Protocol of the Session on November 7, 2007

Eine weitere Bemerkung noch einmal zu den Kosten. Herr von Frankenberg, das habe ich vorhin nicht beantwortet. Sie haben vorhin gesagt, die Kosten seien viel günstiger geworden. Der Senat hat geantwortet, dass die Kosten der abgeschlossenen Schuldnerinsolvenzberatungen ohne die Notfälle und Kurzfälle nicht wesentlich teurer oder günstiger sind als sie in der Vergangenheit waren. Es geht um 80 Euro je Fall. Es wird ein Fall zitiert, bei dem es um die Insolvenzberatung geht. Da wird gesagt, dass die Insolvenzberatung im Jahre 2001 5.200 Euro teuer gewesen sei und jetzt bei circa 1.500 Euro läge. Das ist richtig unredlich und so etwas ärgert mich, weil der Senat natürlich genau weiß - er deutet das ja auch zwischen den Zeilen an -, dass das Insolvenzrecht im Jahre 2001 ein völlig anderes gewesen ist. Es gab überhaupt keine Stundung der Verfahrenskosten. Das Ergebnis war, dass Insolvenzberatungen so gut wie gar nicht durchgeführt werden konnten. Das ist einfach unseriös, solche Zahlen hier vorzustellen, weil das Verfahren vom Prinzip her grundlegend geändert worden ist. Wir haben den Senat aufgefordert - Herr von Frankenberg, hören Sie zu -, er möge doch die Daten des Großstadtvergleiches Hamburg mit den anderen Großstädten in Deutschland liefern. Da sagt der Senat, er habe jetzt zwar die Zahlen, aber er will sie nicht veröffentlichen, weil sie nicht vergleichbar seien. Das finde ich sehr interessant vor diesem Hintergrund, den wir gerade gehört haben. Wo man sonst Äpfel mit Birnen vergleicht, ist man dann, wenn es einem unangenehm wird, nicht bereit dazu. Dieser Vergleich mit den Großstädten muss auf den Tisch und dann können wir im Ausschuss gerne gemeinsam prüfen, warum bestimmte Daten nicht vergleichbar sind. Das mag ja angehen, aber darüber kann man reden. In der Summe, meine Damen und Herren, sind wir ein Stück vorangekommen. Das ist wahr, aber die Kuh ist im Bereich der Schuldnerberatung noch lange nicht vom Eis.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der GAL)

Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Dann kommen wir zur Abstimmung. Wer stimmt einer Überweisung der Drs. 18/6970 an den Sozialausschuss zu? - Gegenprobe. - Enthaltungen? - Das ist einstimmig so beschlossen.

Wir kommen zu Punkt 11, Drs. 18/7075, Große Anfrage der SPD-Fraktion: Bildungsabschlüsse in Hamburgs Stadtteilen.

[Große Anfrage der Fraktion der SPD: Bildungsabschlüsse in Hamburgs Stadtteilen - Drs. 18/7075 -]

Wer wünscht das Wort? - Frau Ernst.

Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Es gibt in der Tat eine Reihe von Berührungspunkten der vorigen Debatte zu dieser Diskussion. Frau Lappe hat schon auf die skandalös hohe Zahl hingewiesen, dass jedes Jahr 12 Prozent aller Jugendlichen in Hamburg die Schule ohne Abschluss verlassen. Das sind rund 1800 in jedem Jahr und das ist jeder neunte Hamburger Jugendliche. Das sind Zahlen, die uns wirklich beunruhigen sollten. Es sind junge Menschen, die die Schule verlassen, ohne eine Perspektive zu haben, einen Ausbildungsplatz oder eine Arbeit zu finden. Es sind Jugendliche, für die der Start nach der Schule, der für viele andere mit Optimismus und Lebensfreude und ein wenig Neugier auf das, was das Leben so bietet, beginnt, bei diesen vermutlich nicht so begleitet sein wird, weil sie nicht wissen, wie sie künftig ihr Leben gestalten werden. Sie gehören zu der Gruppe, die seit PISA als Risikogruppe bezeichnet wird. Jugendliche, die nicht gut genug Lesen, Schreiben, Rechnen können und die vermutlich nicht nur in der künftigen Erwerbsarbeit, sondern auch in anderen Fragen des Lebens Schwierigkeiten haben werden. Wir haben es also mit einem der größten Probleme zu tun und stehen vor einer großen gesellschaftlichen Herausforderung.

Der Skandal, über den wir aber heute sprechen wollen, ist, dass in Hamburg seit Jahren nichts unternommen wurde, um hier etwas zu verändern und diesen sozialen Sprengstoff der Zukunft zu entschärfen. Wir sind schließlich nicht im PISA-Jahr Null, im Jahr 2001, wo doch ein gewisser Ruck durch Deutschland ging und die Sensibilität gewachsen ist, sondern wir sind im Jahr 2007, sechs Jahre nach der PISA-Studie. Es sind sechs Jahre, in denen die CDU in Hamburg regiert und in denen trotz großem Getöse im Wahlkampf - auch von Schulsenator Lange erinnern wir markige Reden, aber auch von Ihnen, Frau Senatorin - es nicht gelungen ist, diese Perspektivlosigkeit zu ändern. Sie haben sich einfach überhaupt nicht gekümmert.

Der weitere große Skandal, den wir heute diskutieren wollen, ist die Tatsache, dass sich dieser CDU-Senat für die Lebenssituation von Jugendlichen in den Stadtteilen überhaupt nicht interessiert. Es gibt in der Schulbehörde keinen Überblick über die Bildungsabschlüsse in den Hamburger Stadtteilen. Diese Daten werden nicht erhoben. Das haben unsere Anfragen ergeben.

Wir haben gehört, dass Senatorin Dinges-Dierig in der Pressekonferenz zum Thema Jugendkriminalität erklärt hat, dass Wegsehen nun nicht mehr stattfindet. Weg

sehen von Schulabbrechern hat bisher nicht aufgehört, dort haben Sie überhaupt nicht hingeschaut.

(Beifall bei der SPD)

Wir haben als SPD-Fraktion nicht locker gelassen und weiter nachgefragt. Die Ergebnisse sind in der Tat schrecklich. In Altona-Altstadt beispielsweise verlassen 40 Prozent der Schülerinnen und Schüler die Schulen ohne einen Hauptschulabschluss. Ähnlich dramatisch ist es in Barmbek-Süd mit 37 Prozent, St. Pauli 34 Prozent und in Hamm-Mitte sind es 33 Prozent. Hier ist es nicht jeder neunte, der die Schule ohne einen Abschluss verlässt, sondern jeder vierte oder dritte Jugendliche oder gar noch mehr.

Es gibt Stadtteile, in denen bereits bei der Geburt feststeht, dass man keine Chancen hat und in denen nicht das gelingt, was in dieser Gesellschaft immer so wichtig war, nämlich, dass es Kinder und Jugendliche einmal besser haben können, als ihre Eltern.

Die von uns erfragten Daten zeigen auf, wie sich die sozialen Probleme zunehmend in einzelnen Stadtteilen konzentrieren. Schaut man genau hin, kann man herausfinden, dass die Hälfte der Schülerinnen und Schüler, die keinen Schulabschluss haben, aus nur zehn von 103 Hamburger Stadtteilen kommen. Das sind durchweg auch die größeren Stadtteile. Aber in diesen zehn Hamburger Stadtteilen - auch Billstedt ist dabei - findet sich die Hälfte dieser Jugendlichen und die Schulbehörde weiß noch nicht einmal, welche das sind, weil sie sich für diese Frage nicht interessiert.

Die Zahlen verdeutlichen mehr als viele andere auch die Spaltung unserer Stadt und die Unterschiedlichkeit der Lebensverhältnisse. Die Daten zeigen auf, dass 80 Prozent der Jugendlichen, die keinen Abschluss schaffen, in der einen Hälfte der Hamburger Stadtteile leben und in der anderen Hälfte sind es nur 20 Prozent. Das heißt, die Spaltung der Stadt schreitet voran und kann gerade mit dieser Zahl sehr deutlich und eindrucksvoll belegt werden.

Ich wiederhole noch einmal. Wir sind sechs Jahre nach PISA nicht im Jahre null. In anderen Bundesländern hat man längst begonnen, eine Bildungsberichterstattung aufzubauen, um auch solche Fragen zu erörtern. Ich halte diesen Bericht einmal hoch, damit ihn jeder sehen kann. So sieht beispielsweise ein Bildungsatlas der Stadt München aus, in dem sehr wohl regionale Daten erhoben werden und die Stadt sich nicht scheut, sich auch Themen zu stellen, die man vielleicht nicht so gern publik machen möchte. Hier sind beispielsweise die Übertrittsquoten von Grundschulen auf Hauptschulen und auf Gymnasien dargestellt, bei denen ein großer regionaler Unterschied zu erkennen ist. Es ist also möglich, solche Daten zu erheben. Andere haben das längst gemacht, aber dieser Senat hat überhaupt nichts getan.

(Beifall bei der SPD und bei Christa Goetsch GAL)

Ich komme jetzt zur öffentlichen Debatte. Die Große Anfrage hat große Aufmerksamkeit erregt, was sicherlich viele mitbekommen haben, vor allen Dingen diejenigen, die im Bildungsbereich aktiv sind. Es sind sehr unterschiedliche Reaktionen gewesen. Viele haben gesagt: Endlich liegen Daten vor, die wir bereits erahnt haben. Wer in den Stadtteilen unterwegs ist, hat ein Gefühl dafür, wie unterschiedlich die Situation ist. Es ist uns auch

gelungen, das endlich einmal empirisch zu belegen, was eigentlich Sache ist.

Dennoch sind nicht alle Schulen über die Veröffentlichung dieser Daten glücklich gewesen. Wird doch in diesen Schulen vor Ort Sisyphusarbeit unter schlechten Rahmenbedingungen geleistet. Beispielsweise sollen diese Schulen durch die Einsparung der Mittel an bestehenden Ganztagsschulen vieles leisten und sind nicht erfreut gewesen, sich in einigen Medien wiederzufinden. Ich kann die Sorgen dieser Schulen sehr gut verstehen und bin der Meinung, dass man hiermit sehr ernst umgehen muss.

Was ich aber überhaupt nicht verstehe und gar nicht akzeptieren kann, ist, dass sowohl die Schulsenatorin als auch Herr Heinemann sich darüber aufregen, dass diese Daten endlich das Licht der Öffentlichkeit erreicht haben. Ich finde das wirklich eine skandalöse Haltung, dass Sie Ihr Wegsehen zum Programm erklärt und bekannt haben, dass es ein Fehler sei, endlich auf diese große soziale Disparität hinzuweisen. Ich habe kein Verständnis für diese Haltung und ich finde es für eine Senatorin wirklich beschämend, sich hier so geäußert zu haben.

(Beifall bei der SPD)

Jetzt kommen wir zum letzten Themenkomplex, was die Änderung und die weitere Vorgehensweise betrifft. Wir haben eine regierende CDU, die sich mit den Fakten gar nicht beschäftigt hat und mein Eindruck ist, Sie haben auch gar nicht vor, an dieser Zahl groß etwas zu ändern.

Wir haben in der Enquete-Kommission sehr ausführlich über Risikoschüler gesprochen und auch diskutiert, wie wir die Zahl der Schulabbrecher senken können. Die SPD-Gruppe hat in der Enquete-Kommission die Forderung eingebracht, dass sich die Politik das Ziel vornehmen soll, auf absehbare Zeit die Zahl der Schulabbrecher um die Hälfte zu reduzieren. Das ist ein konkretes Ziel und auch eine Vorgabe seitens der Europäischen Kommission, denen sich die Mitgliedsländer in der Europäischen Union anschließen. Das ist im Übrigen ein Wert, den auch die Bundesbildungsministerin Schavan inzwischen zum Programm erhoben hat.

Hier ist die Hamburger CDU jedoch weit davon entfernt. Was haben Sie in der Enquete-Kommission gesagt? Sie können sich vorstellen, dass vielleicht nur noch 10 Prozent eines Jahrgangs keinen Schulabschluss machen. Das würden Sie sich konkret als Ziel vornehmen. Eine tolle Sache, von 12 Prozent auf 10 Prozent. Ich glaube, die Fachkollegen bei uns würden das als statistische Schwankung interpretieren, aber mit Politik, die sich vornimmt, Chancen zu verbessern, hat das jedenfalls überhaupt nichts zu tun. 10 Prozent sind rund 1.500 Jugendliche jedes Jahr und 15.000 in zehn Jahren, die sich aufbauen. Es ist skandalös, wie zynisch und desinteressiert Sie hier agiert haben und wie wenig Sie eingreifen wollen, um die Situation zu verändern.

(Beifall bei der SPD)

Zieht man Bilanz, so hat die Diskussion der letzten Wochen, aber auch die Beobachtungen Ihrer Politik der letzten Jahre gezeigt, dass Sie den Blick auf die soziale Realität der Stadt verweigern und Sie versucht haben, durch Nichtstun das Ausmaß der sozialen Spaltung unter der Decke zu halten. Sie haben auch gar nicht mehr vor, jungen Menschen in Hamburg eine Politik zu geben. Sie haben sich damit abgefunden, dass Herkunft den

Lebensweg entscheidet. Hierfür stehen Sie. Wir Sozialdemokraten werden uns damit niemals abfinden.

Wir stehen für eine Politik, die bessere Chancen vermittelt und dass Herkunft nicht das Leben bestimmen kann. Daher ist es auch richtig, sich in dieser Politik konkrete Ziele zu setzen. Ich bin sicher, dass sich die Hamburgerinnen und Hamburger am 24. Februar nicht mehrheitlich für eine Partei entscheiden wollen, die das Nichtstun zum Programm ernannt hat. - Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD - Lars Dietrich CDU: Die Beweise sind die Sozialdemokraten schuldig geblieben!)

Das Wort erhält der Abgeordnete Freistedt.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Wenn man Ihren Auftritt, sehr geehrte Frau Kollegin Ernst, mitverfolgt, dann fragt man sich natürlich, ob es Ihnen um die Schulsituation in Hamburg oder nur um einen weiteren Wahlkampfauftritt geht.

(Wilfried Buss SPD: In welcher Stadt leben Sie eigentlich?)

Ich denke, Frau Ernst, Sie müssen eigentlich wissen, dass die Antworten auf Ihre Anfrage natürlich auch nur so gut sein können, wie die von Ihnen gestellten Fragen.

(Vereinzelter Beifall bei der CDU)

Wenn man sich aber Ihren Fragenkatalog ansieht, dann vermischen Sie meiner Meinung nach in unzulässiger Weise statistische Datenabfragen über Schulabschlüsse mit Ihren eigenen politischen Wertvorstellungen.

Wir alle wissen, dass man Statistiken auf unterschiedliche Weise interpretieren kann. Wenn Zahlen über die Schulabschlüsse abgefragt werden, dann sind das Jugendliche, hinter denen in der Regel eine neun-, zehn- oder 13jährige Schulzeit liegt. Also geht das in die Schulzeit der Neunzigerjahre zurück. Pädagogen, Eltern und Schüler wissen, dass nicht nur die letzten Jahre vor dem Abschluss wichtig sind, sondern wir alle müssen uns fragen, was seit Mitte der Neunzigerjahre in der Bildungspolitik erfolgreich war und was verbessert werden kann.

Wir alle tragen für die Bildungserfolge und -misserfolge die Verantwortung. Es ist falsch, alte Bildungsprobleme der jetzt regierenden Mehrheit in die Schuhe zu schieben. Da Sie das aber soeben getan haben, sind Sie entweder ahnungslos oder unredlich.

(Vereinzelter Beifall bei der CDU)

Falls Sie aber bewusst die Ergebnisse Ihrer Großen Anfrage so einseitig interpretieren, so ist das unangemessen und Sie disqualifizieren sich selbst. Vielleicht sind Sie sich dessen nicht bewusst und äußern nur ein Bauchgefühl. Das wäre dann aber ignorant und hält einer ernsthaften inhaltlichen Auseinandersetzung nicht stand.

Wir haben - bezogen auf Schülerinnen und Schüler ohne Hauptschulabschluss - ein ernsthaftes Schulproblem. Wenn wir an die gemeinsame Zeit in der EnqueteKommission denken, dann sagen wir als CDU, dass unsere gemeinsame Analyse in diesem Punkt wesentlich objektiver gewesen ist als das, was Sie hier und heute in

Ihrem Beitrag den Abgeordneten im Parlament mitgeteilt haben.

(Rolf-Dieter Klooß SPD: Das stimmt doch gar nicht!)

Sehen wir uns mal einige Zahlen genauer an. Nehmen wir beispielsweise den Bezirk Harburg, der sicherlich aus ökonomischer Sicht andere Strukturen als die Walddörfer aufweist. In Harburg lag die Anzahl der Jugendlichen ohne Hauptschulabschluss im Schuljahr 2005/2006 bei 18,8 Prozent. Das ist sicherlich eine unbefriedigende Tatsache. Vergleichen wir aber diese Zahlen einmal mit den Zahlen von 2000/2001, so wurden seinerzeit 24 Prozent aller Schülerinnen und Schüler ohne Hauptschulabschluss registriert.

Der Stadtteil Finkenwerder verzeichnete 2000 13,8 Prozent aller Schüler ohne Hauptschulabschluss. Fünf Jahre später waren es 7,8 Prozent. Für Billstedt sehen die Zahlen wie folgt aus: 2001 27 Prozent, danach 20 Prozent. Im Jahre 2003/2004 sank die Zahl aller Schüler ohne Hauptschulabschluss auf 21 Prozent. 2005/2006 stieg die Zahl dann wieder auf 30 Prozent an.

Diese Schwankungen sind für die Jugendlichen gesehen sehr bedauerlich,

(Christa Goetsch GAL: Für wen denn sonst!)

sind allerdings als Resultat einer Statistik auch wenig überraschend, da es manchmal um ein Nichtbestehen des Hauptschulabschlusses von zwei oder drei Schülern geht, also die absolute Zahl beziehungsweise die Prozentzahl auch nicht den Aufschluss gibt, den Sie hier gerade suggerieren.