Protocol of the Session on April 18, 2012

Vielen Dank, Herr Schwieger. – Das Wort hat Frau Dr. Föcking.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Lieber Herr Schwieger, wenn Sie schon auf internationale Vergleiche nicht verzichten wollen, dann sollten Sie doch wissen, auf welches Glatteis Sie sich dabei begeben. Die USA, in denen seit 1938 ein gesetzlicher Mindestlohn besteht, Spanien, Portugal und Griechenland – alles Länder mit gesetzlichem Mindestlohn – als Vergleichsgrößen dafür heranzuziehen, dass ein Mindestlohn Arbeitslosigkeit verhindern kann, ist in diesen Zeiten ziemlich problematisch.

(Beifall bei der CDU)

Aber ich gebe zu, dass das Thema Mindestlohn – oder Lohnuntergrenze, wie wir sagen – ein schwieriges Thema ist. Das Interessante an dieser Debatte ist, dass wir uns in unserem Anliegen weitgehend einig sind: Wir wollen Lohndumping und ruinösen Lohnwettbewerb bekämpfen, und wir wollen, dass Menschen, die den ganzen Tag hart arbeiten, auch von ihrer Arbeit leben können. Das ist das Ziel der CDU in Hamburg und im Bund, und dieses Ziel lassen wir uns auch von niemandem absprechen.

(Beifall bei der CDU)

Uneinig sind wir uns allerdings bei der Frage, wie dieses Ziel zu erreichen ist. Nun führen bekanntlich viele Wege nach Rom, aber nicht alle. Die Kolleginnen und Kollegen von der LINKEN fordern einen gesetzlichen Mindestlohn von 10 Euro für Hamburg. Das würde einem Teil der Arbeitsplatzbesitzer sicher nützen, aber es bleiben all diejenigen auf der Strecke, die noch keine Arbeit haben oder etwa als Geringqualifizierte für 10 Euro die Stunde auch nichts finden werden. Ein solcher Weg wäre eine Sackgasse, denn – das wird bei dem Thema Mindestlohn gern vergessen – das größte Armutsrisiko trägt in Deutschland der, der keine Arbeit hat.

(Beifall bei der CDU)

Der Antrag der FDP hingegen hinkt seiner Zeit etwas hinterher. Er fordert vom Senat, nicht zu tun, was er schon längst getan hat. Vor einem guten

Monat hat sich Hamburg im Bundesrat abermals einer Initiative für einen gesetzlichen Mindestlohn angeschlossen. Dieser Antrag führt also auch nicht weiter.

Und die SPD? Etwas vollmundig wird in einer Presseerklärung ein Hamburger Mindestlohngesetz angekündigt. Doch wer den Antrag genauer liest, gewinnt den Eindruck, dass die SPD selbst nicht sicher ist, ob sie den richtigen Weg nach Rom eingeschlagen hat. Da wird der Senat aufgefordert, zu prüfen, wie mit einem – Zitat –

"[…] 'Hamburger Mindestlohngesetz' die rechtlichen Voraussetzungen geschaffen werden können, um zu gewährleisten, dass zukünftig im Grundsatz jede Unterschreitung einer gesetzlichen Lohnuntergrenze von 8,50 Euro (brutto)/Stunde bei den Beschäftigten der Freien und Hansestadt Hamburg, den städtischen Unternehmen und Einrichtungen sowie nach Möglichkeit bei den Zuwendungs- und Förderempfängerinnen und -empfängern der Freien und Hansestadt Hamburg wirksam verhindert werden kann."

All die Kautelen mit "prüfen", "nach Möglichkeit"

(Christiane Schneider DIE LINKE: Im Grund- satz!)

und "im Grundsatz" zeigen, dass Sie sich selbst über die Auswirkungen Ihrer Initiative nicht sicher sind.

(Beifall bei der CDU)

Für welche Beschäftigten der Stadt würde ein solches Gesetz überhaupt den Lohn erhöhen? Was würde es für die betroffenen freien Träger und die verschiedensten Dienstleistungsunternehmen bedeuten, und was nicht zuletzt für den Hamburger Haushalt? Wie viel mehr müsste die Stadt an wen zahlen? Wo würde sie das einsparen? Müssten dann möglicherweise städtische Arbeitsplätze abgebaut werden? Müssten zum Beispiel ein Teil der 110 neuen Sicherheitsleute bei S-Bahn und Hochbahn wieder gehen, für die derzeit eine Lohnuntergrenze von 7,31 Euro gilt? Wäre das dann wirklich noch im Sinne der von Ihnen postulierten "Guten Arbeit"?

Fragen über Fragen, die Sie offen lassen und die die GAL mit einer rasch gestellten Schriftlichen Kleinen Anfrage auch nicht klären konnte. In der Senatsantwort finden sich vor allem Aussagen und Schätzungen, die sich auf den Bund oder die Sozialversicherung beziehen, für Hamburg dagegen wenig. Dafür sind acht Tage auch zu knapp. Trotzdem geht nun auch die GAL den Weg ins Ungewisse und legt ein Mindestlohngesetz mit 8,50 Euro vor. Wir fordern deshalb eine umfassende Klärung dieser Fragen, ganz zu schweigen von den ganzen vergaberechtlichen Problemen auf der

(Jens-Peter Schwieger)

Ebene des Europarechts, die der Antrag der SPD auch birgt.

Eines hat die Anfrage der GAL allerdings schon jetzt ergeben: Dort, wo die Stadt Arbeitgeberin ist, zahlt sie bereits 8,50 Euro und mehr. Hier fordern SPD und GAL also etwas, was längst Wirklichkeit ist. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

(Beifall bei der CDU)

Möglicherweise ergibt die Prüfung aber auch für weitere Bereiche, dass hier Forderungen gestellt werden, die in der Stadt längst erfüllt sind. Schließlich haben wir gerade nach dem Streik im öffentlichen Dienst Lohnsteigerungen in den städtischen Betrieben. Schließlich haben wir etwa bei den Gebäudereinigern bereits eine Lohnuntergrenze von 8,82 Euro und bei den Pflegekräften – und damit bei vielen freien Trägern – von 8,75 Euro. Im Baugewerbe, im Elektrohandwerk, bei Malern und Lackierern liegen die Grenzen schon deutlich höher; das wissen Sie doch auch. Das alles – und damit sind wir wieder bei dem Weg nach Rom – ist aber nicht durch ein Mindestlohngesetz erreicht worden. Das wurde durch die Tarifpartner erreicht,

(Beifall bei Dietrich Wersich CDU)

dadurch, dass sich Arbeitgeber und Gewerkschaften im Rahmen der bereits gegebenen rechtlichen Möglichkeiten geeinigt haben und diese Grenzen dann für allgemeinverbindlich erklärt wurden. Das ist ein Weg, den wir als CDU bei diesem wirklich schwierigen Thema auch weiter gehen wollen.

(Beifall bei der CDU)

Die Autonomie der Tarifpartner – Herr Rose, hören Sie gut zu –, die das Grundgesetz schützt, hat unsere soziale Marktwirtschaft erfolgreich gemacht. Da müssten Ihnen doch die Ohren klingen. Die Tarifpartner haben die notwendige Expertise, um den richtigen Punkt zu definieren, damit keine Arbeitsplätze zerstört, aber faire Löhne gezahlt werden. Sie haben seit 16 Jahren für eine Reihe von Branchen Lohnuntergrenzen vereinbart, übrigens immer unter CDU-Kanzlern.

Auf Bundesebene wird jetzt eine Kommission, die paritätisch aus Arbeitgebern und Arbeitnehmern besetzt ist, eine allgemeine verbindliche Lohnuntergrenze definieren, die für die Bereiche gilt, in denen kein Tariflohn besteht. Dies wird dann auch in Hamburg gelten. Nicht politisch und bürokratisch festgelegte statische Grenzen quer über alle Branchen hinweg, sondern Lohnuntergrenzen, die aus der Sachkenntnis der Tarifpartner gefunden und immer wieder neu verhandelt werden, sind der Weg, um dauerhaft Lohndumping zu verhindern, ohne Arbeitsplätze gerade für Ungelernte zu vernichten und Jugendlichen den Berufseinstieg zu verbauen. Dieser Weg, meine Damen und Herren, führt auf die Dauer wirklich nach Rom. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Vielen Dank, Frau Föcking. – Das Wort hat Frau Demirel.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Zukunftsfähige Arbeitsplätze und erfolgreiche Integration von Arbeitslosen in den ersten Arbeitsmarkt sind die Hauptziele grüner Arbeitsmarktpolitik. Jeder Mensch hat ein Recht auf existenzsichernde Arbeit. Aus unserer Sicht ist es nicht akzeptabel, wenn Menschen nicht von ihrer Arbeit leben können.

Die Bundesregierung präsentiert dieser Tage feierlich den Rückgang der Arbeitslosenzahlen. Die Konjunktur steigt, die Arbeitslosigkeit sinkt: Eine glänzende Bilanz, die als Regierungserfolg verkauft wird. Aber was steckt hinter dieser glänzenden Fassade? Hinter dieser glänzenden Fassade stecken der massive Abbau von sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung, prekäre Beschäftigungsverhältnisse, ein enorm wachsender Niedriglohnsektor und Armut. Immer mehr Menschen verlieren ihre sichere Arbeit; Leiharbeit, befristete Einstellungen und Ausgliederung von Betriebsteilen per Werksvertrag nehmen zu. Besonders stark von Niedriglöhnen betroffen sind Frauen, sehr junge und alte Menschen, Alleinerziehende und Paare mit Kindern. Das können und das werden wir nicht mittragen.

(Beifall bei der GAL)

Es wird gern von Wachstum geredet, aber ohne eine entsprechende Lohnentwicklung, aber Wachstum braucht eine solidarische Lohnpolitik. Spürbare Lohnerhöhungen, besonders bei den unteren Einkommen, sind ein Gebot sozialer Gerechtigkeit.

(Beifall bei der GAL)

Um Wachstum und Beschäftigung einigermaßen gerecht zu gestalten, brauchen wir einen Schutzwall gegen Dumpinglöhne. Dieser ist zugleich ein Schutz seriöser Unternehmer vor ruinöser Konkurrenz.

Im April 2011 hat die Prognos AG im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung eine Studie zur Auswirkung eines Mindestlohns auf die öffentlichen Haushalte erstellt. Bei einem Mindestlohn von 8,50 Euro belegt die Studie positive fiskalische Effekte in Höhe von 7 Milliarden Euro als Folge von zusätzlichen Steuereinnahmen, höheren Sozialbeiträgen und ersparten Sozialtransfers. Ein Mindestlohn von 8,50 Euro wird auch Veränderungen im Konsumverhalten privater Haushalte nach sich ziehen. Wer mehr verdient, kann auch mehr ausgeben – ein weiterer positiver Effekt des Mindestlohns auf die Gesamtwirtschaft.

Im Bundestag wurde das Thema in dieser Legislaturperiode sieben Mal debattiert – ohne Ergebnis.

(Dr. Friederike Föcking)

Wir bleiben auf Bundesebene bei unserer Forderung nach einem allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro, genauso wie die SPD. Solange unsere Forderung aber nicht erfüllt wird, sehen wir die Stadt Hamburg in der Pflicht, als Arbeitgeberin vorbildlich dafür zu sorgen, dass ihre Beschäftigten angemessen bezahlt werden. Das gilt nicht nur im öffentlichen Dienst, sondern auch für Beschäftigte von Dienstleistungsunternehmen, die Aufträge der Stadt erhalten. Hamburg verfügt zwar nicht über die Gesetzgebungskompetenz für die Einführung eines allgemeinen Mindestlohngesetzes, kann aber ein Landesmindestlohngesetz erlassen. In Bremen hat die rot-grüne Landesregierung diesen Weg eingeschlagen und die Einführung eines Mindestlohngesetzes im Februar dieses Jahres in erster Lesung beschlossen. Dem wollen wir folgen.

(Beifall bei der GAL)

Das grüne bremische Mindestlohngesetz ist die Grundlage unseres Entwurfs für ein hamburgisches Mindestlohngesetz. Offensichtlich ist das bei der LINKEN ebenso der Fall. Die Fraktion DIE LINKE hat den Bremer Gesetzentwurf bis auf die Höhe des Mindestlohns 1:1 übernommen. Das freut uns zwar, aber interessanterweise steht es nirgendwo in Ihrem Antrag. Wenn man etwas kopiert, dann sollte man wenigstens die Urheberin erwähnen.

(Beifall bei der GAL)

Der einzige Unterschied zwischen den beiden Anträgen liegt in der Höhe des Mindestlohns. Wir fordern in unserem Zusatzantrag einen Mindestlohn von 8,50 Euro auf Bundes- und Landesebene, DIE LINKE fordert 10 Euro.

Alle Fakten sprechen für ein Landesmindestlohngesetz. Nach den vorhergehenden Beiträgen erschließt es sich mir daher nicht, warum SPD und CDU das Mindestlohngesetz auf die lange Bank schieben wollen. Auch die Antwort auf unsere Schriftliche Kleine Anfrage zeigt, dass keine negativen Auswirkungen auf den Hamburger Haushalt zu erwarten sind, im Gegenteil. Wortwörtlich heißt es dort, dass

"[…] ein Mindestbruttolohn von 8,50 Euro in allen Leistungsbereichen zu finanziellen Entlastungen führen […]"

würde. Daher ist es auch nicht nachvollziehbar, warum Sie bis Ende dieses Jahres die Auswirkungen eines solchen Gesetzes auf den Hamburger Haushalt prüfen wollen. Sie sollten lieber auf Landesebene die Missstände abbauen, die Sie auf Bundesebene anprangern, liebe SPD.

Wir als GAL-Fraktion wollen ein Landesmindestlohngesetz, und zwar jetzt. Wir wollen nicht länger hinnehmen, dass über 30 000 Beschäftigte in Hamburg trotz Arbeit ergänzende Leistungen nach

dem SGB II beziehen müssen, darunter 8000 Beschäftigte mit einer Vollzeitbeschäftigung. Wir werden die Anträge von SPD- und CDU-Fraktion ablehnen, weil beide nur auf Zeit spielen, anstatt längst überfällige Maßnahmen zu ergreifen. Den Antrag der FDP-Fraktion werden wir ebenfalls ablehnen, weil er einfach am Thema vorbeigeht. – Vielen herzlichen Dank.

(Beifall bei der GAL)

Vielen Dank, Frau Demirel. – Das Wort hat Herr Dr. Kluth.