Protocol of the Session on November 20, 2008

Beschluss 877,

Beginn: 15.01 Uhr

Meine Damen und Herren! Die Sitzung ist eröffnet.

Auch heute darf ich mit Glückwünschen beginnen. Die richten sich diesmal an unseren Kollegen Stephan Müller. Lieber Herr Müller, Sie sind unschwer an dem großen Blumenstrauß zu erkennen. Im Namen des ganzen Hauses gratuliere ich ganz herzlich zu Ihrem Geburtstag und wünsche Ihnen alles Gute.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Wir setzen nun die

Aktuelle Stunde

von gestern fort. Ich rufe das vierte Thema auf, das in der gestrigen Sitzung wegen Zeitablaufs nicht mehr behandelt werden konnte. Angemeldet wurde es von der SPD-Fraktion. Es lautet:

Gewalt auf dem Kiez: Senatskonzepte erfolglos.

Wird das Wort dazu gewünscht? Der Abgeordnete Dr. Dressel hat es.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Fälle schwerer Straßengewalt im Stadtteil St. Pauli nehmen weiter zu. Das belegen neueste Zahlen, die wir aufgrund unserer Anfragen erhalten haben. Im ersten Dreivierteljahr wurden im Stadtteil St. Pauli 568 Fälle gefährlicher und schwerer Körperverletzung im öffentlichen Raum registriert. Das sind 2,9 Prozent mehr als im Vorjahr und das heißt, zwei Gewaltexzesse pro Tag auf dem Kiez. Das können und dürfen wir nicht hinnehmen.

(Beifall bei der SPD)

Die Zahlen steigen weiter und das trotz Ihrer eingeleiteten Maßnahmen. Das verlangt eine schonungslose Schwachstellenanalyse. Nehmen wir nur einmal das Beispiel Ihrer Videoüberwachung, die Sie als Allheilmittel eingeführt haben, wo Sie gesagt haben, Sie stellten Kameras auf und alles werde gut auf dem Kiez. Jetzt müssen wir feststellen, dass sie zwar als Ergänzung zu dem Maßnahmenpaket okay sind, aber einen nachhaltigen präventiven Effekt leider nicht haben. Das sollte vor allem die CDU ehrlich bilanzieren und nicht schönreden.

Nehmen wir einen weiteren Punkt, das Waffentrageverbot. Es wurde lange von der SPD gefordert und ist auch richtig. Es muss aber, und das ist der entscheidende Punkt, konsequent durchgesetzt werden. Dazu bedarf es der richtigen rechtlichen Rahmenbedingungen, damit man zum Beispiel dafür sorgen kann, dass man Waffen nicht nur in ei

ner Tasche findet, die man mitführt, sondern auch unter der Jacke, und zwar anlassunabhängig. Das ist ein Bereich, in dem Sie in jedem Fall nachbessern müssen.

(Beifall bei der SPD)

Zum anderen – das ist der entscheidende Punkt bei einem solchen Waffentrageverbot – braucht man genügend Polizeibeamte, um dieses auch durchzusetzen. Das haben Sie am Anfang auch gemacht. Als es eingeführt wurde, hat es in den ersten Wochen Schwerpunktkontrollen gegeben, in den ersten Wochen wohlgemerkt. Da war auch Wahlkampf und da war es natürlich wichtig, den starken Max zu markieren. Nun bröckelt es, nun fehlt an vielen Tagen die nötige Präsenz, um dieses durchzusetzen, weil Sie bei der Polizei weiter Stellen abbauen und auch auf der Davidwache Vollzugsstellen abbauen, was ein schwerer Fehler ist.

(Beifall bei der SPD)

Dann kam noch dieses Glasflaschenverbot, man sollte eigentlich nicht Glasflaschenverbot sagen, sondern freiwillige Selbstverpflichtung. Wir wissen jetzt aus den Zahlen, dass das ein Rohrkrepierer ist. Wir brauchen – das ist die feste Meinung unserer Fraktion – endlich die Gefahrenabwehrverordnung, um dieses auch tatsächlich durchzusetzen. 40 Prozent der Körperverletzungen auf dem Kiez werden durch Glasflaschen verursacht. Wer hier weiter wartet, der handelt fahrlässig.

(Beifall bei der SPD)

Der entscheidende Punkt ist natürlich, dass wir uns nicht nur um die Glasflaschen kümmern müssen, sondern auch darum, was in diesen Flaschen ist, nämlich häufig Alkohol, ein entscheidender Beschleuniger für die Gewaltexzesse, die wir auf dem Kiez feststellen müssen. Deshalb stellt sich auch hier die Frage, wie Sie insgesamt mit dem Thema Alkohol – Prävention, aber auch Repression – umgehen. So sucht man zum Beispiel – Herr Wersich ist heute anwesend – im Konzept gegen Jugendgewalt das Thema Alkoholprävention vergeblich; das findet an dieser Stelle nicht statt. Gucken wir uns konkret den Kiez an: Können wir es hinnehmen, dass nachts bei Lidl, Penny und anderen Einzelhandelsgeschäften Alkoholika einkaufswagenweise zu Billigstpreisen herausgefahren werden? Wir meinen nein; auch da muss gehandelt werden.

(Beifall bei der SPD)

Ich könnte noch viele Punkte anführen, wo mehr getan werden muss, zum Beispiel Aufenthaltsverbote gegen Schläger oder die Möglichkeit, dass sich alle Szenelocations darauf verständigen, dass, wer in einem Club ein Hausverbot bekommt, es auch automatisch für alle anderen Szenelocations hat. Hannover hat da sehr erfolgreich ein Konzept ins Werk gesetzt und setzt dies seit einigen

Monaten um. Da muss insgesamt mehr getan werden. 568 Fälle schwerer Gewalttaten auf dem Kiez im ersten Dreivierteljahr können wir nicht hinnehmen. Das verlangt mehr als runde Tische, das verlangt mehr als Wahlkampfstrohfeuer, das verlangt politische Verantwortung. Deshalb: Handeln Sie, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Der Abgeordnete Felskowsky bekommt das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht,

(Gerhard Lein SPD: Uns geht's gut!)

aber ich persönlich finde das Thema Sicherheit auf St. Pauli zu wichtig, um es hier für ein bisschen Publicity zu verbraten.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der GAL)

Gewalt auf den Straßen ist kein originäres oder gar ausschließliches Kiezproblem. Es ist vielmehr ein Negativphänomen auf Amüsiermeilen und in Ausgehvierteln deutscher Großstädte. Berlin, Köln, München, alle wie sie da sind, kämpfen gegen steigende Gewalt auf der Straße in den unterschiedlichsten Ausprägungen. Dies geht im Übrigen auch aus dem Bericht der Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Bekämpfung der Jugendgewalt aus diesem Frühjahr hervor.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Da können Sie mal was umsetzen, was da drin steht!)

Herr Dressel, entspannen Sie sich, lauschen Sie meinen Worten.

(Beifall bei der CDU)

Auch wenn die Jugendgewalt hier nur einen Teilaspekt ausmacht, so wird doch deutlich, dass wir es nicht mit einer Hamburgensie zu tun haben, sondern vielmehr mit einem bundesweiten gesellschaftspolitischen Problem.

(Beifall bei der CDU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD, bei allem politischen Enthusiasmus sollten Sie nicht die Augen vor der Realität verschließen.

(Kai Voet van Vormizeele CDU: Das tun die permanent!)

Wer auf Gewalt aus ist, wer Randale machen will, wer Gewalttaten begehen will, der findet meist auch ein Ventil; leider ist es so, Verbot hin oder her.

Reden wir doch einmal über die Personen, die ihre Alkoholika in anderen Stadtteilen kaufen und auf den Kiez mitbringen, leider ein oftmals jüngeres

Publikum, das in den eigenen vier Wänden erst einmal vorglüht,

(Michael Neumann SPD: Hier spricht der Ex- perte!)

um dann völlig alkoholisiert und enthemmt so richtig einen draufzumachen. Vor diesen Tatsachen sollten wir nicht die Augen verschließen,

(Beifall bei der CDU)

denn dass es sich bei der Glasflasche vor Ort nur um einen Tunnelblick handelt, wissen wir alle.

Aber kommen wir zu den Fakten, Herr Dressel. Sicherlich sind an passenden oder unpassenden Stellen in den Raum geworfene Zahlen zunächst mehr oder weniger eindrucksvoll. Aber wir sollten wissen, dass eine Statistik nur so aussagekräftig ist, wie derjenige interpretationsfähig ist, der sie liest, und Sie können sie offensichtlich nicht lesen.

(Beifall bei der CDU)

Gestiegene Fallzahlen mögen für den Laien ausschließlich besorgniserregend sein. Der Fachmann oder auch die Fachfrau erkennen daran aber auch ein erhöhtes Anzeigenverhalten durch Sensibilisierung für die Problematik und vor allem das Ergebnis von verstärkter Präsenz und gezielten Kontrollen.

(Michael Neumann SPD: Das hat schon Hartmuth Wrocklage erzählt!)

Seien Sie doch einfach mal leise, Herr Neumann.

(Beifall bei der CDU – Michael Neumann SPD: Wenn ich den gleichen Quatsch höre wie von Wrocklage, dann kann ich nicht ru- hig bleiben!)