Protocol of the Session on June 20, 2007

Das ist ein bundesweiter Trend und es liegt auch an Zahlen, die nicht vergleichbar sind. Insofern ist es durchaus schwierig, das so zu bewerten. Wir reden ja heute in der Schulpolitik auch eher von Migrationshintergrund. Insofern muss man schauen, wie sich das wirklich verhält.

In Ihrer alten Senatsmitteilung sind mangelnde Schulabschlüsse als Ursache gegeben. Da kann man nur sagen: Gut erkannt. Nur haben Sie da in den Neunzigerjahren nichts gemacht. Aber wir haben etwas dagegen getan. Unsere Antwort darauf ist in Hamburg die Bildungswende. Wir haben eine wesentlich bessere Schulpolitik als seinerzeit - eine Trendwende. Auch das führt zu einer wesentlich verbesserten Ausbildungssituation.

(Doris Mandel SPD: Wieso merkt man davon eigentlich nichts?)

Die SPD weist darauf hin, dass das hohe Alter …

(Glocke)

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Herr Kollege, um wie viel Prozent ist denn seit Beginn Ihrer Regierungszeit die Anzahl der Schülerinnen und Schüler gesunken, die ohne Schulabschluss die Schule verlassen müssen?

(Michael Neumann SPD: Null! - Frank-Thorsten Schira CDU: Das können Sie ja selbst ausrech- nen!)

- Die Zahl der Schülerinnen und Schüler, die die Schule ohne Abschluss verlassen, ist gesunken. Wobei ich Ihnen in der Tat recht gebe, ist, dass es nach wie vor - wir haben darüber auch in der Enquete-Kommission gesprochen - ein Problem ist. In der Enquete-Kommission haben wir hierzu gemeinsam seinerzeit Einiges auf den Weg gebracht. Es geht darum, dass wir die Struktur als solche ändern, dass wir zum Beispiel die Stadtteilschule schaffen - das ist eine richtige Antwort -, und dass wir dort auch Berufsorientierung wesentlich verbessern. Das sind die Antworten, die in diesem Punkt die Zukunft weisen werden.

Sie weisen weiterhin darauf hin, dass das hohe Durchschnittsalter eine Ursache oder negativ sei. Auch eine Ursache dafür ist allerdings der hohe Abiturientenanteil, den wir in Hamburg haben. Das passt Ihnen zwar bei anderer Gelegenheit immer wieder nicht aber ansonsten ist es so, dass Sie Ihren Abiturientenanteil auch in die Rechnung einbeziehen müssen. Sonst ist Ihre Forderung immer, dass möglichst jeder das Abitur bekommen soll. Es ist ja auch schön, wenn man das schafft. Das wünsche ich auch jedem. Aber in der Tat hat das etwas mit

Leistung zu tun, deswegen sind wir auch gegen die Einheitsschule. Ihr Antrag als solcher wirkt irgendwie wie aus einer anderen Zeit. Darin ist wenig Neues und man hat eher das Gefühl, das Ganze ist irgendwo bei Ihnen in der Schublade liegen geblieben.

(Michael Neumann SPD: Sie stimmen zu!)

Etwas Erfreuliches zum Schluss, das Thema Jugendarbeitslosigkeit: Beschäftigte, jünger als 25 Jahre: Wir haben einen sehr starken Rückgang im Mai 2007 - um 24,8 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Das ist ein wirklicher Erfolg am Arbeitsmarkt! Das sind Erfolge, die mehr bringen als irgendwelche komplizierten Forderungen oder Ausbildungserfordernisse, die nur Bürokratie schaffen. Wir haben ein positives Ausbildungsklima und wir haben mehr Ausbildungsplätze. Wir haben eine gemeinsame Verantwortung von Senat und Wirtschaft. Der Senat steht hier im ständigen Kontakt und das Thema Ausbildung wird ernst genommen. Die Berufsorientierung und -vorbereitung wird auch ernst genommen und wird zukünftig im Rahmen der Stadtteilschule eine größere Bedeutung benötigen. Was wir nicht brauchen, ist zielloser Aktivismus, staatliches Gängelband und unnötige Bürokratie. Beim amtierenden Senat ist das Thema Ausbildung in guten Händen.

(Beifall bei der CDU)

Das Wort erhält die Abgeordnete Köncke.

Herr von Frankenberg, erzählen Sie das den ungefähr 10.000 Jugendlichen ohne Ausbildungsplatz, dass wir in Hamburg kein Ausbildungsproblem haben.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD - Michael Neu- mann SPD: Bravo!)

Das Schönreden scheint sich heute wie ein roter Faden durch die CDU-Fraktion zu ziehen. Meine Damen und Herren, das wäre natürlich nicht weiter schlimm, wenn wir jetzt im Zeichen des konjunkturellen Aufschwungs eine Chance für einen strukturellen Wandel verpassen würden, denn wir haben ein Ausbildungsproblem. Wir haben weiterhin eine deutlich prekäre Ausbildungssituation - Frau Ernst hat es benannt -, wir haben mindestens 10.000 Jugendliche, die die sogenannte "Bugwelle" ausmachen. Das eigentliche Problem ist, dass wir eine hohe Anzahl von Jugendlichen haben - ungefähr 12.000 -, die in sogenannten Warteschleifen verbleiben, das heißt, die keine Chance haben, eine richtige Ausbildung zu bekommen, und die wahrscheinlich die nächsten Anwärter auf das Arbeitslosengeld II sein werden.

Als politische Reaktion der CDU sehe ich immer nur, dass sie wieder ganz verstärkt um ein paar Ausbildungsplätze mehr wirbt und mehrere Aktionen plant nach dem Motto: Jetzt strengen wir uns richtig an, jetzt werben wir Ausbildungsplätze ein. Das Letzte, was Sie auf den Weg gebracht haben, ist die Aktion mit Herrn Uwe Seeler. Das ist sehr ehrenwert, es löst aber das strukturelle Problem leider überhaupt nicht.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der SPD)

Ich komme noch einmal auf dieses strukturelle Problem zurück. Frau Ernst hat dieses auch angedeutet. Ich

möchte zwei Punkte herausstellen und das wird Frau Ahrons besonders interessieren.

Was bedeutet dieser Wirtschafts- beziehungsweise Ausbildungswandel, auf den wir entsprechend reagieren müssen? Es ist schon seit Jahren festzustellen, dass wir natürlich eine Veränderung in der Wirtschaft haben, die sich ganz besonders in Hamburg niederschlägt. Wir haben eine Veränderung zu einer Dienstleistungsgesellschaft und zu immer mehr Dienstleistungen. Diese Dienstleistungen verlangen immer größeres theoretisches Wissen und in traditionellen, ausbildungsintensiven Bereichen geht der Bedarf an Fachkräften zurück. Gerade in Hamburg gibt es immer mehr neue Unternehmen, die keine Ausbildungstradition haben. Die klassische duale Ausbildung verliert an Bedeutung. Die Folge ist ein verschärfter Konkurrenzkampf; den hat Frau Ernst deutlich ausgeführt.

Außer dem Strukturwandel in der Wirtschaft haben wir in Hamburg ein zweites Problem. Hamburg ist in vielen Bereichen Spitzenreiter, vor allem im Bereich der Schulabbrecher. Das liegt mitbegründet in unserem Schulsystem.

Ich möchte nicht ins Detail gehen, wie Frau Ernst es gemacht hat, sondern eine Aussage ganz voranstellen. Unsere duale Ausbildung funktioniert so nicht mehr.

(Vereinzelter Beifall bei der GAL)

Wir brauchen eine Ergänzung, eine Alternative zu dieser dualen Ausbildung. Wir müssen einen Schnitt machen, eine echte Ergänzung zur dualen Ausbildung.

Ich möchte dazu drei Eckpunkte skizzieren, auf die wir uns ausrichten müssen, wenn wir tatsächlich das Ausbildungsproblem angehen wollen.

Erstens: Wir brauchen ein neues Schulkonzept; das ist mehrfach ausgeführt worden. Wir brauchen eine neue Bildung, denn wir können es uns nicht leisten, bundesweit die meisten Schulabbrecher zu haben. Sie haben heute Ihre Ergebnisse aus der Enquete-Kommission vorgestellt. Es wird deutlich, dass das mit Sicherheit nicht ausreichen kann. Wenn Sie sagen, Bildung sei Ihnen besonders wichtig, dann müssen Sie auch ernst machen und Ihrem Zweisäulen-Modell, das noch auf tönernen Füssen steht, ein pädagogisches Konzept beifügen.

Zweitens: Wir brauchen eine schulische Ausbildung, die so attraktiv ist, dass sie die duale Ausbildung ergänzt. Es gibt ein Beispiel, das in Europa Schule gemacht hat. Es gibt die dänischen Produktionsschulen, die genau diese Komponente der dualen Ausbildung, praktisches und theoretisches Wissen miteinander zu verbinden, exemplarisch umgesetzt haben. Diese Form der dualen Ausbildung bedeutet, den Jugendlichen als Alternative eine schulische Ausbildung mit betrieblichen Anteilen und ohne soziale Segregation zur Verfügung zu stellen und nicht zu sagen, das ist die Schule für diejenigen, die keinen Ausbildungsplatz bekommen haben, sondern als echtes Angebot. Das ist ein wirkungsvoller Beitrag zu dieser Ausbildungsmisere.

Als Drittes brauchen wir natürlich eine Stärkung der universitären Ausbildung. Wir haben den Bachelor-Studiengang, der gerade für Abiturienten eine Alternative zu Ausbildungsplätzen bieten könnte. Die Studiengebühr wirkt kontraproduktiv, weil gute Abiturienten jetzt natürlich eher einen bezahlten Ausbildungsplatz nehmen, als einen

Bachelor-Studiengang einzugehen und dafür noch 500 Euro zu bezahlen. Hier gibt es wieder eine Konkurrenzsituation, die die Ausbildungssituation weiter verschärft.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Wenn wir von einer schulischen Ausbildung sprechen, meine ich damit natürlich nicht, dass wir die Ausbildungsbetriebe aus der Verantwortung für ihr Fachpersonal, welches sie schließlich nutzen wollen, entlassen sollten.

Liebe SPD, ich verstehe Ihren Antrag nicht ganz genau. Sie sagen, der Senat sollte darauf bestehen, dass …. Was heißt das genau? Wir müssen angesichts der Haushaltslage natürlich deutlich machen, dass wir da, wo Fachpersonal gebraucht wird, wo eine Notwendigkeit besteht und wo es genutzt wird, eine gleichberechtigte und gerechte Beteiligung der Unternehmen brauchen. Das müssen nicht unbedingt Geldbeiträge sein, das kann auch der Praktikumsplatz sein. Aber es muss eine festgeschriebene Beteiligung sein. Wir sollten noch einmal über eine Ausbildungsumlage diskutieren.

Meine Damen und Herren, es ist wesentlich, dass wir den Jugendlichen nicht nur mit gut gemeinten Worten begegnen, sondern mit verbindlichen Zusagen. Darauf würde ich Sie gern festlegen. Das Recht auf Schulausbildung greift hier wirklich zu kurz. Erst das Recht auf Berufsbildung begründet eine gerechte Chance, ein Leben ohne Transferleistung leben zu können. - Vielen Dank.

(Beifall bei der GAL und bei Michael Neumann SPD)

Das Wort erhält die Abgeordnete Dräger.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen, meine Herren! Herr von Frankenberg, Sie haben eben kurz auf die aktuelle Studie zum Wirtschaftsranking verwiesen, die die CDU vorhin gern in der Aktuellen Stunde debattiert hätte. Ich hätte sie auch gern debattiert. Aber, der Aspekt, den ich vorhin am liebsten mitdebattiert hätte, der passt hier auch.

Sie haben behauptet, die Zahl der Schulabgänger ohne Abschluss würde in Hamburg sinken. Das stimmt nicht. Wenn Sie diese Studie gelesen hätten, dann würden Sie wissen, dass wir im Dynamikranking - also im Veränderungsranking - bei den Schulabgängern ohne Abschluss den 13. Platz in der Bundesrepublik belegen. Von 16 Bundesländern sind also zwölf Bundesländer zurzeit deutlich erfolgreicher, als wir bei der Bekämpfung dieses Phänomens, nämlich der Tatsache, dass viele Schülerinnen und Schüler die Schule ohne Schulabschluss verlassen. Damit Sie jetzt nicht sagen, wir sind eine Stadt und kein Flächenland und da sei es schwieriger, nenne ich Ihnen auch einmal das Bestandsranking für die drei Stadtstaaten. Da stehen wir an dritter Stelle mit einem Schnitt von 11,5 Prozent - das bezieht sich auf 2005 - Schulabgängern ohne Abschluss. Das, was Sie gesagt haben, zeugt von einer kompletten Ahnungslosigkeit zu diesem Thema.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der GAL)

Ich möchte mich in einem Punkt Frau Köncke anschließen. Unterhalten Sie sich einmal mit den Schülerinnen und Schülern, die sich vergeblich bewerben, aber unterhalten Sie sich vor allen Dingen mit den Eltern solcher

Schüler, die vielleicht nicht in der ersten, sondern in der zweiten oder dritten Runde der Bewerbungen sind. Zu uns in die Abgeordnetenbüros kommen diese Menschen, schildern uns Ihre Nöte und fragen uns, was Sie tun könnten. Sie sind häufig sehr verzweifelt, weil sie wissen, dass Ihren Kindern - man kann sehr viel darüber diskutieren, welche Defizite welcher Schüler vielleicht hat -, mit dem mangelnden Berufseinstieg viele Chancen genommen werden, sich später im Berufsleben zu etablieren.

Sie tun so, als ob das irgendein ein Randproblem wäre, das weder besonders wichtig noch besonders neu wäre und mit dem man sich nicht beschäftigen müsste. Sie haben Recht, ganz neu ist das Thema nicht. Aber ganz neu ist, dass wir einen Senat haben, der es geradezu vermeidet, sich ernsthaft damit auseinander zu setzen.

(Beifall bei der SPD und bei Christa Goetsch GAL)

Sie können nicht so tun, als wenn das in den letzten vergangenen sechs Jahren kein Problem gewesen wäre. Herr von Frankenberg, ich sage es nicht oft, weil ich finde, jeder hat seine Art, mit so einem Thema umzugehen, aber Sie sind dem Problem wirklich nicht gerecht geworden und Ihre Haltung ist für die Jugendlichen und ihre Eltern in dieser Situation ein Schlag ins Gesicht.

(Beifall bei der SPD und bei Christa Goetsch und Gudrun Köncke, beide GAL)

Diese Situation ist für die Betroffenen mit einer unglaublichen Sorge verbunden. Wenn Sie hier in alten Senatsdrucksachen blättern, anstatt sich mit der Gegenwart zu beschäftigen, ist das sehr peinlich.