Einen Armuts- und Reichtumsbericht, wie ihn die Fraktion der LINKEN unmittelbar nach ihrem Einzug in die Hamburgische Bürgerschaft gefordert hat, gibt es leider nicht. Herr von Frankenberg von der CDU sagte damals, dass wir keinen Datenfriedhof bräuchten und er unsere Bürger nicht ausschnüffeln wolle. Ein Armuts- und Reichtumsbericht wäre aber genau das richtige Äquivalent, um die Situation Obdachloser neben der empirischen Untersuchung seriös zu beurteilen und um die richtigen Maßnahmen daraus abzuleiten. Auf Bundesebene gibt es diesen Bericht. Es ist also nichts Anstößiges oder gar Revolutionäres, was DIE LINKE für Hamburg fordert. Der Bericht der Bundesregierung umfasst unter anderem eine Analyse besonders schwieriger Lebenslagen, zum Beispiel von Wohnungslosen. Hat nun die Bundesregierung die Bürger ausgehorcht, bevor sie den Bericht im Juli letzten Jahres herausgab? Dann habe ich damals die Kritik der Hamburger CDU-Fraktion an der angeblichen Datenschnüffelei vermisst.
Das Problem dieser empirischen Untersuchung ist eines, das viele Berichte des Senats haben. Man kann zwar tolle Presseerklärungen aus ihnen zaubern, sie geben auch oberflächlich das Gefühl einer verantwortungsbewussten Umgangsweise mit sozialen Brennpunktthemen. Die empirische Untersuchung über Obdachlose, die auf der Straße leben, ist aus unserer Sicht aber vor allem dazu geeignet, die Senatspolitik zu loben.
Der Senat geht das Risiko ein, dass irgendwann eine Hatz gegen auf der Straße lebende osteuropäische Menschen einsetzen könnte und dass die Gewalt gegen nicht deutsche Obdachlose zunehmen könnte, weil diese häufiger als deutsche Obdachlose gar kein Einkommen haben, weil sie häufig jünger sind, weil sie kein Deutsch sprechen, weil sie seltener eine Krankenversicherungskarte haben.
Der Senat geht außerdem das Risiko ein, dass die Obdachlosigkeit von Frauen, die im Vergleich zu anderen Großstädten überproportional ist, weiterhin unsichtbar bleibt. Für die betroffenen Frauen bedeutet dies das Erleben von Gewalt und die Abhängigkeit von Männern, die ihnen Unterschlupf gewähren.
Dann halte ich unsere Forderung aufrecht, dass ein Armuts- und Reichtumsbericht erstellt werden muss.
Mir erschließt sich nicht ganz, wie Sie einerseits einen Armuts- und Reichtumsbericht fordern und dann andererseits sagen können, es sei PR-Agitation, wenn wir die Ergebnisse unserer Arbeit durch eine Befragung der Betroffenen messen lassen.
Ein Bericht hat noch niemandem geholfen, wenn aus ihm keine Schlüsse gezogen werden. Es ist aber sehr vielversprechend zu messen, ob das, was wir tun, dazu führt, dass weniger Menschen in prekären Situationen sind. Es geht darum, nicht nur zu sagen, dass wir Gutes tun wollen, sondern dass wir auch überprüfen, ob wir die gewünschten Wirkungen erzielen. Jeder hier muss zugestehen, dass unsere Taten Wirkungen gezeigt haben.
Der Umbau des Hilfesystems für obdachlose Menschen in Hamburg hat gewirkt. Das Engagement der Wohlfahrtsverbände hat gewirkt und das Engagement der vielen ehrenamtlich tätigen Bürger hat gewirkt. Deswegen sollten wir darüber zunächst einmal froh sein.
Herr Kienscherf, gleich zu Beginn der Debatte haben Sie uns froh und stolz daran erinnert, dass die erste Befragung Obdachloser in Hamburg von RotGrau durchgeführt wurde. Dann seien Sie doch auch so ehrlich zu sagen, dass gemäß der zweiten Zählung 2002 nach sechs Jahren SPD-Politik in Hamburg die Anzahl der Obdachlosen gestiegen ist und dass sie nun nach sieben Jahren CDU-Sozialpolitik unter Frau Schnieber-Jastram rückläufig ist. Das ist ein Erfolg. Das sage ich auch im Hinblick auf die GAL. Wir können uns natürlich jetzt gemeinsam über diese Erfolge freuen, aber es war nicht immer so, dass das, was wir in den vergangenen Jahren in diesem Bereich an Umstrukturierung realisiert haben, auf Zustimmung bei der GAL stieß. Insofern bin ich sehr froh darüber, dass Sie mit uns gemeinsam beim Blick auf die reale Situation sagen, dass das gut so war.
Manche müssen erst in die Regierung kommen, um zu lernen, aber da will ich jetzt in Richtung LINKE nichts sagen.
Es sind Probleme angesprochen worden. Wir wissen, dass Obdachlosigkeit eine der schlimmsten und für uns alle wahrscheinlich eine kaum vorstellbare Lebensphase ist. Wir wissen auch, dass alle Anstrengungen gerechtfertigt sind, um Menschen aus dieser schwierigen Lebenslage herauszuhelfen. Deshalb war ich über die Ergebnisse der Untersuchung schon überrascht: Zwei Drittel der Obdachlosen sind in unserem Sozialleistungssystem integriert, 40 Prozent sind nicht verschuldet, zwei Drittel haben eine Krankenversicherungskarte, von den deutschen Obdachlosen sogar über 80 Prozent. Das bedeutet, dass Obdachlose häufiger krankenversichert sind als normale Bürger in Amerika. Die Obdachlosen in Hamburg werden von den Initiativen sehr gut erreicht und die Inanspruchnahme der Hilfeangebote ist ausgesprochen gut.
Sie haben kritisiert, dass wir eine Veralterung haben, wie Sie es genannt haben, und dass sich die Dauer der Obdachlosigkeit erhöht hat. Wenn Sie in die Studie schauen, wissen Sie aber auch, dass dies daraus resultiert, dass es uns gelungen ist, jüngere Menschen und Menschen, die noch nicht so lange obdachlos sind, schneller herauszulösen. Dann bleiben natürlich diejenigen übrig, die bereits länger obdachlos sind. Wir sind uns einig, dass es unser Bemühen sein muss, auch Perspektiven für die Menschen zu eröffnen, die schon sehr, sehr lange auf der Straße leben. Da stoßen wir häufig an die Grenzen, auch im Hilfesystem. Im Winternotprogramm wird sich zum Beispiel ganz engagiert um die Bewohner der Container und Kirchenkaten gekümmert und hinterher stellen die Helfer trotzdem fest, dass diese, wenn das Wetter besser wird, wieder verschwinden und die Hilfe nicht mehr
Ein letztes Wort noch zu der zunehmenden Anzahl von ausländischen Obdachlosen. Ehrlich gesagt finde ich es sehr grenzwertig und ziemlich unverantwortlich, wenn Sie sagen, dass dieser Bericht dazu verführe, zu einer Hatz auf ausländische Obdachlose einzuladen. Der Punkt ist ein ganz anderer. Wir helfen niemandem, der als Obdachloser sein Heimatland verlässt, ob es Polen, Bulgarien oder Rumänien ist und der kein Wort deutsch spricht, wenn wir ihn nicht wieder in seine heimatlichen Systeme reintegrieren. Wir können diese Probleme nicht in Hamburg lösen und deswegen heißt es, diesen Menschen zu helfen. Wir müssen mit den Konsulaten zusammenarbeiten, wir müssen sehen, dass diese Menschen in ihren Heimatländern wieder reintegriert werden und können nicht akzeptieren, dass am Ende durch Zuwanderung von Obdachlosen, vor allem jüngeren Obdachlosen, unsere Obdachlosen, die häufig psychisch sehr angeschlagen sind, aus den Einrichtungen verdrängt werden, weil sich das Klima in den Hilfeinstitutionen verändert.
Deshalb tun wir sozialpolitisch das Richtige, wenn wir versuchen, zusammen mit deren Heimatländern die Reintegration in die sozialen und Bildungssysteme ihrer Heimatländer zu erzielen und nicht einen Zuzug in Sozialleistung in Hamburg organisieren.
Wir können uns über die Erfolge freuen, die wir haben. Wir müssen aber weitermachen und, was wichtig ist, partnerschaftlich weiter mit den Wohlfahrtsverbänden und den engagierten Bürgern zusammenarbeiten, die jedes Jahr Obdachlose im Winternotprogramm und im Alltag unterstützen.
Frau Präsidentin, sehr geehrte Herren und Damen! Nun fühle ich mich natürlich eingeladen, noch etwas zu sagen. Ich habe selbstverständlich nicht gesagt, dass die empirische Untersuchung zu einer Hatz auf osteuropäische Obdachlose einlädt, sondern dass Sie, wenn Sie die Hilfesysteme nicht richtig anpassen, das Risiko eingehen, dass es dann soweit kommen könnte, weil diesen Menschen nicht adäquat geholfen wird.
Herr Wersich, ich habe schon noch eine genaue Nachfrage, wie Sie das gemeint haben. Was heißt das denn, die müssen reintegriert werden in ihre
Heimatländer? Heißt das Abschiebung oder was meinen Sie damit? Ich finde grenzwertig, was Sie eben gesagt haben.
Ich sehe zum zweiten Thema der Aktuellen Stunde keine Wortmeldungen mehr. Dann kommen wir zum dritten Thema. Angemeldet von der Fraktion DIE LINKE: 60 Jahre Landesfrauenrat – Wann wird Hamburg wieder Gleichstellungshauptstadt?
(Christiane Schneider DIE LINKE: Ich würde gerne den Antrag stellen, das Thema auf morgen zu verschieben!)
Das wird etwas schwierig, weil die Aktuelle Stunde um 16 Uhr 33 endet. Das heißt, wir haben noch so viel Redezeit,
Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Herren und Damen! Liebe Aktive vom Landesfrauenrat, herzlichen Glückwunsch zum 60. Geburtstag.
Der Senat durfte bereits am Freitag auf einem Empfang gratulieren, die Bürgerschaft macht dies jetzt in ihrer Aktuellen Stunde. Wir feiern eine Institution, ohne die Hamburg anders aussehen würde. Die Aktiven im Landesfrauenrat haben zum Beispiel die Grundlagen für die Verbraucherschutzzentrale in Hamburg gelegt. Sie haben die Messe "Du und Deine Welt" initiiert, sie sind die Verleiherinnen des Preises "Zitronenjette". Sie positionieren sich mit ihren konsequenten Wahlprüfsteinen zu jeder Wahl. Sie haben wesentlich dazu beigetragen, dass die verschiedenen Interessen von Frauen in dieser Stadt gebündelt und vorangetrieben werden, die nun wirklich verschiedener nicht sein können – ob Ingenieurinnen, Unternehmerinnen, Hausfrauen, Gewerkschafterinnen, Christinnen, Parteipolitikerinnen und viele andere. Wir haben alle oft sehr spezifische Interessen.
Was uns Frauen alle eint, ist die systematisch strukturelle Benachteiligung, die durch das Patriarchat verursacht und aufrechterhalten wird. Auch heute sind wir trotz grundgesetzlicher Verankerung, trotz Gleichstellungsgesetzen und Quoten noch nicht da, wo wir hingehören, auf Augenhöhe mit den Männern. Immer noch steht ein Paragraf 218 im Strafgesetzbuch, der Abtreibung unter
Strafe stellt. Immer noch verdienen wir ein Drittel weniger, weil Männer sich gegenseitig höher schätzen und bewerten. Noch immer müssen wir Gewalt ertragen, weil wir zu wenige Möglichkeiten haben, uns rechtzeitig vom Partner zu trennen oder ihn vor die Tür zu setzen. Immer noch gibt es Doppelt- und Dreifachbenachteiligung, wenn wir einen Migrationshintergrund haben, wenn wir alt oder behindert sind, wenn wir Kinder bekommen.
Nun hat Hamburg seit dem 1. August eine "Arbeitsstelle Vielfalt". Sie soll, so der hohe Anspruch, Vielfachdiskriminierungen entgegenwirken. Ein Schwerpunkt ist die Frauengleichstellung und dass sie in der Justizbehörde angesiedelt ist, soll dem Ganzen ein Gefühl von stärkerer rechtlicher Durchsetzbarkeit geben. Die überwiegende Anzahl der feministisch aktiven Frauen in Hamburg fordert eine ganz andere Form zur Umsetzung der Gleichstellungspolitik – ein Senatsamt für Gleichstellung oder eine unabhängige Landesbehörde.