Protocol of the Session on December 15, 2011

(unterbre- chend) : Ihre Redezeit ist wirklich abgelaufen.

– Entschuldigung.

(Beifall bei der FDP)

Frau Schneider, Sie haben das Wort.

(Martina Kaesbach)

Meine Damen und Herren, Frau Präsidentin! Eigentlich war es klar, irgendwann holt die Vergangenheit uns ein, und das ist jetzt der Fall.

(Zuruf und Heiterkeit bei der CDU)

Seit 1998 haben die verschiedenen Bundesregierungen die Sicherungsverwahrung ständig verschärft und ausgeweitet.

Vielleicht kommen Sie bei dem ernsten Thema erst einmal zu einer angemessenen Stimmung zurück.

(Dietrich Wersich CDU: Wir denken an die Vergangenheit, die Sie einholt!)

Ich denke jetzt an Ihre Vergangenheit. Wir erinnern uns an den verhängnisvollen Spruch von Gerhard Schröder:

"Wegsperren – und zwar für immer."

Sträflich missachtet wurde, dass die Sicherungsverwahrung mit dem Schuldprinzip, das das deutsche Strafrecht beherrscht, eigentlich unvereinbar ist. Das Schuldstrafrecht macht den Täter für das haftbar, was er getan hat, die Sicherungsverwahrung dagegen macht ihn dafür haftbar, dass er womöglich in Zukunft etwas tun könnte. Sie ist eine Präventionsmaßnahme, die für ein vermeintliches Mehr an Sicherheit Freiheits- und Menschenrechte einschränkt.

(Jörg Hamann CDU: Das erzählen Sie mal alles den Opfern!)

Die Urteile sowohl des europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte wie des Bundesverfassungsgerichts schränken diese Präventionsmaßnahme unter dem Gesichtspunkt der Wahrung der Menschenrechte ein. Das ist gut so.

(Beifall bei der LINKEN)

Jetzt also sind Menschen zu entlassen, von denen die Öffentlichkeit meint, dass sie gefährlich sein müssen, weil sie in Sicherungsverwahrung waren.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Das stimmt nicht!)

Täglich werden Menschen aus Gefängnissen entlassen, bei denen eine mehr oder weniger hohe Rückfallgefahr besteht. Aber wenn Menschen aus Sicherungsverwahrung entlassen werden, dann konzentriert sich die gesamte Öffentlichkeit, die gesamte Unsicherheit und Angst vor unbestimmter Bedrohung durch schwere Straftaten auf sie. Der Stempel Sicherungsverwahrung macht den Weg zurück in die Gesellschaft für die Betroffenen unheimlich schwer.

Jetzt sind wir nicht nur damit konfrontiert, dass die Sicherungsverwahrten, die zugegeben meist brutale Straftaten begangen haben, nach 25 bis 30 Jahren Haft nicht ausreichend auf die Freiheit vorbe

reitet sind, sondern auch damit, dass es keine ausgereifte Konzeption für die Nachsorge und den Übergang in die Freiheit gibt. Weil man geglaubt hat, sie für immer wegsperren zu können, gibt es keine Nachsorge und Übergangseinrichtungen, schon gar keine erprobten.

In dieser Situation stehen wir jetzt und unterstützen den Schritt, den der Senat getan hat, auch wenn es nur eine befristete Lösung ist. Der Senat hat eine Einrichtung bereitgestellt, weil alle anderen Möglichkeiten verbaut waren. Er hat Bedingungen für die Unterbringung geschaffen und Ansätze entwickelt, wie die Menschen, die 25 bis 30 Jahre im Gefängnis gelebt haben, langsam zurück in die Freiheit finden können. Er hat die Fraktionen, die Anwohner und die Öffentlichkeit vorher informiert. Das halten wir für richtig, weil niemand davon ausgehen kann, dass die Entlassenen anonym irgendwo unterkriechen können. Sie wären unweigerlich aufgespürt worden, und die öffentliche Reaktion wäre noch heftiger ausgefallen als heute.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Richtig!)

Uns sind bisher keine besseren Vorschläge bekannt. Der Vorschlag der CDU, die Entlassenen irgendwo im Hafen zu verbannen, in ein Gebiet ohne Infrastruktur, abgeschnitten von aller Welt ist keine Lösung.

(Beifall bei der LINKEN und vereinzelt bei der GAL)

Erstens müssen die Betroffenen das nicht mit sich machen lassen und zweitens haben sie einen Anspruch auf Reintegration in die Gesellschaft.

Wir verstehen bis zu einem gewissen Grad die Ängste der Anwohnerinnen und Anwohner. Es gibt viele rationale Argumente gegen diese Ängste. Das Risiko der Rückfälligkeit ist gering. Die ehemaligen Gefangenen sind nach so langer Haft nicht mehr dieselben Personen wie die, die die Straftaten begangen haben. Sie wollen wahrscheinlich nur noch eines, in Ruhe gelassen werden.

(Jörg Hamann CDU: Wie kommen Sie dar- auf?)

Zudem werden die Betroffenen rings um die Uhr bewacht. Dass ich das für rechtlich problematisch halte, will ich nur am Rande anmerken.

Rationale Argumente erreichen die Ängste leider nur schwer. Das hängt auch damit zusammen, dass das Risiko der Rückfälligkeit zwar gering ist, doch wenn das Unwahrscheinliche eintreten sollte, ist die Gefahr einer schweren Straftat groß. Dennoch dürfen wir nicht aufhören, die rationalen Argumente in der Auseinandersetzung mit den Bürgerinnen vorzutragen und allen Versuchen entgegenzutreten, die Ängste aufzuputschen, wie das die CDU gemacht hat.

(Beifall bei der LINKEN und der SPD)

Das ist die Verantwortung nicht nur des Senats, sondern der gesamten Bürgerschaft. Der Senat aber ist gefordert, das eine Jahr, um das es bei der Unterbringung in Jenfeld geht, gut zu nutzen, um für die wachsende Zahl entlassener Sicherungsverwahrter die dringend erforderlichen Nachsorgeund Übergangseinrichtungen zu schaffen, Einrichtungen, in denen es ihnen ermöglicht wird, in die Gesellschaft zurückzufinden, sich in Ruhe und mit Unterstützung zu regenerieren, Anschluss zu finden und ein Leben ohne Straftaten zu führen. Im Laufe dieses einen Jahres muss eine tragfähige und vor allem nachhaltige Lösung für die Unterbringung und Reintegration ehemaliger Sicherungsverwahrter gefunden werden. Dabei haben Sie unsere Unterstützung.

(Beifall bei der LINKEN und vereinzelt bei der SPD)

Frau Senatorin Schiedek hat das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Seit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Jahr 2009 und des Bundesverfassungsgerichts stehen wir vor der Aufgabe, für Menschen eine angemessene Unterbringung zu finden, die aufgrund dieser Urteile aus der Sicherungsverwahrung entlassen werden müssen. Der Umgang mit ehemals Sicherungsverwahrten ist ein Problem, das nicht nur Hamburg, sondern alle Bundesländer beschäftigt und für das die Hamburger Politik in der letzten Legislaturperiode keine Lösung gefunden hat. Wir, und damit meine ich sowohl den ehemaligen als auch den amtierenden Senat, haben uns das nicht ausgesucht, aber wir alle müssen uns dieser Aufgabe stellen.

(Beifall bei der SPD)

Wenn ich ein positives Fazit der heutigen Bürgerschaftsdebatte und der öffentlichen Diskussion ziehen kann, dann, dass niemand dieses Problem für einfach zu lösen hält und jeder weiß, dass wir über Entlassene, über freie Menschen reden. Der Senat hat sich dieser Aufgabe gestellt. Wir haben als erstes Bundesland über Monate hinweg ein Konzept erarbeitet, das die berechtigten Sicherheitsinteressen der Bevölkerung, der Anwohner und der gesamten hamburgischen Bevölkerung, mit den Vorgaben der Gerichtsentscheidung des Bundesverfassungsgerichts in Einklang bringt. Das ist fast die Quadratur des Kreises, aber wir sind mit unserem Konzept dieser Quadratur zumindest sehr nahe gekommen.

(Beifall bei der SPD)

Wir haben ein umfassendes Konzept entwickelt, das eine gut strukturierte Unterbringung an einem

Standort, eine umfassende Begleitung und Aufsicht, eine engmaschige Betreuung und die Arbeit im offenen Vollzug sowie ein Sicherheitskonzept unter Federführung der Polizei vorsieht. Die Sicherheit der verständlicherweise besorgten Anwohner ist uns wichtig. Neben diesen berechtigten Anliegen einerseits ist unser Ziel andererseits, die Entlassenen so zu begleiten und zu stabilisieren, dass von ihnen möglichst keine Gefahr mehr ausgeht. Denn auch die Resozialisierung dieser Menschen ist unsere Aufgabe, nicht nur im Interesse der Entlassenen, sondern auch im Interesse der Hamburgerinnen und Hamburger.

(Beifall bei der SPD, vereinzelt bei der LIN- KEN und bei Farid Müller GAL)

Dafür ist eine gut strukturierte Einrichtung entscheidend, aber zu dem Konzept gehören auch die notwendigen polizeilichen Maßnahmen, denn die Sicherheitsinteressen der Bevölkerung stehen an erster Stelle. Natürlich ist es nur schwer zu verstehen, dass Gerichte auf Basis von Gutachten diese Menschen entlassen, weil sie nicht hochgradig gefährlich im Sinne des Bundesverfassungsgerichtsurteils sind, dann aber trotzdem eine polizeiliche Begleitung erfolgt. Das zeigt, dass wir unsere Verantwortung ernst nehmen, unabhängig von Gutachten. Die Beteiligung der Polizei trotz der vorliegenden Einschätzungen der Gutachter zeigt, dass wir um der Sicherheit der Anwohner willen kein Risiko eingehen wollen.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren! Aufgrund der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts haben wir uns darauf eingestellt, dass es zu Entlassungen kommt, zumal, das wurde bereits erwähnt, ein entlassener Sicherungsverwahrter aus BadenWürttemberg seit anderthalb Jahren ohne eine geeignete Unterbringungssituation in Hamburg lebt. Schon seit Sommer 2010, auch schon unter der Vorgängerregierung, wurden über 20 bestehende Einrichtungen von freien Trägern gefragt, ob sie den bereits entlassenen Sicherungsverwahrten aus Baden-Württemberg oder auch mögliche weitere aufnehmen würden. Es konnte aber keine Einrichtung gefunden werden, insbesondere, weil viele Träger durch die öffentliche Aufmerksamkeit ihre Arbeit gefährdet sahen. Eine Unterbringung in angrenzenden Bundesländern, wie sie in den letzten Tagen immer wieder ins Spiel gebracht wurde, ist gescheitert, auch das schon unter der Vorgängerregierung. Daher war klar, dass uns in der verbliebenen Zeit nur die Möglichkeit blieb, eine eigene staatliche Unterbringung zu schaffen, denn die Alternative wäre gewesen, diese Menschen ohne geeignete Unterbringung zu entlassen und dass möglicherweise wieder eine Odyssee mit ständigen Wohnortwechseln beginnt, wie wir sie im Sommer 2010 bereits erlebt haben. Das galt es auf jeden Fall zu verhindern,

(Christiane Schneider)

(Beifall bei der SPD)

denn diese Lösung hätte nicht mehr Sicherheit, sondern weniger Sicherheit bedeutet – für Jenfeld, für Wandsbek und für ganz Hamburg.

Nun zur Kritik an der öffentlichen Vorgehensweise. Wir haben uns ganz bewusst für eine transparente Vorgehensweise entschieden und eine klare Entscheidung für die Information der Medien, der Öffentlichkeit und des Anwalts der Männer getroffen. Natürlich wurde diese Entscheidung auch in Kenntnis der Tatsache getroffen, dass es Widerstand gibt. Wir informieren über das, was passiert und was geplant ist. Das haben wir nicht nur in den vergangenen zwei Wochen und im Rahmen der Bürgerversammlung in Jenfeld getan, sondern das tun wir auch weiterhin, insbesondere natürlich vor Ort in Jenfeld. Die Herausforderungen – oder Probleme, wie Sie sie nennen –, vor denen wir jetzt stehen, sind Folge von Transparenz. Aber wer behauptet, ein heimliches Vorgehen wäre besser gewesen, der irrt.

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und bei Katharina Fegebank GAL)

Auf Forderungen, die Bevölkerung und die Anwohner im Unklaren zu lassen, werden wir nicht eingehen.

(Beifall bei der SPD – André Trepoll CDU: Wer hat denn das gefordert?)