Protocol of the Session on October 7, 2009

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 36 auf, Drucksache 19/4114, ein Antrag der SPD-Fraktion: Beitragsfreie Kindertagesbetreuung im Jahr vor der Schulpflicht – auch für die Eltern sogenannter Kann-Kinder!

[Antrag der Fraktion der SPD: Beitragsfreie Kindertagesbetreuung im Jahr vor der Schulpflicht – auch für die Eltern sogenannter Kann-Kinder! – Drs 19/4114 –]

Wird das Wort gewünscht? – Das ist der Fall. Die Abgeordnete Veit hat es.

(Erste Vizepräsidentin Barbara Duden über- nimmt den Vorsitz.)

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Nachdem die Vertreter aller Fraktionen und des Senats sich in dieser Debatte eben glaubhaft versichert haben, wie sehr ihnen Chancengleichheit, eine möglichst gleichberechtigte Bildungsbeteiligung und eine optimale Förderung aller Hamburger Kinder am Herzen liegen, könnten wir es uns jetzt eigentlich einfach machen und die Gleichbehandlung aller Hamburger Kinder auch im letzten Kita-Jahr gleich einmal beschließen. Aber

da sehen Sie und Sie leider einen entscheidenden Unterschied. Sie, meine Damen und Herren vom Senat und von den derzeitigen Mehrheitsfraktionen sind bereit, mehrere hundert Millionen Euro für Ihre Schulreform einzusetzen. Da kommt es auf die eine oder andere Million nicht an und so genau will man das alles auch gar nicht wissen. Aber Sie wollen zugleich kleinkariert und kleinkrämerisch den Eltern von etwa 1500 bis 2000 Hamburger Kindern Geld für eine Leistung abnehmen, die Sie rund 10 000 anderen Hamburger Kindern kostenlos gewähren. Das sind übrigens bis zu 2300 Euro im Jahr für die Familien. Finden Sie das richtig oder finden Sie das etwa gerecht? Wir tun das nicht.

(Beifall bei der SPD)

Sie haben Hamburgs Eltern versprochen, dass das letzte Jahr vor Eintritt in die Schule kostenlos werden soll. Sie haben das allen Eltern versprochen, ohne Ausnahme. Sie haben immer wieder verkündet, die Betreuungs- und Kita-Angebote im Jahr vor der Einschulung und die Vorschule würden ab September dieses Jahres beitragsfrei sein. Das ist gefeiert worden und darüber haben wir uns hier gemeinsam mit Ihnen auch gefreut, weil wir nämlich finden, dass Bildung grundsätzlich kostenfrei gehört. Dann haben Sie bei der Formulierung Ihres Gesetzes aber gehandelt wie so ein windiger Verkäufer von Finanzdienstleistungen, der bei der Unterschrift das Kleingedruckte im Vertrag mit dem Hochglanzprospekt verdeckt. Sie haben die sogenannten Kann-Kinder, das sind die, die nach dem 30. Juni eines jeden Jahres sechs Jahre alt werden und trotzdem im August in die Schule kommen, von Ihrer Regelung ausgenommen. Tatsache ist, dass wir diese Ungleichbehandlung überhaupt erst bei der Beratung der Drucksache im Familienausschuss haben aufdecken können, weil sie nämlich sehr versteckt war, und die meisten betroffenen Eltern von Fünfjährigen haben natürlich erst jetzt mitbekommen, woran sie sind, wenn sie ihre neuen Kita-Gutscheine und Gebührenbescheide in den Händen halten. In letzter Zeit bekomme ich zu keinem anderen Thema so viele E-Mails von Eltern, die vor allem eines schreiben: So ein Beschiss – das war ein Zitat, Frau Präsidentin – und außerdem, warum hat uns das keiner gesagt, wir haben doch mit dem Geld geplant.

(Glocke)

Erste Vizepräsidentin Barbara Duden (unterbre- chend): Frau Veit, Sie sind lange genug im Parlament, um zu wissen, dass auch Zitate auf die parlamentarischen Gepflogenheiten hin überprüft werden müssen. Sie können sich nicht darauf zurückziehen zu sagen, das wäre ein Zitat. Ich bitte Sie, zum parlamentarischen Sprachgebrauch zurückzukommen.

(Michael Neumann SPD: Richtig ist es trotz- dem!)

(Präsident Berndt Röder)

– Vielen Dank für den Hinweis, Frau Präsidentin, ich werde ihn befolgen.

Die Eltern haben natürlich mit dem Geld geplant beziehungsweise ohne das Geld. Ich wollte in einer Kleinen Anfrage, die Sie gestern freundlicherweise beantwortet haben, gerne wissen, wie denn die Eltern von Kann-Kindern auf ihre Beitragspflicht hingewiesen worden sind. Da antworten Sie:

"Auf Nachfrage der Eltern wurde von den Bezirksämtern über die aktuelle Rechtslage informiert."

Das ist super, wenn das vorher so groß im "Hamburger Abendblatt" stand. Sie sagen außerdem, über die genaue Ausgestaltung der Beitragsfreiheit sei die Öffentlichkeit bereits am 5. Mai durch die gemeinsame Pressemitteilung der zuständigen Behörden informiert worden. Darin würde unter der Überschrift "Ab wann und für wen gilt die Beitragsbefreiung?" ausgeführt, dass die Beitragsbefreiung für fünfstündige Betreuungsangebote im Jahr vor der regulären Einschulung gilt. Hat also die Presse wieder einmal gepennt und das Volk unzureichend informiert? Nein, bei genauerem Hinsehen stimmt dies nicht, denn in der Pressemitteilung heißt es:

"Die Beitragsbefreiung gilt für fünfstündige Betreuungsangebote in Kita und Vorschule […] im Jahr vor der regulären Einschulung."

Und jetzt kommt es:

"Stichtag ist der Beginn der Schulpflicht gemäß Paragraf 38 Hamburgisches Schulgesetz."

So haben Sie die Eltern informiert. Jetzt schauen wir einmal gemeinsam in Paragraf 38 des Hamburgischen Schulgesetzes. Das ist auch gar nicht kompliziert, dort gibt es zwei Absätze. Absatz 1 regelt, dass Kinder, die vor dem 1. Juli jeden Jahres sechs Jahre alt werden, im selben Jahr schulpflichtig werden. Absatz 2 regelt, dass auch Kinder, die nach diesem Tag sechs werden, in die Schule aufgenommen werden können und dass mit der Aufnahme die Schulpflicht beginnt. Wer also Ihre Pressemitteilung bis ins Kleingedruckte sorgfältig gelesen hat, der konnte sicher sein, dass auch sein Kann-Kind das kostenfreie Jahr bekommt, denn es wird auf die Schulpflicht Bezug genommen und diese beginnt mit der Einschulung. Alles super, dachte man.

Wir haben das Ganze hier schon zweimal ausführlich diskutiert. Damals haben Sie erklärt, das müsse so sein. Man brauche einen Stichtag, aber Sie können bis heute nicht begründen, warum das letzte Jahr vor Schuleintritt nicht eine vollkommen klare und eindeutige Regelung vorsieht. Ein Jahr, zwölf Monate, 52 Wochen, 365 Tage, wie klar wollen Sie es denn noch haben?

(Glocke)

Erste Vizepräsidentin Barbara Duden (unterbre- chend): Frau Veit, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Hamann?

Frau Veit, auch meine Tochter ist ein Kann-Kind. Sie wird jetzt werktags sechs Stunden betreut und bekommt ein Mittagessen. Dafür zahle ich den Höchstsatz, das sind ungefähr 130 Euro im Monat und das alles kann ich noch von der Steuer absetzen. Finden Sie das nicht angemessen?

Ich kann Ihnen einfach nur raten, weiter zuzuhören,

(Jörg Hamann CDU: Das ist keine Antwort!)

dann werden Sie möglicherweise den Sinn dieser Debatte verstehen und auch den unseres Antrages. Sie können das auch gerne noch einmal nachlesen, aber wenn Sie der Meinung sind, KitaGebühren seien in Hamburg in angemessener Höhe fällig, dann ist dies wunderbar, aber das ist nicht der Punkt, um den es geht. Herzlichen Glückwunsch, schön, dass Sie dem Senat in dieser Geschichte folgen, wir tun es nicht.

Wirklich peinlich ist auch, was Sie zur Abrechnung des letzten Jahres mit den Eltern vortragen. Sie sagen, man könne nicht vorher wissen, wer sein im Juli oder August geborenes Kind mit knapp sechs Jahren tatsächlich einschult und wer nicht. Dann kann man ganz einfach den Beitrag zurückzahlen, wenn das Kind in die Schule geht. Machen Sie doch unsere tüchtige Hamburger Verwaltung nicht so schlecht. Die kann das, und zwar genauso gut, wie es ihre Kolleginnen und Kollegen in Schleswig-Holstein tun, da funktioniert das nämlich so. Im Übrigen kennen Sie diese Schwierigkeiten beim Einziehen von Büchergeld oder Studiengebühren ja wohl auch nicht.

(Beifall bei der SPD)

Unvergessen ist auch der Auftritt des Kollegen Gwosdz, der uns vor drei Monaten begründen wollte, warum Eltern von Kann-Kindern angeblich übervorteilt würden, wenn sie auch das letzte KitaJahr kostenlos bekämen. Nur für den Fall, dass Sie heute wieder einen Versuch in diese Richtung unternehmen wollen, Herr Gwosdz: Drei Viertel der Kann-Kinder, die am 1. Juli noch nicht sechs waren und trotzdem eingeschult werden, sind Sommerkinder, also im Juli, August oder September geboren. Das sind 1 500 der betroffenen Kinder. Sie wollen doch nicht ernsthaft behaupten, dass ein Kind, das am 15. August Geburtstag hat, kürzer in der Kita gewesen sei als ein Kind, das am 15. Juli Geburtstag hat. Das ist wirklich hanebüchen.

(Beifall bei der SPD)

Aber wer keine Argumente hat, erfindet sich bekanntlich welche und deshalb argumentieren Sie heute in Ihrer Pressemitteilung, mit der sich die GAL wieder einmal bei Senator Wersich beliebt machen möchte, dass dann diese Kinder alle zu früh eingeschult würden, was ihrer Entwicklung nicht förderlich sei, und dass man keinesfalls Anreize dafür schaffen dürfe, Kinder immer früher einzuschulen. Dazu vier Bemerkungen.

Erstens: Habe ich das richtig verstanden, dass Sie Hamburgs Eltern unterstellen, sie würden nicht auf das Wohl ihrer Kinder, sondern auf das Geld schauen?

Zweitens: Wenn Sie das unterstellen – Herr Hamann, jetzt hören Sie gut zu –, dann gibt es wohl keinen besseren Beleg, dass der Kindergarten in Hamburg etwas teuer ist.

Drittens: Gerade weil es ein sensibles Thema ist, halten wir die nachträgliche Erstattung für sinnvoll, da nämlich gerade nicht bei einem erst vierjährigen Kind entschieden werden soll, wann die Einschulung stattfindet, sondern ganz normal im Winter vor dem sechsten Geburtstag, wie bei allen Kindern. Je nachdem, welches Kita-Jahr das letzte war, gibt es das Geld zurück.

Viertens: Da will ich der Vollständigkeit halber einmal auf die Vorschule hinweisen. Wer sein Kind dort anmeldet, zahlt nämlich künftig grundsätzlich keinen Beitrag mehr im Vorschuljahr, ganz egal, wann das Kind Geburtstag hat. Dem müsste man doch Einhalt gebieten, denn somit wird für diese Kinder auch ein Anreiz zur früheren Einschulung geschaffen. Aber da schaffen Sie Abhilfe. Selbst wenn das Vorschulkind am Ende wegen fehlender Schulreife in der Vorschule bleibt und nicht eingeschult wird, wenn es also ein zweites Jahr in der Vorschule ist, dann kostet das immer noch nichts. Insofern haben Sie sogar zwei beitragsfreie Jahre vor der Schule, während Sie einem Teil der KitaKinder nicht einmal ein beitragsfreies Jahr gönnen. Wo bleibt da die Gleichbehandlung und wo bleibt die Gleichberechtigung von Kita und Vorschule, ganz abgesehen davon, dass die in diesem Jahr betroffenen Eltern kaum noch ihre Kinder auf die Vorschule ummelden können oder im Sinne des Kindeswohls wollen? Ich weiß nicht, Herr Wersich, ob Ihnen das bekannt ist, aber es gibt Eltern in Hamburg, die auf eine Ganztagsbetreuung angewiesen sind. Denen ist mit einem Vormittagsplatz in der Vorschule, die nicht einmal verlässlich ist, nicht gedient. Im Übrigen bekommen sie in vielen Kitas keinen Hortplatz, wenn das Kind dort nicht bis zum Schluss im Kindergarten war, und zwar auch im letzten Jahr. Gerade bei Kann-Kindern, die immer ein bisschen zwischen den Stühlen sitzen, ist es wichtig, die Schulentscheidung möglichst spät zu treffen und den Entwicklungsstand des Kindes zu berücksichtigen und das geht eben

in der Kita. In einer Vorschule haben Kinder sonst gleich das erste Versagenserlebnis, wenn sie diese wiederholen müssen.

Damit sind wir auch schon beim neuesten Akt in der Verteidigungsschlacht gegen die aufgebrachten Eltern und Betroffenen. Sie hatten dem Landeselternausschuss mitgeteilt – das haben Sie auch in der Pressemitteilung gesagt und werden es hier bestimmt auch heute noch einmal vertiefen –, dass für derlei Spielereien kein Geld da sei und man 500 Millionen Euro im Haushalt einsparen müsse. Immerhin ginge es jetzt noch einmal um etwa 300 000 bis 400 000 Euro. Frau Blömeke, schauen Sie ins Protokoll der Haushaltsberatungen. Dort hat Ihr Senat dezidiert versichert, dass das Geld jeweils für einen kompletten Jahrgang der Kinder eingeplant sei. Wir haben extra nachgefragt. Genau das Geld, von dem Sie behaupten, es würde fehlen, ist im Haushalt im Kita-Etat eingestellt. Das haben wir beschlossen und es ist nicht in Ordnung, dass Sie das in Abrede stellen.

(Beifall bei der SPD)

Nun geben Sie sich einen Ruck und stimmen Sie unserem Antrag zu. 1 500 Hamburger Eltern würden sich sehr freuen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort bekommt Herr Müller.

Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, liebe Frau Veit! Ein bisschen ist die Luft jetzt raus nach dieser spannenden Schuldebatte.

(Andy Grote SPD: Geben Sie mal Gas!)

Auch aus diesem Antrag ist die Luft schon ein bisschen raus. Wir haben ihn hinlänglich diskutiert und unsere jeweiligen Argumente ausgetauscht. Ihre heutigen Argumente waren nicht neu und ich bedauere es sehr, dass Sie eher auf die Form eingehen als auf inhaltliche Bedenken, die wir Ihnen schon einmal vorgetragen haben, die Sie aber völlig ignorieren.

Sie werfen uns vor, wir würden Hamburger Eltern unterstellen, dass es ihnen nur ums Geld ginge. Aber Sie wollen doch bitte nicht abstreiten, dass ein nachträgliches Rückerstattungssystem einen gewissen Anreiz schafft, sein Kind möglicherweise trotz unzureichendem Entwicklungsstand mit einem kleinen Blick aufs Geld einzuschulen. Das finden wir unverantwortlich, das haben wir in der letzten Debatte schon einmal mitgeteilt und deswegen wollen wir dieses nicht und deswegen gibt es auch keinen Ruck in dieser Frage. Dieser Antrag wird von uns abgelehnt.

(Beifall bei der CDU und der GAL)

(Carola Veit)

Dabei schauen Sie wirklich nur auf das Geld und ich würde Ihnen empfehlen, einmal mehr auf die Kinder zu schauen.

(Dirk Kienscherf SPD: Ach, Herr Müller!)