Protocol of the Session on May 23, 2012

(Beifall bei der FDP)

Statt immer neue, wohlklingende Maßnahmen zu erfinden, sollten wir da ansetzen, wo noch Defizite bestehen und wo der Bedarf durch gesellschaftliche Entwicklungen steigt. Eine 2010 durchgeführte Evaluation der beiden interkulturellen Beratungsstellen LÂLE und i.bera, deren Klientel unter anderem junge Frauen sind, die von Zwangsheirat bedroht sind, ergab eine zunehmende Auslastung der Mitarbeiter. Im Rahmen des DAPHNE-Programms hatte der Vorvorgängersenat in Kooperation mit der Lawaetz-Stiftung das Projekt "Aktiv gegen Zwangsheirat" auf den Weg gebracht. Der Landesaktionsplan Opferschutz hat Teile dieses Aktionsplans übernommen. Insofern unterstützen wir den GAL-Antrag, der den Landesaktionsplan Opferschutz mit diesem Landesaktionsplan zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen koppeln will.

Die SPD erwähnt die Zwangsverheiratung in ihrem Programm in einer Randnotiz unter 5. g) und auch dieses nur in Klammern. Wir meinen aber, dass gerade da neue Aufgaben auf Hamburg zukommen werden. Insofern sehen wir es genauso wie meine Vorredner, dass die Streichung des vom

(Dr. Stefanie von Berg)

schwarz-grünen Senats geplanten Wohnprojekts für von Zwangsheirat bedrohte Frauen, die älter als 21 Jahre sind und damit nicht in der Schutzeinrichtung Zuflucht unterkommen können, auf jeden Fall überprüfenswert ist. Wir werden beobachten, ob die Maßnahmen, die der Senat auf den Weg bringen wird, ausreichen, um dieser gesellschaftlichen Problematik in geeignetem Maße entgegenzutreten. Wir würden diesen Antrag gerne behandeln und beantragen deswegen die Überweisung federführend an den Innenausschuss und mitberatend an den Justizausschuss.

(Beifall bei der FDP)

Frau Artus, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin, sehr geehrte Herren und Damen! Dass es einen Landesaktionsplan Gewalt gegen Frauen geben soll, ist auch eine Forderung der LINKEN gewesen. Insofern begrüßen wir, dass es nun endlich so weit ist. So setzen wir nun also die Diskussion zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen fort, die wir vor genau neun Monaten an dieser Stelle in der 20. Wahlperiode begonnen haben. Damals ging es um die Weiterentwicklung und Finanzierung der Frauenhäuser. Sie haben eine gewichtige Rolle, wenn wir über Gewalt gegen Frauen reden, insbesondere über häusliche Gewalt. Bis Mitte dieses Jahres soll der Senat einen Bericht über die Situation der Frauenhäuser vorlegen. Insofern ist es jetzt allerdings etwas misslich, dass die SPD sechs Wochen vor Jahresmitte diesen Antrag einreicht. Daher möchten wir versuchen, Sie zu überzeugen, Ihren Antrag und auch die anderen Anträge an die Ausschüsse zu überweisen, damit wir ihn zusammen mit dem Senatsbericht, der Mitte des Jahres erwartet wird, diskutieren und behandeln können.

(Beifall bei der LINKEN und der GAL)

Möglicherweise kämen wir noch zu einem erweiterten Petitum, wenn Sie auch unseren Antrag an den Ausschuss überweisen würden. Dass Sie hier zwei Ziffern annehmen, begrüßen wir natürlich. Am 25. August 2011 sagten Sie, Frau Kollegin Steppat, hier am Rednerpult, dass der Antrag der LinksFraktion zur Sicherung der Frauenhäuser überflüssig sei. Wir forderten darin den unverzüglichen Ausbau der Frauenhäuser, übrigens eine gemeinsame Forderung mit der alten SPD-Fraktion und der Kollegin Gabi Dobusch. Wir forderten den Ausbau, weil der Europarat 2006 empfohlen hat, pro 7500 Einwohnerinnen und Einwohner einen Frauenhausplatz anzubieten. In Hamburg steht das Verhältnis 1:9115. Wir forderten den Ausbau, weil im Jahr 2007 die Anzahl der Frauenhausplätze von 207 auf 194 abgebaut wurde. Damit ist unsere Forderung überhaupt nicht überflüssig, sondern ganz aktuell.

(Beifall bei der LINKEN und bei Dr. Stefanie von Berg GAL)

Da wir von weiterem Bevölkerungswachstum in Hamburg ausgehen, steigt leider höchstwahrscheinlich auch die Anzahl der Opfer häuslicher Gewalt und damit auch der Bedarf an Frauenhausplätzen. Es gibt bereits Vorstellungen im SPDSenat, wie das Bevölkerungswachstum bewältigt und gestaltet werden kann. Dieser Aspekt gehört offensichtlich nicht dazu, dabei zeigen doch die jetzt schon anhaltend hohen Belegungszahlen, wie notwendig ein Ausbau der Frauenhausplätze ist.

Herr Senator Scheele ergriff am 25. August 2011 ebenfalls das Wort und berichtete, welchen Eindruck er bei seinem Besuch in einem Frauenhaus gewonnen hatte. Er war meiner Meinung nach offensichtlich sehr bewegt und befand die Bedingungen für nicht zumutbar. Er sagte zu, nach Alternativen zu suchen. Diese Worte machten wirklich Hoffnung. Herr Senator, ich frage Sie heute, wie diese Alternative aussieht. Dann erwarte ich, dass Geld in die Hand genommen wird, damit die Bedingungen für in Not geratene Frauen – misshandelt, bedroht, geschlagen, vergewaltigt – in Hamburg endlich besser werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Sie haben sich selbst einen Auftrag gegeben. Nach neun Monaten können wir erwarten, dass es Alternativen gibt. Diese Alternative, verehrte Abgeordnete, liebe Frau Bekeris, Herr Senator, sehe ich nur zum Teil in den 50 000 Euro, die durch das Einstampfen des geplanten Wohnhauses für die Opfer von Zwangsheirat den Frauenhäusern zugutekommen sollen,

(Ksenija Bekeris SPD: 750 000 Euro!)

was meine Vorrednerin bereits erwähnt und entsprechend kritisiert hat. Wir fordern also nach wie vor von Ihnen, dass mindestens 42 neue Plätze gemäß den Empfehlungen des Europarats in Frauenhäusern geschaffen werden. Alles andere ist keine Alternative.

(Beifall bei der LINKEN und bei Dr. Stefanie von Berg GAL)

Vielleicht, Sie wollen immer Gegenfinanzierungsvorschläge haben,

(Dr. Andreas Dressel SPD: Vermögensteu- er!)

verzichten Sie künftig auf die Durchfinanzierung des Matthiae-Mahls,

(Beifall bei der LINKEN)

dann können Sie in den nächsten drei Jahren schön viel Geld, nämlich 88 000 Euro pro Jahr, umverteilen und den Opfern häuslicher und sexueller Gewalt zukommen lassen. Die Gäste des Mahls

(Martina Kaesbach)

sind sicherlich bereit, ihr Essen selbst zu bezahlen, wenn es für so eine gute Sache ist.

(Beifall bei der LINKEN)

Verehrte Abgeordnete! Grundsätzlich ist es enttäuschend, dass erst im Sommer nächsten Jahres ein Landesaktionsplan zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen vorgelegt werden soll. Wertvolle Zeit verstreicht. Aber selbst wenn man sich in der SPD sagt, es gehe nur eines nach dem anderen und man habe noch drei Jahre Zeit, um das Wahlprogramm beziehungsweise das Arbeitsprogramm des Senats umzusetzen – da will ich auch grundsätzlich gerne mit Ihnen gehen –, dann fehlen mir im Antrag wesentliche Aufträge, die das eine Jahr weitere Verschiebungen rechtfertigen würden. Ich möchte es gerne noch zuspitzen und sagen, dass mir eine klar strukturierte Zielsetzung fehlt.

Was wollen Sie eigentlich? Einmal schreiben Sie in der Einleitung Ihres Antrags, dass ein freies Leben ohne Gewalt für die in Hamburg lebenden Frauen durchgesetzt werden kann. In dem Ersuchen an den Senat wollen Sie aber nur Fortschritte im Bereich der Prävention und des Opferschutzes erzielen. Außerdem, und das ist Ihnen zum Glück auch aufgefallen, fehlt die Bekämpfung von Gewalt gegen ältere Frauen. Auch vor dem Hintergrund des künftigen Seniorenmitwirkungsgesetzes und des gerade stattgefundenen Seniorentages begrüßen wir die Annahme unserer Ziffer, denn wenn ältere Frauen Opfer von Gewalt werden, suchen sie in der Regel kein Frauenhaus auf. Ältere Frauen haben nicht diesen Zugang zu unserem Hilfesystem wie jüngere und sie sind auch nicht so im Internet unterwegs. Insofern nutzt ihnen eine Schlagwortoptimierung und die Verlinkung des Informationsangebotes nichts. Bei älteren Frauen gibt es zudem leider das wenig bekannte Phänomen der Retraumatisierung. Kriegsbedingte sexuelle Gewalterfahrungen bedürfen einer Integration in die bestehenden Hilfesysteme. Dies wurde vom schwarzgrünen Senat bereits in den Landesaktionsplan Opferschutz aufgenommen und es muss gezielt weiterentwickelt werden.

Sie konzentrieren sich zudem weitgehend auf Maßnahmen – alle wichtig und richtig, verstehen Sie mich nicht falsch –, aber Sie starten von einem falschen Startblock. Wenn Sie ein Leben ohne Gewalt durchsetzen wollen, dann müssen Sie Pflöcke zur Überwindung der männerdominierten Gesellschaft setzen. Gewalt gegen Frauen ist Ausdruck eines gesellschaftlichen Unterdrückungsverhältnisses.

Den drei zentralen Punkten zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen – ökonomische Selbstständigkeit, eigene und bezahlbare vier Wände sowie konsequente Überwindung von Geschlechterstereotypen – widmen Sie aber leider keine einzige Zeile. Das geht so nicht, verehrte SPD, das muss noch einmal nachbearbeitet werden und das wür

den wir gerne im Ausschuss mit Ihnen zusammen machen.

(Beifall bei der LINKEN)

Was nun aus dem Restlandesaktionsplan Opferschutz wird, dazu haben Sie, Kollegin Kammeyer, Stellung genommen. Das finde ich auch gut, nur ist es auch so, wie die Kollegin Dr. Gümbel in der vorherigen Debatte gesagt hat, dass wir leider keine Reden, sondern nur Petita beschließen. Das fehlt explizit in dem Antrag der SPD, und deswegen wäre es hilfreich und noch ein Argument mehr, die Anträge an die Ausschüsse zu überweisen. Machen Sie es wenigstens nachträglich; wenn Sie sie hier beschließen beziehungsweise die anderen Anträge ablehnen, dann kann man nicht mehr überweisen. Überweisen Sie Ihren und unseren Antrag, das wäre dann in Ordnung.

Ich möchte noch zur FDP und Frau Kaesbach sagen, dass die Workplace Policy keine neue Erfindung der SPD ist. Das ist eine Initiative von TERRE DES FEMMES, die es seit mehreren Jahren gibt und die erst einmal dazu führt, dass Personalabteilungen und Vorgesetzte sensibilisiert werden, dass Opfer häuslicher Gewalt an den Arbeitsplätzen sind, die nicht einfach zur Personalabteilung gehen und sagen: Guten Morgen, ich bin heute Nacht von meinem Mann geschlagen worden, ich kann nicht so toll arbeiten. Das machen Kolleginnen in der Regel nicht. Man muss sensibilisiert werden, vor allen Dingen die Personalabteilungen, das ist Führungsverantwortung. Das ist im Wesentlichen Inhalt der Workplace Policy und ich finde es richtig und notwendig, dass dies in Hamburg implementiert wird.

(Beifall bei der LINKEN und bei Gabi Do- busch SPD)

Herr Senator Scheele hat das Wort.

Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Jede vierte Frau im Alter zwischen 16 und 85 Jahren erlebt in ihrem Leben mindestens einmal Gewalt durch ihren Lebenspartner, und dies hat für die Betroffenen gravierende gesundheitliche, sozioökonomische und materielle Schäden zur Folge. Jeder Mensch hat das Recht darauf, gewaltfrei zu leben, und es ist unsere Pflicht, alle erdenklichen Maßnahmen zu treffen, um Gewalt zu verhindern und betroffene Frauen adäquat zu unterstützen und zu schützen.

Der Senat hat deshalb in seinem Arbeitsprogramm die Entwicklung eines Landesaktionsplans zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen festgelegt. Wir haben einiges erreicht, was den Opferschutz für von Gewalt betroffene Frauen angeht. Die Hamburgische Bürgerschaft hat im August 2011 einstimmig einen Antrag zur verlässlichen Finan

(Kersten Artus)

zierung und Weiterentwicklung der Hamburger Frauenhäuser beschlossen und wir werden über das Ergebnis auch berichten. Wir sind dabei, gemeinsam mit den Hamburger Frauenhäusern und in Kooperation mit der Universität Hamburg den dialogorientierten Qualitätsentwicklungsprozess voranzubringen. In diesem Zusammenhang wird auch etwas über Kapazitäten gesagt werden, aber wir brauchen diesen Qualitätsentwicklungsprozess, um zu fundierten Aussagen zu kommen. Ich will hier auch die Aussage wiederholen, die ich öffentlich schon woanders gemacht habe: Es gibt bei den Hamburger Frauenhäusern keine Kürzungen in meinem Haushalt in dieser Legislaturperiode.

(Beifall bei der SPD – Dietrich Wersich CDU: Das ist schon einen Applaus wert?)

Das ist schon einen Applaus wert, weil ein CDUgeführter Senat es anders gemacht hat, wenn ich mich dunkel erinnere.

(Beifall bei der SPD)

Man sollte sich immer daran erinnern, was man gemacht hat.

(Dietrich Wersich CDU: Wir hatten seit sechs Jahren keine Kürzung bei den Frau- enhäusern! Das Angebot ist auszuweiten, das weiß jeder in der Stadt und Sie machen es nicht! – Beifall bei der CDU)

Ich will auch etwas zu dem nicht realisierten interkulturellen Wohnprojekt sagen, über das Anfang dieser Woche in der Zeitung zu lesen war. Das Projekt wäre im Übrigen keine anonyme Schutzeinrichtung gewesen, sondern eine offene Anschlussmaßnahme im Sinne der Nachsorge beispielsweise nach einem Frauenhausaufenthalt oder einer Maßnahme der Jugendhilfe für volljährige Frauen. Nicht der Schutz, sondern Unterstützung zur endgültigen Verselbstständigung in der Lebensführung hätte dabei im Vordergrund gestanden.

Bei der Aufstellung des Haushalts der Sozialbehörde 2013/2014 setzen wir neben den gesetzlichen Leistungen, über die wir hier oft geredet haben und die exorbitant steigen wie Hilfen zur Erziehung und Eingliederungshilfe, Sozialhilfe und so weiter und über die Prioritätenbereiche des Senats in der Kindertagesbetreuung und in der Familienförderung hinaus einen weiteren Schwerpunkt und sagen,

(Viviane Spethmann CDU: Wir kürzen!)

dass wir dafür woanders nicht kürzen. Das bedeutet, dass der Druck auf andere Bereiche stärker wird. Die Entscheidung, bei Frauenhäusern nicht zu kürzen, ist eine Entscheidung, die andere Teile meines Ressorts mittragen.

(Zuruf von Katharina Wolff CDU)

Das tun sie, weil es notwendig ist, in Not geratenen Frauen Schutz zu bieten, und Sparmaßnahmen