Protocol of the Session on March 29, 2012

Hamburg tut seit Jahren viel dafür. Vom Gewaltpräventionstraining bis zu "Cop4you", der Polizei in den Schulen, gibt es hier ein breites und etabliertes Maßnahmenprogramm. Hamburg ist mit diesem entwickelten Katalog sogar ziemlich vorbildlich. Dennoch lesen wir jetzt in der Antwort auf die Große Anfrage der CDU, dass sich die Zahl der Gewaltvorfälle verdoppelt hat, vor allem bei Körperverletzungen.

Meine Damen und Herren! Da muss aus unserer Sicht zuallererst die Frage erlaubt sein, ob das ein Trend ist oder ob wir hier nur die Wirkung einer relativ neuen, 2008 eingeführten Meldestatistik erleben. Bei der Suche nach einer Antwort ist sicher die subjektive Beobachtung wichtig, dass rohes oder sogar gewalttätiges Verhalten in unserer Gesellschaft in der öffentlichen Wahrnehmung nicht abgenommen hat, sondern zunimmt. Gerade Jugendliche werden hier in Verbindung mit Alkoholkonsum und anderen Drogen zunehmend genannt. Die offiziellen Kriminalstatistiken der Länder berichteten allerdings zuletzt meist von einem abnehmenden Trend zur Gewaltkriminalität.

(Christiane Schneider DIE LINKE: Seit zehn Jahren!)

Dass es sich in der Antwort auf diese Große Anfrage genau anders herum entwickelt, hat nach Auskunft des Gewaltpräventionsexperten Böhm einen simplen Grund: Das Meldeverhalten der Schulen hat sich gleich in zweifacher Hinsicht geändert. Zum einen ist die Toleranzgrenze gegenüber Gewalttätigkeiten gesunken, selbst harmlose Schubsereien werden offenbar mittlerweile gemeldet. Zum anderen – und das finde ich wichtig – ist die Schamgrenze gesunken, die früher, als solche Vorfälle noch "besondere Vorkommnisse" hießen, manche Schulen von einer Meldung an die Behörde abgehalten haben.

Wir tun gut daran, den Interpretationen des Fachmanns auf diesem Gebiet durchaus Gehör zu schenken. Deshalb besteht aus Sicht der FDP-Fraktion zwar kein Grund, das Thema nicht ernst zu nehmen, im Gegenteil, aber, liebe Kollegen von der CDU, wir sollten es auch nicht dramatisieren und von einer alarmierenden Gewaltwelle an den Schulen reden. Das verunsichert nämlich meiner Ansicht nach nur alle Beteiligten, die nur mittelbar involvierten Eltern und stellt die Arbeit der Gewaltprävention und der "Cop4you"-Beamten letztendlich auch infrage.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Vielmehr sollten wir nach Auffassung der Liberalen deren Arbeit stärken, zum Beispiel Partner im Sport und im gesellschaftlichen Bereich suchen und sie unterstützen. Und wir dürfen den in der Gewaltprävention tätigen Schulen keine Ressour

cen wegnehmen. Wenn das geschieht oder geplant sein sollte, Herr Senator Rabe, dann erwarten wir allerdings von Ihnen dringend eine Stellungnahme dazu.

Weit besser wäre es allerdings, wenn Sie uns sagen könnten, wie etwa Mittel im Landesinstitut so umgewidmet werden könnten, dass die Arbeit der Gewaltprävention in Hamburg weiter gestärkt werden kann. Das ist nämlich nach liberaler Auffassung, unabhängig von der Auslegung dieser Großen Anfrage, in jedem Fall notwendig. Währet den Anfängen, stellen wir uns gemeinsam der Tendenz der Gewalt an Schulen entgegen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Frau Schneider, Sie haben das Wort.

Meine Damen und Herren, Frau Präsidentin! Die aus der Antwort auf die Große Anfrage hervorgehenden Zahlen verbieten, Herr de Vries, eindimensionale Antworten wie "doppelt so viele Gewalttaten". Ohnehin ist ein Zwei-Jahres-Vergleich problematisch, weil er nämlich über Tendenzen oder Trends nichts aussagt.

Schaut man jetzt, um zu vergleichen, in die jüngste polizeiliche Kriminalstatistik aus dem Jahr 2011, so wird klar, dass in der Rubrik "Gewalttaten" die Zahl tatverdächtiger Menschen im schulpflichtigen Alter, bei einzelnen Ausschlägen einmal nach oben und oder nach unten, seit Jahren rückläufig ist und dass sie auch in den Jahren 2010 und 2011 rückläufig ist. 2004 Gewalttaten waren es im Jahr 2009 und 1605, also ein Viertel weniger, im Jahr 2011.

Nun sind die Schulen noch nicht so lange meldepflichtig, deswegen kann man über Tendenzen auch noch nichts aussagen. Trotzdem zeigt schon der erste Blick auf die Zahlen, dass man öfter hinschauen muss, dass man auch nachdenken muss und dass eine differenzierte Betrachtung notwendig ist, wie es auch bei anderen Rednerinnen und Rednern auch geschah.

So ist die Zahl gefährlicher Körperverletzungen rückläufig. Die deutliche Zunahme der Gewaltmeldungen der Kategorie II insgesamt geht fast vollständig auf die Zunahme bei einfachen Körperverletzungen, also bei einfachen Raufereien, zurück. Die Zahlen lassen sich, das ist sehr plausibel, durch die Meldepflicht erklären, und die Meldepflicht – das möchte ich ausdrücklich sagen – halten wir für gut, weil sie zu einer Sensibilisierung führt und weil sich auf allen Feldern zeigt, wie wichtig die Sensibilisierung ist, um auf problematisches Verhalten einzuwirken und es zu verändern. Über einzelne Deliktbereiche, auch wenn die absoluten Zahlen gar nicht so groß sind, lohnt es sich

(Anna-Elisabeth von Treuenfels)

unbedingt ausführlicher und vor allem sachbezogen und rational zu reden. Ich denke beispielsweise an die Sexualdelikte, die nicht so zahlreich sind, aber hier gibt die Steigerung schon Anlass zum Nachdenken.

(Beifall bei der LINKEN)

Vor allem muss man auch verstehen, was da eigentlich vor sich geht. Es gibt sicher Problemfelder, die sorgfältig beobachtet werden müssen, und auch dafür ist die Meldepflicht gut. Aber reißerische Schlagzeilen sind kontraproduktiv, sie sensibilisieren nämlich nicht, sondern sie stigmatisieren.

(Beifall bei der LINKEN und der SPD)

Leider ist Herr Dr. Scheuerl nicht da, denn besonders übel ist es, wenn sorgfältig zu interpretierende Zahlen missbraucht werden, um drei ordnungsund schulpolitische Rollen rückwärts zu schlagen.

(André Trepoll CDU: Da sind Sie ja die Ex- perten!)

Aus der Ecke von Dr. Scheuerl wird als Erklärung unter anderem verbreitet – ich zitiere –:

"Durch die Abschaffung von Noten, Notenzeugnissen und des Risikos des Sitzenbleibens wird den Hamburger Schülerinnen und Schülern suggeriert: es kommt sowieso nicht darauf an, was Du hier leistest – anfällige Schülerinnen und Schüler werden so dazu verleitet, sich durch Überschreiten anderer Grenzen 'Grenzerfahrungen' zu suchen."

Das finde ich wirklich infam.

(Beifall bei der LINKEN und der SPD – Olaf Ohlsen CDU: Das können Sie ihm ja persön- lich sagen, wenn er da ist!)

Überhaupt zählt "Wir wollen lernen!" die Schulreformansätze zu den Faktoren, die – ich zitiere wieder –:

"[…] eine Zunahme von Straftaten und Grenzüberschreitungen jedenfalls begünstigt."

Das stand in der Info-Mail vom 22. März. Ich weiß, warum ich das abbestellt habe.

(Beifall bei der LINKEN und vereinzelt bei der SPD)

Sie wissen, dass ich immer zu etwas anderen Schlussfolgerungen komme – gerade in der Gewaltdebatte –, und deswegen möchte ich dem, was wir gerade gehört haben, die Erkenntnis entgegenhalten, die in den letzten Jahren die Hirnforschung im Hinblick auf Aggressionsverhalten gewonnen hat, dass es nämlich nicht zuletzt die Erfahrung sozialer Ausgrenzung ist, die die Schmerzzentren des Gehirns aktivieren und Aggressionen sozusagen als Abwehrprogramm hervorrufen. Die Hirnforschung ist sich darin einig, dass die Schulen

aus dieser Erkenntnis für ihre Arbeit Schlussfolgerungen ziehen müssen. Deswegen sind Präventionsmaßnahmen das eine, aber die Beachtung dieser Erfahrung, die Thematisierung sozialer Ausgrenzung auch in der Schule – wir wissen alle, dass das vorkommt – sind ein anderer Punkt. Stigmatisierung und damit die Verstärkung der sozialen Ausgrenzung sind sicher die falschen Schlussfolgerungen.

(Beifall bei der LINKEN und vereinzelt bei der SPD)

Das Wort hat nun Herr Senator Rabe.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! In der Tat ist Gewalt an den Schulen ein ernstes Thema. Es taugt weder für Hysterie noch für Verharmlosung, sondern es ist angebracht, hier eine nüchterne Bestandsaufnahme zu machen. Es ist richtig, dass der Anstieg der gemeldeten Gewalttaten an den Schulen unverkennbar ist. Von 372 im Schuljahr 2008/2009 über 507 ein Jahr später liegen wir jetzt bei 883 gemeldeten Gewalttaten; ein paar Erläuterungen dazu. 25 Prozent, das sind 215 Taten, waren schwere Gewalttaten, bei denen unmittelbar im Anschluss ein Arztbesuch oder vielleicht sogar der Rettungswagen erforderlich gewesen ist. Übrigens waren auch hier 84 Prozent der Täter Jungen, und zwar im Alter zwischen 14 und 17 Jahren. Das heißt konkret, dass wir pro Schule statistisch gesehen in der Tat 2,4 solcher Gewalttaten haben, davon 0,6 schwere Fälle.

Ich sage ganz offen: Das nehmen wir sehr ernst, Gewalt hat in der Schule nichts zu suchen, und wir werden uns energisch um jede einzelne Gewalttat kümmern.

(Beifall bei der SPD und bei Robert Heine- mann CDU)

Wir haben hier eine Struktur vorgefunden, die wir pflegen und für sinnvoll halten. Ich will ein paar Beispiele nennen. Bei "Cop4you" handelt es sich um Polizistinnen und Polizisten, die als Kontaktbeamte der Schule zur Verfügung stehen. Das Verhältnis der beiden Institutionen hat sich deutlich gebessert. 226 Beamte haben wir in diese Kooperation eingebunden. Oder die Beratungsstelle "Gewaltprävention" mit 17 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Frau von Berg, bevor Sie immer erzählen, wir würden etwas abbauen, empfehle ich Ihnen, schlicht einmal das zu tun, was auch ich in der Opposition gern gemacht habe, nämlich die Drucksachen zu lesen. Wenn Sie sich diese Drucksache genau ansehen, dann werden Sie erstaunt feststellen, dass genau das, was Sie unterstellen,

(Olaf Ohlsen CDU: Da steht nix drin!)

(Christiane Schneider)

umgekehrt zu einem Aufwuchs geführt hat. Bei der Gewaltstelle haben wir die Zahl der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von zwölf auf 17 im Jahr 2011 erhöht, und dabei bleibt es.

(Dirk Kienscherf SPD: Hört, hört!)

Das darf man ehrlicherweise einmal erwähnen, denn es ist mir ein absolutes Rätsel, dass Sie immerzu von Einsparungen sprechen, das Gegenteil jedoch der Fall ist. Wenn Sie in die Große Anfrage der CDU hineingeschaut hätten, hätten Sie gemerkt, dass wir auf diesem Gebiet viel getan haben.

(Beifall bei der SPD)

Nur am Rande sei erwähnt, dass auch 170 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der REBUS-Dienststellen ebenfalls zur Verfügung stehen. Aber der eigentliche Schatz in diesem Fall sind die Lehrerinnen und Lehrer. Hier können wir beobachten, dass es richtig war, was zunächst die CDU und dann in Fortsetzung die Grünen in den letzten Jahren gemacht haben, nämlich an den Schulen dafür zu werben, nicht wegzuschauen, sondern die Augen zu öffnen, einzuschreiten und Gewaltvorfälle auch zu melden.

(Beifall bei Robert Heinemann CDU)

Das passiert zurzeit und es ist vollkommen richtig.

(Beifall bei der SPD und bei Robert Heine- mann CDU)

Aber es geht nicht nur um direkte Reaktionen, sondern auch um Vorbeugung. Auch hier gibt es zahlreiche Programme, die gut laufen und mittlerweile in vielen Bundesländern übernommen werden. Ich selbst habe vor einem Jahr und wenigen Tagen noch unterrichtet. Ich habe damals beispielsweise mit dem "Anti-Mobbing-Koffer" der Techniker Krankenkasse gearbeitet, zusammen aufgelegt mit dem Landesinstitut. Das ist eine sehr wirkungsvolle Maßnahme, die man in den Unterricht einbinden kann.

So haben wir mittlerweile 14 verschiedene Projekte, die dazu führen, dass an jeder Grundschule und an jeder Stadtteilschule Lehrerinnen und Lehrer fortgebildet sind, um mit ihren Schülerinnen und Schülern im Unterricht Gewalt zu thematisieren und Gewaltlösungsstrategien voranzubringen. Dazu zählen die Streitschlichter, das Programm "Faustlos", "Cool in School" und so weiter. Und mittlerweile, das muss man ehrlich bilanzieren, wirkt es. Jedes Jahr werden an 85 Schulen weitere Lehrer geschult, und inzwischen haben wir an jeder Schule so etwas laufen. Das ist sehr vernünftig. Vielen Dank an die Vorgänger, die das initiiert haben. Ich verspreche, dass wir das sorgfältig hüten und weiterführen werden, weil es gut klappt.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der CDU)