Protocol of the Session on April 18, 2012

(Glocke)

Vizepräsident Dr. Wieland Schinnenburg (unter- brechend): Herr Abgeordneter, einen Moment noch einmal bitte. – Jetzt müssen wir eine Stufe weitergehen. Wenn ein allgemeiner Aufruf nicht reicht, dann nenne ich Frau Spethmann, Herrn Kleibauer, Herrn Petersen, Herrn Rickmers und die Dame, deren Namen ich nicht kenne. Ich bitte Sie noch einmal, das Reden einzustellen oder den Raum zu verlassen. – Herr Abgeordneter, Sie haben das Wort.

Vielen Dank.

Ich wiederhole das noch einmal: Wir haben einen Lohn von unter 8 Euro bei 16,7 Prozent und einen Lohn von unter 8,50 Euro bei 19,9 Prozent der Gesamtbevölkerung in Deutschland. Stundenten, Schüler und Praktikanten sind da allerdings eingeschlossen. Bei einem Mindestlohn von 10 Euro wäre nach meinen Schätzungen wahrscheinlich ein Viertel der bundesdeutschen Bevölkerung betroffen. Das zeigt das Problem sehr deutlich. In Hamburg sollten diese Zahlen etwas geringer sein, weil Hamburg Gott sei Dank im Allgemeinen im Lohnniveau etwas besser liegt als der Rest des Bundes.

(Christiane Schneider DIE LINKE: Das Le- ben ist ja auch teurer!)

Wobei das Leben natürlich auch teurer ist, völlig richtig, Frau Schneider.

Wenn das alles zu unkonkret sein sollte, dann können wir gerne in den Ausschüssen darüber sprechen, es runder machen und es hier dann noch einmal debattieren oder auch so verabschieden. Ich habe damit überhaupt kein Problem, Herr Schwieger. Überweisen Sie die Anträge und wir machen das.

(Beifall bei der LINKEN und bei Phyliss De- mirel und Antje Möller, beide GAL)

Zum FDP-Antrag: Ihre Argumentation geht schon im Ansatz fehl. Hier wird der Staat nur positiv tätig. Ein Landesmindestlohngesetz bewirkt, das wissen wir alle, keinen allgemeinen Mindestlohn in Hamburg, es kann sich eben nur auf Stellen auswirken, die sich in irgendeiner Weise auf die Stadt als Arbeitgeberin beziehen. Machen wir doch einmal das, was Sie so gern tun, bezeichnen die Stadt als Unternehmen und überlegen uns einmal, nach wel

(Vizepräsident Dr. Wieland Schinnenburg)

chen Grundsätzen ein Unternehmen Verträge mit seinen Vertragspartnern abschließt. Solche Grundsätze können sein, Verträge nur mit bestimmten Partnern abzuschließen, es kann aber auch festgeschrieben sein, Verträge nur mit Vertragspartnern abzuschließen, die garantieren, dass ihre Beschäftigten 10 Euro bekommen.

Nichts anderes ist dieses Landesmindestlohngesetz, und in die Tarifautonomie greifen wir damit auf hamburgischer Ebene tatsächlich gar nicht ein. Und wenn man das ifo Institut in Fragen des Mindestlohns zitiert, dann ist das ungefähr so, als würde man das Zentrum für Hochschulentwicklung in Fragen einer kritischen Bewertung von Bachelor und Master befragen.

(Beifall bei der LINKEN – Katja Suding FDP: Das sagen Sie!)

Um das noch kurz abzurunden: Es gibt durchaus kleine und mittelständische Unternehmer und auch Vereinigungen von diesen, die einen Mindestlohn fordern, um nicht durch Dumping-Löhne vom Markt ausgeschlossen zu werden. Die sollten Sie doch eigentlich vertreten.

(Finn-Ole Ritter FDP: Die vertreten Sie doch jetzt! Haben Sie mit denen gesprochen?)

In der Tat, das habe ich.

(Roland Heintze CDU: 12,50 Euro!)

Zum CDU-Antrag habe ich schon gesagt, dass der Ansatz, Dinge erfahren zu wollen, immer in Ordnung ist. Da Sie aber die 10 Euro nicht prüfen wollen, werden wir uns enthalten.

Zum GAL-Antrag: Ich habe begründet, warum wir 10 Euro wollen. Ihr wollt 8,50 Euro; wir werden den Antrag ablehnen.

Ganz kurz zum SPD-Antrag: Es ist nicht nachvollziehbar, warum dem Senat ein erneuter Prüfauftrag erteilt wird. Eine Prüfung ist auch bei einer Ausschussberatung möglich. Ich frage mich wirklich, wann die SPD-Fraktion endlich anfangen will, außerhalb des Senats selber zu gestalten.

(Beifall bei der LINKEN)

Sie sind so viele und Sie haben so viele Mittel, und man wird den Eindruck nicht los, Sie können vor Kraft kaum laufen.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank, Herr Golke. – Das Wort hat Senator Scheele.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wenn man sich die Zahlen anschaut, dann kann man keinen Zweifel daran haben, dass Deutschland einen allgemeinen Mindestlohn braucht. 1,2 Millionen Menschen beziehen

einen Lohn von unter 5 Euro, 2,4 Millionen Menschen beziehen einen Lohn zwischen 5 Euro und 7,50 Euro, und weitere 1,4 Millionen Menschen beziehen einen Lohn zwischen 7,50 Euro und 8,50 Euro. Das macht zusammen 5 Millionen Begünstigte, die von einem Mindestlohn von 8,50 Euro profitieren würden,

(Vizepräsidentin Kersten Artus übernimmt den Vorsitz.)

und das sind eben keine Aufstocker, also Teilzeitbeschäftigte oder ähnliches, sondern das sind Menschen, die einen Arbeitsvertrag haben, in dem steht: 4,99 Euro oder 4,30 Euro. Das ist ein Skandal, dem man nur mit einem allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn beikommen kann.

(Beifall bei der SPD)

Auch aufseiten der Union wird offensichtlich Handlungsbedarf gesehen. Es wird über Lohnuntergrenzen geredet und die Tarifautonomie beschworen, in die man nicht eingreifen könne; die Tarifpartner mögen es regeln. Seit dem Parteitag hat man nichts mehr gehört. Dabei sind in Berlin in zwei Gesetzen durchaus Instrumente vorhanden, um in Branchen, in denen die Löhne zu niedrig sind, eingreifen zu können.

(Finn-Ole Ritter FDP: Entsendegesetz!)

Man kann das über das Arbeitnehmer-Entsendegesetz tun, da sind die Tarifpartner dabei. Aber Vorsicht, nicht zu früh gefreut. Sie haben in Ihren Koalitionsvertrag geschrieben, dass das Bundeskabinett zustimmen muss, und das Bundeskabinett stimmt regelmäßig nicht zu. Das ist aber Ihr eigenes Problem, dass Sie sich die Tarifautonomie mit dem Tarifausschuss selbst aus der Hand geschlagen haben.

(Beifall bei der SPD)

Wenn es sich nur um den Tarifausschuss handeln würde, dann ginge es. Dann könnte Frau von der Leyen es anordnen, wenn der Tarifausschuss beschlossen hat.

Das zweite Gesetz, das es gibt, ist das Mindestarbeitsbedingungsgesetz. Es gilt immer dann, wenn in Wirtschaftszweigen mehr als 50 Prozent der Arbeitnehmer ohne Tarifbindung beschäftigt sind

(Dr. Thomas-Sönke Kluth FDP: Das ist nicht angewendet worden!)

und ein Ausschuss, der von der Bundesregierung eingesetzt worden ist, soziale Verwerfungen feststellt. Auf dieser Basis kann per Verordnung branchenweise regional ein Mindestlohn festgelegt werden. Die Bundesregierung tut es nicht, und warum sie es nicht tut, müssen Sie beantworten.

(Dietrich Wersich CDU: Sagen Sie doch mal was zum Antrag für ein Hamburger Gesetz, ob das geht, was das bringt!)

(Tim Golke)

Dazu komme ich gleich, erst einmal sind wir bei dem Thema, was geht und was vernünftig ist.

Insofern geht all das, was Sie hier beklagen, ohnehin und in Hamburg gibt es vier Handlungsfelder. Das erste Handlungsfeld sind die Beschäftigten im öffentlichen Dienst. Da gibt es gegenwärtig, auch nach der Antwort, die wir gegeben haben, keinen Lohn unter 8,50 Euro im Bereich der Tarifbeschäftigten der Freien und Hansestadt Hamburg.

(Dietrich Wersich CDU: Das Problem gibt es nicht!)

Im Bereich der Beschäftigten der Stadt nicht.

(Dietrich Wersich CDU: Wissen Sie denn, ob es das überhaupt gibt?)

Dann gibt es die Beschäftigten bei den von der FHH beherrschten Unternehmen. Da gibt es von Unternehmen zu Unternehmen unterschiedliche Themen, weil sich auch öffentliche Unternehmen im Wettbewerb befinden, auch im Wettbewerb über Löhne, die über ein Hamburger Mindestlohngesetz keinesfalls auch Wettbewerber binden; das ist der Schwachpunkt. Deshalb muss man jetzt Zug um Zug und Unternehmen für Unternehmen durchsehen, um zu schauen, wie man mindestens einen Lohn hinbekommt, der ordnungspolitisch geht und über 8,50 Euro liegt. Es betrifft insbesondere die Flughafen Hamburg GmbH mit ihren Vorfeldtöchtern. Daran arbeiten wir gerade mit Geschäftsleitung und Betriebsrat.

(Beifall bei der SPD)

Dann gibt es die Unternehmen, die von Aufträgen der Freien und Hansestadt Hamburg profitieren und begünstigt sind. Dafür werden wir das Hamburger Vergabegesetz novellieren, damit darin rechtskonform ein Mindestlohn enthalten ist und sichergestellt wird, dass dort, wo die FHH Auftraggeber ist, ein Mindestlohn von 8,50 Euro gezahlt werden muss.

(Beifall bei der SPD)

Schlussendlich bleiben die Zuwendungsempfänger. Das ist offen und ehrlich das unübersichtlichste Feld, aber wenn man sich dazu bekennt, wird man auch bei den Zuwendungsempfängern schauen müssen, dass wir Zug um Zug dahin kommen, dass keiner seinen Beschäftigten weniger als 8,50 Euro zahlt. Das sind die vier Handlungsfelder.

(Dietrich Wersich CDU: Gestatten Sie eine Zwischenfrage?)