Zum Thema Hauptschulabschluss haben wir dann vielleicht einen deutlichen Dissens. Ich finde, die Argumentation, der Hauptschulabschluss sei nicht wichtig, abenteuerlich. Das ist auch keine neue Argumentation, ich dachte, es sei in dieser Stadt längst überholt, immer ein Gegeneinander zwischen der Orientierung auf die Berufsausbildung und der Orientierung auf den Hauptschulabschluss zu sehen. Ich weiß, dass viele Träger das in der Vergangenheit auch so gesehen haben und ich habe gehofft, dass dieser Unsinn nicht fortgesetzt wird. Wer Jugendlichen den Hauptschulabschluss vorenthält und eine Maßnahme kreiert, die nicht darauf abzielt, dass sie diesen Abschluss machen, produziert doch im Leben dieser jungen Menschen immer wieder neue Brüche; bei jeder Kündigung, die jemanden später treffen kann, fehlt dann diese Basisqualifikation. Ich finde es geradezu zynisch, in dieser Zeit Projekte auf den Weg zu bringen, die nicht das ausdrückliche Ziel verfolgen, dass die Jugendlichen auch einen Hauptschulabschluss erreichen können.
Zu den Zahlen; Sie halten es für möglich, dass 60 Prozent der Jugendlichen erfolgreich die Produktionsschule durchlaufen, das heißt, sie werden einen Ausbildungsplatz finden. Bei 40 Prozent gehen Sie selbst davon aus, dass sie es nicht schaffen. Hier besteht die Gefahr, dass sie noch nicht einmal den Schulabschluss haben. Sie konnten uns im Ausschuss jedenfalls nicht beantworten, was dann mit diesen Jugendlichen passieren soll. Da sieht man, dass Ihre Rahmenkonzeption nicht darauf ausgerichtet ist.
Zu den inhaltlichen Konzeptionen; das wollen wir erst einmal sehen, ob die neuen Schulen überhaupt irgendetwas mit dem Altonaer Modell zu tun haben. Für einen Schüler, der in die Altonaer Produktionsschule geht, hat diese Schule bis zum Ende ungefähr 15 000 Euro zu bezahlen. Sie stellen hier in der Drucksache dar, dass gut 7000 Euro für diese Schülerinnen und Schüler ausgegeben werden sollen. Dann wollen Sie uns erzählen, dass sei die gleiche pädagogische Konzeption. Das glaubt niemand, deshalb werden wir diese Angelegenheit sehr kritisch begleiten. Ich habe große Zweifel daran, dass das, was die Altonaer Produktionsschule macht, sich in den vielen Projekten, die Sie auf den Weg bringen, überhaupt wiederfindet. Ich glaube, dass da mit völlig anderen Rahmenbedingungen gearbeitet wird und dass die Konzeption völlig unzureichend ist, deshalb werden wir dieser Drucksache auch nicht zustimmen. – Vielen Dank.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Idee der Produktionsschule ist eine sehr alte. In den Zwanzigerjahren des 20. Jahrhunderts wurde sie von linken Reformpädagogen und dem Bund der entschiedenen Schulreformer entwickelt, und zwar als elastische Einheitsschule in Abgrenzung zur Buchschule. Herr Lemke hat sehr deutlich gemacht, was für Alternativen junge Menschen, die nicht gerne zur Schule gehen, haben müssen. Deshalb sind wir natürlich im Prinzip für die Produktionsschulen.
Nur bei dem Konzept, das uns vorgelegt wird, haben wir einige Bedenken, die möchte ich für meine Fraktion darlegen.
Zunächst einmal sehen wir das Problem darin, dass die Produktionsschulen nicht in das Rahmenkonzept Übergangsschule und Beruf eingepasst sind, das wurde auch von Frau Ernst deutlich gesagt. Ich möchte aus dem Koalitionsvertrag von Schwarz-Grün zitieren:
"Dazu müssen die Berufsvorbereitung und die teilqualifizierende Berufsfachschule neu gestaltet werden unter Berücksichtigung von Prinzipien der Produktionsschule."
Das ist richtig. Der Punkt ist nur, dass jedes Jahr etwa 7000 Schulabgänger, das ist die Hälfte eines Jahrgangs, in die Berufsvorbereitung und die teilqualifizierende Berufsschule wechseln, das heißt, in das Übergangssystem kommen. Ende 2008 haben 1349 Jugendliche ohne Hauptschulabschluss die allgemeinbildenden Schulen verlassen. Da stellen wir uns die Frage, warum der schwarz-grüne Senat mit seinen Produktionsschulen nur 200 Plätze ab 2009 zur Verfügung stellen will. Im Endausbau im Jahr 2011 sind es dann 500 Plätze, ich betone, nur 500 Plätze. Wir fragen uns, was soll mit den anderen 800 Jugendlichen geschehen. Nach welchen Kriterien werden denn die Jugendlichen ausgewählt, die auf die Produktionsschule dürfen beziehungsweise nicht dürfen.
Ein weiteres Bedenken ist, dass wir festgestellt haben, dass die Produktionsschulen aus dem öffentlichen Schulsystem ausgegliedert sind, sie finden auch nicht in der Schulgesetznovelle Berücksichtigung. Die Produktionsschule wird in der Öffentlichkeit mit großer Medienbegleitung vorgestellt, aber in der Schulgesetznovelle kommt sie nicht vor. Man findet dort allerdings Exoten wie zum Beispiel die Berufsoberschule und auch noch die Sonderschule, die es eigentlich nicht mehr geben soll. Die Produktionsschule taucht mit keinem Wort dort auf. Wir finden, die Produktionsschule muss im allgemeinen Schulsystem verankert sein und nicht auf einer Extraspur nebenher laufen.
Frau Ernst hat es bereits angesprochen, wir fragen uns auch, warum für die Produktionsschulen nur etwa die Hälfte der Schülerkosten des Vorbilds, der Produktionsschule Altona, vorgesehen ist. Die Schülerkostensätze betragen nach der Produktionsschul-Drucksache etwa nur die Hälfte von dem, was bisher in Altona bezahlt wird. Wir vermuten, dass da einfach Standards abgesenkt werden sollen, das können wir nicht akzeptieren.
Unsere nächste Frage ist – Herr Lemke hatte es schon angesprochen –, warum die Schulen nicht in öffentlicher Trägerschaft sind. Ich habe das mehrmals im Ausschuss nachgefragt und es wurde bisher kein Grund genannt – außer einem Überzeugungsgrund, dass man es lieber privat hätte –, warum die privaten Träger die Produktionsschul-Idee besser realisieren können als staatliche Schulen. Alle empirischen Untersuchungen widerlegen diese Ideologie; es war eben schon von Ideologie die Rede und dass Private es besser könnten.
In Bremen zum Beispiel sind die Produktionsschulen in staatlichen Schulen eingerichtet. Warum ist das nicht auch so in Hamburg? Vielmehr sollen die Produktionsschulen in Hamburg nach einer Anschlussfinanzierung trägergestützt von privaten Bildungsanbietern betrieben werden. Wir sind skeptisch gegenüber dieser Privatisierung, Sie müssten uns schon vom Gegenteil überzeugen und das hat bisher trotz dreimaliger Nachfragen im Ausschuss nicht stattgefunden.
Dann fragen wir uns, warum es keine Tarifbindung und keine Anbindung an den TV-L gibt. In dem Interessensbekundungsverfahren der Schulbehörde vom Ende letzten Jahres für private Träger wird die Tarifbindung ausdrücklich als Entscheidungskriterium ausgeschlossen. Das ist sicherlich kein Zufall. Das ist eine Einladung an Billiganbieter und zur Tarifflucht, das lehnen wir ab.
Im Weiterbildungsbereich kann man besichtigen, was die Lohndumping-Politik dort angerichtet hat, hier möchten wir keine Wiederholung haben. Es gibt in Hamburg den Landesbetrieb Erziehung und Berufsbildung, das ist ein staatlicher Bildungsträger, der hervorragende Arbeit leistet. Wir fragen uns, warum dieser nicht beauftragt wird, Produktionsschulen zu betreiben. Der Landesbetrieb Erziehung und Berufsbildung bezahlt seine Mitarbeiter nach dem Tarifvertrag der Länder und wir fragen uns, warum sie das nicht machen. Deshalb haben wir Bedenken, ob dieses Konzept der Produktionsschulen wirklich greift. Vom Prinzip her finden wir die Idee gut und deshalb enthalten wir uns der Stimme.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Es hat zehn Jahre gedauert, bis wir einen weiteren Schritt machen können, die Produktionsschulen zu implementieren und ich bin zutiefst überrascht über die sehr unfachliche Debatte, gerade von Ihnen, Frau Ernst, die Sie in dem Bereich berufliche Bildung eigentlich sehr fachkundig sind. Sie sind nicht auf der Höhe der Zeit, was hier eigentlich passiert.
Zum einen ist die Produktionsschule Altona natürlich ein Solitär geblieben. Wenn man zehn Jahre lang Modellversuch ist, kommt man natürlich mit viel Unterstützung, mit Drittmitteln, Stiftungsgeldern und so weiter zu einer anderen finanziellen Ausstattung. Es ist bei Pilotversuchen immer so, dass sie am Anfang besonders ausgestattet sind. Die neuen Produktionsschulen werden eine Anschubfinanzierung erhalten, weil sie anfangs noch nicht produziert haben. Wir werden auch Schülergeld bezahlen, da wird sich nichts ändern.
Ich bin nur sehr überrascht, dass die Grundsätze der Produktionsschulen hier überhaupt nicht in den Vordergrund gestellt werden, weil die Erfahrung der bestehenden Produktionsschulen – wir haben inzwischen über 40 Produktionsschulen in Deutschland, aber besonders auch die lange Erfahrung Dänemarks – zeigt, dass es ein Weg ist, Jugendlichen, die mit Frustration und Misserfolg, die bisher in der Schule nicht weiterkamen, neue Chancen und Alternativen zu bieten.
Wenn man dann sagt, es seien nur 500 Plätze, dann muss man auch sehen, dass Produktionsschulen, die tatsächlich den Schwerpunkt nicht allein auf Schule, sondern auf die Produktion richten, auch ein Teil der integrierten sozialen Stadtentwicklung sind, weil sie regional organisiert sind. Im Übrigen haben Produktionsschulen auch normalen Schulbetrieb, Unterricht, es wird nicht nur produziert. Alle, die sich mit dem unwirksamen Berufsvorbereitungssystem einmal auseinandergesetzt haben und mit den sicherlich intensiv engagierten, gut arbeitenden Schulen wie die G 13, die G 20 oder G 8, sehen, dass sie längst nicht die Übergangsquoten oder Erfolge haben, so sehr sie sich auch am Produktionsschulprinzip orientieren. Dieses Berufsvorbereitungssystem ist im Rahmen unseres Übergangskonzepts das eine, das wir endlich reformieren, darauf warten wir seit 20 Jahren. Die 500 Plätze für die Produktionsschulen sind nur ein Baustein, der aber im Rahmen der integrierten sozialen Stadtentwicklung eine zentrale Rolle spielt. Die Produktionsschulen sind in der Wissenschaft und bei berufspädagogischen Praktikern, in
sofern widerspreche ich Ihnen, Frau Ernst, als gute Alternative anerkannt. Zum Beispiel findet in dieser Woche in Berlin ein internationales Kolloquium der Produktionsschulen statt; wir sind also auf der Höhe der Zeit und das sind keine alten Kamellen aus den Achtzigerjahren oder Neunzigerjahren. Man weiß auch, dass reformpädagogische Ansätze, wenn sie aus den Zwanzigerjahren kommen, nicht die schlechtesten sind, sondern dass man hier einiges wieder beleben muss. Dieses internationale Kolloquium dient dem Erfahrungsaustausch über die Arbeit der Produktionsschulen und natürlich auch der Weiterentwicklung.
Es gibt viele Produktionsschulen in Deutschland, die teilweise staatlich, teilweise mit privaten oder außerschulischen Trägern gestaltet werden und sie haben alle außerordentlich gute Ergebnisse. Nicht umsonst ist einer der größten Unterstützer in dieser Stadt die Patriotische Gesellschaft, die, glaube ich, nicht unter dem Verdacht steht, eine einseitige Sache zu unterstützen, sondern im Sinne der Bürgergesellschaft diese Produktionsschulen aktiv unterstützt hat und auch weiterhin unterstützt.
Wir werden 500 Plätze einrichten in zehn Produktionsschulen, alle Bezirke werden regional mit Produktionsschulen ausgestattet. Das ist ein großer und guter Schritt.
Es wäre richtiger Unsinn, Produktionsschulen in die Fläche zu nehmen, kein Mensch will Produktionsschulen in die Fläche geben. Wir haben ungefähr 4000 junge Leute im Berufsvorbereitungssystem, davon 500 im Produktionsschulbereich und alles andere wird systematisiert, wie Sie im Rahmenkonzept Übergang Schule – Beruf lesen können. Wir haben die große Chance, diese Berufsvorbereitung vernünftig zu dualisieren.
Bei der Produktionsschule ist sicherlich das Lernen im Produktionsprozess im Vordergrund, es geht um Leben, Lernen, Arbeiten und es sind besondere Schüler und Schülerinnen, die in den Produktionsschulen eine neue Chance und neue Motivation erhalten. Die Produktionsschule hat auch den Vorteil, dass sie für den Verkauf und auch im Dienstleistungsbereich in der Region produziert. Das ist übrigens mit Kammern und Wirtschaft abgesprochen, es gibt also keine Nebeneffekte, dass Handwerksbetriebe darunter leiden könnten, es ist alles sehr gut in enger Absprache vorbereitet. Die Schulen arbeiten auch mit den Betrieben in der Region zusammen, um Jugendlichen unmittelbar betriebliche Erfahrung zu gewährleisten.
Die Übergänge wurden schon genannt, die Einstiegschancen sind wesentlich besser als in der klassischen Berufsvorbereitungsschule, auch wenn die Kollegen dort sich ausgezeichnet engagieren. Es ist aber nicht wirksam und kein Mensch weiß,
wo die Jugendlichen bleiben. In der Produktionsschule wird jeder Einzelne bis zu dem Punkt, an dem er in einer Ausbildung oder Arbeit ist, entsprechend begleitet. Die Produktionsschulen übernehmen also auch Verantwortung für die jungen Leute.
Ich möchte noch eine Bemerkung zum Hauptschulabschluss machen. Keiner in der Produktionsschule wird daran gehindert, einen Hauptschulabschluss zu machen. Er ist nicht obligatorisch, aber natürlich ist es erwünscht, das ist gar keine Frage. Nur mit dem Abschluss allein ist derjenige auch noch nicht in Ausbildung und Arbeit gebracht. Insofern muss auch mit dem Abschluss ein Anschluss gewährleistet sein.
Wie wird es mit den Freien Trägern laufen. Frau Heyenn, die Produktionsschulen werden von Freien Trägern geleitet und gestaltet, mit den Bezirken gemeinsam. In jedem Bezirk wird es eine Produktionsschule geben. Diese Träger – es gibt übrigens eine tolle Bewerbersituation –, das sind aber keine Billiganbieter, da gibt es Qualitätsstandards, es wird einen Entwicklungsbeirat geben, wo genau diese Qualitätsstandards gewährleistet werden müssen. Diese Träger haben große Erfahrung und Kompetenzen in der beruflichen Qualifizierung von benachteiligten Jugendlichen. Die Auswahl erfolgt in einem Interessenbekundungsverfahren, das wurde schon gesagt. Wir werden jetzt in vier Bezirken im September mit jeweils einer neuen Produktionsschule starten, mit 200 Plätzen. Wir werden dann weitere 150 an jeweils drei Produktionsschulen im nächsten und noch einmal im darauf folgenden Jahr ausbauen.
Wie schon gesagt, die Produktionsschule ist ein Baustein unseres Übergangssystems Schule – Beruf und wird einer ganzen Reihe Schülerinnen und Schülern auf ihrem meist zu kurvenreichem Weg bessere Ausbildungsund Arbeitsmöglichkeiten bieten. Ich bin froh, dass wir dies starten konnten, ich habe die Ausschussberatungen auch verfolgt, aber ich denke, dass insgesamt ein unterstützendes und positives Echo da ist. Ich kann Sie, die Sie immer noch skeptisch sind, nur bitten, sich von den Fachleuten überzeugen zu lassen und im Sinne der Schülerinnen und Schüler zu handeln.
Vizepräsident Wolfgang Joithe–von Krosigk (unterbrechend) : Sie gestatten eine Zwischenfrage, Frau Goetsch?
bekundungsverfahren der Schulbehörde eine Tarifbindung ausdrücklich als Entscheidungskriterium ausgeschlossen ist und können Sie trotzdem sicherstellen, dass bei der hervorragenden Bewerberlage wirklich die Löhne nach TV-L gezahlt werden für jeden Einzelnen, der in der Produktionsschule lehrend tätig ist?
Zweite Bürgermeisterin Christa Goetsch (fort- fahrend): Da ich hier keine Träger bekanntgeben kann und will, wird das dann im Rahmen der Zuwendungsbescheide der Fall sein, aber ich werde nicht während eines Verfahrens über Details Auskunft geben.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich bin ein bisschen enttäuscht darüber, Frau Senatorin, dass eine der ersten greifbaren Maßnahmen hier die Produktionsschule sein soll, und zwar aus einem sehr einfachen Grund, es ist das Konzept. Ich weiß, es ist für eine besondere Klientel gedacht, wir kennen das, wir wissen, dass das nicht so schlecht ist, aber wir haben im Rahmen des ganzen Übergangs das schlüssige Gesamtkonzept gefordert, das Sie uns gestern endlich ins Fach gelegt hatten.