Protocol of the Session on June 18, 2008

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Jetzt zum Thema Anerkennung, Herr Wersich: Heute vor einer Woche haben die verbliebenen Beschäftigten bei pflegen & wohnen gestreikt. Der Anlass war bemerkenswert, es hatte bei den Tarifverhandlungen für die 1 300 Beschäftigten ein Ergebnis gegeben, das den Abschluss des öffentlichen Dienstes weitgehend übernahm und durch einen Beschäftigungspakt ergänzte. Da pfeifen die privaten Shareholder Vitanas und Franke die Geschäftsführung zurück und zwingen sie zu einer drastischen Verschlechterung des Tarifangebots, das schon angenommen war. Ein typisches Beispiel für eine gnadenlose Profitorientierung der kommerziellen Anbieter im Sozialbereich: Lohndumping für die Beschäftigten, Qualitätsdumping für die Pflegebedürftigen und Renditesteigerung für die Kapitaleigner. Das ist es, Herr Senator Wersich und Herr Bürgermeister von Beust, der eben noch da war, warum die Privatisierung der Krankenhäuser und der Pflegeheime denen nicht gut

(Senator Dietrich Wersich)

tut und warum in dieser Stadt und in dieser Gesellschaft nicht nur die Gesundheit, sondern auch das Altern nicht zu einer Ware degradiert werden darf.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Was wir hier und heute in den Hamburger Pflegeheimen erleben, ist nur ein weiteres eklatantes Beispiel für die katastrophalen Folgen der rücksichtslosen Privatisierungspolitik des Hamburger CDUSenats aus der letzten Periode. Wie schon beim LBK wiederholt sich auch bei den Pflegeheimen das gleiche Trauerspiel in der gleichen Reihenfolge. Für die Beschäftigten und die kranken oder pflegebedürftigen Menschen ist dies allerdings bitterer Ernst. Sie sind die Leidtragenden. Zuerst wird hoch und heilig versprochen, durch die Privatisierung werde alles besser, vor allen Dingen die Pflegequalität, keinem Mitarbeiter gehe es nach der Privatisierung schlechter, eher umgekehrt, die Privaten blieben im Arbeitgeberverband, die Tarife des öffentlichen Dienstes gelten weiter und die Beschäftigungssicherung ebenfalls. Doch die Tinte unter dem Kaufvertrag ist noch nicht trocken, da folgt das böse Erwachen. Zuerst wird aus dem Arbeitgeberverband ausgetreten, dann werden die Löhne abgesenkt und schließlich werden Beschäftigungssicherung und Kündigungsschutz liquidiert. Dieser rücksichtslose und zynische Wortbruch der privaten Kapitaleigner ist der wirkliche Grund, warum die Beschäftigten in der Pflege ihre Enttäuschung und ihren Protest auf die Straße tragen. Darum unterstützen wir diese Kolleginnen und Kollegen und tragen ihren berechtigten Protest auch hier in dieses Parlament.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Ja, wir leben auch hier in Hamburg in einer alternden Gesellschaft. Das wissen wir alle. Und die Altenpflege, ambulant wie stationär, gewinnt dabei wachsende Bedeutung. Es ist also Aufgabe und Verantwortung der Politik, sich darum zu kümmern und den betroffenen Menschen eine Perspektive für ein menschliches Altern zu geben. Aber der Senat macht das Gegenteil. Je größer das Problem wird, desto mehr zieht er sich aus der Verantwortung, erklärt, dass das jetzt der Markt mit seinen privaten Anbietern und Geschäftemachern lösen soll und hält sich da heraus.

Wenn es Leistungsträgerinnen und Leistungsträger in einer humanen und solidarischen Stadt gibt, dann sind das vor allem die Beschäftigten in der Kranken- und Altenpflege. Das ist ein verdammt schwerer Job. Es ist auch ein hoch verantwortlicher und ein hoch qualifizierter. Deswegen muss er auch leistungsgerecht, das heißt gut entlohnt werden. Privatisierung dagegen ist ein marktwirtschaftlicher Sozialdarwinismus. Auf dem Markt setzt sich der Stärkere durch. Der Stärkere ist nicht der mit der höheren Qualität, sondern der, der seine Beschäftigten am meisten auspresst und damit gegenüber den Konkurrenten Kosten spart. Die In

strumente heißen Tarifflucht, Lohndumping, Arbeitsplatzvernichtung und auch Arbeitszeitverlängerung ohne Lohnausgleich.

(Klaus-Peter Hesse CDU: Ist das eine SPD- oder Gewerkschaftsrede?)

Für uns gilt dagegen weiterhin: Auch Gesundheit, Bildung, Wohnen, Energieversorgung und andere Bereiche der Daseinsvorsorge

(Glocke)

sowie das Altern und die Pflege dürfen keine Ware sein.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Sorgen Sie dafür, dass auf den Wortbruch reagiert wird …

(Glocke)

Erste Vizepräsidentin Barbara Duden (unterbre- chend): Herr Rose, Sie haben auf die Glocke zu hören und Sie haben seit einiger Zeit das rote Licht.

Ah ja, es blinkt.

Erste Vizepräsidentin Barbara Duden (unterbre- chend): Es blinkt, genau.

Okay, danke für den Hinweis.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Das Wort bekommt Herr Krüger.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Der Einstieg von Frau Artus, in dem sie auf die schlechte Situation in Pflegeheimen hinwies, ist genau der Punkt, den pflegerische Mitarbeiter eben nicht haben wollen. Denn in der Tat gibt es auch in diesem Bereich schwarze Schafe. Aber das Gros der Mitarbeiter in den Pflegediensten, im ambulanten und im stationären Bereich, leistet hervorragende Arbeit. Wer pauschal von einer schlechten Situation in Pflegeheimen spricht, tut genau das Gegenteil davon Anerkennung auszusprechen. Das stigmatisiert einen Berufszweig, den wir gerade heute unterstützen wollen. In der Tat ist es so – deshalb verstehe ich auch die Aufregung von Herrn Kienscherf, ihn erwartet das gleiche Schicksal wie mich –, dass mittlerweile weit über 100 000 Hamburger auf Pflege angewiesen sind, 42 000 Menschen im Sinne der Pflegeversicherung, über 60 000 darüber hinaus mit haushaltsnahen Leistungen. Wenn Sie sich die Alterspyramide anschauen, dass rund 85 Prozent der Menschen, die Pflege brauchen, im Seniorenalter sind und das Durchschnittsalter in Hamburger

(Wolfgang Rose)

Pflegeheimen mittlerweile 86 Jahre beträgt, ist es eine Entwicklung, die jeden von uns früher oder später vermutlich erreichen wird.

(Klaus-Peter Hesse CDU: Später!)

Ja, den einen später, aber alle irgendwann sicher.

Hamburg reagiert richtig auf diese Entwicklung, Herr Wersich hat es gesagt. Mein Kollege Egbert von Frankenberg hat darauf hingewiesen, dass in den letzten Jahren Erhebliches unternommen worden ist. Die Programme, 16 000 Plätze in Altenund Pflegeheimen und zu den bereits vorhandenen 10 000 Wohnungen im betreuten Wohnen bis 2009 1 000 weitere entstehen zu lassen, sind Beispiele dafür. Die Aufwendungen zur Hilfe für Pflege betragen mittlerweile 153,5 Millionen Euro. Das ist übrigens mehr, Herr Kienscherf, als jemals zu SPD-Zeiten gezahlt worden ist, soviel dazu.

(Beifall bei der CDU)

Insofern haben Sie natürlich recht, dass es einen Bedarf an Pflegekräften geben wird. Der steigt in demselben Maße, in dem weitere Pflegeplätze erforderlich sind. Wir haben auch dem Rechnung getragen. Der Personalschlüssel ist in den letzten Jahren – da sind Sie leider unverdächtig, daran mitgewirkt zu haben – in zwei Stufen um insgesamt 7 Prozent angehoben worden. Das heißt, das Verhältnis Mitarbeiter zu Pflegenden ist verbessert worden. Wir haben – auch das ist schon gesagt worden – derzeit etwa 300 freie Stellen für pflegerische Berufe, aber 900 Arbeitssuchende in dem Bereich. Der Fachkräftemangel, der von ihnen apostrophiert wird, stimmt rechnerisch so jedenfalls nicht. Er wird für spezielle Bereiche partiell vorhanden sein, aber das Arbeitsamt in Hamburg widerspricht dem ganz deutlich.

Trotzdem haben wir eine ganze Menge getan, um dem wachsenden Bedarf gerecht zu werden. Auf der einen Seite ist die Qualifizierung von Altenpflege durch das Altenpflegegesetz angehoben worden. Sie wissen, es gibt in diesem Bereich nur noch Realschüler. Das Interesse an diesem Bereich hat deutlich zugenommen. 2006 gab es 167 Absolventen, 2007 haben bereits 233 junge Menschen diesen Berufsweg eingeschlagen. Für Hauptschüler, die von diesem Ausbildungsgang ausgeschlossen sind, gibt es den neuen, sehr innovativen Bereich der Gesundheits- und Pflegeassistenz. 300 Auszubildende – 300 zusätzliche Auszubildende – gibt es alleine in diesem Bereich. Die Nachwuchsförderung ist ganz offensichtlich erfolgreich, die Zugangsmöglichkeiten auch für Hauptschüler sind eröffnet, dieses Berufsbild ist in der Tat attraktiv und die Kampagne des Senats aus 2004 für den Beruf der Altenpflege hat bundesweit Anerkennung gefunden.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der GAL)

Wenn Herr von Frankenberg darauf hingewiesen hat, dass 2006 – das war, wenn ich mich recht entsinne, zu einer Zeit, als es keinen Senat mit SPD-Beteiligung mehr gegeben hat – der Fachkräfteanteil in Hamburg flächendeckend eingeführt worden ist, verrate ich Ihnen auch, dass in Ihrem letzten Regierungsjahr 2000 noch 42 Prozent, also fast die Hälfte, der Hamburger Heime den Fachkräfteanteil nicht erfüllt hat. Soviel zu dem, was dieser Senat bislang geleistet hat.

Dieses ist auch ein Verdienst der Pflegekräfte. Das große Lob wird auch von qualifizierter Stelle betont. Professor Püschel vom UKE hat Mitte der Neunzigerjahre noch festgestellt, dass etwa 4 Prozent der Patienten, die in Pflegeeinrichtungen verstorben sind, einen Dekubitus aufweisen, wundgelegen sind – ein echter Pflegemangel. Mittlerweile ist diese Rate auf unter 1 Prozent gesunken – ein Zeichen dafür, dass Pflege qualifizierter betrieben wird, dass Pflegedienste und Pflegeheime ihrer Verantwortung gerecht werden und dass die Heimaufsicht und der MDK tatsächlich auch ihrer Verantwortung nachkommen.

Noch einmal Herr Rose – ich glaube, da widersprechen wir uns auch nicht –, Pflegekräfte leisten in Hamburg, egal bei welchem Träger übrigens, eine sehr motivierte, engagierte und qualifizierte Tätigkeit.

(Wolfgang Rose SPD: Bezahlung?)

Der Berufsstand hat, wie alle anderen übrigens auch, schwarze Schafe. Das darf aber nicht dazu führen, wie Frau Artus einen ganzen Stand oder eine ganze Einrichtungsart schlechtzureden. Das ist genau das Gegenteil von Anerkennung. Wir werden das nicht mitmachen.

(Glocke)

Wir werden im Sinne der Kampagne von 2004 fortfahren.

Erste Vizepräsidentin Barbara Duden (unterbre- chend): Ihre Redezeit ist beendet.

Meine Redezeit geht zu Ende. Ein letzter Satz, Herr Rose. Wir haben gerade über Niedriglöhne und Mindestlöhne gesprochen. Wenn Herr Lauterbach und Frau Schmidt, die beide nicht verdächtig sind, der CDU anzugehören,

(Glocke)

sich weiterhin für haushaltsnahe Dienstleistungen durch unausgebildete Kräfte aussprechen, dann bekommen wir mehr Probleme.

(Glocke)

Erste Vizepräsidentin Barbara Duden (unterbre- chend): Herr Krüger, das ist ein Satz Thomas Mannscher Qualität – entschieden zu lang.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der GAL)

Das Wort bekommt für vier Minuten Frau Blömeke.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr Rose, wenn Sie gerne mehr über Privatisierung und über Arbeitsmarkt sprechen wollen, dann melden Sie das doch an und verstecken das nicht hinter dem Deckmantel der Pflege.

(Beifall bei der GAL und der CDU)

Damit haben wir überhaupt kein Problem. Ich denke, es ist auch kein Geheimnis: Auch wir sind natürlich nicht davon begeistert, wenn aus dem Arbeitgeberverband ausgetreten wird und man sich nicht mehr nach tarifgebundenen Löhnen richtet. Nur, wenn hier das Thema Pflege angemeldet wird, dann darf es nicht nur an der Bezahlung der Pflegenden – was natürlich ein wichtiger Punkt ist – aufgehängt werden. Später werden wir dann noch eine Niedriglohndebatte führen. Da können Sie sich noch einmal einschalten. Ansonsten, denke ich, heißt das Thema Pflege. Darüber sollten wir auch sprechen, dazu ist auch sehr viel gesagt worden. Ich glaube, eins dürfen wir nicht machen: Wir können natürlich ganz viel loben, was passiert ist, das wurde schon ausreichend getan, die Opposition kann es auch kritisieren, aber versuchen wir es doch einmal zusammenzuführen. Denn es ist wirklich viel Positives geschehen. Aber wir haben auch noch etwas zu verbessern. Daran müssen wir gemeinsam ansetzen und weiter arbeiten. Dazu hat Senator Wersich schon einiges gesagt, wir haben einiges gesagt, die SPD hat nichts dazu gesagt, die hat mehr gemeckert, was alles schlecht läuft. Was wir brauchen, ist wirklich ein genaues Hinsehen. Denn ich kann noch einmal wiederholen – das, finde ich, ist das Interessante an dem Thema Pflege: Wir werden alle irgendwann in diesen Zustand kommen. Es muss unser eigenes originäres Interesse sein, diesen Bereich mitzugestalten.