Protocol of the Session on July 8, 2009

(Dirk Kienscherf SPD: Wendig waren die im- mer!)

Wendig waren die immer. Da stellt sich Frau Spethmann hin und verkündet in einer Hamburger Tageszeitung, dass die Vorstellungen der CDU gerade bei den Strafvollzugsgesetzen alle zum Tragen gekommen seien. Respekt, Frau Spethmann, es ist nie zu spät, dazuzulernen. Aber Ihre Vorstellungen müssen sich in den letzten anderthalb Jahren doch massiv geändert haben. Denn nach dieser kompletten Neuregelung ist von Ihrem Ursprungsgesetz wirklich nicht mehr viel übrig geblieben. Sie irren sich, wenn Sie in dieser Zeitung gleichfalls sagen, dass sich der Justizsenator in einem Maße bewegt habe, wie es vorher nicht möglich erschien.

(Thomas Böwer SPD: Der fährt nämlich Fahrrad!)

Diese beiden Gesetzentwürfe machen vielmehr deutlich, dass es die CDU ist, die sich hier in einem ungeahnten Maße bewegt hat und von ihrer bisherigen Strafvollzugspolitik Abstand nimmt. Diese beachtliche Wendigkeit in Überzeugung und Argumentation ist sicherlich erstaunlich, geht aber in die richtige Richtung. Daher begrüßen wir sie ausdrücklich.

(Viviane Spethmann CDU: Zustimmen!)

Für die SPD-Fraktion kann ich sagen, dass wir die Neuregelung der Hamburger Strafvollzugsgesetze und eben diesen damit verbundenen Schritt zur

Umkehr der Strafvollzugspolitik der letzten Jahre eindeutig begrüßen und dass wir es ebenfalls sehr erfreulich finden, dass der jetzige Justizsenator es nicht nötig hat, sich die Anregungen für seine Strafvollzugspolitik in Arizona oder in Russland zu suchen, sondern dass er sich stattdessen an den Strafvollzugsgesetzen der umliegenden Bundesländer und an den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts orientiert hat.

(Beifall bei der SDP)

Wir haben uns entschlossen, die Neuregelung des Strafvollzugswesens mitzutragen, da die beiden Gesetzentwürfe die meisten unserer und der auch von zahlreichen Experten vorgetragenen Bedenken aufgreifen und die zentralen Forderungen unseres eigenen Antrags vom Juli letzten Jahres umsetzen. Das gilt insbesondere für die nunmehr endlich erfolgte eigenständige Regelung des Jugendstrafvollzugs mit der eindeutig stärkeren Berücksichtigung der Besonderheiten des Jugendstrafvollzugs sowie endlich wieder der Benennung der Resozialisierung als Vollzugsziel. Damit gelten verfassungsrechtliche Selbstverständlichkeiten und klare Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts dann auch wieder in Hamburg. Wir werden ebenso dem Zusatzantrag der CDU und GAL zustimmen, da er die Forderungen des Weißen Rings nach einer stärkeren opferbezogenen Aufarbeitung der Tat im Rahmen der Behandlung der Strafgefangenen auch im Erwachsenenvollzug aufgreift und ansonsten nur redaktionelle Änderungen vornimmt. Dass wir Ihrem gerade eben eingereichten Zusatzantrag zustimmen werden, versteht sich von selbst, da Sie damit auch eine unserer Forderungen übernommen haben. Das sehen wir natürlich mit großer Freude. Sie hätten es auch leichter haben und einfach unserem Antrag zustimmen können. Wir sehen allerdings in Folge insbesondere der Verbände- und Expertenanhörung noch in einigen anderen Bereichen Änderungsbedarf, wie Sie unserem Zusatzantrag entnehmen können. Da hätten wir uns gewünscht, dass CDU und GAL noch an einigen Stellen mehr auf die Experten gehört hätten. Einige Punkte möchte ich hier noch einmal nennen: In der Verbände- und Expertenanhörung wurde deutlich gesagt, dass die Mitwirkungspflicht der Gefangenen gerade im Erwachsenenvollzug deutlich umstritten ist. Selbst der Sachverständige der CDU ist damit deutlich kritisch umgegangen.

Diese Mitwirkungspflicht und ihre Förderung durch Belohnung und Anerkennung können wir grundsätzlich mittragen, auch wenn wir die Formulierung des Strafvollzugsgesetzes des Bundes sicherlich vorgezogen hätten. Eine solche Mitwirkungspflicht ist aber nur dann sinnvoll, wenn eine direkte oder indirekte Sanktionierbarkeit ausgeschlossen ist – auch hier sind sich die Experten einig.

Für förmliche Disziplinarmaßnahmen haben Sie das mit vollzogen, allerdings nicht für die Lockerungsmaßnahmen. Auch diese sind eine Sanktion und zwar durchaus die schärfste Sanktion für die Gefangenen, die es überhaupt gibt. Lockerungen sind wichtige Schritte auf dem Weg der Resozialisierung und Bestandteil einer sinnvollen Entlassungsvorbereitung und auch nicht mitwirkungsbereite Gefangene müssen so gut wie möglich resozialisiert und auf ihre Entlassung vorbereitet werden.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Und auch bei der Sozialtherapie sehen wir durchaus Nachbesserungsbedarf. Während Ihr Gesetzentwurf lediglich eine verpflichtende Sozialtherapie für Sexualstraftäter vorsieht, besteht für Gewaltstraftäter mit der vorgesehenen Kann-Regelung nur die Möglichkeit, sie ebenfalls in die Sozialtherapie zu verlegen. Die Bedeutung und die Chancen der Sozialtherapie bei der Rückfallvermeidung hat mittlerweile selbst die CDU erkannt und deswegen würde ich Sie auffordern, nicht erneut die Chance zu verpassen, auch Gewaltstraftäter stärker in die Sozialtherapie zu verlegen und damit die Rückfallquoten – wie ein Experte es einmal formulierte – spektakulär zu senken. Daher haben sich auch fast alle Experten im Rahmen der Verbändeanhörung – einschließlich des Experten der CDU – dafür ausgesprochen, eine Soll-Vorschrift auszugestalten, wie sie auch in Bayern mit einer Umsetzungsfrist vorhanden ist, und das würden wir in unserem Antrag entsprechend vorschlagen.

Gerade vor dem Hintergrund der Ereignisse in Siegburg oder der neuerlichen Vorfälle jetzt in Sachsen begrüßen wir ausdrücklich die generell geregelte Einzelunterbringung der Gefangenen. Allerdings halten wir es für notwendig, diese Einzelunterbringung auch im offenen Vollzug, zumindest mittelfristig, erreichen zu können und das ist in Ihrem Gesetzentwurf leider nicht vorgesehen. Gerade die gemeinschaftliche Unterbringung ist für viele Gefangene ein Grund, sich der Verlegung in den offenen Vollzug zu verweigern, obwohl sie dafür geeignet wären. Das regeln Sie jetzt, indem Sie auf das Zustimmungserfordernis zur Verlegung in den offenen Vollzug verzichten. Wir sehen aber den eindeutig besseren Weg darin, den offenen Vollzug so zu gestalten, dass auch dort eine Einzelunterbringung möglich ist.

Sie haben schon die Umstrukturierung vorgeschlagen, ob nun in Fuhlsbüttel oder mit einem Ausbau von Glasmoor – was durchaus auch möglich gewesen wäre –, aber genau diese Umstrukturierung sollte Ihnen die Möglichkeit geben, im Rahmen einer Umsetzungsfrist bis Ende 2012 diese Möglichkeiten auch zu schaffen. Eine Selbstverpflichtung dahingehend würde Ihre Ambitionen noch deutlich verstärken.

(Beifall bei Stefan Schmitt SPD)

Schließlich sehen wir auch keinen Grund dafür, warum Sie den Schusswaffengebrauch im Jugendstrafvollzug weiter zulassen.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Dies verstößt nicht nur gegen die Mindeststandards der Vereinten Nationen, die nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts auch bei nationaler Gesetzgebung für den Jugendstrafvollzug zu beachten sind. Darüber hinaus sind Schusswaffen in der Jugendhaftanstalt aber auch in der Praxis weder notwendig noch von den Strafvollzugsbediensteten gewollt. In zahlreichen Bundesländern, und selbst in Sachsen, sind Schusswaffen im Jugendstrafvollzug verboten. Insofern kann ich Sie nur auffordern, den gleichen Weg zu gehen und auch in Hamburg Schusswaffen im Jugendvollzug grundsätzlich zu verbieten.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Wir werden, wie gesagt, den beiden Gesetzentwürfen heute zustimmen, da sie eine deutliche Verbesserung der jetzigen Situation darstellen, und wir hoffen, dass Sie einen weiteren Schritt gehen, gerade in Ihrer Einsichtsfähigkeit, die Sie nun schon bei diesen Entwürfen gezeigt haben, und auch unsere Änderungen mit aufnehmen. Und wenn Sie es dann noch schaffen, eine vollzugspolitisch sinnvolle und effiziente Umstrukturierung hinzukriegen – wo wir durchaus noch Zweifel anmelden –, dann könnten wir auch endlich das Ende der Ära Kusch und Lüdemann einläuten und das wäre gut so.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Das Wort bekommt Frau Schneider.

Meine Damen und Herren, Frau Präsidentin! Unter den CDU-Justizsenatoren Kusch und Lüdemann hat der Hamburger Justizvollzug eine große Rolle rückwärts gemacht. Selbstgerechtigkeit, Pharisäertum, der Ruf nach Härte und Vergeltung haben den Justizvollzug bestimmt und zu einem repressiven Verwahrvollzug verkommen lassen. Stichworte ließen sich unendlich viele nennen, ich erinnere nur an den dramatischen Rückgang von Haftplätzen im offenen Vollzug und von Vollzugslockerungen jeder Art. Der Straffällige wurde zu einem reinen Objekt degradiert. Dass auch der Gefangene ein Mitglied der Gesellschaft und ein Träger von Menschenrechten ist, dass auch seine Menschenwürde unantastbar ist, hat die Verantwortlichen nicht interessiert.

Die in Grundzügen rechts- und verfassungswidrige Vollzugspraxis in den Hamburger Justizvollzugsanstalten wurde schließlich 2007 durch die Verabschiedung des Hamburgischen Strafvollzugsge

(Jana Schiedek)

setzes zum Gesetz erhoben. Dieses bis heute gültige Gesetz ist vor allem deshalb verfassungswidrig, weil es den Verfassungsauftrag zur Resozialisierung, zur Wiedereingliederung des Gefangenen in die Gesellschaft, missachtet. Außerdem wurden grundlegende Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts an den Jugendstrafvollzug nicht oder nicht ausreichend umgesetzt.

Vor diesem Hintergrund sind die heute zur Verabschiedung anstehenden Gesetzesänderungen beziehungsweise Gesetze ein wichtiger Schritt, denn sie heilen einige der schlimmsten Rechts- und Verfassungsbrüche des CDU-Gesetzes. Insbesondere sind aus unserer Sicht als positiv zu nennen: Die Wiederaufwertung des Vollzugsziels Resozialisierung, das das geltende Gesetz praktisch preisgegeben hatte, das allerdings auch zukünftig nicht wieder den alten Rang erreichen soll, sowie die Aufwertung des Grundsatzes der Angleichung der Lebensverhältnisse, der ebenfalls aufgegeben beziehungsweise unter Vorbehalt gestellt worden war, und die Trennung von Erwachsenen- und Jugendvollzugsgesetzgebung.

Darüber hinaus sehen wir einige wenige Verbesserungen gegenüber dem alten Strafvollzugsgesetz des Bundes. Vor allem die Freistellung von der Haft in Todesnähe ist eine dringend gebotene Konsequenz, die wohl aus dem traurigen Tod eines Gefangenen im August letzten Jahres gezogen wurde. Aus diesen genannten Gründen werden wir den Gesetzentwurf beziehungsweise die beiden Gesetze nicht ablehnen. Aber wir können ihnen auch beim besten Willen nicht zustimmen. Das hängt nicht nur damit zusammen, dass sie nach wie vor hinter dem Bundesstrafvollzuggesetz zurückbleiben und neueren internationalen Standards nicht genügen.

Der Grund ist vor allem, dass das Gesetz die Langzeitperspektive einer Reform des Justizvollzugs vollständig vermissen lässt. Die Reformziele, die in den 60er- und 70er-Jahren formuliert worden sind, Herr Müller, sind tatsächlich bis heute nicht verwirklicht. Der Justizsenator hat die Chance vergeben, die Perspektive einer Reform zu eröffnen. Natürlich wissen wir, dass die CDU sich bei jedem Schritt in Richtung einer Reform als Klotz am Bein, oder sollte ich sagen als Fußfessel, erweist.

(Beifall bei Dora Heyenn DIE LINKE)

Vielleicht ist es sogar ein kleines Wunder, dass Sie, Herr Senator, überhaupt so weit gekommen sind mit dem neuen Gesetz. Das klang aus der Rede von Frau Spethmann auch durchaus an. Natürlich wissen wir, dass eine Reform des Justizvollzugs langwierig und mühevoll ist, weil sie immer Reparatur an der laufenden Maschine bedeutet.

Natürlich wissen wir auch, dass der Justizvollzug eine äußerst träge Institution ist und dass die beharrenden Kräfte der Praxis stark sind. Das gilt

umso mehr, als es unter den Senatoren Kusch und Lüdemann auch personelle Änderungen gegeben hat, weil das Rollback längst nicht von allen für den Strafvollzug Verantwortlichen mitgetragen und mitverantwortet werden wollte und weil so mancher abgeschoben worden ist. Gedankenlose Routine, bürokratische Gebräuche und die repressiven Gewohnheiten, das alles widersetzt sich Änderungen.

(Olaf Ohlsen CDU: Nun mach Schluss, es reicht!)

Mir geht es nicht um die Kritik der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Strafvollzugs, schon gar nicht der einfachen Vollzugsbeamtin und des Vollzugsbeamten. Mir geht es darum, dass der repressive Geist des bis heute geltenden Gesetzes die Praxis – auch der Personen, die nach ihm handeln – lenkt. Das Gefängnis ist eine totale Institution. Eine der Natur der Sache nach sowieso schon lebensfeindliche, entmündigende und entsozialisierende Einrichtung.

(Wolfgang Beuß CDU: Ich sag nur eins: Bautzen!)

Dem entgegenzuwirken, bedarf großer Anstrengungen. Den Geist der Repression, des repressiven Verwahrens, aus der Flasche zu lassen, wie dies die Senatoren Kusch und Lüdemann zu verantworten haben, ist leicht. Den Geist in die Flasche zurückzudrängen, die gedankenlose Routine, bürokratischen Gebräuche und repressiven Gewohnheiten aufzugeben, ist sehr viel schwerer.

(Beifall bei Dora Heyenn DIE LINKE)

Das alles lässt uns befürchten, dass noch längst nicht ausgemacht ist, ob die von uns begrüßten gesetzlichen Korrekturen sich tatsächlich auf die Praxis des Strafvollzugs auswirken. Wie und ob die Aufwertung des Resozialisierungsziels sich in der Praxis niederschlägt, ob die Aufwertung des Angleichungsgrundsatzes der Lebensverhältnisse konkret zu irgendeiner Änderung des Strafvollzugs führen wird, ob, um nur ein Beispiel zu nennen, die Kommunikationsmöglichkeiten der Gefangenen mit der Welt draußen erweitert werden oder ob die geltende, äußerst restriktive Praxis Oberhand behält.

Was in diesem Gesetzentwurf weitestgehend fehlt, sind eindeutige Regelungen, die die Stellung des Gefangenen als Subjekt stärken. Denn der Gefangene soll und muss unter schwierigsten Bedingungen seine Reintegration in die Gesellschaft selbst bewältigen.

(Olaf Ohlsen CDU: Wie in der DDR!)

Dafür muss er unterstützt und gestärkt werden.

(Harald Krüger CDU: Wie in Bautzen!)

Was fehlt, sind ausreichende Regelungen zu materiellen Mindestbedingungen, die die Menschenwürde des Gefangenen schützen.

(Egbert von Frankenberg CDU: Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu bauen!)

Ich merke, die Qualität Ihrer Zwischenrufe erreicht einmal wieder ganz neue Höhepunkte.

(Beifall bei der LINKEN)

Die SPD hat einen Zusatzantrag mit zahlreichen Änderungsvorschlägen gestellt, den wir unterstützen, weil wir die Richtung des Antrags unterstützen, auch wenn wir vielleicht das eine oder andere etwas anders formuliert hätten oder etwas anders sehen. Trotzdem stimmen wir mit der Richtung dieses Zusatzantrags überein und werden ihm zustimmen.

Wir selbst haben einen Zusatzantrag mit insgesamt 15 Änderungen gestellt. Ich beschränke mich darauf, die Gesichtspunkte unseres Zusatzantrags exemplarisch vorzustellen, um zu verdeutlichen, dass und warum Schritte in Richtung einer Reform des Justizvollzugs geboten und möglich sind.

Erstens: Eigentlich steht seit der großen Debatte um eine Strafvollzugsreform in den 60er- und 70er-Jahren fest, dass die Arbeitssituation der Gefangenen einer der Schlüssel zur Integration in die Gesellschaft ist. Ich glaube, auch in diesem Haus bestreitet das niemand ernstlich. Trotzdem, und entgegen der erklärten Absicht des Bundesgesetzgebers und entgegen einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, ist es bis heute nicht zu einer angemessenen Entlohnung der Pflichtarbeit der Gefangenen gekommen.