort gewünscht? – Frau Prien, Sie haben es. Ich bitte das Auditorium um ein wenig Aufmerksamkeit.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Die Antwort des Senats auf unsere Große Anfrage hat mich ein wenig ratlos gemacht. Der Senat hat offensichtlich das vergangene Jahr weder dazu genutzt, eine ausreichende Faktengrundlage zu dieser für unsere Stadt so wichtigen Problematik zu schaffen, noch sind Ansätze für ein Fachkräftekonzept auch nur erkennbar. Viel schlimmer aber ist, dass dem Senat offensichtlich jedes Problembewusstsein fehlt. Während die SPD-Fraktion, die sich heute für das Thema nicht so richtig zu interessieren scheint, in ihrem Antrag vom 12. Oktober 2011 immerhin schon von einem neuen Rekordstand beim Fachkräftemangel in Hamburg sprach, hören wir vom Senat jetzt, dass es aktuell in Hamburg gar keinen Fachkräftemangel gebe.

(Dietrich Wersich CDU: Hört, hört!)

Es soll in einzelnen Bereichen partielle Stellenbesetzungsengpässe geben, wörtlich heißt es in der Anfrage:

"Im Gegenteil ist der übliche Wettbewerb Hamburger Unternehmen um qualifizierte Arbeitskräfte Ausdruck eines dynamischen und funktionierenden Arbeitsmarktes."

Das klingt so, als ob alles in Ordnung wäre. Seltsamerweise ist der Senat aber mit dieser Auffassung in der Stadt mehr oder minder alleine. Sowohl die Wirtschaftsverbände als auch die Handelskammer und die Handwerkskammer und sogar die Gewerkschaften haben längst für Hamburg das Problem des Fachkräftemangels als wesentliche Gefährdung unseres Wirtschaftsstandortes identifiziert. Der Präses der Handelskammer hat bereits Ende

(Senator Frank Horch)

des vergangenen Jahres erklärt, dass 40 Prozent der Hamburger Unternehmen offene Stellen mittelfristig nicht besetzen könnten, und das Ergebnis einer entsprechenden Umfrage bei den Mitgliedsunternehmen als alarmierend bezeichnet. Der Präses hat klar formuliert, dass der Fachkräftemangel kein Zukunftsthema ist, wie der Senat meint, sondern bereits jetzt Realität bei den Hamburger Unternehmern.

(Beifall bei der CDU)

Anders als offensichtlich die Sozialbehörde hat die Wirtschaftsbehörde dies in gewisser Weise auch bereits erkannt, denn im Haushaltsplan-Entwurf dürfen wir im Vorwort lesen – ich zitiere –:

"Die Ausbildung, Weiterbildung, Qualifizierung und Rekrutierung qualifizierter Fachund Führungskräfte wird angesichts der demografischen Entwicklung, eines schärferen Wettbewerbs um 'kluge Köpfe' und eines vielfach prognostizierten Fachkräftemangels für die wissensbasierte Hamburger Wirtschaft zunehmend zum entscheidenden Standortfaktor."

Was denn nun, haben wir einen Fachkräftemangel oder haben wir keinen?

(Beifall bei der CDU – Hansjörg Schmidt SPD: Bei der CDU ist offensichtlich Fach- kräftemangel!)

Wie kann es eigentlich geschehen, dass der Senat oder zumindest Teile des Senats ein für die Hamburger Wirtschaft so wesentliches Thema so unterschiedlich sehen und als Problem gar nicht wahrnehmen wollen, geschweige denn hier eine konzeptionelle Lösung anzubieten hätten? Die Antwort ist sicherlich zum Teil darin zu finden, dass das Thema Fachkräftesicherung beim Sozialsenator und eben nicht beim Wirtschaftssenator angesiedelt wird, und offensichtlich fehlt dem Sozialsenator der Zugang zur Hamburger Wirtschaft.

(Hansjörg Schmidt SPD: Das ist der Arbeits- senator!)

Das Thema Fachkräftesicherung müsste dringend bedarfsorientiert und in enger Kooperation mit der Hamburger Wirtschaft langfristig angegangen werden. Hier würden wir uns auch eine stärkere Rolle des Wirtschaftssenators wünschen. Darüber hinaus sollte ein Konzept in Zusammenarbeit mit der Metropolregion entwickelt werden. Auch darüber scheint sich der Senat bisher überhaupt keine Gedanken gemacht zu haben. Vor allem aber setzt ein taugliches Fachkräftekonzept für unsere Stadt voraus, dass der Senat eine Vorstellung davon hat, in welchen Branchen welche Bedarfe bis 2025 entstehen und wo die größten Engpässe zu erwarten sind. Wer die Wettbewerbsfähigkeit Hamburgs heute und morgen sichern will, muss in Sachen Fachkräfte jetzt handeln.

(Beifall bei der CDU)

Ohne Zweifel kann die Politik diese große Aufgabe nicht alleine stemmen. Deshalb muss aktiv und alsbald der Schulterschluss mit der Hamburger Wirtschaft und den Gewerkschaften sowie den Kammern gesucht werden. Das erreicht man nicht, wenn man das Problem an sich leugnet und so tut, als ob schon alles in Ordnung käme. Vollkommen vermisse ich im Übrigen den Ehrgeiz des Senats, hochqualifizierte Fachkräfte im gewerblich-technischen und medizinischen Bereich aus Deutschland, aber selbstverständlich auch aus Europa und aus anderen Teilen der Welt nach Hamburg einzuladen und für die Attraktivität Hamburgs als Wirtschaftsmetropole zu werben. Dafür müsste man ein entsprechendes Marketingkonzept haben, aber davon ist keine Rede. Auch in der Großen Anfrage finden wir dazu nichts.

Zusammenfassend ist festzustellen, dass es einen dringenden Bedarf gibt, dieses Thema ernsthaft und in seiner ganzen Tragweite im Wirtschaftsund im Arbeits- und Sozialausschuss zu beraten, um dafür Sorge zu tragen, dass mit diesem Senat das Thema Fachkräftesicherung für Hamburg nicht verschlafen wird.

(Beifall bei der CDU)

Herr Schwieger, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Den Fachkräftemangel kann man beklagen, wie wir gerade gehört haben, oder man kann etwas dagegen tun. Wir haben uns für den zweiten Weg entschieden.

(Beifall bei der SPD)

Frau Prien, der Neuzuschnitt der Behörden scheint völlig an Ihnen vorbeigegangen zu sein.

(Karin Prien CDU: Eben nicht!)

Zuletzt zählte Hamburg rund 957 000 Erwerbspersonen. Ausgehend von dieser Zahl und dem damit hohen Angebot an Arbeitskräften kann von einem Fachkräftemangel Hamburgs aktuell – und ich betone: aktuell – keine Rede sein, und das ist auch das, worauf Sie hingewiesen haben. Die Differenz ist sozusagen die Perspektive, denn die Prognose der 12. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung sagt für Hamburg ab 2020 eine zunächst stagnierende und dann erst fallende Zahl an erwerbstätigen Personen voraus. Im Kontext dieser demografischen Entwicklung, Alterung sowie Schrumpfung der deutschen Bevölkerung deutet vieles darauf hin, dass sich in den kommenden Jahren ein Fachkräftemangel im mittleren sowie hohen Qualitätsniveau einstellen wird.

Dem stellen wir uns, und wir sind jetzt schon dabei, gute Rahmenbedingungen für Qualifizierung und

(Karin Prien)

eine höhere Erwerbsbeteiligung zu schaffen. Die CDU fragt in ihrer Großen Anfrage, wo Hamburg stehe. Das ist ganz einfach zu beantworten. Der ausführlichen Antwort des Senats entnehmen wir, dass Hamburg dabei ist, sich breit aufzustellen und gut dasteht.

(Beifall bei der SPD)

Ein Anfang wurde hier bereits mit dem Fachkräftestrategietag vom 24. September dieses Jahres gemacht, und die von Ihnen geforderte Einbindung von Gewerkschaften, Kammern, Fachbehörden und Experten aus der Forschung zeigt den breiten Ansatz der BASFI und der Agentur für Arbeit. Erst am Montag eröffnete Senator Scheele eine Diskussion zur Fachkräftesicherung bei der Veranstaltung "ESF im Dialog". Mit den Partnern von der Agentur für Arbeit, Jobcenter team.arbeit.hamburg, den Kammern, also auch Herrn Stemmann, den Gewerkschaften und Unternehmensvertretern wird im kommenden Jahr ein Fachkräftenetzwerk gegründet. Der Senat wird mithilfe dieses Netzwerks seine erarbeitete Strategie zur Sicherung von Fachkräften umsetzen sowie weiterentwickeln. Die Fachkräftestrategie des Senats wird Anfang 2013 der Bürgerschaft vorgelegt werden. In diesem Zusammenhang werden Qualifizierungsmaßnahmen in Höhe von insgesamt 7,1 Millionen Euro für die Jahre 2013/2014 finanziert. Inhaltlich wird sich diese Strategie mit kurzfristigen Besetzungsengpässen und mittel- bis langfristigen Ersatzbedarfen in Berufsfeldern mit hohem Altersdurchschnitt und geringem Nachwuchspotenzial befassen.

Die Gewinnung und Sicherung von Fachkräften ist aber auch eine zentrale Aufgabe der Wirtschaft. Heute nicht auszubilden, bedeutet für morgen einen Mangel an Fachkräften. Heute nicht in die Weiterbildung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu investieren, heißt morgen die Konkurrenzfähigkeit aufs Spiel zu setzen. Heute nicht aktiv Frauenförderung zu betreiben, heißt großes Potenzial liegen zu lassen.

(Beifall bei der SPD und bei Katharina Wolff CDU)

Für uns alle muss es darum gehen, das vorhandene Fachkräfteangebot zu sichern und neue Potenziale zu gewinnen. Einige Ansatzpunkte dazu möchte ich im Folgenden nennen:

Die Erwerbstätigkeit der Frauen ist zu erhöhen; hier geht es darum, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu schaffen. Darüber haben wir eben ausdrücklich diskutiert.

Weiter geht es darum, eine bessere Qualifizierung von Schülern und Auszubildenden zu erzielen und mehr qualifizierte Fachkräfte aus dem Ausland einzustellen. In diesen Bereichen ist und wird Hamburg bereits tätig, um nur ein paar Beispiele zu nennen: Der Zusammenschluss von Senat, Handelskammer und Handwerkskammer, also auch

Herrn Stemmann, zur Hamburger Allianz für Familien hat die Aufgabe, familienfreundliche Personalpolitik zu fördern und auszubauen. Mit der Jugendberufsagentur wollen wir junge Menschen gezielt und zuverlässig in Ausbildung und Arbeit begleiten und vermitteln. Mit dem Anerkennungsgesetz ausländischer Berufsabschlüsse haben wir die Voraussetzung geschaffen, dass ausländische Fachkräfte auch in Deutschland in ihrem Beruf arbeiten können.

Wie sagte der Bürgermeister beim Zukunftsdialog "Wettbewerbsstärke Personal":

"Denn das Wissen und das Können der Arbeitnehmer sind das Fundament unserer Wirtschaft und unseres Wohlstands. Sie sind die wichtigsten Voraussetzungen dafür, dass wir im nächsten Jahrzehnt das Szenario prosperierender Wirtschaft und Beschäftigung erreichen."

Dem ist nichts hinzuzufügen.

(Beifall bei der SPD)

Eine Überweisung der Drucksache an die verschiedenen Ausschüsse lehnen wir ab. Bei Vorlage der Fachkräftestrategie werden wir diese sowieso im Ausschuss erarbeiten, und dann können Ihnen die offenen Fragen aus dieser Drucksache noch beantwortet werden. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Frau Demirel, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Nach den aktuellen Daten zum Hamburger Arbeitsmarkt haben wir ständig wachsende gemeldete sozialversicherungspflichtige Stellen in Hamburg. Ende Oktober gab es 16 900 vakante Stellen. Der Senat erklärt in der Großen Anfrage, dass in Hamburg aktuell nicht von einem Fachkräftemangel gesprochen werden könne; dennoch könnte es bei einzelnen Unternehmen und in einzelnen Branchen zu Besetzungsengpässen kommen. Über den Satz bin ich auch gestolpert.

Wir können es nennen, wie wir wollen, aber wir kommen nicht an der Realität vorbei, dass in Hamburg 16 900 Stellen zurzeit nicht besetzt werden können. Es ist auch nicht so, dass wir keine Arbeitslosen in diesen Berufsbereichen hätten. Zum Beispiel sind in der Rohstoffgewinnung, der Produktion und der Abfertigung Ende Oktober fast 4500 offene Stellen gemeldet. Dagegen steht, dass in diesen Berufen fast 10 000 Menschen arbeitslos gemeldet sind. Im Bereich Logistik sind die Zahlen sogar noch höher. Irgendwie kommen hier Nachfrage und Angebot nicht zusammen.

(Jens-Peter Schwieger)

Wir haben folgendes Problem: Das Arbeitsmarktprogramm des Senats ist nicht dafür geeignet, die vorhandenen Potenziale zu erschließen und dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Es ist kein Konzept, das langfristig stabile Strukturen auf dem Arbeitsmarkt und in der Wirtschaft schaffen kann. Hier müssen Sie, liebe SPD, noch einmal ran.