Wenn wir uns überlegen, dass das größte Land - außer Österreich und der Schweiz -, in das Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus Deutschland auswandern, um dort die Jobs zu übernehmen, unser Nachbarland Polen ist, dann müssen wir deutlich mit unseren Menschen darüber sprechen. Es geht nicht darum, dass uns der polnische Klempner hier die Arbeitsplätze wegnimmt, sondern dass auch Menschen von hier Chancen durch die Osterweiterung haben.
Wenn wir uns angucken, dass unser Europa nicht nur ein Projekt der Wirtschaft und des Binnenmarkts ist, von dem
Hamburg viel profitiert, sondern auch ein Projekt der Freiheit und der Solidarität untereinander ist, dann, glaube ich, dass wir über diese Wertedebatte auch unsere Jugendlichen für Europa gewinnen können. Meine Erfahrung ist, dass Jugendliche, wie Heinrich Heine es einmal sinngemäß sagte, noch viel mehr den Idealen und Werten tiefgründig anhängen als es manche ältere Menschen später noch tun. Gerade deswegen ist es wichtig, dass wir auch die Mittel in die Hand nehmen, um an unseren Schulen und mit unseren Jugendlichen diese Wertedebatte zu führen, Europa zu erklären und über europäische Vorhaben und Politik zu streiten. Die richtige Antwort auf diese Frage aus dem Senatsbericht ist folgende - Zitat -:
"Für neue Projekte der europäischen Öffentlichkeitsarbeit verbleibt danach für die Jahre 2007 und 2008 in dem Titel [europäische Öffentlichkeitsarbeit] ein Betrag in Höhe von circa 5.000 Euro."
Ich sehe keine weiteren Wortmeldungen. Dann stelle ich fest, dass die Bürgerschaft Kenntnis genommen hat.
Ich rufe Punkt 5 auf, Drs. 18/6874, Große Anfrage der SPD-Fraktion: Der Beust-Senat verweigert Fallzahlen und Informationen über Kinderarmut - Transferleistungen nach SGB II und SGB XII an Haushalte mit Kindern und Jugendlichen.
[Große Anfrage der Fraktion der SPD: Der Beust-Senat verweigert Fallzahlen und Informationen über Kinderarmut - Transferleistungen nach SGB II und SGB XII an Haushalte mit Kindern und Jugendlichen - Drs. 18/6874 -]
Diese Drucksache möchte die SPD-Fraktion an den Familien-, Kinder- und Jugendausschuss überweisen. Wer wünscht das Wort? - Herr Grund, bitte.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! 65.000 Kinder in dieser Stadt wachsen in Armutsverhältnissen auf. Ich finde, das ist eine unglaubliche Zahl.
Die Zahl liegt um 9.000 Kinder höher als noch vor zwei Jahren. 65.000 Kinder bedeuten, dass statistisch inzwischen fast jedes vierte Kind in Hamburg unter Armutsverhältnissen aufwächst. Damit liegt die Marke der Kinder in Armut in Hamburg etwa doppelt so hoch wie im westlichen Teil dieser Bundesrepublik. Ich finde, vor diesen Zahlen dürfen wir nicht die Augen verschließen, sondern müssen mehr hinschauen. So viel Armut, meine Damen und Herren - das ist die Überzeugung der SPDFraktion -, ist eine Schande für diese reiche Stadt.
Ich möchte sagen, dass es fast eine zynische Entwicklung gibt. Auf der einen Seite - wir haben es gerade heute Mittag von Senator Uldall und anderen gehört, die Stellung genommen haben - haben wir eine prosperierende, sich dynamisch entwickelnde Wirtschaft, gleichzei
tig werden die Reichen in dieser Stadt immer reicher und parallel dazu wächst die Armut in der Stadt dramatisch an.
Der Senat sagt uns nun in seiner Antwort, dass das zu einem Teil statistische Effekte seien, zu einem anderen Teil gebe es neue Anspruchsberechtigungen und zu einem dritten Teil würde Armut jetzt erst offenkundig, weil Menschen Ansprüche anmelden, die sie früher nicht angemeldet hätten. Das sind zum Teil Erklärungen, die nachvollziehbar sind, aber, meine Damen und Herren, es sind Erklärungen, die für die ganze Republik gelten und nicht nur für Hamburg und deshalb ändert das nichts an der Lage.
Ich finde, Kinderarmut kann sich diese Stadt nicht leisten und deshalb geht es darum, wie wir mit dem Thema anders umgehen können als dies bisher geschehen ist. Seit vielen Jahren fordern wir von diesem Senat, dass er den Hintergründen der Armutsentwicklungen nachgeht, definiert, wie Armut entsteht, wo sie sich ausbildet und wie dagegen strategisch mit den richtigen Maßnahmen an der richtigen Stelle angegangen wird. Diese Antwort wird uns immer noch verweigert. Wir haben keinen präzisen Blick auf die Quartiere in der Stadt. Wir wissen inzwischen, dass jedes vierte Kind in Armutsverhältnissen aufwächst, wir wissen aber auch, dass es zum Beispiel im Bezirk Harburg und sogar in Eimsbüttel, in Wilhelmsburg und auch im Bezirk Mitte durchaus Verhältnisse gibt, wo vier von zehn Kindern, also fast 40 Prozent der Kinder in solchen Verhältnissen aufwachsen. Das sind doch Hinweise, über die wir uns unterhalten müssen, und wir fordern vom Senat, dass dies anders gemacht wird. Es wurde uns schon vor zwei Jahren versprochen, dass wir in kurzer Zeit all diese Daten in der Internet-Information des Senats nachlesen können. Davon ist heute keine Rede mehr. Man kann dies unverändert nicht nachlesen. Dabei wäre es nötig, wenn man gezielt und gut handeln will. Wir sagen, dass die Politik des Senats die Lage nicht verbessert, sondern schwieriger gemacht hat.
Ich will sechs Punkte aufzählen: Das fängt bei den Ausstattungen der Kinderbetreuungseinrichtungen an. Wir haben heute bereits über das Thema gesprochen. Es geht zweitens weiter mit den Fragen nach dem Stand der gebührenfreien Lernmittelsituation in den Schulen und der kostenlosen, niedrig schwelligen Zugänge in Freizeiteinrichtungen, wird es den Gebührenzwang an Hochschulen weiter geben, wird es ein Sozialticket geben und wie wird die finanzielle Unterstützung der kinderreichen Familien in dieser Stadt aussehen. Das sind Beispiele dafür, ob den Kindern eine Chance gegeben wird, diesen Teufelskreis aus Armut endlich zu verlassen oder nicht.
Tatsache ist, dass der Senat durch seine politischen Maßnahmen - ich habe sie aufgezählt - den Familien, die davon betroffen sind, eher Steine in den Weg rollt, anstatt Hürden zu beseitigen. Die Bürgermeisterin hat gesagt, durch SGB II und Sozialhilfe würde Armut vermieden. Das ist meiner Ansicht nach eine völlig falsche Einstellung. Natürlich bedeutet die staatliche Leistung, die bezahlt wird, nichts anderes, als dass man zur Kenntnis nimmt, dass die Familien nicht in der Lage wären, ihren eigenen Überlebensunterhalt zu finanzieren. Dass man aber von solchen Leistungen gleichberechtigt als freier Bürger in dieser Stadt leben könnte, bestreiten wir energisch. Wer daran nicht glaubt, sollte nachlesen, was ges
tern in der "Hamburger Morgenpost", aber auch in anderen Zeitungen gestanden hat. Durch die Evangelische Kirche in Wilhelmsburg wurde untersucht, wie sich die Situation bei den Armen in dieser Stadt darstellt. Ich fand sehr bemerkenswert, dass hierbei festgestellt wurde, dass es keinen Protest, aber viel Resignation und Rückzug gibt, dass die Betroffenen sich versorgt und entsorgt fühlen - vor allem abgefunden - und dass sich viel Resignation breit macht. Einen Satz will ich zitieren, der mir sehr wichtig ist, weil wir über Jugend reden. Ein junger Mensch ist dort zitiert worden, der erlebt, dass seine Eltern, obwohl sie arbeiten, so wenig verdienen, dass sie Zuschüsse vom Staat brauchen. Diese Junge sagt:
Die tiefe Resignation, die aus einer solchen Situation junger Menschen spricht, muss eine Herausforderung an uns sein, solche Resignation zu überwinden. Das jedenfalls ist die Zielsetzung, die wir als Sozialdemokraten verfolgen.
So viel Kinderarmut in der Stadt können wir uns nicht leisten, war die Ausgangsthese. Wir fordern den Senat auf, andere Wege zu beschreiten. Andere Wege haben vor allem mit Chancen zu tun. Ein letztes Zitat - der Vorsitzende des Hamburger Kinderschutzbundes, Professor Wulf Rauer, hat gesagt:
"Kinder von Eltern mit einem Haushaltseinkommen von über 60.000 Euro […] haben eine zwölffach höhere Chance in Hamburg ein Gymnasium zu besuchen als Kinder aus Haushalten mit weniger als 20.000 Euro."
Wir wissen inzwischen, dass auch die Gesundheitslage der Kinder in solchen Haushalten dramatisch schlechter ist, als die, die wir sonst in der Stadt kennen. Wir wissen auch, dass die Beteiligung am gesellschaftlichen Leben für viele dieser Kinder weitgehend ausgeschlossen ist - Anlass für uns gegenzusteuern. Wir fordern den Senat auf, endlich tätig zu werden, mit den Informationen herüberzukommen und Maßnahmen gemeinsam zu entwickeln, weil ich nicht mehr daran glaube, dass es nur eine Schlamperei ist. Sondern wir sagen: Hier wird mit Absicht nicht gegengesteuert.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Eins vorweg: Ich denke, die Sicherung der Zukunft unserer Kinder hat für uns alle sehr hohe Priorität. Wir alle wollen, dass die Kinder in unserer Stadt gute Startchancen bekommen. Ich glaube, da sind wir uns alle einig.
Herr Grund, ich finde, solche Aussagen wie "Die Reichen werden immer reicher, die Armen werden immer ärmer" gehen ein bisschen am Thema vorbei. Ich glaube, solche Sprüche sollten wir nicht machen, das hilft uns wenig weiter. Vielmehr sollten wir versuchen, uns mit dem Thema ernsthaft auseinanderzusetzen. Sie sollten nicht vergessen, dass Sie im Bund die Verantwortung mit tragen.
Zum Thema Ihrer Anfragen: Ihnen geht es gar nicht so sehr um das Thema Armut oder Kinderarmut. Es geht in der Anfrage eher um die Fallzahlen, die Sie monieren nicht umfassend erhalten zu haben, und darum, dass es mehr Fälle gibt. Ich sage Ihnen: Es gibt an sich nicht mehr Fälle, und zwar aus folgenden Gründen. Es steht auch in der Beantwortung, ich wiederhole es aber trotzdem noch einmal. Der Personenkreis der Anspruchsberechtigten hat sich erweitert durch die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe. Das heißt, die Arbeitslosenhilfe zählte früher nur die Anspruchsberechtigten, nicht die Angehörigen. Demzufolge ist es so, dass sich für die Kinder in der Stadt wenig geändert hat, aber der Zählmechanismus sich verändert hat. Das müssen wir erst einmal so festhalten, bevor man dann überhaupt irgendwelche Zahlen vergleicht, zudem sind die Zahlen von gestern und heute gar nicht vergleichbar.
Hinzu kommt - Sie haben es eben gesagt -, dass die Hemmschwellen, Ansprüche geltend zu machen, scheinbar gesenkt worden sind und es mehr ergänzende Leistungen zum Erwerbseinkommen gibt. Ich sage es Ihnen ganz ehrlich, Herr Grund, die Sache sehen wir auch mit einer gewissen Sorge.
Einerseits kann man sagen, besser als keine Arbeit, andererseits sind das Entwicklungen, die auch wir im Auge haben, das ist keine Frage. Das sind wichtige Themen, was ich auch gar nicht in Abrede stellen will. Die Folge ist auf jeden Fall, dass es bei gleicher Lage zu höheren Fallzahlen kommt. Ich bin aber der Meinung, dass sich die Lage in der letzten Zeit in Deutschland und in Hamburg gebessert hat. In Deutschland hat sie sich nach meiner Auffassung deutlich gebessert - ich habe es vorhin schon kundgetan -, in Hamburg überdurchschnittlich. Die Folge in Hamburg ist mehr Wirtschaftswachstum, mehr Arbeitsplätze, mehr Wohlstand und dadurch weniger Armut. Das ist die richtige Antwort, die wir auf solche Fragen erst einmal geben müssen.
Ich finde es auch nicht gut, wenn Sie sich hier hinstellen und die Folgen Ihrer eigenen Bundesgesetzgebung kritisieren und so tun, als hätten Sie alle damit gar nichts zu tun. Wir haben das gemeinsam im Bundestag beschlossen. Nun müssen wir auch schauen, dass man versucht, die Probleme sachgerecht zu lösen und nicht vor dem Hintergrund von Kinderarmut und Armut eine Diskussion vom Zaun bricht, die an den Problemen vorbeiführt. Es wird der Eindruck erweckt, als wäre hier der kalte Senat und dort die warme SPD und dass man nur irgendwie umsteuern müsse. Aber das sind nicht die Probleme. Richtig ist, dass wir in Hamburg eine gute Wirtschafts-, Standort- und Infrastrukturpolitik haben und nach meiner Auffassung auch eine solide Finanzpolitik. Wir wollen als CDU Wohlstand für alle. Das ist für uns ganz klar. Daher setzen wir in der Armutsbekämpfung auf eine solide Wirtschafts- und Finanzpolitik und nicht auf sozialromantische Träumereien von gestern.
Nun sagen Sie, es würde nicht gehandelt und Wachstum alleine reiche vielleicht nicht. Das ist sicherlich richtig, aber es ist auch nicht so. Wir haben den Schwerpunkt Bildung gesetzt. Wir nennen das die "Bildungswende". Wir haben zunächst die Hauptschule gestärkt - mit mehr Berufspraxis -, wir wollen in Zukunft die Stadtteilschulen einführen, das Zwei-Säulen-Modell - wir haben uns in der Enquete-Kommission auch gemeinsam Gedanken dazu gemacht. Wir haben kleinere Grundschulklassen
und in sozialen Brennpunkten Klassen mit nur 19 Kindern. Wir wissen auch mehr, als Sie vielleicht hier den Eindruck zu erwecken scheinen. Wir haben durch die KESS-Untersuchung ein ganz genaues Lagebild, wo Probleme in der Stadt sind und wo keine sind. Dadurch, dass wir die KESS-1- und KESS-2-Gebiete mit kleinen Grundschulklassen versorgen können, haben wir wirklich die Möglichkeit, wie Sie es gefordert haben, dass man sinnvoll und zielgerecht handelt. Dass heißt, wir müssen nicht nur Daten und Fakten sammeln, sondern wir müssen das Wissen, das wir haben, dazu nutzen, es zielgerichtet einzusetzen. Das tut der Senat.