Protocol of the Session on August 29, 2007

Jetzt haben wir einen Bericht und augenscheinlich kann man daraus entnehmen, dass die CDU und der Senat endlich festgestellt haben, dass ihnen der rote Faden in der Jugendhilfe abhanden gekommen ist und sie sich deshalb zu einem Bericht entschlossen haben. Das ist, finde ich, schon einmal die erste Einsicht. Was den befürchteten Arbeitsaufwand angeht: Der ist für die Verwaltung sicherlich ausgeblieben, denn dieser aus Pressemitteilungen zusammengeschusterte Bericht war wahrlich nicht so aufwendig.

Frau Strasburger, Sie haben den Bericht des rotgrünen Senats 1999 angesprochen. Das war auch gut so, denn es geht nämlich durchaus auch anders. Dieser Kinder- und Jugendbericht stellte sämtliche Leistungen der Jugendhilfe auf den Prüfstand und er hat, soweit es damals aktuell war, natürlich die Lebensbedingungen von Kindern und Jugendlichen in den Bericht einbezogen. Der ganze Bricht war insgesamt, ich glaube, 140, 150 Seiten dick und ging kritisch mit der Jugendhilfe um.

(Rolf Harlinghausen CDU: Dann muss er ja gut gewesen sein!)

Wenn Sie jetzt sagen, es interessiere Sie nicht, weil es Rotgrün war, brauchen Sie gar nicht so weit schauen. Ihre eigene Bundestagsfraktion hat in der Koalition einen

wirklich recht guten umfassenden Kinder- und Jugendbericht erstellt. 669 Seiten hatte er, okay, das ist ja auch Bundesregierung, kann man sagen. So dick muss es hier nicht sein. Aber selbst Ihre Bundestagsfraktion hat nicht davor zurückgeschreckt, die Regierungsmaßnahmen selbstkritisch zu beleuchten. Ein einziges großes, dickes Kapitel beschäftigt sich mit dem sozialen Wandel und dem sozialen Kontext des Aufwachsens.

(Zuruf von der CDU)

- Ich weiß nicht, Sie brauchen sich nicht aufregen, wenn ich gerade Ihre Bundesregierung lobe, weil Sie nämlich in dieser Hinsicht endlich einmal gehandelt hat.

(Zuruf von der CDU)

Jetzt kommt es nämlich.

Das Ende dieses Kinder- und Jugendberichtes auf Bundesebene enthält mehrere Seiten Empfehlungen und das ist nämlich genau das, was hier fehlt. Denn darum geht es doch. Ein Berichtswesen macht doch nur dann Sinn, wenn eine umfassende Diagnose erstellt wird und sich dann eine Therapie daraus ableitet. Das hat der Kinder- und Jugendbericht der Bundesregierung zumindest ansatzweise getan. Es steht auf einem anderen Blatt, ob die Große Koalition diese Empfehlungen wirklich alle umsetzt. Zumindest stehen die Empfehlungen dort.

Was hat der CDU-Senat hier in Hamburg fabriziert? - Einen Bericht, der schon die Diagnose nicht richtig stellen kann, weil er weite Bereiche einfach ausklammert. Es ist logisch, dass da überhaupt keine Therapie erfolgen kann. Ich will Ihnen einmal sagen, was nicht vorhanden ist, die Kollegin Hilgers hatte damit schon angefangen: Lebenslage der Kinder in Hamburg - nicht vorhanden, Rahmenbedingungen des Aufwachsens von Kindern - nicht vorhanden, offene Kinder- und Jugendarbeit - das ist wirklich der Hammer - total weißes Blatt im Kinder- und Jugendbericht des Senats, als gäbe es sie überhaupt nicht in Hamburg. Nebenbei: Der Einfluss von Medien im Alltag der Kinder - ein ganz großes Kapitel im Bundesbericht und ein sehr wichtiges, wie wir immer wieder feststellen - nicht vorhanden. Jugendpartizipation, eigentlich kein Wunder, das ist sowieso ein Fremdwort bei der CDU - noch nie gehört und darum auch nicht im Kinder- und Jugendbericht vorhanden.

Ich könnte die Liste noch weiter fortführen aber ich denke, es ist deutlich geworden, dass dieser CDU-Senat sich wieder einmal bewusst die Scheuklappen aufgesetzt hat, weder links noch rechts geschaut hat und sich stattdessen selbstzufrieden feiert, ohne die wirklichen Probleme der Kinder in dieser Stadt zu benennen. Ich frage mich wirklich, Frau Senatorin Schnieber-Jastram: Wie lange wollen Sie noch die Augen verschließen vor der zunehmenden Kinderarmut, vor den gut 63.000 Kindern, die in Hamburg im Existenzminimum leben? Wie lange wollen Sie noch ignorieren, dass die Zahl dieser Kinder zunimmt? - Während wir 2003 noch 46.000 Kinder hatten, die im Sozialhilfebezug lebten, sind es 2005 bereits 63.500. Frau Strasburger, da sagen Sie, Kinderarmut gebe es hier in dieser Stadt gar nicht.

(Stefanie Strasburger CDU: Nein, das habe ich so nicht gesagt!)

- Moment, wie haben Sie es gesagt? - Kinderarmut hat in Hamburg keinen Platz, Überzeichnung, die Probleme schüren.

Also bitte, bei einer Zahl von 63.500 armen Kindern ist dieses Problem wahrlich nicht überzeichnet. Das sind 23,4 Prozent aller Kinder in Hamburg, die in der Grundsicherung nach SGB II leben. Diese Zahl kann man in einem Kinder- und Jugendbericht nicht einfach ignorieren. Aber weil Sie das tun, bleibt das Fazit Ihres Berichtes eigentlich ganz eindeutig. Diagnose lückenhaft, Therapie fehlt vollständig und der Patient bleibt krank und 63.000 Kinder dieser Stadt rutschen weiter ins Abseits, nur weil dieser Senat und diese Senatorin sich in Selbstgefälligkeit sonnen. Das ist ein Drama.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der SPD)

Das Wort bekommt Senatorin Schnieber-Jastram.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Seit dem Jahre 2002 ist die Familienpolitik - ich glaube, das kann man mit gutem Recht sagen - eines der Schwerpunktthemen dieses Senats, aber nicht nur ein Schwerpunkt dieses Senats, sondern auch mein persönlicher Schwerpunkt.

(Michael Neumann SPD: Da will ich aber nicht wissen, wie Sie mit Themenfeldern umgehen, die nicht Ihre Schwerpunkte sind!)

Das hat sicher auch damit zu tun, dass ich bei meinen Terminen ganz viele Menschen mit Sorgen und Nöten treffe, aber auch solche, die ganz viel Mut und ganz viel Kraft haben. Das ist dann immer wieder meine Motivation, diesen Menschen helfen zu wollen und ihnen die nötige Unterstützung zu bieten.

Wir haben daher in Hamburg viele Projekte und Angebote erfolgreich umgesetzt oder auf den Weg gebracht. Mit dem vorliegenden Bericht setzen wir uns mit den Lebenslagen von Familien, Kindern und Jugendlichen aus Hamburg auseinander. Er konzentriert sich auf Schwerpunkte der Jugendhilfe und beschreibt die herausragenden Entwicklungen und Veränderungen seit 2002 in Angebot und Ausrichtung der Familien-, Kinder- und Jugendhilfe.

Wir haben Schwerpunkte gesetzt und neue Wege beschritten, die in den vier wichtigen Handlungsfeldern liegen. Erstens ist das die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf, zweitens der Ausbau und die Weiterentwicklung von Kindertagesbetreuung, drittens die Unterstützung und Entlastung von Familien und viertens der Schutz von Kindern und Jugendlichen.

Bevor ich jedoch etwas zu den einzelnen Aspekten sage, lassen Sie mich etwas über das Thema sagen, das auch hier schon häufiger angesprochen worden ist, die Kinderarmut. Dieses Thema wird nicht zu Unrecht mit hohen Emotionen diskutiert. Lassen Sie mich gleich zu Beginn feststellen: Wir finden uns mit Kinderarmut nicht ab, im Gegenteil.

(Beifall bei der CDU)

Ich bitte aber auch um mehr Ehrlichkeit in dieser Debatte. Eine reine Mitleidsdebatte hilft den Menschen nicht.

(Beifall bei der CDU)

Hinter der Armut von Kindern steht immer mangelndes Einkommen,

(Michael Neumann SPD: Mindestlohn!)

meist sogar Erwerbslosigkeit der Eltern. Deswegen ist der Satz "Sozial ist, was Arbeit schafft" so richtig und so wichtig.

(Beifall bei der CDU)

Dieser Satz verdeutlicht auch, dass durch Sozialleistungen die Ursache der Mittellosigkeit von Eltern nicht zu beseitigen ist. Wir arbeiten deswegen auf drei Ebenen gegen die Armut. Da Menschen ohne Einkommen arm sind, erhalten sie ganz erhebliche Geldleistungen für Miete, Strom, Heizung, Lebenshaltungskosten und so weiter, um menschenwürdig leben zu können. Dann gibt es eine Reihe von staatlich geförderten Sachleistungen: Stark vergünstigtes Essen in Schulen, Kindertagesstätten und bei pädagogischen Mittagstischen, Verzicht auf Zuzahlungen beim Büchergeld, finanzielle Förderung von Kinder- und Familienreisen und so weiter. Und schließlich beraten und unterstützen wir die Betroffenen durch viele staatliche Angebote oder auch staatlich mitfinanzierte Angebote und viele soziale Träger und Wohlfahrtsverbände, damit die Menschen Hilfe erhalten, ihre schwierigen Lebenslagen zu überwinden. Dies alles wird in Hamburg zusätzlich durch ein hervorragendes ehrenamtliches Engagement und Mäzenatentum der Bürgerinnen und Bürger unterstützt.

(Beifall bei der CDU)

Ich glaube, wir dürfen nicht der Versuchung erliegen, die staatliche Unterstützung beziehungsweise die Transferleistungen zu diffamieren. Wir müssen uns doch einmal verdeutlichen, was denn dahintersteht. Dahinter stehen alleine in Hamburg jährlich Beiträge in Milliardenhöhe, die die Steuerzahler dieser Stadt aufbringen. 2006 waren das rund 450 Millionen Euro Kosten allein für die Unterkunft, 160 Millionen Euro Kosten für die Grundsicherung und laufende Hilfen zum Lebensunterhalt und 50 Millionen Euro für Krankenhilfe - um nur wenige Beispiele zu nennen. Da ist Hartz IV - ein Gesetz, das übrigens von Rotgrün auf den Weg gebracht wurde und das auch wir am Ende mitgetragen haben, nicht, dass Sie sich jetzt klammheimlich davon verabschieden - noch gar nicht dabei.

(Petra Brinkmann SPD: Das kritisiert doch gar kei- ner!)

Ohne diese Transferleistungen wären die Betroffenen tatsächlich arm. Daher ist es so wichtig, diese Menschen wieder in ein Erwerbsleben zu bekommen. Ein Kernpunkt für Familien und insbesondere Alleinerziehende, um berufstätig sein zu können, ist die Betreuung der Kinder.

(Beifall bei der CDU - Michael Neumann SPD: Reich sind die geistig Armen!)

Wir haben bundesweit als vorbildlich anerkannt gehandelt. Durch den Rechtsanspruch auf einen Kita-Gutschein für alle Berufstätigen mit Kindern bis zu 14 Jahren im benötigten Umfang ihrer Berufstätigkeit unterstützen wir die Vereinbarkeit von Familie und Beruf auf wirklich umfassende Weise. Mit der 2004 gegründeten Hamburger Allianz für Familien stärken wir gemeinsam mit Handwerks- und Handelskammer die Familienfreundlichkeit in den Unternehmen und inzwischen verleihen wir regelmäßig das Hamburger Familiensiegel an Betriebe, die sich durch ihre Familienfreundlichkeit auszeichnen. Zusätzlich stehen viele Angebote für Mütter wie für Väter zur Verfügung.

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Aber Kindertagesbetreuung geht weit über die Bedeutung für Vereinbarkeit von Familie und Beruf hinaus. Kindertagesbetreuung ist Ort früher Bildung und individueller Förderung. Deshalb haben wir in Hamburg den bundesgesetzlichen Betreuungsanspruch für alle Kinder erweitert. Statt für Drei- bis Sechsjährige vier Stunden täglich sind dies in Hamburg fünf Stunden inklusive Mittagessen, Letzteres übrigens für 60 Cent am Tag. Das ist eine Summe, die sich jeder leisten kann.

(Michael Neumann SPD: Dann ist ja alles super, dann können Sie ja jetzt aufhören!)

Zusätzlich sind durch uns verbesserte und verbindliche Bildungsstandards in der Kindertagesbetreuung eingeführt worden. Wir wollen die Kinder in ihrer Entwicklung stärken und ihnen die bestmöglichen Voraussetzungen mit auf den Weg geben. Dazu gehört selbstverständlich auch mit hoher Bedeutung der Erwerb der deutschen Sprache. Hierzu haben wir neben vielem anderen jetzt eine vorgezogene Schulpflicht eingeführt und zusätzlich gibt es - Sie wissen es, Frau Dr. Hilgers - ganz unbürokratisch Geld für alle Kindertagesstätten mit hohen Ausländeranteilen.

Mit all diesen Maßnahmen hat Hamburg eine Spitzenposition in der Kindertagesbetreuung eingenommen. Die sehr guten Angebote zeichnen unsere Kindertagesbetreuung aus. Die steigende Zahl der betreuten Kinder bestärkt uns in unserem Vorhaben. Es waren 2002 noch knapp 49.800 Kinder in Einrichtungen, 2006 haben wir mehr als 56.000 Kinder in Kindertagesstätten und insgesamt werden mit mehr als 71.000 Kindern so viele wie noch nie in allen Angebotsformen betreut und gefördert.

Lassen Sie mich zum dritten Punkt, zur Unterstützung und Entlastung für Familien, kommen. Wir haben die früh einsetzenden und entlastenden Angebote für Familien in verschiedenen Lebenslagen erheblich ausgebaut. Dazu ist eine Vielzahl von Maßnahmen umgesetzt worden. Rund 100 Einrichtungen und Projekte wurden zusätzlich modellhaft erprobt. Bei Erfolg haben wir sie auch in die Regelfinanzierung übernommen. Wir wollen damit rechtzeitig und niedrig schwellig die Familien erreichen, die unsere Hilfe und Unterstützung brauchen. Deswegen haben wir Familienhebammen, Eltern-Kind-Zentren, Wellcome-Projekte, die Werbekampagne für Pflegefamilien und "Frühe Hilfen Altona", um nur einige Dinge zu nennen.

Kindern und Jugendlichen gehört unsere ganze Aufmerksamkeit. Dass Kinder und Jugendliche viele Entwicklungen durchmachen, ist, glaube ich, deutlich. Es ist nicht immer einfach mit Kindern, deswegen haben wir 2002 die Geschlossene Unterbringung wieder eingeführt und das Familien-Interventionsteam eingerichtet. Beide Einrichtungen sind gut und richtig und geben Kindern in solchen Situationen wieder eine Chance. Das Konzept hat sich bewährt, Verbindlichkeit und klare Regeln spielen wieder eine Rolle. Die jungen Menschen, die dort zu Hause sind, haben zum ersten Mal wieder eine Chance auf regelmäßigen Schulbesuch und auf einen Beruf. Ich glaube, dass ist sehr wichtig.

Zum Schluss der vierte Schwerpunkt, der Schutz der Kinder unserer Stadt. - Die Aufmerksamkeit lässt ein bisschen nach, das ist ja auch ein langer und umfangreicher Bericht, Frau Blömeke, Lesen lehrt das.

(Michael Neumann SPD: Die Art des Vortragens ist so, dass man nicht mehr zuhören kann!)

Der Schutz hat hohe Priorität. Der Tod der kleinen Jessica im März 2005 hat uns alle betroffen gemacht. Der Senat hat damals sehr schnell reagiert. Wir haben durch das Senatsprogramm "Hamburg schützt seine Kinder" verbindliche Informationsverfahren eingeführt, die personelle Ausstattung der Allgemeinen Sozialen Dienste hat einen Stand erreicht, den wir noch nie zuvor in der Stadt gehabt haben, einmal ganz abgesehen von vielen Entlastungen auch der sozialen Dienste durch das FIT und die Übertragung der Scheidungs- und Trennungsberatung auf Freie Träger, sodass wir in dem Bereich sehr viel geleistet haben.

Der Hamburger Senat hat für alle diese Anstrengungen einen großen finanziellen Spielraum geschaffen. 2002 betrugen die Ausgaben 575 Millionen Euro. Wir haben sie bis 2006 um 69 Millionen Euro auf 644 Millionen gesteigert und 2007 haben wir einen um weitere 8 Millionen auf dann 652 Millionen Euro erhöhten Haushaltsansatz geschaffen. Wenn ich wollte, könnte ich Ihnen noch all das erzählen, was wir im Programm "Lebenswerte Stadt" für Familien und Kinder machen. Wir sind Überzeugungstäter und werden das auch bleiben.

(Lang anhaltender Beifall bei der CDU)

Das Wort bekommt Frau Veit.