Protocol of the Session on November 24, 2011

(Beifall bei der FDP)

Genauso wichtig wie die Möglichkeit, für sich Verantwortung zu übernehmen, ist die Bedeutung des freiwilligen Einsatzes für die Mitmenschen. Wir befinden uns zurzeit im Europäischen Jahr des Ehrenamts. Fast ein Drittel der Menschen in Hamburg ist freiwillig und ehrenamtlich aktiv, und noch viel mehr hätten Interesse, ehrenamtlich aktiv zu werden. Deshalb ist es fatal – ich sage es gern noch einmal an dieser Stelle, meine Vorredner erwähnten es schon –, dass der Senat vorhat, aus dem Titel "Förderung – Bürgerengagement" die 1 Million Euro zu streichen, die er als Kitt für die Stadtteilarbeit umwidmen will. Frau Bekeris, auch wenn es Reste gibt, so muss man sich doch fragen, warum die Reste nicht abgeschöpft worden sind? Man muss doch etwas dafür tun, dass das Ehrenamt noch mehr wachsen kann.

(Beifall bei der FDP – Ksenija Bekeris SPD: Das ist doch nicht der Grund!)

Woran scheitert es denn, dass diejenigen, die ehrenamtlich aktiv werden wollen, dies nicht tun können? Der "Freiwilligensurvey Hamburg 2009", ein umfassendes sozialwissenschaftliches Forschungsprojekt, gibt einige Hinweise, aber lange

nicht genug. Wir würden uns darum eine weitergehende Studie wünschen mit dem Ziel herauszufinden, wie wir die Rahmenbedingungen für Ehrenamtliche verbessern können.

(Beifall bei der FDP)

Zum anderen finden Interessierte und Vereine oder Initiativen nicht immer zusammen. Auch hier wollen wir ansetzen. Mit der jährlichen Freiwilligenmesse in der Handelskammer ist ein erster Schritt getan. Das sollten wir auch in den Bezirken oder auf Ebene der Stadtteile etablieren.

Eines muss man auch Ihnen, Senator Scheele, zugestehen – Frau Fegebank und Frau Wolff sagten es auch –: Die Umsetzung des Bildungspakets in Hamburg ist gelungen, es ist effektiv, zügig und unbürokratisch umgesetzt worden – mein Kompliment.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Nun zur Integrationspolitik. Da wird von der LINKEN ein Partizipationsbeauftragter eingefordert,

(Beifall bei Mehmet Yildiz DIE LINKE)

das Büro und der Mitarbeiterstab sollen gleich mit eingerichtet werden. Das ist typisch links, Hauptsache, Infrastruktur und Bürokratie, aber kaum Inhalte.

Die Aufgabe des Partizipationsbeauftragten – das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen – soll nämlich Herstellung von Chancen und Zugangsgerechtigkeit sein. Das erinnert mich an die gestrige Rede der Stadtentwicklungssenatorin Blankau, die den Zugang der Bürger zu allen Grünflächen als großartigen umweltpolitischen Erfolg hinstellt. Solche Phrasen sagen mal wieder nichts und alles.

(Beifall bei der FDP)

Die CDU wiederum fordert die Einführung kostenpflichtiger Kurse an der Volkshochschule, die den Migranten das hamburgische Schulsystem erklären. Davon halten wir schlichtweg nichts. Die Eltern mit Migrationshintergrund mögen hierzu in den direkten Austausch mit ihren Mitmenschen und der Schule gehen. Wir glauben, dass sie dazu in der Lage sind. Wenn, dann sollte man woanders ansetzen, beispielsweise bei der Sprachförderung für Kinder, die zu Hause kein Deutsch sprechen. Sprachkurse für die Eltern dieser Kinder und eine schnellere Anerkennung von ausländischen Abschlüssen sind die wichtigen Themen.

(Beifall bei der FDP)

Insofern befürworten wir den Antrag der CDU nach einer Ausweitung der Anerkennung von ausländischen Diplomen.

Viele Maßnahmen, die in der Politik vorgeschlagen werden und die die Menschen unterstützen sollen, deren Eltern einmal hier in diese Stadt gekommen

sind, zum Teil schon vor drei Generationen, entpuppen sich in Wahrheit als Bevormundung, die nur eines zeigt: Man traut ihnen nichts zu.

(Beifall bei der FDP)

Genau davon müssen wir wegkommen. Nahezu jedes zweite Kleinkind unter drei Jahren in Hamburg hat mittlerweile einen sogenannten Migrationshintergrund, das besagt der Hamburger Bildungsbericht 2011. Menschen unterschiedlicher Herkunft sind mittlerweile Normalität in Hamburg, auch wenn es bei einigen noch immer nicht angekommen zu sein scheint. Pauschal davon auszugehen, Migranten müsse unter die Arme gegriffen werden, weil sie es allein nicht schaffen, empfinden wir als Bevormundung und wird den vielen Mitbürgerinnen und Mitbürgern nicht gerecht.

(Beifall bei der FDP)

Unsere Mitbürger mit Migrationshintergrund benötigen genauso gute Rahmenbedingungen wie wir. Da steht die Bildung an erster Stelle. Deshalb fordern wir schon seit Langem den umgehenden Rechtsanspruch für eine fünfstündige Kindertagesbetreuung ab dem zweiten Lebensjahr und hoffen, dass der Senat dieses auch tatsächlich zum August 2012 umsetzt.

(Beifall bei der FDP)

Vielen Dank, Frau Kaesbach. – Das Wort hat Frau Özdemir.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir sprechen über die Sozialpolitik, und Sozialpolitik bedeutet in erster Linie soziale Gerechtigkeit.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir müssen uns die Frage stellen, was getan werden muss, damit alle Bürgerinnen und Bürger dieser Gesellschaft partizipieren können. Was muss getan werden, damit niemand mehr ausgeschlossen wird, und welche Barrieren müssen beseitigt werden? Hier gilt als Erstes: Ohne Geld geht es nicht.

(Dirk Kienscherf SPD: Ohne Moos nix los!)

Wir müssen jetzt im sozialen Bereich investieren, um Folgeschäden zu begrenzen.

(Beifall bei der LINKEN – Andy Grote SPD: Mehr Geld muss her!)

Nehmen wir den Bereich der Integration, wir können aber auch Partizipation sagen oder von interkultureller Öffnung sprechen. Es ist hier aber weder der Ort noch die Zeit, um über Begriffe zu streiten. Ich bevorzuge die Partizipation von Menschen mit Migrationshintergrund.

(Nikolaus Haufler CDU: Sie lehnen Integrati- on ab! Stehen Sie dazu!)

Herr Haufler, zu Ihnen komme ich gleich noch.

(Beifall bei der LINKEN)

Nach jahrzehntelanger Vernachlässigung der Thematik ist endlich bewusst geworden, dass Partizipation ein Querschnittsthema ist und eine Querschnittsaufgabe, und das ist auch richtig so. Partizipation ist eine Querschnittsaufgabe, weil sie alle gesellschaftlichen Bereiche betrifft. Das Problem dabei ist, dass Aufgaben, für die alle verantwortlich sind, meist im Sande verlaufen. Es geht nicht um ein Thema, das einfach nebenbei erledigt werden kann.

Eine mehrere Jahrzehnte andauernde und völlig verfehlte Politik hat die soziale Spaltung in diesem Land und auch in dieser Stadt massiv vorangetrieben. Und diese Politik hat dazu geführt, dass sehr große Teile der Bevölkerung mit Barrieren konfrontiert sind. Das heißt, es leben Tausende von Kindern in dieser Stadt, die praktisch schon mit einer Hauptschulempfehlung auf die Welt gekommen sind. Sich von diesen Vorurteilen zu befreien, schaffen nur die wenigsten. Von Chancengleichheit kann also noch nicht die Rede sein.

(Andy Grote SPD: Das ist ein bisschen aus- gedacht jetzt!)

Es geht überhaupt nicht, wie die CDU sich das vorstellt mit der sogenannten Integration. Ihr Antrag hat mich, ehrlich gesagt, auch etwas verärgert, denn ich habe diesen Antrag so interpretiert:

(Zurufe von der CDU)

Wer will, der leistet, und wer leistet, ist integriert, und der Rest hat selbst Schuld. Solche Vorstellungen sind reaktionär und gehen auch völlig an der Realität vorbei.

(Beifall bei der LINKEN)

Aber an diesem Antrag hat mich am meisten verärgert, dass diese Vorstellung dann auch noch durch Kürzungen beim Asylbewerberleistungsgesetz finanziert werden soll. Das ist indiskutabel und wir werden diesen Antrag ablehnen.

(Beifall bei der LINKEN und bei Christa Goetsch GAL)

Wenn wir von Partizipation sprechen, dann müssen wir auch von einer grundlegenden Veränderung der Gesamtgesellschaft sprechen. Ein interkulturelles gesamtgesellschaftliches Leitbild zu entwickeln gehört zu den großen Zukunftsaufgaben von allen, die hier sitzen. Dazu gehört auch eine Auseinandersetzung mit Rassismus und der zunehmenden Islamfeindlichkeit.

Menschen, denen jahrelang Entwicklungsmöglichkeiten vorenthalten wurden, werden heute die Folgen dieser verfehlten Politik angelastet. Das ist

(Martina Kaesbach)

nicht nur unfair, das hat auch noch katastrophale Konsequenzen. Deshalb geht es darum, die Grenzen und Barrieren in den Köpfen aufzuheben.

Meine Damen und Herren! Ich will es noch einmal ganz deutlich sagen – das wird wahrscheinlich Herrn Haufler ziemlich verärgern –: Es geht nicht darum, Zugewanderte in die deutsche Gesellschaft zu integrieren, sondern es geht darum, das Zusammenleben in einer sich weiter verändernden Gesellschaft neu zu definieren.

(Beifall bei der LINKEN und der GAL)

Man muss sich auch die Frage stellen, wie das Zusammenleben gestaltet werden soll und gestaltet werden kann. Dabei ist der Umgang mit dieser Situation auch ein Gradmesser für den Zustand der Demokratie in der Gesellschaft.